Perfekte Harmonie & Roter Sand (eBook)

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2024 | 1. Auflage
360 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-22416-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Perfekte Harmonie & Roter Sand -  Steffen Brabetz
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Den Leser erwarten zwei dystopische Erzählungen. Den beiden recht unterschiedlichen Geschichten ist aber etwas gemeinsam: Das Streben nach Wahrheit, Freiheit und Menschenwürde. Mensch und Natur im Einklang, ein lang ersehnter Wunsch der Menschheit scheint endlich in Erfüllung gegangen zu sein. Der Respekt vor der Heiligen Mutter Natur ist die Grundlage einer perfekten Gesellschaft. Ranger Elim muss mit seinem Team den Tod eines unbekannten Mädchens aufklären, außerhalb der Städte dürfte es aber keine Menschen mehr geben. Nur langsam enthüllt sich die ganze Wahrheit über diese harmonische Welt . . . 2085 lebt Miko mit seiner Familie in einem Berlin, das geprägt ist von Massenarbeitslosigkeit, Verelendung und staatlicher Unterdrückung. Auf der Suche nach Arbeit gerät er in die Fänge einer gnadenlosen Justiz, die ihn für Jahre in ein Straflager stecken will. Ein großer Konzern unterbreitet ihm jedoch ein verlockendes Angebot, mit dem er seine Familie aus dem Elend retten kann. Aber der Preis dafür ist hoch . . .

Steffen Brabetz (Jahrgang 1966) wuchs in einer kleinen 800-Seelen-Gemeinde in der westlichen Altmark auf, studierte nach Schul- und Armeezeit im thüringischen Jena Physik und lebt und arbeitet jetzt seit über zwanzig Jahren in der wunderschönen Uckermark.

Steffen Brabetz (Jahrgang 1966) wuchs in einer kleinen 800-Seelen-Gemeinde in der westlichen Altmark auf, studierte nach Schul- und Armeezeit im thüringischen Jena Physik und lebt und arbeitet jetzt seit über zwanzig Jahren in der wunderschönen Uckermark.

Morgen

Der Morgen war einfach wunderschön. Die Sonne kitzelte meine Nase, ein leichter kühler Wind strich sanft durch das Haus und über meine Haut. Wie an jedem dieser herrlichen Tage frühstückten wir auf der Terrasse. Ich liebte den morgendlichen Blick auf das frische Grün der Sträucher im Garten und das der Bäume in den nahegelegenen perfekt gepflegten Parkanlagen. Allemal ein sehr viel schönerer Anblick als die chaotische, brutale und undurchdringliche Wildnis außerhalb unserer Siedlungen. Dort herrschten allein die Gesetze der Heiligen Mutter Natur.

Nach den schrecklichen Wirren der letzten Jahrhunderte hatten wir es nach vielen Irrwegen endlich geschafft, den heute noch lebenden Menschen kleine, aber komfortable Oasen als sichere Zufluchtsorte zu schenken, ohne dabei mit unserer Existenz die Heilige Mutter Natur zu verärgern.

Wie an jedem Morgen versammelte sich die Familie pünktlich am Frühstückstisch. Da waren meine Frau Sara und die drei Kinder. So unsere ruhige, oft verschlossene Tochter Jaria, die vor ein paar Tagen bereits zweiundzwanzig Jahre alt geworden war und eigentlich gar nicht mehr bei uns wohnen dürfte. Aber bei der Wohnraumzuweisung der Kommission hatte es einen unerklärlichen Fehler gegeben, wodurch sich ihr Auszug zu meinem Bedauern um Wochen oder womöglich Monate verzögerte. Sie hatte vor kurzem ihre letzten Prüfungen bestanden und sollte nun endlich ihre Arbeit im medizinischen Dienst antreten.

Meine Frau hatte mit dem Aufschub natürlich keine Probleme, Mütter ticken da einfach anders. Im Vergleich zu unserem sechzehnjährigen Sohn war Jaria allerdings ausgesprochen pflegeleicht. Riko dagegen, unser hagerer Schlacks, tobte sich derzeit in lautstarken pubertären Aufständen aus, eigentlich ziemlich normal für sein schwieriges Alter, aber unglaublich stressig für unsere Nerven. Das eigentliche Goldkind im Haus war unsere süße, lockenköpfige Mala. Mit ihren acht Jahren war unser Nachzügler ein ungemein lebhafter und kluger Wirbelwind, aber in dem Alter auch noch leicht zu lenken. Es war schon erstaunlich, dass Mala und Jaria Schwestern waren, die beiden waren sich in so vielen Dingen überhaupt nicht ähnlich.

„Ich hatte mir als Frühstück die 712 bestellt“, beschwerte sich Riko, kaum dass er am Tisch Platz genommen hatte. Meine Frau verdrehte kurz die Augen und schüttelte den Kopf, seine ewige Meckerei konnte sie schon lange nicht mehr ausstehen.

Ich versuchte, die Situation scherzhaft zu lösen.

„Irrtum vom Amt. Ich hatte mir die 350 bestellt“, erwiderte ich lächelnd. „Und? Schau mal einer an. Was habe ich denn da bekommen? Die 350. Scheint irgendwie doch zu funktionieren.“

„Witzig“, knurrte mein Sohn gereizt. „Wirklich witzig.“

Alle anderen schienen keine Probleme zu haben.

„Was gibt es bei dir in der Schule?“, wandte ich mich an Mala.

Die Kleine sprudelte sofort los: „In Mathe haben wir heute eine Kurzkontrolle und in Naturkunde einen Test über die Gebote.“

„Kennst du denn auch alle Gebote?“

„Aber Papa“, erwiderte sie vorwurfsvoll. „Du weißt doch, dass ich die Gebote kenne. Soll ich sie dir aufsagen?“

„Lass mal“, mischte sich Jaria schnell ein. „Mala, du bist echt eine Streberin. Du könntest die Gebote auch im Schlaf aufsagen.“

„Ja, das kann ich auch“, antwortete unsere Kleine stolz.

„Ist ja ganz toll“, murrte Riko genervt. „Die blöden Gebote kann ja nun wirklich jeder runterleiern.“

„Ach ja?“, fragte ich skeptisch zurück. „Ist das so? Auch bei dir setze ich das normalerweise voraus. Wie steht es denn mit deiner Dienstzeit? Hast du dich endlich entschieden?“

Damit hatte ich ein heikles Thema angesprochen. Jeder Jugendliche unserer Gemeinschaft musste zwei Jahre gemeinnützige Arbeit leisten: Müllabfuhr, Reinigung, Abwasser, Altenpflege … es gab eine ganze Reihe von unangenehmen, anstrengenden und erforderlichen Tätigkeiten, die in einer gut funktionierenden Gesellschaft nun mal erledigt werden mussten. Die jungen Menschen sollten erst einmal das wahre Leben kennenlernen, bevor sie nach der Dienstzeit ihren eigentlichen Bestimmungen zugewiesen wurden. Dementsprechend unwirsch reagierte Riko. „Was soll das, Paps?“, knurrte er. „Immer wieder fängst du mit demselben Mist an. Ich weiß genau, was ich nicht will. Aber ich habe ja nur die Wahl zwischen dreckigen Tunneln, stinkenden Abfällen und verschimmelten Alten. Das reicht mir nicht.“

Sara schaute ihn vorwurfsvoll an, sagte aber erneut nichts.

„Eines Tages werden auch wir schimmlige Alte sein, wenn ich deinen unmöglichen Jargon einmal gebrauchen darf“, erwiderte ich erbost. „Irgendwann zählst auch du dazu.“

„Ja, ja“, brauste er auf. „Eines Tages … Irgendwann … Du musst mir nicht alles noch einmal erklären. Oder willst du mir beim Frühstück eine Naturehrung vorbeten? Es ist alles so öde und langweilig. Ich möchte endlich mal etwas Aufregendes erleben. So ein Natur-Ranger da draußen, das wäre mein Ding.“

„Die Außenwelt?“, nun musste ich grinsen. „Da draußen in der Wildnis ist es ganz sicher ziemlich abenteuerlich, aber das steht dir noch lange nicht zu. Dreck, Schlingpflanzen, Raubtiere, Krankheiten und Parasiten. Kannst du alles haben. Vielleicht später.“

„Später, immer wieder später“, schimpfte Riko weiter. „Ständig werden wir vertröstet. Und ihr Alten krallt euch die besten Jobs. Keine Chance für uns Jungen.“

„Leiste erst einmal deine Dienstzeit ab“, entgegnete ich scharf. „So wie alle Jugendlichen in deinem Alter und so wie deine eigenen Eltern auch. Anschließend kannst du deine Wünsche gerne äußern. Und falls du die Eignungstests bestehen solltest, darfst du dir auch die interessanten Aufgaben krallen.“

„Du kannst dich in unserer Abteilung vorstellen“, bot meine Frau an. „Wir sind immer auf der Suche nach tatkräftigen Jungs.“

„In deiner Chemieküche?“, fragte Riko ungläubig und schüttelte abwehrend den Kopf. „Du weißt doch genau, dass ich dort nie freiwillig hingehen würde. Es reicht mir schon, wenn ich den undefinierbaren Matsch essen muss, den ihr da in euren Kesseln aus was auch immer zusammenrührt.“

„Was willst du denn dann essen?“, fragte Mala entsetzt. „Doch nicht etwa tote Tiere?“ Das konnte sich unser Nesthäkchen überhaupt nicht vorstellen. Auch ich war angesichts seiner deutlichen Provokation ein wenig überrascht.

„Warum denn nicht“, entgegnete Riko grinsend, er liebte es, seine kleine Schwester zu ärgern und ständig die Eltern zu reizen. „Von Tieren und Pflanzen haben sich die Menschen über Millionen von Jahren ernährt. Also kann das doch nicht so falsch gewesen sein. In einem alten Buch habe ich gelesen, wie man einen großen Vogel ausnimmt und über einem offenen Holzfeuer braten kann.“

„Du bist ein Naturfrevler“, rief Mala empört und schaute ihren Bruder entsetzt und mich mit weit aufgerissenen Augen fragend an. „Du sollst keine Tiere töten. Bestrafen muss man dich.“

In mir regte sich ein leiser Verdacht. Waren Riko und seine undurchsichtigen Freunde vielleicht schon zur Tat geschritten?

„Mal ehrlich, Riko“, mischte ich mich ein. „Habt ihr etwa …? Wie kommst du überhaupt an verbotene Bücher?“

Riko lächelte still statt einer Antwort. Ich sah es am Blick meiner Frau: Sie machte sich große Sorgen, was aus dem Jungen werden würde oder vielleicht schon geworden war. Ich hoffte, dass mein Sohn genügend Verstand in seinem Schädel hatte, um nicht leichtsinnig zu werden. Bei schweren Vergehen gegen die Heilige Mutter Natur verstand die Kommission überhaupt keinen Spaß.

Das TMS (Transportation Message System) an meinem Handgelenk begann zu blinken und beendete das Frühstück, wie auch an jedem anderen Morgen. Wir hatten noch eine Viertelstunde Zeit, bis der Zubringer kam. Riko und Mala hatten es nicht so weit, die Schule im Zentrum der Siedlung war keine zehn Minuten Fußweg entfernt. Ich musste in die zentrale Stadt, um die herum sechszehn kreisrunde und autonome Wohnsiedlungen angeordnet waren. Den Kreis hatte schon Mutter Natur als perfekt erkannt. Wir konnten nur in aller Bescheidenheit versuchen, ihre unübertroffene Vollkommenheit nachzuahmen. Ich verstand einfach nicht, wie Riko das makellose Ideal unserer Gesellschaft in Frage stellen konnte.

In jeder Siedlung lebten etwa zehntausend Menschen, alle wohnten in kleinen, gut und bequem ausgestatteten Häusern mit Terrasse und einem eigenen Garten. Auf allen Dächern befanden sich Solarzellen und lautlose Windanlagen, selbst die...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2024
Verlagsort Ahrensburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Diktatur • Dystopie • Menschlichkeit • Staatliche Unterdrückung • Suche nach Wahrheit
ISBN-10 3-384-22416-7 / 3384224167
ISBN-13 978-3-384-22416-3 / 9783384224163
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