Furcht (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3411-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Furcht -  Sven Petter Naess
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Die Frau im Fluss.

Ein Mann wird auf einem Parkplatz bei Oslo erschossen, ein halbes Jahr später zieht man eine schwer verletzte norwegische Studentin aus dem Water of Leith in Edinburgh. Ihr Onkel, Kriminalkommissar Harinder Singh, reist kurzerhand nach Schottland, um herauszufinden, wer seine Nichte entführt hat und was danach schiefgelaufen ist. Zeitgleich bittet er Kollegin Rachel Hauge, in Oslo nach den wahren Drahtziehern zu suchen. Dabei trifft sie auf ein Geheimnis, das nicht nur Harinders Familie zu erschüttern droht ... 

»Norwegen hat einen neuen Krimihelden.« Adresseavisen.

»Næss schreibt sich an die Spitze der norwegischen Krimilandschaft.« Jury des Riverton-Preises.



Sven Petter Næss, 1973 geboren, wuchs in Oslo auf. Er arbeitet mit Informations- und Kommunikationstechnologien im universitären Sektor. Seit 2019 schreibt er zudem erfolgreich Kriminalromane. Sein Roman »Furcht« erhielt 2020 die Auszeichnung für den besten Krimi Norwegens. Im Aufbau Taschenbuch ist bereits sein Kriminalroman »Glut« erschienen.

Kapitel 2


Dienstag, 22. Oktober

Harinder Singh erspähte die schottische Hauptstadt schon während des Anflugs. Oder zumindest die Punkte, die hoch genug lagen, um aus dem Nebel herauszuragen, der sich wie ein Schleier über Edinburgh gelegt hatte.

Wie die Überreste untergegangener Welten sah er die Dächer von Sandsteingebäuden hervorstehen. Im Westen erahnte er die Mauern des alten und berühmten Schlosses, das majestätisch auf dem Gipfel eines erloschenen Vulkans thronte.

Unter anderen Umständen hätte er sich darauf gefreut, die verborgen unter ihm liegenden Straßen und Gebäude zu erkunden. Seine beiden vorherigen Besuche in der Stadt waren kurz gewesen, und schon lange hatte er Lust verspürt, wieder dorthin zurückzufahren.

Aber das hier war keine Urlaubsreise. Er war nicht hier, um Sightseeing zu machen oder Museen zu besuchen. Stattdessen versuchte er, sich das Bevorstehende als Arbeit vorzustellen. Das vermittelte ihm ein Gefühl von Kontrolle über die Krise, die sich abspielte. Allerdings hatte sein Chef mehr als deutlich gemacht, dass er sich keinesfalls offiziell mit dem Fall befassen dürfe.

»Ich kann Sie nicht davon abhalten, zu fahren«, hatte Abteilungsleiter Musæus gesagt. »Und dennoch rate ich davon ab. Sie wissen ja sicher, was man über Ärzte sagt? Dass sie die schlimmsten Patienten sind? Nun, das Gleiche gilt für Polizeibeamte, die gleichzeitig Angehörige sind. Lassen Sie die Edinburgh-Polizei in Ruhe ihre Arbeit machen, Sie werden ja ohnehin immer auf dem Laufenden gehalten.«

Harinder hatte nur mit halbem Ohr zugehört. Vermutlich war es ein gut gemeinter Rat gewesen, aber nicht hinzufliegen, war zu keinem Zeitpunkt infrage gekommen.

Musæus, oder die Maus, wie er hinter seinem Rücken genannt wurde, hatte geseufzt.

»Wie ich sehe, könnte ich genauso gut mit der Wand reden«, sagte er. »In Ordnung, aber vergessen Sie nicht, dass Sie dort drüben keinerlei Befugnisse haben. Falls die Polizei Informationen an Sie weitergibt, dann geschieht das zu deren Bedingungen. Treten Sie den Leuten nicht auf die Zehen und unternehmen Sie nichts eigenmächtig. Auch wenn Sie als Privatperson hinüberfahren, sind Sie dennoch einer von uns. Falls Sie sich blamieren, wirft das auch auf uns ein schlechtes Licht.«

Die Maus hatte nicht eher lockergelassen, bis Harinder bestätigte, dass er seine Worte vernommen hatte.

Das Hotel lag zentral in der Princes Street, der Hauptstraße von Edinburgh. Es handelte sich um ein sogenanntes altehrwürdiges Hotel, was bedeutete, dass es an schäbig grenzte, mit Teppichboden in sämtlichen Räumen. Der Bahnhof lag gleich gegenüber. Die weißen Straßenbahnen rollten fast lautlos durch die Straßen, ganz im Gegensatz zu den blauen Waggons in Oslo, die meist nach einander ablösenden Erdbeben klangen.

Harinder war müde und hungrig. Obwohl der Flug erst um elf losgehen sollte, war er seit fünf Uhr morgens wach gewesen. Und da er nicht länger schlafen konnte, war er kurzerhand aufgestanden und hatte Schränke und Schubladen durchsucht, in der Hoffnung, dass sich doch noch irgendwo ein Päckchen Zigaretten verbarg.

Leider hatte er ein altes gefunden, worin noch zwei Zigaretten steckten.

Der Krieg gegen das Nikotin erstreckte sich schon über mehrere Jahre, und von Zeit zu Zeit verlor er eine Schlacht. Dieses Mal lag es ganze zehn Monate zurück, dass er zuletzt einen tiefen Lungenzug getan hatte.

Harinder rief seine Schwester Jaspreet an, um sie über seine Ankunft zu informieren.

»Ich bin sehr froh, dass du da bist, aber es war wirklich nicht nötig, hierherzukommen«, sagte sie.

»Amandeep hätte es sich gewünscht«, entgegnete er.

Er hörte ein Seufzen am anderen Ende der Leitung. Als ob Jaspreet nicht die Kraft zum Streiten hätte.

»Na ja, vielleicht kannst du uns ja mit der Polizei helfen?«, fragte sie. »Die erzählen uns nichts. Bloß, dass sie mehrere Spuren verfolgen.«

»Das müssen sie sagen, wenn sie nichts Konkretes in der Hand haben«, sagte Harinder. »Wie geht es ihr denn?«

»Keine Veränderung«, sagte Jaspreet mit tränenerstickter Stimme. »Sie behalten sie im künstlichen Koma. Da gibt es eine Schwellung im Gehirn, die zurückgehen muss. Kritisch, aber stabil, nennen sie ihren Zustand. Ich habe das viele Male zuvor gehört, aber erst jetzt ist mir aufgefallen, wie absurd diese Formulierung klingt.«

»Ich komme zum Krankenhaus«, sagte Harinder.

»Okay.«

Er versuchte, nicht zu viel über den mangelnden Enthusiasmus in ihrer Stimme nachzudenken, sondern ordnete dies in erster Linie als Folge ihrer psychischen Belastung ein. Gleichzeitig konnte er nicht davon absehen, dass ihr geschwisterliches Verhältnis gewisse Komplikationen in sich barg.

Während Harinder in Norwegen geboren und aufgewachsen war, kam seine Halbschwester Jaspreet ursprünglich aus Indien. Ihr gemeinsamer Vater war bereits verheiratet und Jaspreet war schon ein kleines Mädchen gewesen, als die Familie in den frühen siebziger Jahren aus Jalandhar im indischen Punjab nach Norwegen umzog.

Dann verliebte der Vater sich in eine Bankangestellte aus Hedmark.

Die arrangierte und relativ lieblose Ehe musste den neuen und starken Gefühlen für die junge Norwegerin weichen. Das Verhältnis hatte Schockwellen durch ihre beiden Familien und den jeweiligen Freundeskreis geschickt. Zu jener Zeit war die Liebesbeziehung als unerhört, ja geradezu skandalös betrachtet worden. Für seine verschmähte Gattin und die Tochter handelte es sich um unverzeihlichen Verrat, und es gab keinen Zweifel, auf welcher Seite die indische Familie und der Freundeskreis standen. Sie brachten zum Ausdruck, was sie von der Geschichte hielten, indem sie sich von ihm abwandten.

Noch bis zu diesem Tag hatte der Vater nur wenig Kontakt mit alten Bekannten aus seiner ehemaligen Heimat. Kanvar Singh war ein sturer Mann, der eine Beleidigung niemals vergaß.

Lange hingegen hatte er versucht, das Verhältnis zu seiner Tochter zu reparieren, doch ohne großen Erfolg. Harinder konnte gut verstehen, dass es schwierig war, in dem Wissen aufzuwachsen, vom eigenen Vater verlassen worden zu sein. Noch dazu in einem kalten, fremden Land.

Erst, als sie beide erwachsen geworden waren, hatten sie einen gewissen Kontakt aufgebaut. Harinder hatte sie und ihre Familie in Lørenskog ab und an besucht, meist zusammen mit seiner Tochter Savi. Jaspreet und er sandten einander Geburtstagsgrüße und Ähnliches, doch besonders eng war ihr Verhältnis nie geworden.

Er bezweifelte, dass überhaupt ein Verhältnis existiert hätte, wenn seine Nichte nicht gewesen wäre. Sie hatte sich Kontakt sowohl mit dem Großvater als auch mit dem Onkel gewünscht, was die Erwachsenen zwang, sich mit den Umständen zu arrangieren.

Jaspreet und ihr Mann, Gurman, hatten nur ein Kind, nämlich ihre 27‑jährige Tochter Amandeep. Nach einem Spontanabort und einer Totgeburt hatten sie aufgehört, sich weitere Kinder zu wünschen.

Mit sechzehn hatte Amandeep ihren Onkel Harinder angerufen, weil sie eine Präsentation über den Polizeiberuf halten sollte. Er hatte ihr alle Fragen detailliert beantwortet, hatte sie im Polizeipräsidium herumgeführt und war mit ihr im Streifenwagen umhergefahren. Danach hatten sie zu Hause bei ihm und seiner damaligen Frau zu Abend gegessen, und er erinnerte sich noch, wie gerührt er gewesen war, zu sehen, dass Amandeep seine Tochter Savi so hemmungslos verwöhnte. Choti bahan, hatte sie sie genannt.

Kleine Schwester.

Savi war außer sich vor Verzweiflung über das Geschehen. Als Harinder und sie zuletzt gesprochen hatten, war sie in Tränen ausgebrochen, und ausnahmsweise einmal hatte sie ihn ermuntert, so schnell wie möglich aufzubrechen.

Amandeep hatte den Wunsch geäußert, selbst Polizistin zu werden, wenn sie erwachsen würde. Und weil es in ihrer Natur lag, alle Pläne und Ideen mit großem Ernst zu verfolgen, hatte Jaspreet ihren Bruder kontaktiert und ihn inständig gebeten, er möge sie in diesem Vorhaben nicht noch bestärken. Jaspreet hatte größere Ambitionen für ihre Tochter.

Polizistin wurde sie also nie. Amandeep hatte das Gymnasium mit lauter Einsen und Zweien hinter sich gebracht...

Erscheint lt. Verlag 15.7.2024
Reihe/Serie Team Oslo ermittelt
Team Oslo ermittelt
Übersetzer Andreas Brunstermann
Sprache deutsch
Original-Titel Skjebnesteinen
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Augenzeugin • Brandanschlag • Doppelmörder • Drahtzieher • Drogenhandel • Edinburgh • Entführung • Harinder Singh • Jo Nesbø • Jørn Lier Horst • Kidnapping • Kriminalroman • Mordfall • Noir • Norwegen Krimi • norwegische Provinz • Organisierte Kriminalität • Oslo • Polizeiarbeit • Rachel Hauge • Riverton-Preis • Schottland • Skandinavien Krimi • Stieg Larsson • Tove Alstedal • Water of Leith
ISBN-10 3-8412-3411-9 / 3841234119
ISBN-13 978-3-8412-3411-7 / 9783841234117
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