Sturmjahre (eBook)
544 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491633-0 (ISBN)
Lia Scott (*1984) lebt mit ihrer Familie und viel zu vielen Hühnern in der Nähe von Freiburg. Mit der Sturmjahre-Reihe vereint sie ihre Liebe zu Schottland mit bewegenden Schicksalen der Zeit - während und nach dem Ersten Weltkrieg. Im Zentrum der Reihe steht die Dennon-Familie, deren Geschwister unterschiedlicher nicht sein könnten, aber dennoch gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen. Lia Scott ist das Pseudonym der Autorin Lilian Kaliner.
Lia Scott (*1984) lebt mit ihrer Familie und viel zu vielen Hühnern in der Nähe von Freiburg. Mit der Sturmjahre-Reihe vereint sie ihre Liebe zu Schottland mit bewegenden Schicksalen der Zeit – während und nach dem Ersten Weltkrieg. Im Zentrum der Reihe steht die Dennon-Familie, deren Geschwister unterschiedlicher nicht sein könnten, aber dennoch gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen. Lia Scott ist das Pseudonym der Autorin Lilian Kaliner.
Kapitel 1
In Socken trat Blaire die schmale Holztreppe hinauf. Die Stufe unter ihrem linken Fuß ließ ein Quietschen hören, und sie verharrte einen kurzen Moment lang, ehe sie vorsichtig weiterging, bis sie im ersten Stock anlangte. Die Dielen im schmalen Flur knarzten verräterisch bei jedem Schritt, doch fast hatte sie es geschafft. Sie drückte die Klinke herunter und schlüpfte ins dunkle Zimmer hinein. Die Luft war abgestanden, und ein gleichmäßiges Schnarchen erfüllte den Raum. Immer an der Wand entlang tastete sie sich zum schmalen Bett vor. Als ihre Hände auf zwei nackte Schultern stießen, begann sie daran zu rütteln. »Wach auf«, zischte sie.
Sie erhielt ein Murren als Antwort, und die Schattengestalt auf der Matratze drehte sich zur Seite.
Mit einer geschickten Bewegung zog sie die Decke beiseite.
Dieses Mal war das Murren lauter.
»Jetzt mach schon.« Mit ausgestrecktem Zeigefinger pikte sie auf den nur schemenhaft zu erahnenden Oberkörper ein.
»Ich schwöre dir, irgendwann werde ich dich …« Tommys Stimme war noch heiser vom Schlaf. Er gähnte hemmungslos.
»Das darfst du gerne, nur nicht jetzt. Wir müssen uns beeilen.«
»Schon gut.« Sie sah, wie er sich aufsetzte. »Meine Hose und mein Hemd müssten da irgendwo herumliegen, guck mal, ob du sie findest.«
»Du bist so unordentlich.« Blaire bückte sich und suchte tastend den Boden ab. »Da!« Sie hielt die Kleidung in seine Richtung. »Und jetzt mach hin. Die Sonne geht bald auf!«
Tommys Atem im Nacken, balancierte sie die Treppe auf Zehenspitzen hinunter, eilte zur Hintertür und drehte den Schlüssel um.
»Blaire? Tommy?«, vernahm sie eine Stimme aus dem zweiten Schlafzimmer im oberen Stockwerk.
»Scht!«, zischte sie Tommy zu, damit der nicht noch auf die Idee kam zu antworten.
Klackend öffnete sich das Schloss. Leise lachend drängten sie hinaus, und Blaire schob die Tür zu. Augenblicklich umfing sie die feuchtkühle, nach Salz und Tau riechende Luft. Am Firmament kündigte ein schmaler heller Streifen den beginnenden Tag an. Nur gut hundert Schritte weiter brachen sich die Wellen an der Steilklippe, die am Ende der Wiese fast senkrecht abfiel. Kurz sah sie hinaus auf das in der Dämmerung schäumende Meer. Von diesem Anblick würde sie nie genug bekommen.
Tommy zupfte an ihrer Bluse. »Was stehst du dir denn die Beine in den Bauch? Los, lass uns zur Kutsche gehen.«
Unwillig löste Blaire die Augen von der Aussicht. »Nein, wir gehen zu Fuß. Es dauert zu lange, bis wir das Pferd angespannt haben. Sie wird uns erwischen.«
»Und jetzt auch noch Frühsport.« Tommy seufzte theatralisch.
Blaire knuffte ihn in die Seite und lief los. »Jetzt stell dich nicht so an. Ohne mich würdest du nachher in der Kirche sitzen und dich zu Tode langweilen.«
»Stattdessen wirst du mich selbst am Sonntag zur Arbeit antreiben. Ich weiß ehrlich nicht, was schlimmer ist.«
Blaire grinste. »Mit mir zu arbeiten ist doch das reinste Vergnügen, Brüderchen. Und ich verspreche dir, es wird heute nicht zu schlimm. Wir haben praktisch kaum was zu tun.«
Er sah sie zweifelnd an. »Da bin ich ja mal gespannt.« Dann blickte er über die Schulter. »Ma wird nicht begeistert sein, dass wir schon wieder abgehauen sind. Kaum zu glauben, dass eine erwachsene Frau wie du sich jeden Sonntag aus dem Haus stiehlt, um nicht in die Kirche zu müssen.«
»Womöglich sollte ich ja endlich ausziehen«, überlegte Blaire laut. Dann bestünde immerhin nicht mehr die Gefahr, dass sie ihrer Ma in die Hände fiele und zum Besuch des Gottesdienstes genötigt würde. Und es gab wahrlich nichts Schlimmeres für Blaire, als auf einer harten Kirchenbank zu sitzen und der schrecklich ausschweifenden Predigt von Pastor Gilroy zu lauschen, der sicherlich sogar am Sonntagmorgen schon wieder mindestens einen Whisky zu viel intus hatte.
»Aber du bist nicht verheiratet«, hielt Tommy dagegen.
»Und deshalb darf ich nicht alleine leben?«
»Keine Ahnung.« Er zuckte mit den Schultern. »Außer Miss Porter kenne ich jedenfalls keine ledige Frau, die das tut. Höchstens Witwen, aber das ist ja was anderes.«
Blaire dachte nach. Es stimmte tatsächlich, was Tommy da sagte. Die Lehrerin war die einzige Frau im beschaulichen Foxgirth, die weder bei ihrer Familie noch mit einem Ehemann zusammenlebte. »Ich werde ausziehen«, verkündete sie und nickte heftig.
»Na wunderbar.« Tommy seufzte schon wieder. »Dir ist schon klar, dass die Leute dann noch mehr über unsere Familie tratschen werden, als sie es eh schon tun?«
»Oh ja.« Blaire grinste ihn an. »Ohne uns würde ihnen doch langweilig werden.« Damit hakte sie sich bei ihrem jüngsten Bruder unter.
Der Gedanke auszuziehen gefiel ihr in der Tat. Immerhin hatten das Keillan und Archie, ihre beiden älteren Brüder, längst getan. Und ihre Schwester Bonnie lebte mit ihrem Mann Connor im neu gebauten Cottage nebenan, und Ian … Blaire atmete tief durch. Ian war, seit er nach Kriegsende aus den Diensten der Royal Scots entlassen worden war, noch nicht heimgekehrt. Seit Jahren warteten sie nun schon auf die Rückkehr des letzten Bruders, der im Krieg gekämpft hatte, doch statt seiner flatterten nur hin und wieder einige wenige Zeilen per Post ins Haus, in denen Ian nicht müde wurde zu beteuern, dass es ihm gut ginge und er bald heimkäme. Allmählich verlor Blaire den Glauben daran, und das Schlimmste war, dass es ihrer Ma ebenso erging. Niemand wusste, wo genau Ian sich befand. Oder was er tat. Mairead betete jeden Abend für ihren verschollenen Sohn, auch wenn sie nicht sonderlich gläubig war und nur in die Kirche ging, weil es sich eben so gehörte. »Womöglich bringt es ja doch was«, hatte sie einmal gemurmelt, und ihre Lippen hatten sich tonlos während des Gebets bewegt, so wie einst Tag für Tag, als Ian, Archie und Keillan noch als Soldaten auf dem Festland gewesen waren.
Und so warteten sie weiterhin. Blaire jedoch war nicht danach zu beten, sie wollte Ian mittlerweile vielmehr einen kräftigen Tritt in den Hintern verpassen, weil er ihnen allen solche Sorgen bereitete. Vielleicht würde er ihr ja bald die Möglichkeit geben, das zu tun, indem er endlich heimkehrte.
Inzwischen bewegte sich die Sonne über den Horizont, und die Landschaft um sie herum nahm immer mehr Farbe an. Lieblich stieg der Duft der Wildblumen aus der Feuchtigkeit der Nacht auf. Wiesen, Weiden und Felder säumten den schmalen Weg. Unweit von ihnen flog der gelblichbraune Leib eines Wachtelkönigs auf, um nur ein paar Fuß entfernt wieder im knapp kniehohen Gras zu verschwinden. Der frühe Morgen war Blaire ebenso lieb wie die späten Abendstunden, die sie oft in Archies Pub beim Kartenspiel mit den Männern aus dem Ort verbrachte.
»Ich habe gestern übrigens gewonnen«, erzählte sie, kramte in der Hosentasche und hielt Tommy zum Beweis eine Handvoll Kleingeld und einige zerknickte Scheine unter die Nase.
»Gut gemacht.« Ihr Bruder schnappte sich einen Schein und verkündete: »Sonntagszulage!«
Blaire versetzte ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen, und Tommy lachte, während er das Geld in seiner Hosentasche verschwinden ließ.
Weit hinten auf dem übernächsten Hügel tauchte ihr Ziel auf, und Blaire verspürte noch immer Stolz, wenn sie daran dachte, was sie hier in den vergangenen Jahren aufgebaut hatten. Darüber hatten die Leute auch geredet, und wie! Vermutlich waren die Entscheidungen, über die sich andere das Maul zerrissen, die besten, die man im Leben traf.
»Geschafft!« Blaire fuhr sich mit dem Blusenärmel über die Stirn und lehnte sich ans Holzfass. Ihre Brust hob und senkte sich heftig.
»Wir haben praktisch kaum was zu tun, was?«, äffte Tommy sie nach. »Warum zum Teufel rollen wir eigentlich über zwei Dutzend Fässer in den Lagerraum, wenn wir doch Angestellte dafür haben?«, brachte er atemlos hervor, während er sich an der Wand abstützte. Sein Gesicht war beinahe so rot wie seine Haare, und in seinem Nacken glänzten Schweißperlen.
»Weil Sonntag ist und die heute frei haben.« Sie zuckte mit den Schultern. »Hocken vermutlich alle in der Kirche.«
»Die sind zu beneiden«, murrte Tommy, während er einen weiteren Hemdknopf öffnete. Es war ungewöhnlich windstill, und die Julihitze stand unbeweglich in der großen Holzhalle der Dennon-Destillerie. Auch das weit aufstehende Tor und die geöffneten hohen Fenster halfen kaum etwas, und dabei waren nicht einmal die Brennöfen angefeuert. Der süßlich vergorene Geruch der Maische hing in der Luft und machte diese noch schwerer. Womöglich war dies der Beginn einer Hitzewelle, denn solche Temperaturen gab es sonst auch im Hochsommer nur selten.
»Weil sie Gilroy beim Lamentieren zuhören müssen?«, fragte sie.
Tommy verdrehte theatralisch die Augen. »Weil sie freihaben, natürlich. Das haben andere Leute nämlich hin und wieder. Jedenfalls die, die nicht unentwegt von ihrer Schwester zwischen Brennkesseln und Lager hin und her gescheucht werden und direkt nach dem Aufstehen und ohne Frühstück die Maische wenden müssen.« Er ließ von der Wand ab und schob die Hände in die Hosentaschen. »Weißt du, ich habe ja noch so etwas wie ein Privatleben, auch wenn du das nicht nachvollziehen kannst.«
Blaire betrachtete den Burschen vor sich. Wie alt war Tommy jetzt? Einundzwanzig, wenn sie sich nicht verrechnet hatte....
Erscheint lt. Verlag | 28.8.2024 |
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Reihe/Serie | Sturmjahre | Sturmjahre |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Destillerie • Diana Gabaldon • England • Familie Dennon • forced proximity • Foxgirth • Geschenk für Frauen • Gin • Große Gefühle • Herrschaftlicher Landsitz • Herzliche Familie • Historischer Liebesroman • Historische Romane • Lia Scott • Liebe • Lilian Kaliner • Lili Eden • Outlander • Schottland • slowburn romance • Whisky-Prinzessin • Zwanziger Jahre |
ISBN-10 | 3-10-491633-0 / 3104916330 |
ISBN-13 | 978-3-10-491633-0 / 9783104916330 |
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