Allerheiligen-Fiasko (eBook)
176 Seiten
Verlag Carl Ueberreuter
978-3-8000-9914-6 (ISBN)
Thomas Stipsits, 1983 in Leoben geboren, ist Kabarettist und Schauspieler. Bereits in der Schule schreibt er erste Lieder und kleine Sketche. 2000 erhielt er den Kärntner Kleinkunstpreis. 2004, gemeinsam mit Klaus Eckel, Pepi Hopf und Martin Kosch den Österreichischen Kabarettförderpreis. Sein Programm 'Griechenland' feierte Anfang 2006 Premiere, aktuell tritt er sehr erfolgreich mit seinem Programm 'Stinatzer Delikatessen' auf. Er ist in zahlreichen Filmen und Fernsehproduktionen - zuletzt in 'Griechenland' (2023) und regelmäßig in 'Was gibt es Neues?' zu sehen. 2019 schrieb Thomas Stipsits seinen ersten Stinatz-Krimi 'Kopftuchmafia', es folgten 'Uhudler-Verschwörung' (2020) und 'Eierkratz-Komplott' (2022). Alle drei Krimis erhielten die Auszeichnung 'Platin-Buch', 'Eierkratz-Komplott' war 2022 das meistverkaufte Buch Österreichs. Außerdem bei Ueberreuter erschienen: 'Das Glück hat einen Vogel'. Der gebürtige Steirer mit familiären Wurzeln im südburgenländischen Stinatz lebt in Wien, Niederösterreich und auf Karpathos.
Thomas Stipsits, 1983 in Leoben geboren, schrieb bereits in der Schule Lieder und kleine Sketche. 2000 erhielt er den Kärntner Kleinkunstpreis. 2004, gemeinsam mit Klaus Eckel, Pepi Hopf und Martin Kosch den Österreichischen Kabarettförderpreis. Sein Programm "Griechenland" feierte Anfang 2006 Premiere, aktuell tritt er sehr erfolgreich mit seinem Programm "Stinatzer Delikatessen" auf. Er ist in zahlreichen Fernsehproduktionen ("Braunschlag", "Tatort", "Vorstadtweiber"), Filmen ("Love Machine") und regelmäßig in "Was gibt es Neues?" zu sehen. Bei Ueberreuter erschienen: "Das Glück hat einen Vogel" und "Kopftuchmafia". 2019 wurde Thomas Stipsits mit der Romy in der Kategorie Beliebtester Schauspieler Kino/TV-Film ausgezeichnet.
2.
Gruppeninspektor Sifkovits vom Landeskriminalamt Eisenstadt stand in der Küche seiner Mutter Baba und war gerade dabei, ein heißes Blech aus dem Tischherd zu nehmen. Er trug wie immer seine ockerfarbige Chinohose, seine ockerfarbige Ballonmütze, sein weißes Hemd und seine graue Strickweste. Sifkovits hatte diese Kombination exakt zehnmal in seinem Kasten hängen.
Im LKA in Eisenstadt war zurzeit nicht sehr viel los und so hatte ihm sein Vorgesetzter Oberst Taschner angeboten, sich doch ein paar Tage Urlaub zu nehmen, um gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester Lisa Allerheiligen in Stinatz zu verbringen.
Seine Frau Carina war gerade mit „Ärzte ohne Grenzen“ in Kenia unterwegs und würde erst kurz vor Weihnachten wieder nach Österreich kommen.
Sifkovits war seinem Heimatort Stinatz noch immer eng verbunden. Es war ein typisches Straßendorf, in dem sich das Leben, soweit das Wetter es zuließ, draußen auf der Straße abspielte. Das Haus seiner Mutter Barbara, die von allen Baba genannt wurde, war ein klassisches Bauernhaus an der Hauptstraße, wie es in Stinatz ganz viele gibt. Der Inspektor war dort aufgewachsen und kehrte immer wieder gern dorthin zurück.
Heute war der große Tag. Allerheiligen ist quasi der Opernball von Stinatz, nur mit dem Unterschied, dass keine prominenten Gäste geladen werden, sondern die Promis bereits unter der Erde liegen. Alle besuchen die Grabstätten auf dem Friedhof und beten für die Toten.
Der Friedhof würde in ein paar Stunden hell erleuchtet sein. Hunderte von Grablichtern waren bereits sorgfältig auf den Gräbern drapiert. Die frischen Chrysanthemen und andere herbstliche Blumen, die auf die Gräber gelegt wurden, trugen mit einem süßlichen, tröstlichen Duft zur Atmosphäre bei.
Es war später Nachmittag. Das Dorf wirkte wie ausgestorben. Die Sonne schien schwach durch einen meist grauen Himmel. Ihre Strahlen waren mild und das Licht wirkte gedämpft, wodurch eine ruhige, fast andächtige Stimmung entstand. Sanfter Wind wehte durch die Gassen und über die Felder von Stinatz, begleitet von dem leisen Rascheln fallender Blätter.
Alle Bewohner waren damit beschäftigt, sich für den Abend herzurichten. Sifkovits war kein besonderer Fan dieses Feiertags. Es würde unendlich lange dauern am Friedhof. Aller, die heuer verstorben waren, wurde an diesem Abend besonders gedacht.
David Grandits, der Pfarrer von Stinatz, ließ es sich natürlich nicht nehmen, die Allerheiligengebete für die Verstorbenen zweisprachig, also auf Deutsch und auf Kroatisch, vorzutragen. Somit dauerte die ganze Show doppelt so lange.
Sifkovits erinnerte sich an Jahre, in denen es nur drei Tote gegeben hatte. Herrlich. Kurzes Stehen in der Kälte und danach wieder nach Hause in die warme Stube.
Heuer waren es dreizehn. Unter drei Stunden würde sich das Ganze nicht abspielen, dachte er. Die Option, zu Hause zu bleiben, gab es nicht. Man wollte gesehen werden und selber schauen. Wer zu Allerheiligen in Stinatz nicht am Friedhof war, hatte die Kontrolle über sein Leben verloren.
Der Brauch schaffte es sogar ins bundesweite Fernsehen. Nirgendwo sonst in Österreich gab es Friedhöfe, die zu diesem Anlass so hell erleuchtet waren wie in Stinatz. Darauf war man auch sehr stolz.
Böse Zungen behaupteten, dass man sich teilweise freue, wenn die Tante Hermine endlich zum Schöpfer gerufen wurde, nur um am Friedhof im Mittelpunkt zu stehen. „Niemand wird länger berühmt sein als 15 Minuten“, sagte einst Andy Warhol. Die Gebete von Pfarrer David dauerten sogar länger als 15 Minuten. Da war er voll in seinem Element. Tagelang bereitete er sich darauf vor, übte seine Gebete vor dem Spiegel und überlegte sich bedeutungsvolle Gesten zu bestimmten Worten. Ein Fehler an diesem Tag könnte zu großen Problemen führen. Einige der Gläubigen würden ihm das nicht verzeihen.
Andere wiederum gingen auf den Friedhof, weil man das eben so machte. Sifkovits gehörte zu dieser Gruppe. Er sah es auch als Gefallen seiner Mutter zuliebe.
Nicht nur Allerheiligen war etwas ganz Besonderes im Ort, Stinatz an sich war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Viele Traditionen wurden hier über Jahrhunderte gepflegt, doch ohne einen schalen nationalistischen Beigeschmack. Waldfest, Pfarrfest, Tiger-Heuriger, Kirtag oder das Musikertreffen waren nur einige der lokalen Feste.
Im Ort lebten viele Burgenlandkroaten und aufgrund dieses Hintergrunds hatte Stinatz eine feste Bindung zur kroatischen Sprache und Kultur. Fast 60 Prozent der Bewohner bekannten sich dazu.
Den gesprochenen kroatischen Dialekt gab es seit etwa 500 Jahren in Stinatz und er hatte den Ort über diesen langen Zeitraum kaum verlassen. Die Dialekte in den Nachbarortschaften hatten mit jenem von Stinatz fast nichts zu tun.
Wenn Menschen aus Stinatz Deutsch sprachen, hatte das einen gewissen Charme. Weil die meisten auf Kroatisch dachten und es erst danach ins Deutsche übersetzten. Vor allem die ältere Bevölkerung des Ortes.
Manche Worte wurden daher anders ausgesprochen, zum Beispiel: Blumen. Man sprach dieses Wort aus, als würde man Blumen mit hartem P schreiben: PLUMEN. „Pitte pring ma Plumen mit.“
Die wichtigste Regel war allerdings das fehlende H am Wortanfang. Man sagte nicht: „Schau, da kommt die Herta“, man sagte: „Schau. Erta gumt“ und „Erta ist die Frau vo Errmann“. Wenn manche Leute aus Stinatz lachten, erinnerte es ein wenig an das Schreien eines Esel, weil eben das H fehlte: „IA - IA - IA“.
Stinatzer Hochzeiten zählen mittlerweile zum UNESCO-Weltkulturerbe. Allerheiligen höchstwahrscheinlich in Bälde auch.
Für Baba Sifkovits war dieser Tag von großer Bedeutung. Das war auch der Grund, warum sie seit einer Stunde nicht mehr aus dem Schlafzimmer kam. Sifkovits wusste, dass sie sich nicht für ein Kleid entscheiden konnte.
„AUA!“, schrie der Inspektor. Das Blech, das er aus dem Ofen genommen hatte, rutschte ihm aus der Hand und fiel zu Boden. Auf dem kleinen Teppich, der in der Mitte der Küche ausgelegt war, sammelten sich Backfett, einzelne Rosinen und Teile des Striezels und es bildete sich ein schmieriger Fleck.
„Was ist passiert?“, rief seine Mutter aus dem Schlafzimmer. Es befand sich am hintersten Ende des Hauses. Dazwischen lagen das Badezimmer und das Zimmer des Inspektors.
„Der Striezel!“, plärrte Sifkovits.
„Um Gottes willen!“, schrie Baba aus dem Schlafzimmer.
Sifkovits wollte den Striezel so schnell wie möglich aufheben, doch als er ihn berührte, spürte er die Hitze und rief: „Schon wieder!“ Er zog seine Hand instinktiv zurück, als ihm die Schmerzen durch die Finger schossen.
Gerade als Sifkovits mit einer Grimasse den Schmerz ignorieren wollte, trat er auf den schmierigen Teppich. Ein kurzer Moment der Unsicherheit und schon rutschte er aus. Mit einem überraschten Aufschrei verlor er das Gleichgewicht und fiel hin. Teigreste und Rosinen klebten überall an seinem Körper. Der süße Geruch des frischen Gebäcks umhüllte ihn, während er versuchte, sich wieder aufzurappeln. Verwirrt und etwas gedemütigt schaute er geradewegs in die Augen seiner Mutter.
„Na, der schöne Striezel“, sagte seine Mutter. „Die ganze Arbeit umsonst. Was sollen wir denn danach essen?“
„Entschuldige, Mama, das Blech war heiß“, versuchte sich der Inspektor zu rechtfertigen.
„Was glaubst, Spatzl? Es kommt aus dem Ofen, der wird mit Holz geheizt. Und jetzt kommt die 1-Million-Euro-Frage: Was entsteht, wenn man Holz verbrennt?“
„Asche“, konterte Sifkovits schnell.
Seine Mutter musste lachen und half ihrem Sohn wieder auf die Beine. An Babas Finger klebten Reste des Striezels. Sie leckte ihn ab und war begeistert vom hervorragenden Geschmack. Der Teig war perfekt gebacken und harmonierte wunderbar mit dem leichten Aroma des alten Teppichs.
„Ich frag die Hilda, ob sie mir etwas von ihrem gibt. Die macht eh immer zu viel.“
„Tut mir leid, Mama. Jeder kann einmal einen Fehler machen.“ Sifkovits setzte während dieses Satzes seinen „Mir kann man ja gar nicht böse sein“-Blick auf.
Baba nahm ihren Sohn in den Arm und flüsterte ihm dabei zart ins Ohr: „Das stimmt. Jeder macht Fehler, aber du produzierst oft Katastrophen.“
Danach löste sie die Umarmung und gab dem Inspektor ein Bussi auf die Wange.
„Komm, geh dich umziehen“, forderte Baba ihren Sohn auf. „Es wird schon langsam dunkel und ich möchte früher am Friedhof sein, damit ich sehen kann, wer aller nicht kommt. Das Grab vom Papa liegt dafür an dem strategisch besten Platz.“
Sifkovits gehorchte seiner Mutter und ging Richtung Türe.
„Eines noch, Mama.“
„Ja.“
„Kannst du mir ein heißes Wasser aufkochen? Ich habe Lust auf einen Tee“, sagte der Inspektor. Er trank mit Vorliebe Käsepappeltee, den er immer in seiner Westentasche dabeihatte.
„Immer, wenn mein Magen leer ist, kriege ich ein bissl Bauchschmerzen“, sagte der Inspektor.
„Na, dann is ja gut, dass du keine Kopfschmerzen hast“, entgegnete Baba.
Sifkovits verstand den Witz nicht.
„Warum?“, fragte er.
Baba wollte es ihm nicht erklären.
„Geh dich umziehen, ich mach dir deinen Tee.“
Es war bereits Abend geworden, die Dämmerung hatte sich sanft über die Landschaft gelegt. Die Sonne war untergegangen und hatte den Himmel in schöne Orangetöne getaucht, bevor sie vollständig verschwand. Der Geruch des Novembers lag in der...
Erscheint lt. Verlag | 18.10.2024 |
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Verlagsort | Wien |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 1. November • baba • Columbo • Eierkratz-Komplott • Feiertag • Friedhof • Kopftuchmafia • Stifkofits • Südburgenland • Uhudler-Verschwörung |
ISBN-10 | 3-8000-9914-4 / 3800099144 |
ISBN-13 | 978-3-8000-9914-6 / 9783800099146 |
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Größe: 590 KB
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