Frau Morgenstern und das Vermächtnis (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
304 Seiten
Grafit Verlag
978-3-98708-018-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Frau Morgenstern und das Vermächtnis -  Marcel Huwyler
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Schwarzhumorig, bissig und herrlich unkorrekt. Violetta Morgenstern, pensionierte Lehrerin und Auftragsmörderin im Namen des Staates, hat ihre mörderische Berufung an den Nagel gehängt und genießt den Ruhestand. Doch dann wird sie für einen letzten Auftrag vom Killerministerium »Tell« zurückgeholt: Ihr Ex-Kollege Miguel Schlunegger hat ohne ersichtlichen Grund einen Menschen umgebracht. Nun sitzt er im Gefängnis, schweigt eisern - und soll bald eliminiert werden. Morgenstern versucht verzweifelt herauszufinden, warum er gemordet hat. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit - und eine Reise in die dunkelsten Abgründe von Miguels Seele.

Marcel Huwyler wurde 1968 in Merenschwand/Schweiz geboren. Als Journalist schrieb er viele Jahre Geschichten über seine Heimat und verfasste Reportagen aus aller Welt. Er lebt heute an einem See in der Zentralschweiz. www.marcelhuwyler.com

Marcel Huwyler wurde 1968 in Merenschwand/Schweiz geboren. Als Journalist schrieb er viele Jahre Geschichten über seine Heimat und verfasste Reportagen aus aller Welt. Er lebt heute an einem See in der Zentralschweiz. www.marcelhuwyler.com

Prolog

Sein Erfolgsgeheimnis ist, so zu denken wie der Wind.

Der Wind, der Wind, das himmlische Kind …

Nur wer mit den Luftbewegungen eins wird, sie versteht und mit ihnen verschmilzt – so denkt wie sie, macht wie sie, facht wie sie –, trifft ins Schwarze. Oder noch treffender: ins Rote; in eines der gut durchbluteten, lebenswichtigen Körperorgane. Am besten jenes in der Mitte des Thorax, leicht links versetzt, hinter dem Brustbein, unterhalb der Schulter – ins faustgroße Herz.

Er hat für sich die verschiedenen Windarten in Spezies unterteilt, als wären sie biologische Lebewesen. Es gibt Luftströme mit der grimmigen Beständig- und Anspruchslosigkeit von Amöben, andere besitzen die kaltblütige Anpassungsfähigkeit von Pilzen oder die Agilität von Efeupflanzen oder sind so listig, verschlagen und unerwartet zuschlagend wie ein kleiner, pelziger Nager.

Die Kreatur Wind. Organismus Luftstrom. Ventus vulgaris.

Er hat ihnen Namen gegeben, der Intensität nach aufsteigend: beginnend mit dem Hauch, dann folgen Lüftchen, Luftzug, Brise, starker Wind, steifer Wind, stürmischer Wind bis hin zu Sturm und schließlich der Orkan.

Wobei man seiner Erfahrung nach bei den letzten drei Kategorien gar nicht erst versuchen sollte, einen Volltreffer zu platzieren. Weil nahezu unmöglich, bei solch ungestümen Bedingungen die Flugbahn eines Projektils exakt zu berechnen. Der Schütze würde sein Ziel verfehlen oder verstümmeln. Beides unprofessionell. In solchen Fällen gilt es, die Elimination umgehend abzubrechen. Zu viel lebendige Luft bedeutet Weiterleben – für die Zielperson.

Ideal ist natürlich, wenn Flaute herrscht, Windstille, totale tote Windhose.

Umgekehrt arbeitet es sich am allerschlimmsten bei Böen, diesen kurzen, heftigen, plötzlich aufkommenden und darum absolut unberechenbaren Blasbiestern.

Der Wind, der Wind, das himmlische Kind …

Diese Passage aus dem Märchen seiner Kindertage ist ihm bei seiner beruflichen Tätigkeit in all den Jahren zum Mantra geworden. Einer Endlosschlaufe gleich mückt ihm dieser Satz durch den Kopf … während er jeweils durch das Präzisionszielfernrohr linst, durch die Nase ein-, durch den Mund ausatmet, tief in den Bauch hinunter, den Ruhepuls überwacht (an guten Tagen kann er ihn problemlos auf unter fünfzig drücken), seine Arme, Schultern und Hände verschraubstockt, schließlich den Atem anhält, durchzieht, abzieht, die Kugel losschickt mit einer Mündungsgeschwindigkeit von neunhundertachtzig Metern pro Sekunde, er alsdann ins Rote trifft, Leben auslöscht und seinen Auftrag erfüllt.

Der Wind, der Wind, das himmlische Kind …

Der Säuselsoundtrack eines Scharfschützen. Sniperlyrik. Pistoleroparole.

Das ist schon immer so gewesen. Damals bei seinen Kriegseinsätzen unter der glutheißen Staubsonne im Nahen und Mittleren Osten. Und auch jetzt, heute, hier vor dem Stadttheater, dem Glory Palast, wo der Affenzirkus bald stattfinden soll. Bei idealen Bedingungen übrigens. Trockene Witterung, leichte Bewölkung (ergo keine Blendung oder Spiegelungen) und Windkategorie »Flaute«. Kinderspiel für ihn.

Und dennoch sein schwierigster Auftrag ever.

Weil sehr persönlich.

Vor über drei Stunden ist er in Position gegangen. Hat sich eingerichtet im siebten Stock eines Parkhauses, das seit zwei Wochen wegen Renovationsarbeiten geschlossen ist. Das fünfzehn Kilo schwere, eineinhalb Meter lange Spezialgewehr aus finnischer Produktion mit Spezialmunition des Kalibers .408 ist auf einer Dreibeinlafette arretiert. Hochpräzise Werkzeuge, Spezialanfertigungen mit allerlei Modifikationen, zusätzlich eingebauten Hinrichtungsraffinessen, mordsmäßig individualisiert gemäß dem Wunsch des anonymen Kunden. Als wär’s die waffenölige Weihnachtswunschliste eines Elite-Snipers.

Im Kopf hat er das genaue Drehbuch. Er schaut auf seine Armbanduhr, in einunddreißig Minuten wird der Event beginnen. Seine Zielperson sollte laut Ablaufplan um neunzehn Uhr zwanzig mit einem Wagen vorfahren. Sollte. Das hier heute ist eine Ansammlung von Künstlern, Musikern, sprich kreativen Chaoten – undisziplinierter und somit unpünktlicher geht gar nicht. Darauf muss er sich einstellen. Improvisation könnte vonnöten sein.

Er kontrolliert nochmals mittels Laserentfernungsmesser die Distanz zwischen Parkhaus und Promenadentreppe des Stadttheaters. Zwölfhundertnullsechs Meter. Checkt dann die anderen Parameter, Lufttemperatur, relative Luftfeuchtigkeit und den Luftdruckwert in Hektopascal. Alles im sehr dunkelgrünen Bereich.

Genau in dem Moment spürt er eine Luftbewegung an seiner linken Wange. Ganz kurz nur, ein Kräuseln, lausamtwarm, wie der Federschlag eines wegflatternden Jungsperlings. Typische Abendthermik, leichte Verschiebung der Luftmassen. Kategorie Hauch. Allerhöchstens.

Kein Problem für ihn. Weil er denkt wie der Wind.

Der Wind, der Wind, das himmlische Kind …

Er ist einsatzbereit, er ist feuerbereit.

Und in seiner ganzen Zeit als Auftragskiller noch nie so nervös gewesen.

Weil zum ersten Mal überhaupt persönlich betroffen. Sehr, sehr sogar.

***

MC Frostbite trinkt einen großen Schluck Wodka direkt aus der Flasche. Die ist bereits zu zwei Dritteln leer, obwohl er sie erst vor einer halben Stunde angebrochen hat. Aber Wodka geht. Wodka ist promitauglich, also showtauglich und ergo medientauglich. Weil man davon keine Fahne kriegt, es sind nämlich keine Fuselöle drin. Nicht wie beim Whisky oder Brandy, wo jeder gleich riechen kann, dass man was in der Beule hat. Nicht, dass es dann morgen in der Presse hieße, er hätte seinen »Swiss Sound Award« in der Kategorie »Bestes Rap-Album des Jahres« angetrunken auf der Bühne des Glory Palastes abgeholt. Wobei … Für sein Rap-Ratten-Image wäre so ein Süffelskandälchen vielleicht sogar ganz hilfreich. MC Frostbite, die hackevolle Frostbeule. Er schnaubt belustigt und schluckt noch mehr vom Frostschutzmittel.

Für den vor zweiunddreißig Jahren als Paul »Päuli« Frost in Bimlisbach im südöstlichen Thurgau geborenen Musiker ist ein Award der vorläufige Höhepunkt seiner Karriere. Und sein Management raunt, die Chancen stünden gut. Verdammt gut sogar.

Frostpäuli grinst in sich hinein, wenn er sich vorstellt, was für Flötengesichter die Konkurrenz machen wird, wenn er die begehrte Trophäe auf der Bühne – begleitet von Applaus, Donnerwinnerbeats und Blitzlichtgewitter – mit einer Triumphgeste gen Scheinwerferhimmel stemmt. Mit ihren Blicken töten werden sie ihn, die im Auditorium versammelte Rap-Elite des Landes: Fünfzig Franks, TsüriMüli, GUZ, Toxy, dieser Milchbubi, oder La Täubchen, mit der er vor Jahren einen kurzen, unendlich langen Monat lang etwas Wildschräges gehabt hat.

Er genehmigt sich einen letzten Riesenglucker, ehe er die Flasche zuschraubt und sie neben sich auf das schneeweiße Lederpolster wirft. Die affige Stretch-Limousine hat ihm der Veranstalter aufs Auge gedrückt. Muss sein. Steht sogar so im Tagesvertrag. Jeder Nominierte hat an diesem Galaabend mit solch einer spendierten Protz-Limo vorzufahren. Alles bloß für die Show und die Medien und die Massen zu Hause vor der Glotze; die »Swiss Sound Awards« werden live im Staatsfernsehen übertragen. Samstagabend ist Primeshinetime und Einschaltquotenhimmel.

Päuli hat seiner alten Mutter versprochen, ihr via Fernsehkamera Kusshandgrüße zu schicken. Hat Freddie Mercury auch immer gemacht. Gibt eine gute Presse, so was finden Fans und Medien rührend; MC Frostbite mit Warmherz für Greisenmutti. Wenngleich er ziemlich sicher ist, dass seine Mum seinen Trainingsanzug aus kükengelbem Glattpolyester unschicklich bis grässlich finden wird. Aber MC Frostbite ist halt nun mal auch eine Rap-Fuckfashion-Ikone und darum moneymakende Markennutte. Und die Kids würden nächste Woche genauso herumlaufen wollen wie er.

»Ankunft in zwei Minuten«, verkündet der Typ auf der Limousinen-Sitzbank gegenüber und tupft sich den Minisender in seiner Ohrmuschel noch etwas tiefer hinein.

Noch so eine spleenige Idee des Veranstalters. Jedem Nominierten für den Abend einen Bodyguard zur Seite zu stellen. Oder zumindest einen Typen, der so tut und aussieht wie einer. Soll angeblich die Wichtigkeit der Promis aufwerten. Ich brauche Schutz – also bin ich. Irgendwie lächerlich, findet Päuli, anderseits aber auch irgendwie cool. Schließlich benötigen nur Superpromis Leibwächter.

Sein Gorilla hat sich ihm als »Oscar mit c« vorgestellt. Nur mit Vornamen, wie es Teenies tun, oder Friseurinnen, Bedienungen im Coffeeshop und Escortgirls. Oscar mit c ist groß und kräftig gebaut; die dunkle Sonnenbrille, die Granitvisage und der Astronautenhaarschnitt gehören wohl zwingend zur DNA jedes Personenschützers. Wie im Film, amüsiert sich Päuli. Doch der Kerl hier scheint tatsächlich echt zu sein. Wie er sich gibt, bewegt, redet. Klipp und klar und mit dieser Knallhartcoolness. Päuli fragt sich schon die ganze Zeit über, ob der Kerl wohl eine Kanone unter seinem schwarzen Anzug trägt.

Und ob er tatsächlich bereit wäre, im Ernstfall an MC Frostbites Stelle zu sterben.

»Wir sind gleich da«, sagt Oscar mit c. Der livrierte Fahrer der Limousine verlangsamt bereits die Fahrt.

Päuli schaut aus dem getönten Seitenfenster. Er sieht die lange, zum Glory Palast hochführende Promenadentreppe mit dem roten Teppich in Babyhellblau (die Veranstalter...

Erscheint lt. Verlag 24.9.2024
Reihe/Serie Frau Morgenstern
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Adoption • Attentat • Auftragskillerin • Auftragsmörder • Beziehung • Bodyguard • Gefühle • Geheimorganisation • Krimi • Krimi Schweiz • Liebe • Mord • Rache • Rapper • Schwarzer Humor • Schweiz • Skurill • spannend • Strafe • witzig
ISBN-10 3-98708-018-3 / 3987080183
ISBN-13 978-3-98708-018-0 / 9783987080180
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