Gemälde eines Mordes (eBook)

Frau Wolf und Cheng ermitteln | Kultermittler Cheng im siebten Fall
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60507-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gemälde eines Mordes -  Heinrich Steinfest
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Der Fälscher, der ein Killer ist Oliver Roschek ist angesehener Wombatforscher und wurde zuletzt in Australien gesehen. Seine Frau Astrid bittet Frau Wolf und Cheng, ihren Mann wieder aufzuspüren. Die beiden Detektive nehmen den lukrativen Auftrag an, obwohl Flugzeuge nicht zu ihren bevorzugten Transportmitteln zählen. Doch in Roscheks  Ferienhaus angekommen, fehlt jede Spur von ihm - stattdessen treffen sie auf vier sonderbare Urlauber. Könnte einer von ihnen der Fälscher sein, jener weltweit gesuchte Auftragsmörder? Hat er gar den Wombatforscher auf dem Gewissen? Nicht ausgeschlossen, denkt Cheng, aber dann machen die vier ernst. »Ein ganz und gar fantastisches Buch, selten steckte in einem Krimi so viel Weisheit über das Leben.« Brigitte über »Die Möbel des Teufels«

Heinrich Steinfest wurde 1961 geboren. Albury, Wien, Stuttgart - das sind die Lebensstationen des erklärten Nesthockers und preisgekrönten Autors, welcher den einarmigen Detektiv Cheng erfand. Er wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, erhielt 2009 den Stuttgarter Krimipreis und den Heimito-von-Doderer-Literaturpreis. Bereits zweimal wurde Heinrich Steinfest für den Deutschen Buchpreis nominiert: 2006 mit »Ein dickes Fell«; 2014 stand er mit »Der Allesforscher« auf der Shortlist. 2016 erhielt er den Bayerischen Buchpreis für »Das Leben und Sterben der Flugzeuge«, 2018 wurde »Die Büglerin« für den Österreichischen Buchpreis nominiert und 2024 wurde er für »Gemälde eines Mordes« mit dem Leo-Perutz-Preis ausgezeichnet.

Heinrich Steinfest wurde 1961 geboren. Albury, Wien, Stuttgart – das sind die Lebensstationen des erklärten Nesthockers und preisgekrönten Autors, welcher den einarmigen Detektiv Cheng erfand. Er wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, erhielt 2009 den Stuttgarter Krimipreis und den Heimito-von-Doderer-Literaturpreis. Bereits zweimal wurde Heinrich Steinfest für den Deutschen Buchpreis nominiert: 2006 mit »Ein dickes Fell«; 2014 stand er mit »Der Allesforscher« auf der Shortlist. 2016 erhielt er den Bayerischen Buchpreis für »Das Leben und Sterben der Flugzeuge«, 2018 wurde »Die Büglerin« für den Österreichischen Buchpreis nominiert.

1


Es war merkwürdig, dass Cheng jetzt, da er fast sechzig war, immer öfter für einen Japaner gehalten wurde und nicht für einen Chinesen, der er abstammungsgemäß schließlich war und worauf man ihn so viele Jahre und Jahrzehnte immer wieder angesprochen hatte. Was ihm stets unangenehm gewesen war, ihm, dem in Wien geborenen und aufgewachsenen und immer nur Wiener gewesenen Markus Cheng. Irrtümlich als Chinese bezeichnet zu werden, während es ja bloß seine sogenannten Wurzeln waren, die aus China stammten. Er pflegte zu sagen, ein Baum bestehe doch in erster Linie aus seinem kräftigen Stamm und seinen Zweigen und den Blättern und der schönen Fähigkeit, tagsüber Kohlenstoffdioxid zu verbrauchen und Sauerstoff herzustellen. Auf den Einwand, dass auch eine Wurzel nicht ganz unwichtig sei, wenn man die Zufuhr von Wasser und Nährstoffen bedenke, konterte Cheng mit dem Hinweis, dass vielleicht seine Wurzel chinesisch sei, diese aber von Anbeginn an in der Wiener Erde gesteckt habe. Und auf die Erde komme es schließlich an.

Und doch war es zuletzt mehrfach geschehen, dass ihn Leute, die ihn eben erst kennengelernt hatten – etwa Kunden der Detektei Wolf, in der er als Sekretär und Assistent arbeitete –, nicht nach seinen chinesischen, sondern seinen japanischen Wurzeln gefragt hatten. Natürlich keine Japaner oder Chinesen, so wenig, wie ein Tiroler oder Steirer den Fehler gemacht hätte, einen anderen Tiroler oder Steirer fälschlicherweise für einen Steirer oder Tiroler zu halten.

Vielleicht rührte es von einer gewissen Ähnlichkeit Chengs mit dem japanischen Schauspieler Hiroyuki Sanada her, der in Filmen wie 47 Ronin und Mortal Kombat mitgespielt hatte. Filme, die Cheng als Filmfreund und als jemand, der sich mit Filmen gerne in den Schlaf wiegte, natürlich kannte – oder des Schlafes wegen halb kannte. Von irgendwelchen Ähnlichkeiten war er hingegen so gar kein Fan, egal ob chinesisch oder japanisch. Wenn überhaupt, so sagte er, besitze er eine gewisse Verwandtschaft mit einer der Figuren auf Caravaggios Gemälden im Kunsthistorischen Museum, sagte aber nicht, welche. Möglicherweise meinte er auch nur die Hell-Dunkel-Wirkung von Caravaggios Gestalten. Denn diese Wirkung besaß Cheng tatsächlich. Gleich, wie die Lichtverhältnisse waren, schien er stets halb im Schatten und halb im Licht zu stehen. Selbst das für sein Alter ungemein volle Haar, das er zuletzt wieder etwas länger hatte wachsen lassen, verfügte über diese Wirkung, indem sich Schichten von immer noch sehr schwarzem Haar mit Stellen weiß gewordenen Haars abwechselten. Doch im Gegensatz zum Caravaggio-artig farbigen Helldunkel seines Gesichts machte das Haar den Eindruck, es spiegele sich darauf die stark komprimierte Version eines Films von Fellini. Also nicht etwa Fellinis Stadt der Frauen, weil der ja bereits in Farbe gedreht worden war, sondern natürlich La dolce vita. Ohne dass dies aber dem Eingriff eines Friseurs zu verdanken gewesen wäre. Denn sosehr dieser Wechsel von Schwarz und Weiß künstlerisch anmutete, handelte es sich um Chengs eigene Natur. Botanisch gesprochen um seine Krone.

Cheng, der so lange als der einarmige Detektiv gegolten hatte, war nun nicht mehr der einarmige Detektiv, sondern der einarmige Sekretär. Und zwar der Sekretär jener Frau Wolf, die einst seine Sekretärin gewesen war, nun jedoch die Detektei leitete und also seine Chefin geworden war. Und beide – er fast sechzig, sie bereits etwas über sechzig (was man ihm nicht ansah, ihr schon, aber das war gut so) – fühlten sich durchaus wohl in ihren neuen Rollen.

Gar nicht wohl hingegen fühlte sich Cheng in diesem Taxi, in dem er saß und das ihn an den südwestlichen Rand von Wien brachte, zu einer Adresse, die nicht unweit der Wotrubakirche lag. Ein Mitte der 1970er-Jahre nach den Entwürfen des Bildhauers Fritz Wotruba errichtetes Gotteshaus, zusammengesetzt aus 152 Betonwürfeln, keine große Kirche, aber ungemein wuchtig und bei aller Wucht höchst elegant. Eine Kirche, die jüngere Menschen an einen Transformer erinnern mochte, aber halt keinen bunt lackierten, sondern einen gräulichen und bräunlichen und auf eine kräftige Weise schwermütigen. Wie man sich vielleicht dachte, so sehe Gott aus, wenn er traurig war. Und irgendwie war die Vorstellung eines zur Traurigkeit fähigen Gottes recht tröstlich. Was wiederum den eigentlichen Sinn eines solchen Bauwerks darstellte.

Diese Kirche hatte in einem der früheren Fälle Chengs irgendeine Rolle gespielt. Irgendeine. Genau konnte Cheng es nicht mehr sagen. Er vergaß jetzt unheimlich viel. Je länger etwas zurücklag, umso mehr verschwamm es, tauchte in einen Nebel. Cheng sagte dazu: »Meine Vergangenheit ist eher ziemlich abstrakt.« Während er das jüngst Geschehene bestens behalten konnte. Also umgekehrt zur gerne kolportierten Anschauung, demente Leute würden zumeist vergessen, was gerade erst geschehen war, und sich dafür an das lang Zurückliegende erinnern. Aber dement war er ja nicht, sondern hellwach, konzentriert, gewitzt, nur dass er sich einfach an vieles nicht erinnern konnte, was früher geschehen war. Kein Mann ohne Eigenschaften, aber mit eingeschränkter Vergangenheit. Was wohl auch mit dem »Ding in seinem Kopf« zu tun hatte. Doch davon später.

Wenn gerade gesagt wurde, Cheng fühle sich unwohl in diesem Taxi, dann, weil das Innere vollkommen überheizt war und Cheng auf sein Ersuchen hin, der Fahrer möge die Heizung herunterdrehen, von diesem darüber belehrt wurde, wie es sein würde, einen ganz Tag lang in einem kalten Wagen zu sitzen. Dabei war Cheng ohnehin nur mit einem Anzug und dünnen Lederschuhen bekleidet – er hielt Mäntel für ein Zugeständnis an die Hässlichkeit einer vom Wetter stark verunsicherten Menschheit. Lieber fror er, als sich mittels Mantel zu verunstalten. Doch auch ohne Mantel schwitzte er in diesem Wagen. Worauf er deutlich hinwies, aber der Fahrer argumentierte dagegen. Er erzählte, aus Sri Lanka zu stammen, wo es selbst im Dezember noch an die dreißig Grad habe. Und nicht drei Grad wie hier in diesem scheußlichen Wiener Dezember.

Cheng hätte gerne gefragt, wieso der Mann dann nicht in Sri Lanka geblieben sei, wenn es dort so schön warm war, dazu achtzig Prozent Luftfeuchtigkeit, aber klar, das war nicht die Frage, die man jemandem stellte, der wohl kaum ohne schmerzlichen Grund sein Land verlassen hatte. Schon gar nicht, wenn er Taxifahrer geworden war. Denn nach Chengs übertriebener Auffassung besaß der Beruf des Taxifahrers ähnlich dem Beruf des Kaffeehauskellners einen teuflischen Ursprung.

Das war gewiss ein Vorurteil. Aber Cheng war von der Macht der Vorurteile überzeugt, die jeder Mensch mit sich herumtrug. Wozu in seinem Fall eben auch das Vorurteil gegen alles Chinesische gehörte, das wie die meisten Vorurteile von einer Art irrationaler Abwehr bestimmt war. Jedes Vorurteil war reiner, dummer Unsinn und doch geprägt von einem inneren Schrecken. Und dieser Schrecken fundamental.

Dabei gab es auf dieser Welt wahrlich monströsere Gestalten als Taxifahrer zu beklagen. Doch diese anderen erschienen Cheng nun mal gänzlich erdgebunden, Taxifahrer hingegen aus tieferen, unterirdischen Zonen zu stammen. Um jetzt nicht das Wort Dämonen zu gebrauchen.

Faktum war, dass dieser eine hier während der etwas mehr als halbstündigen Fahrt nicht willens war, die Heizung zu senken – auch wenn er auf dem Display seines Mercedes herumfingerte, so dürfte er die Temperatur eher noch höher gestellt haben –, erzählte dafür aber ausgiebig von den Schönheiten der sri-lankischen De-facto-Hauptstadt Colombo. Was Cheng überhaupt nicht interessierte. Er wollte ganz sicher keinen Ort besuchen, an dem ein tropisches Regenklima herrschte. Hitze und Regen waren für ihn wie Elend und kein Erbarmen, die Hitze elendiglich, der Regen erbarmungslos und in dieser Kombination eher einer Strafe zuzuordnen.

Cheng hasste es zu schwitzen. Der oft behauptete gesundheitliche Nutzen des Schwitzens war ihm gleichgültig. Im Grunde war er ein Mann, der lieber aus Stein als aus Fleisch bestanden hätte. Steine erschienen ihm so viel würdiger und edler als jeder Mensch. Und das sagte er auch gerne, ohne damit einen Witz machen zu wollen: »Im nächsten Leben werde ich ein Stein.«

Wobei das Tragische war, dass dieses nächste Leben gar nicht mehr so weit entfernt lag.

 

...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2023
Reihe/Serie Markus-Cheng-Reihe
Markus-Cheng-Reihe
Markus-Cheng-Reihe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Australien • Band 7 • Berufskiller • Bestseller • Bücher • Cheng • Deutscher Krimi • deutscher Roman • Elbphilharmonie • Fälschung • Ferienhaus • Krimi • Kriminalroman • Kultautor • Kultermittler • Leo Perutz • Markus Cheng • Mörder • Österreich • Preisgekrönt • Tischtennis • Wien • Wolf Haas • Wombat
ISBN-10 3-492-60507-9 / 3492605079
ISBN-13 978-3-492-60507-6 / 9783492605076
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