Ein diskreter Spion. John le Carrés Briefe (eBook)

Herausgegeben von Tim Cornwell | Eine private Begegnung mit dem Großmeister des Spionageromans
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
800 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3280-2 (ISBN)

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Sein letztes Meisterwerk  John le Carré war ein herausragender Autor seiner Zeit. Diese mitreißende Sammlung von Briefen - an Leser, Buchhändler, Verleger, Filmemacher und Schauspieler, Politiker und Prominente - enthüllen den spielerischen, intelligenten und leidenschaftlich eloquenten Mann hinter dem weltweit bekannten Pseudonym. In den Briefen an seine Familie lernen wir den Menschen kennen.  Mit Briefen an:  John Banville  William Burroughs  John Cheever  Stephen Fry  Graham Greene  Sir Alec Guinness  Hugh Laurie  Ben Macintyre  Ian McEwan  Gary Oldman  Philip Roth  Philippe Sands  Sir Tom Stoppard  Margaret Thatcher

John le Carré wurde 1931 in Poole, Dorset geboren. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. 1963 veröffentlichte er Der Spion, der aus der Kälte kam. Der Roman wurde ein Welterfolg und legte den Grundstein für sein Leben als Schriftsteller. Die Veröffentlichung von Tinker, Tailor, Soldier, Spy markiert den nächsten Höhepunkt seiner Karriere. Seine Figur des Gentleman-Spions George Smiley ist legendär. Nach Ende des Kalten Krieges schrieb John le Carré über große internationale Themen wie Waffenhandel, die Machenschaften der Pharmaindustrie und den Kampf gegen den Terror. Der in Deutschland hochgeschätzte Autor wurde mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020. johnlecarre.com

John le Carré, 1931 geboren, schrieb über sechs Jahrzehnte lang Romane, die unsere Epoche ausloten. Als Sohn eines Hochstaplers verbrachte er seine Kindheit zwischen Internat und Londoner Unterwelt. Mit 16 ging er an die Universität Bern (Schweiz), später dann nach Oxford. Nach einer kurzen Zeit als Lehrkraft in Eton schloss er sich dem britischen Geheimdienst an. Während seiner Dienstzeit veröffentlichte er 1961 seinen Erstlingsroman Schatten von Gestern. Der Spion, der aus der Kälte kam, sein dritter Roman, brachte ihm weltweite Anerkennung ein, die sich durch den Erfolg seiner Trilogie Dame, König, As, Spion, Eine Art Held und Agent in eigener Sache festigte. Nach dem Ende des Kalten Krieges weitete le Carré sein Themenspektrum auf eine internationale Landschaft aus, die den Waffenhandel ebenso umfasste wie den Kampf gegen den Terrorismus. Seine Autobiografie Taubentunnel erschien 2016, Das Vermächtnis der Spione, der abschließende Roman um George Smiley, 2017. John le Carré verstarb am 12. Dezember 2020. Posthum erschien sein Roman Silverview.

Einleitung


»Ich hasse das Telefon. Ich kann nicht tippen. Wie der Schneider in meinem neuen Roman arbeite ich mit der Hand. Ich lebe auf einer Klippe in Cornwall und hasse Städte. Drei Tage und Nächte am Stück in einer Stadt sind das Maximum. Ich treffe nicht viele Menschen. Ich schreibe und gehe spazieren und schwimme und trinke.« So schrieb mein Vater 1996 in einem unter der Überschrift »An meine amerikanischen Verleger« veröffentlichten Brief, den er an Bob Gottlieb, seinen langjährigen amerikanischen Lektor, und andere geschickt hatte.

Ich schreibe diese Einleitung auf ebendieser Klippe in Cornwall. Gestern noch peitschte der Wind um die steinernen Mauern, schüttelte und schaukelte die zähen Skimmien- und Ehrenpreisbüsche im Garten meines Vaters, das Meer war noch rauer als gewohnt und warf die rollenden Wellen zu weißen Kämmen auf. Doch heute badet der Ort in strahlender Wintersonne, die sich im sich kräuselnden Meer spiegelt, und eine Elster hüpft über den Rasen.

1969 nahm sich mein Vater einer Reihe von drei baufälligen Häuschen und einer angrenzenden Heuscheune an, baute sie um und erweiterte sie über fünfzig Jahre hinweg, fügte Bibliothek und Arbeitszimmer hinzu und schuf seinen eigenen Künstlergarten mit verborgenen Rasenflächen, Skulpturen und dicken Mauern aus großen behauenen Steinen.

»Ich habe hier buchstäblich überwintert und so gut wie niemanden zu Gesicht bekommen«, schrieb er 1972 seiner Stiefmutter Jean­nie, nachdem er die Gebäude und etwa eine Meile wilder Küste von einem ortsansässigen Farmer gekauft hatte. »Und ich arbeite sieben oder acht Stunden am Tag an einem neuen Buch, nur ein Krimi, um die Zeit herumzubringen … ich stehe morgens um sieben Uhr früh auf, begleitet von einem Sturm, der mit hundertzehn Stundenkilometern bläst und seit vier Tagen nicht nachlässt, und nur die blöden Stromausfälle leisten mir Gesellschaft – aber ich genieße das sehr und erfreue mich an meiner Arbeit, den Feldern, der See und dem Kartoffelacker, der zum Grundstück dazugehört.« Bei dem Buch, »nur ein Krimi«, handelte es sich um Tinker, Tailor, Soldier, Spy.

Mein Vater, der nach einem Sturz im Dezember 2020 an einer Lungenentzündung starb, war mutig, wenn es darum ging, auszusprechen, woran er glaubte, mutig, wenn es um die Orte und Themen ging, die er in seinem Schreiben anpackte, und mutig darin, wie er sich Krankheiten stellte. Er erfand eine Sprache für den Krebs, gegen den er lange ankämpfte, dem er aber nicht erlag. Er legte sich eine an P. G. Wodehouse erinnernde medizinische Fachsprache zurecht, die zugleich nach Spionage klang: Der Arzt, der seine Prostata untersuchte, war der Konteradmiral, strapaziöse Untersuchungen waren »Räudebäder«, und Dosen tödlich starker radioaktiver Medizin waren »Atomschläge«. Er war mutig in der Art, wie er sich um meine Stiefmutter Jane kümmerte, die zum Zeitpunkt seines Todes bereits schwer vom Krebs gezeichnet war und ihm zwei Monate später folgte.

»Ekelhaftes Wetter hier: mörderische Böen aus Nordost, Graupel und Regen, sehr kalt«, schrieb er mir in einer E‑Mail eine Woche vor seinem Tod. Das war häufig unsere beste Art der Kommunikation: Ein, zwei E‑Mails, stets mit einer scharfsichtigen Beobachtung, einem Lächeln, einem hochgeschätzten Bonmot. »Dabei hatten wir eine lange Phase voller Sonnenschein und Herbst. Es geht uns gut, aber Jane macht mit ihrer Chemo eine schwere Zeit durch … ich bin im Bad gestürzt wie ein Trottel und habe mir eine Rippe angebrochen, was mich ganz miesepetrig macht.«

Diesem Buch mit John le Carrés Briefen und gelegentlichen E‑Mails liegt die Absicht zugrunde, der privateren Stimme eines Mannes Raum zu geben, welcher von vielen als einer der größten Autoren der Nachkriegszeit angesehen wird. Er erhob den Spion in der Literatur zu einer Kunstform und lockte seine Leser in die Charaktere, die Sprache und die labyrinthischen Verstrickungen seiner geheimen Welt. Allerdings gibt es eine offenkundige Auslassung: Diese Sammlung enthält nur ein paar vereinzelte Briefe an seine Liebschaften, von denen es im Laufe seines Lebens eine ganze Reihe gab. Anscheinend fühlte er sich vor allem von Menschen angezogen – ob nun romantischerweise oder nicht –, die konsequent und wirkmächtig handelten, aber auch von denen, deren Verzweiflung seiner eigenen ähnelte. Als Sohn eines ausfälligen Vaters und einer Mutter, die ihn und seinen Bruder aus verständlichen Gründen verließ, als er fünf war, war er recht eigensinnig, was seine Beziehungen anging: unbeständig, fordernd, stets bestrebt zu gefallen – gleichzeitig aber auch verzweifelt darum bemüht, seine eigene Souveränität über sein Herz zu stellen, für den Fall, dass etwas, worauf er sich verließ, sich in Luft auflöste. Es sagt sich leicht, Genie sei komplex, der Wahrheit näher ist aber wohl, Traumata seien einfach. Er wird gewiss emotionale Wunden hinterlassen haben, doch ein Teil von ihm war unablässig und intensiv damit beschäftigt, darauf zu achten, dass sich in seinem eigenen Handeln nicht sein Vater widerspiegelte. Doch wie dem auch sei, er war stets ebenso ängstlich darauf bedacht, seine romantische Korrespondenz unter Verschluss zu halten, wie darauf, alles andere aufzuzeichnen; in unserem Archiv findet sich zumindest recht wenig Erhellendes zu diesem Thema.

Le Carré – und so werde ich ihn dieses Buch über nennen – veröffentlichte in jedem Jahrzehnt weltweit gefeierte Romane, von Der Spion, der aus der Kälte kam 1963 bis zu Federball 2019 und dem nach seinem Tode erschienenen Silverview 2021. Seine Werke steckten die Zeit des Kalten Krieges ab und sagten in den Jahrzehnten danach den Mächtigen die Wahrheit ins Gesicht. Doch nie – oder so gut wie nie – zog er Polemik einer guten Geschichte vor. Graham Greene nannte den jüngeren le Carré den Autor des besten Spionageromans, den er je gelesen hätte; Philip Roth und Ian McEwan zählten seine Werke zu den wichtigsten des 20. Jahrhunderts.

Nachdem Der Spion, der aus der Kälte kam meinen Vater vom Agenten des MI6 in der Maske eines jungen Diplomaten in kürzester Zeit zum weltweit gefeierten Autor eines Sensationsromans über den Kalten Krieg befördert hatte, verbrachte er sechzig Jahre seines Lebens im Licht der Öffentlichkeit. Er war bewandert in der französischen und vor allem in der deutschen Literatur und wusste schon von früh an, dass man seine Briefe sammeln, archivieren, irgendwann veröffentlichen, missbrauchen, falsch zitieren oder verkaufen würde.

In einem Brief, der sich auf diesen Seiten wiederfindet, beschreibt mein Vater F. Scott Fitzgerald als des Schriftstellers ultimativen Schriftsteller, einen Wörterbeschwörer, der »das Licht im Dunklen« behält und der »einen Regenbogen aus Schwarz und Weiß« macht. Seiner ehemaligen Geliebten Susan Kennaway schrieb er allerdings, dass drei Viertel von Fitzgeralds Briefen »unsicherer Mist« sind, »schädlich für ihn und seine Kunst, und falls irgendwann mal jemand in meinen Schubladen nach solchem Zeug sucht, dann hoffe ich bei Gott, dass ich es rechtzeitig verbrannt habe.«

In diesem Buch finden sich Briefe, die David Cornwell vertraulich und ohne Zurückhaltung schreibt; in anderen Briefen wirft John le Carré einen langen Blick über die Schulter, entwirft sein Vermächtnis für die Nachwelt und hat gleichzeitig seinen literarischen Spaß daran. Wenn schon nicht aus vollem Selbstbewusstsein, aber zumindest selbstkritisch. »Ich habe beschlossen, diesen intensiven, sorgenvollen Blick zu kultivieren und brillante, unordentliche Briefe für die zukünftigen Biografen zu verfassen. Das hier ist so einer«, schrieb er Miranda Margetson, als er noch an der britischen Botschaft in Bonn arbeitete, und fügte eine Karikatur von sich selbst an.

Mein Vater, der fünfundzwanzig Romane geschrieben hat, war ein fleißiger und gewissenhafter Briefeschreiber, von Dankesschreiben bis zur Beantwortung von Fanpost. Der Hintergrund seiner Adressaten reicht von Politik, Literatur und Verlagswesen bis zu den Künsten und seiner früheren Tätigkeit als Agent. Schauspieler und Autor Stephen Fry und der Dramatiker Sir Tom Stoppard finden sich auf diesen Seiten wieder, ebenso der ehemalige Leiter des Büros London des KGB und der ehemalige Leiter des MI6. Dazu natürlich die engsten Familienangehörigen, vor allem in seinen jungen Erwachsenenjahren.

Mein Vater war ein begnadeter Zeichner, der sich als junger Mann durchaus überlegt hat, Künstler zu werden. Dieses Buch enthält ein paar Beispiele seiner frühen Zeichnungen, Karikaturen und Illustrationen für Bücher und Magazine. Sie sind von unterschiedlicher Qualität, und man könnte sie als jugendlichen Leichtsinn abtun, aber als mein Vater 1993 eine Reise nach Russland unternahm, war er hocherfreut, Puschkins Manuskripte zu sehen und festzustellen, dass sie, wie seine eigenen, gelegentlich mit anzüg­lichen Kritzeleien versehen waren – bei Puschkin zumeist Billard spielende Nymphen. Als er einmal allein in London...

Erscheint lt. Verlag 28.11.2024
Übersetzer Peter Torberg
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Schlagworte Agent • Agenten-Thriller • Antiheld • Britisch • England • Geheimagent • Geheimdienst • Großbritannien • Kalter Krieg • MI6 • Russland • Smiley • spannend • Spionage • Spionage Buch • Taubentunnel • UK • Verrat
ISBN-10 3-8437-3280-9 / 3843732809
ISBN-13 978-3-8437-3280-2 / 9783843732802
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