Kibogos Himmelfahrt (eBook)

Roman | Nominiert für den Internationalen Literaturpreis!
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2024 | 1. Auflage
144 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3112-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kibogos Himmelfahrt -  Scholastique Mukasonga
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Ein wunderbarer Ruanda-Roman voller kleiner Legenden, Mythen und Abenteuererzählungen in einem Ton, der zum Teil an die Evangelien erinnert, zum Teil an eine Art zentralafrikanische Odyssee, der manchmal aber auch ganz leicht ist, umgangssprachlich und heiter das sehr komplexe koloniale und postkoloniale Gefüge beschreibt, das ja derzeit auch in Europa eine vermehrte kritische Aufarbeitung erfährt. Kurzum, Mukasongas Romane, sie hat mehrere geschrieben und bei Gallimard in Frankreich veröffentlicht, einen weiteren werden wir vermutlich im Frühjhar oder Herbst 2025 bringen, sind literarisch faszinierend vielstimmig, thematisch in der Aufarbeitung einer politischen Situation unserer Zeit ein klein wenig voraus. In diesen wundersamen Geschichten über die Vergangenheit Ruandas mischt sich Satire mit Humor und Witz.

Scholastique Mukasonga, geboren in Ruanda, lebt und arbeitet in der Normandie. Ihre Romane erscheinen bei Gallimard. Sie wurde u.a. mit dem Prix Renaudot, dem Grand Prix SGDL de la nouvelle und dem Prix Simone de Beauvoir pour la liberté des femmes ausgezeichnet. 

Scholastique Mukasonga, geboren in Ruanda, lebt und arbeitet in der Normandie. Ihre Romane erscheinen bei Gallimard. Sie wurde u.a. mit dem Prix Renaudot, dem Grand Prix SGDL de la nouvelle und dem Prix Simone de Beauvoir pour la liberté des femmes ausgezeichnet. 

AKAYÉZU


Jetzt ist die Geschichte von Akayézu an der Reihe. Auch wenn sie eigentlich keine Geschichte ist, muss sie dennoch erzählt werden.

Akayézu kehrte mit der Trockenzeit zurück. Die Bananenblätter waren bereits staubgerötet, als er aus dem Pritschenwagen stieg, der Nachschub für den Laden des Swahili brachte, den einzigen, den es auf dem Hügel damals gab. Gekleidet war er in eine makellos weiße Robe, an den Füßen trug er Sandalen, und dieser imposante Aufzug hatte ihm einen der zwei staubgeschützten Ehrenplätze vorn beim Fahrer eingebracht. Die wenigen Fahrgäste, die hinten hatten aufsteigen dürfen, mussten sich dort zwischen die Primus- und Fanta-Kisten quetschen oder sich an den Kanistern mit Palm- und Erdöl oder den Holzkohlesäcken festklammern. Der Fahrer beeilte sich, Akayézus kleine Tasche auszuladen, und hielt sie ihm respektvoll hin.

Schon lief ein ganzes Rudel Kinder herbei und umringte den Reisenden:

»Akayézu, Akayézu! Hast du Brot dabei, bringst du das Brot für die Kinder? Du hast doch die Kinder nicht vergessen?«

Sanft schob Akayézu die drängelnden Kinder weg, die seine makellose Robe zu besudeln drohten. Fast sah es aus, als hebe er die rechte Hand und lege zwei Finger auf die geschorenen Schädel einiger Kleiner, um sie zu segnen wie die Padri. Dann ging er über den leeren Platz, von dem hin und wieder kleine Sandhosen aufwirbelten.

Ein Gefolge aus kleinen Bittstellern und einigen Frauen folgte ihm über den schmalen Pfad zwischen den die Hütten umfassenden Wolfsmilchhecken. Die zu dieser Jahreszeit untätigen Männer saßen im Kreis um einen Krug Bier und riefen ihm Grüße zu:

»Wiriwe Akayézu! Komm und tauch mit uns den Trinkhalm ein!«

Akayézu grüßte weihevoll zurück und nannte jeden bei seinem Taufnamen. Es schien, als hebe er die Hand, um seinen Gruß mit der Geste zu ergänzen, die er so oft geübt hatte – im Duschraum, vor dem einzigen Spiegel, der den Seminaristen zur Verfügung stand.

Vor dem Gehöft seiner Eltern wandte er sich an die Handvoll Kinder, die ihm noch immer folgten:

»Ihr wisst doch: Morgen, unter den großen Bäumen auf dem Hügel, sollt ihr euer Brot bekommen. Jetzt lauft nach Hause. Morgen, sage ich, unter dem großen Baum.«

Auf dem Vorhof kündigte er hüstelnd sein Kommen an, wie es die Höflichkeit gebietet. Seine Mutter und seine fünf Schwestern liefen herbei, und er entzog sich der mütterlichen Umarmung, um seine Robe abzulegen und sie der ältesten Schwester zu reichen.

»Gib gut acht darauf, Mathilda, ich hab nur die eine Soutane. Morgen früh muss sie blitzsauber sein …«

Gekleidet in blaue Shorts und ein kurzärmeliges Kakihemd ließ er sich nun ausgiebig umarmen und über und über betasten, wie es die Höflichkeit gebietet. Eifrig trugen die Frauen dem geliebten und bewunderten Bruder und Sohn alle Getränke und Speisen herbei, die die liebevolle Zuneigung einer Mutter und ihrer Töchter für den einzigen männlichen Nachkommen der Familie nur auftreiben konnte. Man kann sich die Szene leicht vorstellen!

Akayézus Vater wurde gefragt:

»Was macht dein Sohn denn noch bei den Padri? Er ist schon ganz schön lange dort: Hat er bei den Bazungu überhaupt noch was zu lernen? Wird aus ihm denn nie ein Padri?«

»Doch, doch, bald. Der lernt dort Zeug, das kann ich nicht mal aussprechen: Theorologalogie, Summatomasi, und alles auf Latini, alles auf Latini …«

»All dieser Bazungu-Krempel, wenn er da mal nicht verrückt wird, ich kannte da …«

»Ich habe meinen Sohn Akayézu genannt, Kleiner Jesus, als hätte ich’s geahnt … Ihr werdet schon sehen, eines Tages wird er ein Padri, und zwar kein kleiner, sondern ein großer, ein Monseigneur wie der in Kabgayi, glaubt’s mir ruhig, ein Monseigneur mit einer großen Krone wie unser König Mutara.«

Am nächsten Tag, vor Sonnenaufgang, streifte Akayézu die Soutane über, die Mathilda im flackernden Licht der Agatadowa, der kleinen Öllampe, hingebungsvoll gewaschen und gebügelt hatte. Dann stieg er auf den Gipfel des Hügels, wo immer noch das dichte Wäldchen stand, das man Kigabiro nannte und von dem es hieß, es sei ein Überbleibsel einer heidnischen Kultstätte, weshalb es tabu war, die hohen Bäume zu fällen. Die Kinder, die offenbar schon auf ihn gelauert hatten, liefen ihm nach, die Kleinsten unter den wachsamen Augen ihrer Mütter oder großen Schwestern. Alle wollten sicher sein, dass Akayézu wirklich die Tasche bei sich trug, in der die beiden vorgeschnittenen Brotlaibe steckten, die der Seminarist in Astrida gekauft hatte, als der Pritschenwagen dort Fahrgäste und Waren aufnahm. Die Akayézu schrankenlos ergebene Katechetin Immaculata begleitete ihn, um ihm zu helfen, das Brot in Ruhe aufzuteilen. Eine weitere Frau trug einen Klappstuhl, damit der brave Seminarist einen Platz zum Sitzen hätte. Als das Gefolge den Hügel erreichte, schien eine triumphale Morgensonne auf die alten Bäume.

Akayézu nahm auf dem Stuhl Platz, den Immaculata mit einem Zipfel ihres Kleids abgewischt hatte. Aus voller Kehle begrüßte er die Menge:

»Dominus vobiscum

Worauf die Kinder antworteten:

»Umukati! Umukati! Brot, Brot!«

Immaculata wies die Kinder und ihre Begleiterinnen an, im Halbkreis vor ihm Platz zu nehmen. Das lief nicht ohne Schwierigkeiten ab: Ein paar Unbelehrbare unter den Großen wollten unbedingt ganz vorn sitzen. Lang musste mit den Müttern diskutiert werden, die fanden, ihre Kinder hätten einen schlechten Platz für die Verteilung abbekommen. Akayézu musste eingreifen, um die Gemüter zu kühlen. Er versprach, dass jeder im Rahmen des Möglichen ein ebenso großes Stück wie alle anderen bekäme, auch wenn er nicht versprechen konnte, dass genug für alle da war, denn die Zahl derer, die ihm folgten, wurde von Jahr zu Jahr größer. Außerdem würde er sein Brot künftig nur noch denen geben, von denen er sicher wusste, dass sie wirklich auf dem Hügel lebten. Schließlich konnte er nicht die ganze Region damit versorgen, die ganze Provinz oder gleich ganz Ruanda. Er war ja nicht Yézu.

Behutsam holte Akayézu aus seiner Tasche zwei in Papier eingeschlagene Brotlaibe hervor und legte sie auf den Worfelkorb, den Immaculata ihm hinhielt. In aller Ruhe packte er sie aus und zählte die Scheiben. Wenn man die Kanten nicht mitzählte, gab jeder Laib zwanzig Stücke her, die er mit Immaculatas Hilfe noch einmal entzweiteilte. So kam er auf achtzig Scheiben: zu wenig für die Menge auf dem Hügel. Manche würden leer ausgehen. Womöglich mit Gewalt reagieren. Akayézu zögerte. Um die Verteilung möglichst lange aufzuschieben, hob er zu einem der endlosen Sermone an, die man von ihm kannte. Obwohl niemand sie verstand, waren all die fremden Worte doch sehr faszinierend – Französisch natürlich, aber vor allem Latein, was zwar noch verwirrender war, seine Rede aber auch so geheimnisvoll klingen ließ wie eine magische Beschwörung.

Schließlich musste das Brot aber doch verteilt werden: Gemurre und ungeduldige Rufe wurden in der Versammlung laut. Zwei imposante Matronen erboten sich als Geleitschutz für die Körbe und ihre Träger, und Akayézu machte sich an die Verteilung: Eine Scheibe nach der anderen legte er in die ausgestreckten Hände der Frauen und Kinder. Die Kleinsten hingen ihm an der Soutane, und die Mütter hielten ihm mit ausgestreckten Armen ihre Babys hin. Doch aus den hinteren Reihen, in die man die Größten verbannt hatte, wurde geschubst und gedrängelt, sie stießen die im Weg stehenden Kinder und Mütter zu Boden und stiegen über sie hinweg. Die Matronen schirmten Akayézu und die Körbe mit ihrer geballten Leibesfülle ab, doch bald waren auch diese menschlichen Schutzschilde überwunden. Ein letztes Mal versuchte Akayézu noch, den Ansturm abzuwehren, indem er aus voller Kehle schrie: »Vade retro, Shatani!«, dann verschwanden er, die Körbe, Immaculata und die Matronen im Gewühl. Große Kerle machten sich davon, die Taschen ihrer zerlumpten Shorts zum Bersten voll mit Brot. »Das ist für meine kranke Schwester!«, rief einer von ihnen.

Akayézu fand sich auf den Knien wieder, mit staubroter Soutane, umringt von weinenden Kindern und jammernden Frauen. »Verflucht sollen sie sein, diese Gierschlünde«, klagte er. »Die würden noch den Engeln das himmlische Brot aus den Händen reißen und sich wie die Hunde um das Manna fetzen, das Gott in der Trockenzeit für sie sprießen lässt.«

Aber vielleicht war es nicht jedes Mal so schlimm. Lästermäuler gab es immer auf den Hügeln, und niemand wüsste noch zu sagen, in wie vielen Trockenzeiten man den Seminaristen Akayézu sah, wie er unter den Kindern des Hügels seine zwei Brotlaibe verteilte.

Lange hat man sich auf dem Hügel gefragt, wieso die Missionare ausgerechnet Akayézu für das Kleine Seminar in Kabgayi ausgewählt hatten: Bevorzugt wurden für gewöhnlich die Söhne von Häuptlingen und Katecheten....

Erscheint lt. Verlag 1.2.2024
Übersetzer Jan Schönherr
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Afrikanisch • Christentum • Erzähl • Ethnologie • Französisch • Hexerei • international • kolonalismus • Legende • Literatur • Messias • Mission • Mythen • Ostafrika • Ruanda • Tradition • Widerstand • Zauberei
ISBN-10 3-8437-3112-8 / 3843731128
ISBN-13 978-3-8437-3112-6 / 9783843731126
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