11 Wilde Westernromane September 2023 (eBook)
1100 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-8446-0 (ISBN)
Wer tötete den Marshal?
Western von Thomas West
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress
postmaster@alfredbekker.de
Teil 1
Grasland, soweit das Auge blickte. Ein warmer Ostwind strich über die sanften Hügel. Das kniehohe Gras bog sich unter der Abendbrise, und Timothy Baxter hatte das Gefühl über die Wogen eines grünen Meeres zu blicken. Er stützte sich auf den Sattelknauf und gab sich dem Eindruck der Landschaft hin. Etwas wie Frieden lag in der Luft, etwas wie Glück. Schweigend genoss er die seltene Empfindung.
Samuel Cocker trieb seinen Schimmel neben Timmys Rotfuchs. "In zwei Stunden isses dunkel." Er zog sich die Melone von den schwarzen Locken. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn. "Spätestens." Er spähte nach Westen, wo die Sonne dem Horizont entgegensank.
Sam hatte keinen Blick für den Zauber der Landschaft. Er war ein Pragmatiker. Wie alle Männer, die ein Ziel haben.
"Ja." Timmy hörte nur mit halbem Ohr zu. "In zwei Stunden isses dunkel." Ein Vogelschwarm flog zwischen zwei Hügelkuppen auf. Wahrscheinlich Krähen. Timmy war sich nicht sicher. Zu weit weg. Sein Blick folgte den schwarzen Punkten. Er sah eine Rauchsäule unter ihnen aus dem Grasland steigen.
"Nach Dogde City sinds noch fast vier Stunden", seufzte Sam. "Sieht so aus, als müssten wir wieder unter freiem Himmel schlafen." Er zog seine Wasserflasche aus der Mochila und schraubte sie auf.
Der Vogelschwarm näherte sich. Und ließ die Rauchsäule allein zurück. "Wird sich kaum vermeiden lassen." Timmy kniff die Augen zusammen. Er glaubte dunkle Flecken zu sehen. Dort, wo der Rauch aufstieg. Gebäude. Eine Farm. Timmy fragte sich, wer an einem solch warmen Abend ein derart großes Feuer in einem Haus schürte.
Der Wind wehte ein Geräusch über die Hügel, das nicht in die friedliche Landschaft passen wollte. "Hast du das gehört?" Sam berührte die Schulter seines Freundes.
Timmy stieß sich vom Sattelknauf ab. Kerzengerade saß er plötzlich auf seinem Rotfuchs. Und lauschte in die Ferne. Ein Schuss. Sehr weit weg. Und noch einer. Aus der Richtung der Rauchsäule. Aus der Richtung der Farm.
"Schüsse!" Sams Stimme klang plötzlich heiser. "Seh ich recht, oder brennt da hinten ein Haus?!" Er deutete zu der weit entfernten Rauchsäule. Timmy hieb seinem Rotfuchs die Sporen in die Flanken. Der Gaul galoppierte den Hügel hinunter. Sein langes Haar flatterte im Wind. "Ho!", rief Sam. Er drückte sich die Melone auf den Kopf und jagte seinem blonden Gefährten hinterher.
Bald hatte er ihn eingeholt. "Sieht nach Ärger aus!" In gestrecktem Galopp jagte er neben Timmy her. Viele Schüsse waren jetzt zu hören. "Hört sich nicht gut an." Er griff nach dem Silberkreuz, das an einer Kette zwischen den Kragenaufschlägen seiner schwarzen Jacke baumelte. "Gott schütze uns!", rief er. Flüchtig drückte er das Kreuz an seine Lippen.
Immer deutlicher schälten sich die Konturen von Gebäuden und Dächern aus dem grünen Teppich der Hügellandschaft. Einzelne Punkte lösten sich aus ihrer unmittelbaren Umgebung. Tiere und Reiter.
Timmy trieb sein Pferd an. Tief über die Mähne seines Fuchses gebeugt stand er in den Steigbügeln. Pferd und Reiter pflügten durch das hohe Gras. Er verschwendete keinen Gedanken an Gott. Auch nicht daran, dass es eventuell ungesund war, sich in eine Schießerei einzumischen. Er sah ein brennendes Anwesen, er hörte Schüsse - also war jemand in Gefahr. Also ritt er los. Er wäre nicht Timothy Baxter gewesen, wenn er auch nur einen Moment gezögert hätte.
Sam zog an ihm vorbei. Der Reverend war einfach der bessere Reiter. "Vorwärts, Timmy!" Auch seine Schießküste hatten es in sich. Unten in Santa Fe, wo sie gemeinsam überwintert hatten, nannte man ihn nach vier Wochen nur noch Reverend Colt. Timmy hatte immer geglaubt, Gottesmänner könnten nur beten und predigen. Darin allerdings war Samuel Cocker auch nicht schlecht.
Die Ranch bestand aus einem Haupthaus und drei Nebengebäuden. Mit Holzzäunen eingefriedete Koppeln zogen sich um sie herum weit ins Grasland hinein. Schwarze Rauchwolken quollen aus dem Dach des Haupthauses. Deutlich sahen Timmy und Sam die Flammen aus den Fenstern schlagen.
Die Schüsse verstummten. Man hörte das Trommeln von Hufschlägen. Sam, der jetzt fast eine Pferdelänge vor Timmy galoppierte, drehte sich nach seinem Gefährten um und deutete in die weiten Koppeln hinter der Ranch. Sie zog sich einen sanft ansteigenden Hügel hinauf. Eine kleine Pferdeherde jagte dort durch das Gras. Reiter flankierten sie, vier oder fünf - auf die Entfernung war das nicht genau auszumachen.
"Pferdediebe!", brüllte Timmy. Die Reiter trieben die Pferdeherde durch eine Lücke im Zaun. Schnell erreichten sie die Hügelkuppe. Und verschwanden dahinter.
Sams Schimmel setzte über ein Gatter in den Ranchhof hinein. Timmy hinterher. Deutlich hörten sie jetzt das Prasseln des Brandes. Auf der Vortreppe des brennenden Hauses lag ein lebloser Körper. Hitze schlug ihnen ins Gesicht. Sam hielt sein Pferd in der Mitte des Hofes an. "Weiter!", rief Timmy. "Wir hängen uns an sie!" Er deutete am Haus vorbei auf die Hügelkuppe.
"Blödsinn!" Sam sprang aus dem Sattel. "Sie waren mindestens zu viert! Und es wird bald dunkel! Hier werden wir jetzt gebraucht, hier!" Er rannte zur Vortreppe des brennenden Hauses, packte den Mann, der dort lag, und schleifte ihn aus dem Bereich von Flammen und Hitze.
Es gab niemanden mehr auf der Ranch, der sie brauchte. Der Mann von der Vortreppe war tot. Vier Kugeln steckten in seiner Brust. Hinter der Tür der Stallung fanden sie einen weiteren Mann erschossen neben seinem Gewehr liegen. Und im Geräteschuppen einen Halbwüchsigen unter einem zerbrochenen Fenster. Kopfschuss. Er hielt noch einen alten Remington-Revolver in der Hand.
Wie viele Menschen im Haus verbrannten, wussten sie nicht. Rauch und Flammen ließen die beiden Männer nicht hinein.
Samuel Cocker holte seine Bibel aus der Satteltasche. Neben den Toten kniete er nieder. Für jeden las er einen Psalm und sprach ein Gebet. Timmy stand im Hof und starrte in die Flammen. Leise fluchte er vor sich hin. Stück für Stück brach das Haus zusammen.
"Was will der HERR uns damit sagen?" Sam stellte sich neben ihn. Noch immer hielt er die schwarze, zerfledderte Bibel in der Hand.
"Womit?"
"Dass er uns diese armen Menschen und dieses brennende Haus in den Weg stellte." Er drückte die Bibel mit beiden Armen gegen seine schwarze Weste. Auch seine lange Jacke war schwarz. Hosen und Stiefel ebenfalls. Nur das Hemd, das er unter der Weste trug, war weiß. Ein dünner Oberlippenbart verlieh seinem schmalen Gesicht etwas Weltmännisches.
"Gar nichts will er uns sagen", knurrte Timmy. "Reiner Zufall. Außerdem stand die Ranch wahrscheinlich schon hier, als wir noch in den Windeln lagen." Das stimmte vermutlich nicht. Denn dreiunddreißig Jahre zuvor, als Timmy in den Windeln lag, jagten noch Prärieindianer zwischen diesen Hügeln nach Büffeln.
"Alles ist vorherbestimmt, mein Freund..." Timmy wandte sich ab. Er mochte es nicht, wenn Sam zu predigen anfing. Sein blondes Haar hing ihm weit über die Schultern. Er trug sandfarbene Hosen und eine schwarze Bärenlederweste über einem verschwitzen, grauen Unterhemd. Er ging zu dem Toten, der mitten auf dem Hof lag.
"Vielleicht wollte der HERR uns aufhalten." Sam dachte laut. Auch so eine Marotte von ihm. "Vielleicht sollen wir einen Bogen um Dogde City machen. Vielleicht braucht er mich ganz dringend in Oregon..." Samuel Cocker war unterwegs nach Oregon. Seine Kirche hatte ihn dorthin berufen. Als Seelenhirte der neu eingewanderten Siedler. Timmy begleitete ihn. Weil er ihn mochte. Und weil er sonst kein Ziel hatte.
"'Vielleicht', 'vielleicht'...", knurrte der Blonde. "Komm wieder auf den Teppich, Sam! Wir müssen nach Dogde City. Wir müssen dem Marshal diesen Überfall melden, damit er die verfluchten Hunde jagen kann." Er packte die Handgelenke des Toten und schleifte ihn über den Hof.
"Wollen wir sie beerdigen?" Sam packte mit an.
"Nein. Der Marshal muss die Leichen sehen."
Sie bahrten die Toten im Werkzeugschuppen auf, damit Geier und Schakale sie nicht fressen konnten...
*
Ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben. Ihr Vater gleich im ersten Jahr des Bürgerkriegs gefallen. Acht Jahre war das her. Seitdem musste Judith Gabriel allein zurechtkommen. Und sie kam besser zurecht, als viele andere, die ihr Glück Ende der Sechzigerjahre in Dogde City versuchten.
Die Schneiderei, die sie von ihrem Vater übernommen hatte, lief prächtig, ohne Zweifel. Und das wunderte niemanden in Dogde City - jeder wusste, wie hart Jude arbeitete. Jeder wusste, dass ein Stück Stoff unter ihren fleißigen Händen mit großer Sicherheit zu einem tadellosen Kleid oder Frack oder sonst was geriet.
Kaum siebenundzwanzig Jahre alt, war die rothaarige Frau mit den grünen Augen eine geachtete Bürgerin in Dogde City. Geachteter als einst ihr Vater Gregor. Der lettische Einwanderer galt zwar auch schon als guter Schneider, hatte aber den Ruf ein jähzorniger Raufbold...
Erscheint lt. Verlag | 13.9.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
ISBN-10 | 3-7389-8446-1 / 3738984461 |
ISBN-13 | 978-3-7389-8446-0 / 9783738984460 |
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