Von Narren und Nachtfaltern - Geschenkausgabe

Hiraeth-Chroniken - Teil 1

(Autor)

Buch | Softcover
196 Seiten
2024
8280-edition.ch (Verlag)
978-3-03977-004-5 (ISBN)
14,90 inkl. MwSt
Der erste Band der Hiraeth-Chroniken. Alizar Tyrowe, Krankenschwester im Land Martagon auf Hiraeth, hat eines Nachts einen geheimnisvollen Patienten vor sich. Unwissentlich hilft sie ihm, dem Schutzarm des tyrannischen Königs Fyod zu entkommen. Unvermittelt sieht sie sich in der Situation als Verräterin des Königs und gerät in Lebensgefahr. Als sie sich kurz darauf in Darilath, dem Land der Wilden, wiederfindet, muss Alizar begreifen, dass eine einzige Entscheidung ihre Wirklichkeit unwiderruflich verändert hat und sie sich einem Kampf zwischen zwei Welten stellen muss.

Linda M. Shey verbrachte ihre Kindheit und Jugend nie lange am selben Ort und durfte so schon früh viele eindrucksvolle Erfahrungen sammeln, die später ihre Erzählungen prägen. In ihrer Grundschulzeit entdeckt sie die Liebe zur Epik, in der Jugend zur Poesie und später den Mut, literarische Texte zu veröffentlichen. Als Geschichtenerzählerin, Mama, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Ehefrau und Mensch liegen ihr Themen wie Menschenrechte, Gesundheit, Umwelt- und Tierschutz sehr am Herzen. In ihrer Freizeit experimentiert sie in der Küche oder mit Worten, ist in der Natur oder steckt die Nase in Bücher. Mit »Von Narren und Nachtfaltern« veröffentlicht sie den ersten Band ihrer »Hiraeth-Chroniken«.

Fingerspitzen Seine Wunde war tief, die Wundränder schwarz und zerfranst und eigentlich hätte er schon das Bewusstsein verloren haben müssen. Alizar hielt die Luft an. Es war eine Bisswunde. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie spürte in die Wunde, die faulig grün leuchtete, und fokussierte sich auf den schwarzen Kern, der sich pulsierend auszubreiten schien. Sie glaubte nicht, dass sie ihm helfen konnte. So tiefschwarzes, totes Gewebe war nicht mehr zu heilen. Aber sie wollte es versuchen. Sie öffnete die Augen und blickte in sein Gesicht. Erst jetzt bemerkte sie, dass unter seinen schönen Augen auch dunkle Ränder zu sehen waren. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und seine Brust hob und senkte sich schnell. Es ging ihm immer schlechter. »Hinlegen!«, befahl sie nun forsch und zeigte auf die Bank. Zu ihrer Überraschung setzte er sich widerspruchslos hin, lehnte sich aber nur zurück. Sie setzte sich neben ihn, krempelte sanft das Hemd hoch und legte ihre Hand langsam auf seinen kalten Bauch. Er zuckte kaum merklich zusammen, ohne auch nur die Spur eines lesbaren Gesichtsausdruckes zu zeigen. Alizar schloss die Augen und begann vorsichtig die Haut um die Wunde mit den Fingerspitzen zu streicheln. Sie zog vorsichtig kleine Kreise um die Wunde, bewegte ihre Finger in intuitiven Mustern, die sie spürte und gelernt hatte anzuwenden. Dann zog sie kleinere, langsamere Kreise und lenkte ihre ganze Konzentration darauf, die Verletzung zu heilen. Alizar schloß instinktiv die Augen und ließ sich von ihren Händen leiten, die Muster zeichneten und seine Haut entlang fuhren. Sie spürte unter ihren Fingerspitzen leichte Energiewellen, fokussierte sich darauf und versuchte, diese Energie zu vervielfältigen und auszudehnen und seinem Körper zuzuführen, was er zur Heilung benötigte. Alizar fing an zu summen. Die Muster, die sie malte, waren längst nicht mehr bewusst. Sie handelte in Trance und aus purer Verzweiflung. Alles, was sie instinktiv wusste, hoffte und fühlte, war: Er sollte nicht sterben. Ihre Kraft neigte sich dem Ende zu, aber Alizar kämpfte. Sie fühlte, dass da noch zu viel verletztes Fleisch war, zu viel Schmerz, der kaum zu ertragen war. Ihre Hände fingen an zu zittern, aber sie ignorierte es und richtete ihre Konzentration ganz auf das Lied, das sie summte. Irgendwann summte sie nicht mehr, sie sang. Unter ihren Füßen kribbelte es und es war, als würde die Energie durch sie hindurchfließen, an ihren Fingerspitzen verweilen, um dann den Tod aus seinem Körper zu zeichnen. Ihn kriegt ihr heute nicht, wandte sie sich in Gedanken an die Götter. Es war, als würden sie sie testen, denn sie spürte, wie ihre Hände wieder zu zittern begannen und die kleinen Energieflammen an ihren Fingerspitzen abebbten. Ihn kriegt ihr heute nicht, dachte sie noch einmal mit Nachdruck und stampfte ihre Füße in den Boden. Ein schmerzhaftes Gefühl durchzog Alizar plötzlich, als wäre seine Wunde auf sie übergesprungen, und sie hielt kurz inne. Irgendetwas fühlte sich anders an, aber sie konnte es nicht zuordnen. Alizar fuhr mit ihren Berührungen fort und konnte gar nicht mehr aufhören. Plötzlich fingen ihre Hände stark an zu zittern, sie konnte es kaum kontrollieren. Sie kniff die Augen zusammen, spürte die Energie, die in ihr wuchs und wuchs und – Warme Hände schlossen sich um die ihren und die Flamme erlosch. Alizar öffnete erschöpft die Augen. Ungläubig starrte der Fremde erst auf seine Hüfte, dann auf Alizar. Sie hätte vor Freude weinen können, als sie gewahr wurde, dass der schwarze Kern der Wunde vollends verschwunden war. Nie hatte sie eine so große, tief infizierte Wunde geheilt und nie so viel Energie in sich gespürt. Auch fragte sie sich, welches Tier eine solche Bisswunde hinterließ und warum es ihr so schwer gefallen war, aufzuhören. Der Fremde starrte sie weiterhin an und sagte kein Wort. »Ich hätte nicht gedacht, dass es funktioniert«, sagte sie und lächelte ihn an. Der Fremde öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, blickte dann jedoch an ihr vorbei, als hätte er etwas gehört. Er runzelte die Stirn, fing wieder ihren Blick auf und schaute sie noch einen Augenblick undurchdringlich an. Dann flüsterte er: »Elaes Anisma«, und in der nächsten Sekunde war dort, wo er gesessen hatte, nur noch die leere Bank zu sehen. Mitschuld Vier Männer kamen auf Alizar zugestürzt. Sie trugen blaue Uniformen mit lächerlichen Hüten, an denen man erkannte, dass sie im Dienste des Königs standen. Alizar starrte die Männer an und dann wieder auf die Bank. Sie verstand nichts von dem, was die Männer riefen. Alles war so schnell gegangen. Weitere Männer rannten in kleinen Gruppen um das Hospital herum, traten über die Absperrungen des Sees und suchten den Boden und die Bäume ab. Einer der Männer, die auf sie zugelaufen waren, packte sie unsanft an der Schulter und rüttelte sie. Sie spürte, dass kleine Speicheltropfen bei jedem Wort in ihrem Gesicht landeten. »Wo ist er hin?«, schrie der Mann sie an. Alizar starrte auf den blauen pompösen Hut und wunderte sich, wer auf die Idee gekommen war, den Personen, vor denen man Respekt haben sollte, diese Hüte auf die Köpfe zu setzen. Sie schaute noch einmal zur Bank – Elaes Anisma? –, dann in das runde, rote Gesicht der Wache, die sie gerüttelt hatte. »Ich weiß es nicht«, sagte sie ruhig. Sie wusste gar nichts. Sie verstand auch gar nichts. Wo war der Fremde hin und wie war er verschwunden? Der Mann stöhnte, schaute zu den anderen Männern und wurde nur noch roter. Ein kleinerer, hagerer Mann trat auf sie zu und funkelte sie böse an. »Habt Ihr ihm geholfen?«, blaffte er sie an. Alizar blickte den Mann an und fragte verwirrt: »Wobei geholfen?« Der Mann rief wutentbrannt mit einer Stimme, die sich fast überschlug: »Zu fliehen!« Sie hatte also richtig vermutet, der Fremde war wirklich auf der Flucht. »Ich weiß nicht einmal seinen Namen, geschweige denn, dass er ein Gefangener ist.« Sie betonte das Wort scharf. Sie wusste ja, wie der Schutzarm Martagons mit Gefangenen umging. König Fyod hatte oft bewiesen, dass Menschenleben für ihn nicht von Bedeutung waren. Der hagere Mann blickte ihr wütend ins Gesicht und stieß drohend hervor: »Das könnt Ihr dem König erklären.« Alizar wurde mulmig zumute. Sie hatte ihm geholfen. Aber niemand wusste von ihren Heilfähigkeiten und niemand hatte gesehen, dass sie den Fremden geheilt hatte. Was hatte er getan, dass so viele Wachen des Schutzarmes mitten in der Nacht in Tulophidel standen? Ein weiterer Mann meldete sich zu Wort: »Wie konnte er überhaupt verschwinden? Wie konnte er das überhaupt überleben? Mädchen, habt Ihr Verletzungen gesehen? Was hat er zu Euch gesagt?« Sie blickte den Mann an. Er schien ein hoher Offizier oder Kommandant zu sein. Er war beherrscht und schien im Gegensatz zu seinen Unterstellten einen klaren Kopf zu bewahren, oder zumindest gab er sich den Anschein. Er hatte kurze Haare und ein mit Falten überzogenes Gesicht mit einer wulstigen Narbe am Kinn. Alizar schluckte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Er hat nicht mit mir gesprochen. Er hat nur gewünscht, dass ich ihn in Ruhe lasse. Er ... Ich habe keine Wunden gesehen!«, beeilte sie sich zu erklären. Ihre Finger fingen plötzlich an zu kribbeln. Oh. Alizar warf einen verstohlenen Blick auf ihre Hände. Das Blut des Fremden klebte an ihren Händen. Rasch versuchte sie, so unauffällig wie möglich ihre Hände in der Dienstkleidung zu verstecken, indem sie vortäuschte zu frieren. Sie hatte sich soeben mitschuldig gemacht, was immer auch der Fremde verbrochen hatte, indem sie einen Kommandanten des Schutzarmes angelogen hatte. Und indem sie einem Gefangenen des Schutzarmes zur Flucht verholfen hatte, nachdem sie diesem auch noch das Leben gerettet hatte. Ihr wurde schlecht. Misstrauen Der Kommandant wandte sich an den hageren Mann und sprach: »Der Mann, der ihn am Seeufer gefunden und hergeschleppt hat, erinnert sich nicht an sein Gesicht. Er war zu betrunken.« Alizar horchte auf. Am Seeufer gefunden? Sie fragte den Kommandanten: »Er war im See?« Sie schluckte. Deshalb war er nass gewesen. Wieso, bei den Göttern, lebte er noch? Der Kommandant blickte seine Kollegen an, dann Alizar und fuhr sie an: »Ihr müsst mitkommen und uns alles beschreiben. Jedes Wort, das er sagte. Ihr habt sein Gesicht gesehen.« Vor Alizars innerem Auge erschien das schöne Gesicht des Fremden. Die dunklen Haare, die ihm ins Gesicht hingen, und seine Augen. Sie nuschelte verlegen: »Nur grob, es ist immerhin mitten in der Nacht.« Sie schickte einen kurzen Dank in den Himmel zu der Wolke, die gerade den Mond verdeckte und ihre Aussage unterstützte. Man konnte glücklicherweise kaum etwas erkennen. Aber wozu brauchten sie sein Gesicht? Sie mussten doch wissen, wie er aussah, wenn er geflohen war. Es sei denn, er war gar kein Gefangener gewesen. Was ihn zwar nicht unschuldig machte, wer weiß, weshalb sie ihn suchen, aber Alizars Misstrauen gegenüber den Wachen wuchs. Der Kommandant blickte sie forschend an. »Ihr habt heute die Götter auf Eurer Seite, Mädchen.« Wieso hatte Alizar ganz und gar nicht dieses Gefühl? Die Wache nahm sie am Arm und sagte ruppig: »Kommt jetzt. Der Weg nach Athanasía ist weit.« Alizar schaute auf den See und fragte sich, wie die Nacht nur so bergab hatte gehen können. In der Zwischenzeit wurde Amalie befragt und Alizar wunderte sich, wieso sie nicht mit in die Hauptstadt musste. Wie sich aber herausstellte, hatte sie ihn weder gesehen noch hatte er etwas anderes zu ihr gesagt, als dass sie wohl beschäftigt gewesen sein musste, als die Götter schöne Stimmen zu vergeben hatten. Alizar musste sich ein Lachen verkneifen, als sie das hörte. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Amalie ins Zimmer gestürmt war und mit ihrer schrillen Stimme versucht hatte, ihre Arbeit zu erledigen, um sich endlich den wichtigeren Dingen – wie einem gewissen Arzt, der ebenfalls Dienst hatte – zu widmen. Während Amalie über den gesamten Flur tönte, sie habe sich ja gleich gedacht, dass mit ihm etwas nicht stimmen würde, konnte Alizar sich in einem unbeobachteten Moment noch die blutigen Hände waschen und war froh, dass keine Rückstände blieben. Außer viele Fragen, auf die sie keine Antworten fand.

Erscheinungsdatum
Zusatzinfo Goldprägung 4-farbiger Buchschnit Mattcellophaniert
Verlagsort Kreuzlingen
Sprache deutsch
Maße 120 x 190 mm
Gewicht 220 g
Themenwelt Literatur Märchen / Sagen
Schlagworte Chroniken • Fantasy • found family • Liebe • Nachtfalter • Schmetterlinge
ISBN-10 3-03977-004-7 / 3039770047
ISBN-13 978-3-03977-004-5 / 9783039770045
Zustand Neuware
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