Wallfahrt - Der Tod wird dich erlösen (eBook)

Thriller
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
384 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491862-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wallfahrt - Der Tod wird dich erlösen -  Ulrike Gerold,  Wolfram Hänel
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Sie sind auf der Suche nach Erleuchtung, doch sie finden den Tod. Der neue Thriller des erfolgreichen Autorenduos Ulrike Gerold und Wolfram Hänel Ein abgelegenes Dorf in den Bergen. Seit sich hier vor einigen Jahren ein Wunder ereignet hat, pilgern immer mehr Menschen auf Sinnsuche dorthin. Auch die junge Journalistin Mara reist an, um eine Reportage über den neuen Wallfahrtsort zu schreiben. Doch die Dorfbewohner sind alles andere erfreut über ihre Recherche, und das spirituelle Seminarzentrum am Hang hoch über dem Dorf wird streng von der Außenwelt abgeschirmt. Mara wird misstrauisch: Was hat das Dorf zu verbergen? Als ein Pilger tot aufgefunden wird, sieht sich Mara plötzlich selbst in tödlicher Gefahr. Und sie ist nicht die Einzige, die in einem perfiden Spiel um Geld und Macht von einem persönlichen Geheimnis gequält wird, dessen Auflösung ihre schlimmsten Albträume übertrifft.

Ulrike Gerold und Wolfram Hänel waren lange am Theater, bevor sie zu schreiben begannen. Inzwischen haben sie über 150 Romane, Erzählungen und Bilderbücher veröffentlicht, die in insgesamt 30 Sprachen übersetzt wurden. Bei den S. Fischer Verlagen erschienen zuletzt die Thriller »Rauhnächte« und »Fastenzeit«. Beide Autoren leben und arbeiten zusammen in Hannover und Berlin und sind Mitglieder im PEN Berlin.

Ulrike Gerold und Wolfram Hänel waren lange am Theater, bevor sie zu schreiben begannen. Inzwischen haben sie über 150 Romane, Erzählungen und Bilderbücher veröffentlicht, die in insgesamt 30 Sprachen übersetzt wurden. Bei den S. Fischer Verlagen erschienen zuletzt die Thriller »Rauhnächte« und »Fastenzeit«. Beide Autoren leben und arbeiten zusammen in Hannover und Berlin und sind Mitglieder im PEN Berlin.

1. Buch Marja


Geheimnisse sind noch keine Wunder. (Johann Wolfgang von Goethe)

Vier Wochen später

1. Kapitel


Als Marja die ersten Pilger sah, war es kurz nach acht. Marja war die ganze Nacht durchgefahren, fühlte sich aber erstaunlich fit. Nur ihr Magen meldete sich jetzt. Und sie brauchte dringend einen Kaffee!

Die Bäckerei hatte gerade erst geöffnet, aber schon schwirrten die Wespen über dem Kuchen in der Auslage.

»Wo kommen Sie her?«, wollte die Bäckersfrau wissen.

»Berlin.«

»Lange Fahrt. Ich bin nicht mehr gerne unterwegs bei dem Verkehr heute, und im Dunkeln schon gar nicht.«

»Ich fahre am liebsten nachts. Es ist zwar anstrengend, aber wenigstens stehe ich dann nicht dauernd im Stau. – Ein Brötchen hätte ich auch noch gern, bitte, eine Semmel, meine ich.« Ihr Blick wanderte über den gläsernen Tresen. »Vielleicht eins von denen mit Käse!«

»Ich kann Ihnen auch schnell ein richtiges Frühstück machen, mit Ei und allem«, bot die Bäckersfrau ihr an.

»Wirklich? Das wäre fantastisch, ja!«

»Hart oder weich gekocht? Das Ei, meine ich.«

»So … mittel?«

»Passt. Ich mache Ihnen ein Tablett fertig und bringe es Ihnen raus. Sie können sich draußen in die Sonne setzen, noch ist es nicht zu warm.«

»Vielen Dank! Ach so, und bitte keine Wurst und keinen Schinken, ja? Ich esse kein Fleisch.«

Die Bäckersfrau tat die Information mit einem Schulterzucken ab, als wäre sie Schlimmeres von ihren Kunden gewohnt.

Marja suchte sich einen Platz an der Hausmauer und legte den Kopf zurück. Die Sonne tat gut. Für eine Sekunde schloss sie die Augen, jetzt erst merkte sie, wie müde sie doch war.

Ein Lieferwagen hielt direkt vor ihrem Tisch. Der Fahrer ließ den Motor laufen und verschwand in der Bäckerei. Marja hörte, wie er »zwei Semmeln mit Wildschweinsalami« bestellte. Er duzte die Bäckersfrau. Sie redeten noch ein paar Sätze übers Wetter. Und dass er froh war, heute mal nicht zu dem »Schuppen am Berg oben« zu müssen. »Bin fertig mit der Arbeit bei den Großkopferten, dem Herrgott sei Dank, war genug Nerverei mit denen.«

Als er zurück zu seinem Auto kam, konnte Marja es nicht lassen, laut zu sagen: »Danke für den Dieselqualm. War genau, was mir heute Morgen noch gefehlt hat.«

Der Fahrer blickte sie an, als wäre er sich nicht sicher, was sie überhaupt meinte. Kopfschüttelnd tippte er sich an die Stirn und stieg ein, um weiterzufahren. Auf der Rückseite des Lieferwagens stand in Großbuchstaben: SCHADEN AM DACH? WIR SIND VOM FACH!

Marja überlegte noch, ob der Satz als Werbung wirklich überzeugend war, als die Bäckersfrau das Frühstück brachte. Der Käseteller hätte auch für zwei Leute gereicht, im Brotkorb lagen eine Kaisersemmel, ein Körnerbrötchen, eine Laugenbrezel, ein Croissant, es gab drei verschiedene Marmeladen und ein Schälchen Honig.

»Alles für mich?«, fragte Marja irritiert.

»Freilich. Das Ei bringe ich auch gleich noch. Und schön dumm, dass Sie auf den Bauernschinken verzichten wollen, aber da kann man nichts machen. Ich wünsch einen guten Appetit. Sagen Sie, wenn noch was fehlt! Sie brauchen bloß zu rufen, ich bin im Laden. – Ah, da sind die Spinner ja«, sagte sie im Umdrehen und wies zum Fußweg auf der anderen Straßenseite. Ihre Stimme hatte einen abwertenden Ton, als sie hinzusetzte: »Ich hab mich schon gewundert, wo sie heute bleiben. Aber so geht das hier jetzt jeden Tag, seit das in der Presse stand mit dem Mädchen, das angeblich die Madonna gesehen hat. Als ob das ein Grund wäre, bei der Hitze bis hoch zum Bergdorf zu laufen! In Zelten wohnen sie dort. Und sie sitzen die halbe Nacht lang am Feuer und singen. Mehr will ich gar nicht wissen. Das sind Spinner, alle miteinander, wie ich’s gesagt habe. Die wollen doch hinterher nur erzählen können, dass sie höchstpersönlich dabei waren, bei dem Wunder!« Die Bäckersfrau malte zwei Anführungszeichen in die Luft. »Mehr ist da nicht, alles nur Getue und Geschwätz, glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.«

Marja kamen die Pilger mit ihren Rucksäcken und den derben Stiefeln eher so vor, als müsste man Mitleid mit ihnen haben. Sie suchen nach etwas, das es vielleicht gar nicht gibt, dachte sie, aber sie glauben fest daran, sie hoffen auf Heilung von irgendwelchen Krankheiten, auf … ein Wunder, damit der Lahme sich aus seinem Rollstuhl erheben und der Blinde wieder sehen kann. Damit der Krebs verschwindet, der Alzheimer, die Inkontinenz, das nässende Ekzem, was auch immer. Herr, erlöse uns von dem Übel.

»Warten Sie!« Marja hielt die Bäckersfrau am Ärmel fest. »Sie glauben nicht, dass es das Wunder am Berg tatsächlich gegeben hat?«

»Wen interessiert es schon, was ich glaube?« Sie musterte Marja argwöhnisch. »Jetzt sagen Sie bloß nicht, Sie gehören auch zu denen. Sie sehen nicht so aus!«

»Nicht zu den Pilgern, nein«, beeilte sich Marja zu versichern. »Aber ich will ebenfalls hoch zu dem Dorf, das stimmt. Ich bin … Ich arbeite für eine Zeitung«, entschied sie, einfach die Wahrheit zu sagen. Oder zumindest einen Teil der Wahrheit. »Ich bin Fotografin, der Kollege, der den Artikel schreiben wird, kommt erst in ein paar Tagen. Aber natürlich interessiert es mich, wenn Sie sagen, dass das mit dem Wunder vielleicht alles nur Geschwätz und dummes Gerede ist. Wie kommen Sie darauf? Ich möchte es gerne wissen, wenn da irgendetwas … nicht ganz sauber ist. Es bleibt unter uns, das verspreche ich Ihnen.«

»Sagt jemand von der Zeitung?« Die Bäckersfrau lächelte spöttisch. »Das können Sie sonst wem weismachen, aber ganz bestimmt nicht mir. Essen Sie Ihr Frühstück, sonst ist der Kaffee kalt und schmeckt nicht mehr. Ich bringe Ihnen noch das Ei. Und geben Sie sich keine Mühe, von mir werden Sie gar nichts hören.« Sie fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Lippen, als würde sie einen Reißverschluss zuziehen.

Marja war klar, dass jeder weitere Versuch, die Frau auszuhorchen, vergeblich sein würde. Vielleicht hätte sie nicht unbedingt die Wahrheit sagen sollen. Es gab nur zwei Arten von Reaktionen, wenn sie ihren Beruf verriet, entweder sprudelten die Leute nur so vor Mitteilungseifer – oder sie mauerten. So wie die Bäckersfrau. Aber es war ein Versuch gewesen, es hätte auch klappen können. Hatte es nur leider nicht.

Umso überraschter war Marja, als die Frau gleich darauf mit dem Frühstücksei kam und sich dicht zu ihr beugte, um zu flüstern: »Ich an Ihrer Stelle würd mal fragen, was der Vater von dem Madel so macht. Aber das haben Sie nicht von mir, hören Sie?«

Marja ließ sich Zeit mit ihrem Frühstück, während sie vergeblich versuchte, sich irgendeinen Reim auf die Andeutung der Bäckersfrau zu machen.

Zweimal noch zogen Pilger an ihr vorüber, beide Male hatte Marja das Gefühl, dass die Leute begehrliche Blicke auf ihr opulentes Frühstück warfen. Es war ihr fast peinlich, als wäre der üppig gedeckte Tisch vor ihr mehr als unpassend. Weit hinter der zweiten Gruppe kam noch eine Frau, die ihren Mann im Rollstuhl schob. Sein verzerrtes Gesicht zeigte nichts als Angst. Panik. Die Frau tätschelte ihm unentwegt die Schulter oder streichelte seine Wange, während sie selbst offensichtlich Mühe hatte, den Rollstuhl zu schieben. Marja fragte sich, wie sie es jemals alleine auf den Berg hinauf schaffen wollte. Sollte sie die Frau nachher noch mal wiedersehen, würde sie gar nicht anders können, als ihr zu helfen.

Marja war der Appetit vergangen. Sie hatte plötzlich einen Geschmack wie nach Metall im Mund, den sie nicht erklären konnte. Und die Innenseite ihrer linken Hand schmerzte wieder. Aber es war nichts zu sehen, keine Rötung, keine Schwellung. Die Stelle war auch nicht druckempfindlich.

Nach kurzem Überlegen schob sie das Croissant in ihre Tasche, den Rest stellte sie auf das Tablett und brachte es zurück in den Laden, um zu bezahlen. Sie bedankte sich noch einmal für das reichhaltige Frühstück: »Es war sehr lecker, wirklich, aber einfach zu viel. Tut mir leid.«

Dann bat sie darum, sich kurz frisch machen zu dürfen.

In dem winzigen Bad betrachtete sie sich für einen Moment im Spiegel. Als wollte sie ihre Stimmung erforschen, um sich wirklich sicher sein zu können, dass sie von ihrem Plan nicht abweichen würde.

Was sie sah, gefiel ihr, sie war zufrieden mit sich. Was ihr nicht gefiel, sah man nicht, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb zog sie sich sorgfältig die Lippen nach und trug neuen Mascara auf. Deutlich mehr als notwendig, eher wie für die Rolle der exotischen Schönheit auf einer Party. Als wollte sie für die Leute im Bergdorf da oben von vornherein klarstellen, dass sie aus einem Schmelztiegel der verschiedensten Nationen kam und ihre Herkunft nicht verstecken musste.

Obwohl ein Dorf voller Pilger wahrscheinlich kaum rückständiger sein konnte als der Berliner Geschäftsmann, der sie auf einem Empfang der Tageszeitung gefragt hatte, aus welchem Land sie käme: »Sie sehen nicht aus, als wären Sie von hier.«

»Stimmt. Argentinien.« Ihre übliche Antwort auf solche Fragen, wenn sie es nicht der Mühe wert fand, eine Diskussion vom Zaun zu brechen. Tatsächlich war ihr Vater aus Argentinien, die Mutter hingegen...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2024
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Alpen • Alpental • Andreas Winkelmann • Bergdorf • Journalistin • Kirche • Kreuzigung • Krimi • Kriminalroman • Pilgern • psychologische Spannung • Psychospannung • Psychothriller • Religion • Romy Hausmann
ISBN-10 3-10-491862-7 / 3104918627
ISBN-13 978-3-10-491862-4 / 9783104918624
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