Zerbrechlich (eBook)
622 Seiten
beHEARTBEAT (Verlag)
978-3-7517-6813-9 (ISBN)
Willow, ihr lang ersehntes Kind, ist perfekt. Das ist das Erste, was Charlotte O'Keefe hört, als sie ihr Baby auf dem Ultraschallbild sieht. Ja, es ist perfekt. Daran ändert auch Willows Krankheit nichts. Charlotte liebt ihr Kind abgöttisch und will nur eins: es beschützen. Denn Willow braucht allen Schutz der Welt. Beim kleinsten Stoß brechen ihre Knochen. Jedoch auch ihr Herz kann brechen.
Das scheint Charlotte zu vergessen, als sie vor Gericht das Geld für die richtige Behandlung erkämpfen will. Die Krankheit hätte früh erkannt und die Eltern gewarnt werden können. Charlotte muss jedoch behaupten, ihr geliebtes Kind sei besser nie geboren worden ...
Eine tief bewegende Geschichte über die Zerbrechlichkeit des Lebens von der US-Bestsellerautorin Jodi Picoult. Der Roman erschien im Original unter dem Titel Handle with Care.
»Grandios, vielschichtig und erschreckend aktuell.« THE TIMES
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
<p>Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, studierte in Princeton<em>Creative Writing</em>und in Harvard Erziehungswissenschaften. Seit 1992 schreibt sie mit sensationellem Erfolg Romane. Sie wurde für ihre Werke vielfach ausgezeichnet, beispielsweise mit dem<em>New England Bookseller Award</em>. Ihre Romane erscheinen in 35 Ländern. Jodi Picoult gehört zu den erfolgreichsten und beliebtesten amerikanischen Erzählerinnen weltweit. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Hanover, New Hampshire.</p>
Charlotte
14. Februar 2002
Ständig brechen oder zerbrechen irgendwelche Dinge. Gläser, Geschirr und Fingernägel. Autos, Schallplatten und Kartoffelchips. Man kann ein Pferd brechen oder einen Vertrag. Man kann das Eis brechen. Stimmen brechen; Schweigen wird gebrochen, und Tag und Nacht brechen an.
In den letzten beiden Monaten meiner Schwangerschaft habe ich mir eine Liste all dieser Dinge gemacht in der Hoffnung, es würde deine Geburt einfacher gestalten.
Versprechen werden gebrochen.
Und Herzen.
In der Nacht vor deiner Geburt habe ich mich im Bett aufgesetzt, um der Liste etwas hinzuzufügen. Ich kramte im Nachttisch nach Stift und Papier, doch Sean legte seine warme Hand auf mein Bein. Charlotte?, fragte er. Ist alles in Ordnung?
Bevor ich ihm darauf antworten konnte, zog er mich in die Arme, drückte mich an sich, und ich schlief friedlich ein. Was ich niederschreiben wollte, war vergessen.
Erst Wochen später, als du schon da warst, fiel mir wieder ein, welcher Gedanke mich in jener Nacht geweckt hatte: Verwerfungen. Das sind die Stellen, an denen die Erde auseinanderbricht. Das sind die Stellen, wo Erdbeben entstehen und Vulkane geboren werden. Oder anders gesagt: Die Welt zerbröckelt unter uns; der feste Boden unter unseren Füßen ist Illusion.
Du bist während eines Sturms angekommen, den niemand vorausgesagt hat. Ein »Nordoster«, sagten die Meteorologen später, ein Blizzard, der eigentlich nach Norden in Richtung Kanada hätte ziehen sollen, anstatt sich in einen wahren Rausch zu steigern und über der Küste Neuenglands niederzugehen. Aus den Nachrichten verschwanden die Berichte über ein Highschool-Pärchen, das sich in einem Altenheim wiedergetroffen und geheiratet hatte. Stattdessen wurde in einem fort gemeldet, wie stark der Sturm war und in welchen Gemeinden durch Vereisungen der Strom ausfiel. Amelia saß in der Küche und bastelte Valentinskarten, während ich beobachtete, wie sich über ein Meter Schnee vor der Glasschiebetür türmte. Im Fernsehen waren Bilder von Autos zu sehen, die von der Straße rutschten.
Mit zusammengekniffenen Augen schaute ich auf den Bildschirm, ob es sich bei dem Fahrer des Streifenwagens, der mit blinkendem Blaulicht hinter einem umgestürzten Fahrzeug stand, um Sean handelte.
Ein lauter Knall an der Schiebetür ließ mich erschrocken zusammenzucken. »Mami!«, schrie Amelia; auch sie hatte sich erschreckt.
Ich drehte mich gerade um, als der nächste Hagelschlag einen fingerlangen Sprung in das dicke Glas machte, aus dem rasch ein faustgroßes Netz von Rissen wuchs. »Daddy wird das später wieder in Ordnung bringen«, sagte ich.
Das war der Augenblick, in dem meine Fruchtblase platzte.
Amelia schaute zwischen meine Füße. »Dir ist da was passiert.«
Ich tappte zum Telefon, und als Sean nicht ans Handy ging, rief ich in der Zentrale an. »Ich bin die Frau von Sean O’Keefe«, sagte ich. »Bei mir haben die Wehen eingesetzt.« Der Diensthabende sagte, er werde einen Krankenwagen schicken, aber es könne eine Weile dauern; aufgrund der vielen Autounfälle seien alle unterwegs.
»Ist schon okay«, sagte ich und erinnerte mich, wie lange ich mit deiner Schwester in den Wehen gelegen hatte. »Vermutlich habe ich ohnehin noch Zeit.«
Plötzlich überfiel mich eine derart starke Wehe, dass ich mich zusammenkrümmte und den Hörer fallen ließ. Amelia starrte mich mit aufgerissenen Augen an. »Alles in Ordnung, Liebling«, log ich und lächelte, bis mir die Wangen schmerzten. »Mir ist nur das Telefon runtergefallen.« Ich griff nach dem Hörer, und diesmal rief ich Piper an, der ich jetzt am ehesten zutraute, mich zu retten.
»Du kannst noch keine Wehen haben«, erklärte sie im Brustton der Überzeugung, obwohl sie es natürlich besser wusste – sie war nicht nur meine beste Freundin, sie hatte auch mit mir an dem Geburtshilfekurs teilgenommen. »Der Kaiserschnitt ist erst für Montag angesetzt.«
»Ich glaube nicht, dass das Baby darüber informiert worden ist«, keuchte ich und biss die Zähne zusammen, weil schon wieder eine Wehe kam.
Piper sprach nicht aus, was wir beide dachten: dass ich dich nicht auf natürliche Weise zur Welt bringen durfte. »Wo ist Sean?«
»Ich … ich weiß nicht … oh, Piper!«
»Atme«, sagte Piper instinktiv, und ich begann zu keuchen, ha-ha-hi-hi, wie ich es gelernt hatte. »Ich werde Gianna anrufen und ihr sagen, dass wir auf dem Weg sind.«
Gianna war Dr. Del Sol, die Spezialistin, die ich vor knapp acht Wochen auf Pipers Bitte hin hinzugezogen hatte. »Wir?«
»Wolltest du etwa selber fahren?«
Fünfzehn Minuten später hatte ich deine Schwester bestochen, das Fragen sein zu lassen, indem ich sie auf die Couch setzte und Blau und Schlau einschaltete. Ich habe mich neben sie gesetzt, in Vaters Wintermantel, denn ein anderer passte mir nicht mehr.
Als damals bei Amelias Geburt die Wehen einsetzten, stand die gepackte Tasche bereits neben der Tür. Ich hatte einen Geburtsplan und eine eigens zusammengestellte Musikkassette bei mir, die im Kreißsaal gespielt werden sollte. Ich wusste, es würde schmerzhaft werden, doch dafür winkte eine schier unglaubliche Belohnung: das Kind, auf das ich monatelang sehnsüchtig gewartet hatte. Darum war ich bei meinen ersten Wehen ganz aufgeregt gewesen.
Diesmal jedoch war ich wie versteinert. In meinem Bauch warst du einfach sicherer als draußen.
Dann stand plötzlich Piper in ihrem leuchtend pinkfarbenen Parka in der Tür und füllte den Raum mit ihrer selbstbewussten Stimme. »Blau und Schlau?«, sagte sie und machte es sich neben deiner Schwester bequem. »Das ist meine absolute Lieblingssendung, weißt du … nach Jerry Springer natürlich.«
Amelia. Bis dahin hatte ich noch nicht einmal darüber nachgedacht, wer auf sie aufpassen würde, während ich im Krankenhaus war, um dich zur Welt zu bringen.
»Wie weit sind sie auseinander?«, fragte Piper.
Die Wehen kamen inzwischen alle sieben Minuten. Als die nächste wie eine Flut über mich hereinbrach, krallte ich mich in die Couchlehne und zählte bis zwanzig, den Blick fest auf die Risse in der Glastür gerichtet.
Um das Zentrum hatte sich spiralförmig Reif ausgebreitet. Ein beängstigender, wenn auch schöner Anblick.
Piper nahm meine Hand. »Alles wird gut, Charlotte«, versprach sie mir, und weil ich eine Närrin war, habe ich ihr geglaubt.
Die Notaufnahme war voller Menschen, die bei Unfällen während des Sturms verletzt worden waren. Junge Männer hielten sich blutige Handtücher an den Kopf, und auf Tragen lagen jammernde Kinder. Piper führte mich an allen vorbei und in die Gynäkologie hinauf, wo Dr. Del Sol bereits im Gang auf und ab lief. Binnen zehn Minuten gab man mir eine Periduralanästhesie und fuhr mich in den Operationssaal für einen Kaiserschnitt.
Ich spielte dabei ein Spiel mit mir selbst: Wenn in diesem Gang eine gerade Zahl von Leuchtstoffröhren an der Decke hing, würde Sean noch rechtzeitig eintreffen. Wenn mehr Männer als Frauen im Aufzug waren, würde sich alles als falsch erweisen, was die Ärzte mir gesagt hatten. Ohne dass ich Piper hatte bitten müssen, hatte sie sich OP-Kleidung angezogen, um notfalls für Sean an meiner Seite einspringen zu können. »Er wird schon noch rechtzeitig kommen«, sagte sie und schaute zu mir herunter.
Der Operationssaal war kalt und metallisch. Eine Krankenschwester mit grünen Augen – das war alles, was ich zwischen Maske und Kappe von ihr sehen konnte – hob mein Krankenhaushemd hoch und rieb mir den Bauch mit Betadine ein. Als sie das sterile Abdecktuch darüberlegten, bekam ich Angst. Wenn nun mein Unterleib nicht ausreichend betäubt war und ich das Skalpell noch spüren konnte? Was, wenn du entgegen all meiner Hoffnung die Geburt nicht überleben würdest?
Plötzlich flog die Tür auf, und Sean wehte mit einem kalten Luftzug herein. Er band sich eine Maske vors Gesicht und hatte sich das OP-Hemd nur halb in die Hose gesteckt. »Warten Sie!«, rief er. Er trat an den Tisch und berührte meine Wange. »Schatz«, sagte er. »Es tut mir leid. Als ich es gehört habe, bin ich so schnell wie möglich …«
Piper tätschelte Sean den Arm. »Da ist ja das Publikum«, bemerkte sie und machte ihm Platz, doch nicht ohne mir noch mal schnell die Hand zu drücken.
Und dann war Sean an meiner Seite. Ich spürte seine warmen Hände auf meinen Schultern, und der Klang seiner Stimme lenkte mich ab, als Dr. Del Sol das Skalpell ansetzte. »Ihr habt mir eine Heidenangst eingejagt«, sagte er. »Was habt ihr beide euch nur dabei gedacht, allein zu fahren?«
»Dass wir das Kind nicht auf dem Küchenboden bekommen wollen?«
Sean schüttelte den Kopf. »Es hätte etwas Furchtbares passieren können.«
Ich spürte ein Ziehen unter dem weißen Abdecktuch. Unwillkürlich atmete ich tief ein und drehte den Kopf zur Seite. Da habe ich es dann gesehen: das vergrößerte Ultraschallbild aus der 27. Woche mit deinen sieben Knochenbrüchen, den einwärtsgebogenen Gliedern. Es ist schon etwas Furchtbares passiert, dachte ich.
Und dann hast du geschrien, obwohl sie dich so behutsam hochhoben, als wärst du aus Zuckerwatte. Du hast geschrien, doch nicht wie die normalen Neugeborenen. Du hast geschrien, als würden sie dich zerreißen. »Vorsichtig«, ermahnte Dr. Del Sol die OP-Schwester. »Sie müssen das ganze …«
Es gab ein Knacken, ein...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2024 |
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Übersetzer | Rainer Schumacher |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Handle with Care |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | beheartbeat • Beziehung • Charity Norman • Drama • Emotional • Familie • Familiendrama • Familienleben • Familienroman • Freundschaft • Gefühle • Gegenwartsliteratur • Glasknochen • Krankes Kind • Krankheit • Liebe • Liebesgeschichte • Liebesroman • Nähe • Roman für Frauen • Romantik • Schicksal • Trennung • Unterhaltung • Zwischenmenschliche Beziehung |
ISBN-10 | 3-7517-6813-0 / 3751768130 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6813-9 / 9783751768139 |
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