Der Föhrskrat (eBook)
584 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-5423-3 (ISBN)
Kerstin Erz wurde in Prenzlau (Land Brandenburg) geboren, studierte Tierproduktion an der Universität Rostock und war bis 1990 in der Landwirtschaft tätig. Ihre neue Heimat fand sie im Jahr 2000 in einem kleinen Dorf in Mecklenburg. Seit 1997 ist sie als Freie Journalistin in der Zeitungsbranche tätig. Bereits seit den 80er Jahren schreibt sie Gedichte und vor allem Kurzgeschichten. Zwei Bücher »Zeit für mich - Gedichte & Geschichten« sowie »Weihnachts-märchen & -geschichten« veröffentlichte sie in kleinster Auflage. Mit ihrem dritten Band »Der Föhrskrat - Märchen & Geschichten« präsentiert sie sich über BoD erstmals einer breiteren Öffentlichkeit.
Der Graf
oder
»Wie es in den Wald hineinruft,
so ruft es auch hinaus«
Sprichwort
Es gab eine Zeit und ein Land, da war der Wald so dicht und so riesig, dass er fast bis an das große nordische Meer reichte. Den Waldesrand dazwischen säumte ein einige hundert Meilen langer und breiter Streifen einer wunderschönen, hügligen Landschaft, mit vielen Wiesen, Sträuchern, Büschen und vereinzelten Bäumen. Hier hatten sich in erster Linie die einfachen Menschen angesiedelt. Sie bewirtschafteten die schmalen Äcker, die sie vom Grafen geliehen bekommen hatten. Hier bauten sie Getreide an, um es in der nächstliegenden Mühle zu Mehl malen zu lassen, und hier weideten sie ihre Schafe und auch die eine oder andere Kuh oder den einen oder anderen Ackergaul.
Einen Teil dessen, was sie erwirtschafteten, brachten die Bauern vor jedem Mondwechsel ihrem Lehnsherrn als Zins für ihr Land auf das Gut. Rief der König aber seine Untertanen, wie den Grafen, in den Krieg, so hatten auch die Bauern und Handwerker als Lehnsmänner ihrem Lehnsherrn, dem Grafen, zu folgen.
Derzeit jedoch herrschte Friede im Land und ein jeder konnte seiner geregelten Arbeit nachgehen. Der Graf selbst tüftelte gerade voller Leidenschaft an Plänen, deren Umsetzung sein Gut noch wehrhafter machen sollte. Außerdem befand sich seine Frau, die Gräfin, gerade in anderen Umständen und forderte für den zukünftigen Gutserben ein eigenes Zimmer, welches angebaut werden müsse. So rief der Graf Bauleute zu sich, die seine Vorhaben umsetzen sollten. Anschließend ließ er ein Dutzend Fuhrwerke anspannen und zog mit einem doppelten Dutzend an Bauleuten, Zimmermännern und Waldarbeitern in den nahen Wald, den der Graf sein Eigen nannte.
Seine Hochwohlgeboren höchst persönlich führte den Tross an und als er am Waldesrand ankam, staunte er nicht schlecht, wie riesig doch die Kiefern und Fichten hier gewachsen sind.
»Das reicht ja nicht nur für das benötigte Bauholz, davon kann ich eine riesige Wehranlage, meiner Frau einen Palast bauen und noch Holz gewinnbringend an den König verkaufen«, freute er sich und machte sich sogleich daran, die größten zu fällenden Kiefern für die Holzfäller zu markieren.
Und während alle so bei der Arbeit waren, kam plötzlich der Älteste der Waldarbeiter zum Grafen gelaufen. »Herr Graf, Herr Graf«, rief er schon von weitem außer Puste. »Haltet ein! Hier könnt Ihr kein Holz werben. Haltet ein!«
»Was fällt dir ein, entrüstete sich der Graf, du erdreistest dich, mir zu sagen, was ich tun soll und was nicht? Wie kommst du zu dieser Unverschämtheit?« Der weißbärtige Holzfäller riss sich die Mütze vom Kopf und buckelte tief vor dem Grafen.
»Oh, verzeiht hoher Herr, Euer Wohl liegt mir am Herzen. Deshalb muss ich Euch warnen. Schlagt hier kein Holz! Es könnte Euer Verderben sein!«
»Was veranlasst dich, mir einen so derart unverschämten Rat erteilen zu wollen«, schnauzte er seinen Untergebenen verärgert an und befahl dem Alten, ihm diese Ungeheuerlichkeit zu erklären:
»Erlauchter Herr Graf, verzeiht mir meinen Vorwitz. Bin ich doch nur besorgt um meines Herrn Wohl. Ich war schon einmal hier, hier, an diesem Wald. Damals als kleiner Bub, ich war mit meinem Vater, der ebenfalls Holzfäller war, auf Wanderschaft. Als wir hier anlangten, wurde mein Vater unruhig, wollte so schnell wie möglich diesen Wald durchqueren. Mich hatte er schwören lassen, dass ich hier niemals Holz einwerben werde, denn dieser Wald gehöre dem Föhrskrat, so sagte er. Der Föhrskrat ist ein über eintausend Jahre alter Waldgeist, der Gutes, aber auch Unheil über die Menschen bringen kann, wenn sie ihm in die Quere kommen. Damals hatte mein Vater mir auch dessen Behausung gezeigt. Und die habe ich eben wiederentdeckt.«
Inzwischen hatten sich die anderen Waldarbeiter um den Alten und den Grafen geschart und hörten der aufgeregten Erzählung des alten Bärtigen zu. Einer warf hitzig dazwischen:
»Das stimmt Herr Graf. Unsere Altvorderen haben schon von dem Föhrskrat voller Ehrfurcht gesprochen. Aber wo er lebt, das wusste bislang keiner. Und ob das stimmt, dass der Alte hier die Behausung entdeckt hat, ist wohl fraglich. Die kennt doch keiner und den Föhrskrat hat auch noch nie jemand zu Gesicht bekommen.«
»Schluss jetzt mit diesen Ammenmärchen!« Der Graf hatte sich im Laufe der Erzählung des alten Waldarbeiters mehr und mehr amüsiert. »Ich habe an der Seite unseres Königs etliche Schlachten gewonnen. Da werden wir doch wohl mit so einem Waldschrat fertig werden. Zumal der Wald mir und nicht irgendeinem Geist gehört. Geht ihr jetzt an die Arbeit und du, Alter, zeigst mir die angebliche Behausung des so Furcht einflößenden Ungeheuers.« Herzhaft lachend schnappte er sich den Alten am Kragen und schubste ihn vorwärts.
Nur um eine kurze Biegung führte der Alte den Grafen, als sie plötzlich vor einer Lichtung standen, an deren Rand eine Kiefer so gewaltig in die Höhe ragte, dass dem Grafen vor Erstaunen der Mund offenstehen blieb. So etwas hatte er sein Lebtag noch nicht gesehen: Die Krone dieser Kiefer ragte so hoch, dass sie im Wind den Wolken den Bauch kitzelte. Ihr Stamm erwies sich als so dick, dass sich des Grafen zwei Dutzend Männer nur an den Fingerspitzen halten könnten, um den Stamm zu umfassen. Das Wurzelwerk dieser Kiefer war so weit gefächert, dass darunter ein ganzer Palast Platz hat, und einzelne Wurzeln waren so dick und ragten hier und da heraus, weil die Erde sie nicht mehr aufnehmen konnte.
»Dieser Baum ist doch der Glücksgriff schlechthin«, freute sich der Graf, nachdem er wieder zur Besinnung gekommen war. »Mit ihm haben wir so viel Holz, wie von einhundert normalen Kiefern. Ich kann mein Gutshaus zu einer Burg ausbauen, wie sie der König selbst noch nicht gesehen hat.« Sprach‘s und sprang mit einem Jauchzer vor Freude einmal in die Luft. Dann besann er sich des alten Waldarbeiters und herrschte ihn an:
»Was stehst du hier herum und hältst Maulaffen feil? Hol noch fünf der kräftigsten Baumfäller und macht euch an dieses Prachtexemplar – sofort!«
»Aber Herr, dies ist doch ein ganz besonders wertvoller Baum, bestimmt eintausend Jahre alt«, wagte der alte Bärtige noch einmal einen Widerspruch. »Lasst ihn doch schon deshalb unversehrt!« Doch der Graf wurde jetzt richtig wütend ob so viel Dreistigkeit ihm gegenüber und so riss er seine Reitgerte hoch und herrschte ihn an:
»Wenn du nicht sofort tust, was ich dir sage, lasse ich die Gerte auf deinem Buckel tanzen.« Da machte sich der Alte auf, um fünf der kräftigsten Baumfäller zu holen. Die staunten zunächst ebenfalls nicht schlecht über diesen Baumriesen, welcher da vor ihnen stand. Sofort aber machten sie sich daran, ihre Äxte zu schärfen.
Während der Graf den Männern zuschaute, stellte sich der Jüngste und Kräftigste mit seiner Axt an den Baum. Ihm sollte die Ehre des ersten Schlags gebühren. Also spuckte er ordentlich in seine schwieligen Hände, holte weit aus und ließ die Schneide mit Wucht in den Stamm sausen. Jedoch, prallte die Axt mit der gleichen Wucht vom Stamm wieder ab, als wäre sie ein Klöppel, der auf eine gusseiserne Glocke schlug. Der Junge, der seine Axt richtig fest in den Händen hielt, flog mit ihrem Stiel einige Axtlängen vom Stamm weg, knallte auf die Erde und blieb auf dem Waldboden liegen.
Die Männer lachten und trieben sofort ihren Spott mit dem jungen Unglücksraben.
»Versucht es zu viert!«, herrschte der Graf die anderen ungehalten an. So stellten sich vier weitere Männer in alle vier Himmelsrichtungen um den riesigen Stamm. Einer gab das Kommando, sie holten gleichzeitig weit aus und ließen die Äxte mit so viel Schwung und Kraft in den Stamm sausen, dass die Kronennadeln zu zittern begannen. Doch, statt dass die Äxte nun im Stamm versanken, prallten sie alle ebenso ab, ohne auch nur einen Kratzer in der Rinde zu hinterlassen. Der Baum schleuderte die Männer in alle Himmelsrichtungen weit weg vom Stamm, wo sie hart auf dem Boden zu liegen kamen.
Dies sehend wagte niemand mehr zu lachen. Mühselig rappelten sich die Baumfäller wieder auf. Der Graf jedoch wurde nun erst richtig zornig und brüllte sie an:
»Was seid ihr für Memmen! Holt auch alle anderen Männer! Ich will diesen verdammten Baum zu meinen Füßen liegen sehen!« Als alle vierundzwanzig Männer sich um den Stamm verteilt hatten, gab der Graf höchstpersönlich das Kommando zum Schlag, und eh er sich versah, lagen alle Männer zu seinen Füßen. Auch sie waren mit samt ihren Äxten vom eisenharten Kiefernstamm abgeprallt.
Doch damit nicht genug. Ein Lachen, ein hämisches Lachen hallte über die stöhnenden und jammernden Kerle hinweg. Am Stamm stand der weißbärtige, alte Holzfäller und...
Erscheint lt. Verlag | 5.9.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
ISBN-10 | 3-7568-5423-X / 375685423X |
ISBN-13 | 978-3-7568-5423-3 / 9783756854233 |
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