Die Parabel der Talente (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024
560 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-29256-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Parabel der Talente - Octavia E. Butler
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Der große Klassiker der amerikanischen Literatur erstmals auf Deutsch!
Wir schreiben das Jahr 2032. Lauren Olamina hat eine kleine Gemeinschaft in Nordkalifornien gegründet, in der sie nach den Regeln ihrer neuen Religion in Frieden lebt. Sie nehmen alle auf, die nach der Wahl des ultrakonservativen Präsidenten Jarret verfolgt werden. Jarret hat im Wahlkampf versprochen, Amerika wieder groß zu machen, doch in Wahrheit spaltet er mit seinen Reden und Taten das ohnehin zerrissene Land immer tiefer. Schnell wird Laurens Gemeinschaft - eine Minderheitenreligion, angeführt von einer Schwarzen Frau - zur Zielscheibe seines Hasses.

Jahre später studiert Laurens Tochter Ashs Vere die Tagebücher ihrer Mutter. Sie sucht in der Vergangenheit nach Antworten auf ihre Fragen - und will ihre Mutter verstehen lernen, die hin- und hergerissen war zwischen der Verantwortung für ihre Gemeinschaft und ihrer Bestimmung, die Menschheit als Ganzes in eine bessere Zukunft zu führen.

Octavia Estelle Butler (22. Juni 1947 - 24. Februar 2006) kam in Pasadena, Kalifornien zur Welt. Obwohl bei ihr als Kind Dyslexie festgestellt wurde, machte sie einen Abschluss am Pasadena City College und schrieb sich an der California State University in Los Angeles ein. Schon als Kind verfasste sie erste Kurzgeschichten, und 1969/70 besuchte sie zwei Autoren-Workshops, bei denen sie unter anderem mit Harlan Ellison in Kontakt kam, der ihr half, 1976 ihren ersten Roman bei einem Verlag unterzubringen. In ihrem mehrfach mit dem Hugo und dem Nebula Award ausgezeichneten Werk geht es immer wieder um Genderfragen und kulturelle Identität. Sie lebte und arbeitete bis zu ihrem Tod in Seattle, Washington.

1


Finsternis

Formt das Licht

Wie das Licht

Die Finsternis formt.

Der Tod

Formt das Leben

Und das Leben formt

Den Tod.

Auch das Universum

Und Gott

Teilen diese Zweiheit.

Sie bedingen einander.

Gott

Formt das Universum

Und das Universum

Formt Gott.

EARTHSEED:
DIE BÜCHER DER LEBENDEN

VON LAUREN OYA OLAMINA

Erinnerungen an andere Welten
von Taylor Franklin Bankole


Ich habe gelesen, die Zeit des Aufruhrs, die von Journalisten nur »die Apokalypse« oder, noch zynischer, »die Syphilis« genannt wird, habe von 2015 bis 2030 gedauert – anderthalb Jahrzehnte Chaos. Aber das stimmt nicht. Die Syphilis war eine weit längere, qualvolle Episode. Das alles hat lange vor 2015 begonnen, vielleicht sogar vor der Jahrtausendwende. Und vorbei ist es auch noch nicht.

Ich habe auch gelesen, dass die Syphilis durch zufällig zeitgleich ablaufende klimatische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen ausgelöst worden sein soll. Es wäre ehrlicher zu sagen, sie wurde von unserer Weigerung ausgelöst, uns mit den offensichtlichen Problemen in diesen Bereichen auseinanderzusetzen. Problemen, die wir selbst angestoßen hatten: Und dann haben wir uns zurückgelehnt und zugesehen, wie sie sich zu Krisen entwickelten. Manche Menschen leugnen, dass es so war, aber ich bin Jahrgang 1970. Ich habe genug gesehen, um die Wahrheit zu kennen. Ich habe miterlebt, wie die Bildung zu einem Privileg der Reichen verkommen ist, statt als Grundpfeiler einer zivilisierten, fortdauernden Gesellschaft zu dienen. Ich habe mit angesehen, wie Bequemlichkeit, Profitgier und Untätigkeit zu vorgeschobenen Rechtfertigungen für immer umfassendere und riskantere Angriffe auf die Umwelt wurden. Ich musste zusehen, wie Armut, Hunger und Krankheit für immer mehr Menschen unvermeidbar wurden.

Insgesamt wirkte die Syphilis wie ein Dritter Weltkrieg auf Raten. Rund um die Erde waren damals schon kleinere, blutige Kriege im Gange. Unsinnige Angelegenheiten – eine Verschwendung von Ressourcen und Menschenleben. Man gab vor, die Waffen aus reinem Selbstschutz auf bösartige, ausländische Kräfte zu richten. Allzu oft wurde gekämpft, weil unfähige Staatschefs sich nicht anders zu helfen wussten. Staatschefs, die gelernt hatten, patriotische Unterstützung für ihre Kriege durch Angst, Misstrauen, Hass, Not und Gier zu schüren.

Mittendrin verloren die Vereinigten Staaten aus irgendeinem Grund eine gewichtige, nicht-militärische Auseinandersetzung. Sie verloren keinen bedeutsamen Krieg, und doch überlebten sie die Syphilis nicht. Vielleicht verloren sie aus den Augen, was sie einst hatten sein wollen, und stolperten dann blind voran, bis ihnen die Puste ausging.

Was jetzt von diesem Land übrig ist, was aus ihm geworden ist, erkenne ich nicht wieder.

Taylor Franklin Bankole war mein Vater. Seinem Schreibstil nach zu urteilen, war er ein aufmerksamer, etwas förmlicher Mann, der mit meiner merkwürdigen, dickköpfigen Mutter zusammenkam, obwohl sie beinahe jung genug war, um seine Enkelin zu sein.

Offenbar hat meine Mutter ihn geliebt und war glücklich mit ihm. Er und meine Mutter lernten sich während der Syphilis kennen. Beide waren obdachlose Vagabunden. Er war allerdings siebenundfünfzig und Arzt, seine Familie hatte eine Praxis – sie dagegen war ein achtzehnjähriges Mädchen. Beide hatten durch die Syphilis Schreckliches erlebt. Beide hatten ihre Nachbarschaft verloren – er in San Diego und sie in Robledo, einem Vorort von Los Angeles. Das schien als Gemeinsamkeit auszureichen. Sie lernten sich 2027 kennen und lieben, heirateten schließlich. Zwischen den Zeilen der Schriften meines Vaters lese ich, dass er sich um dieses seltsame Mädchen kümmern wollte, das ihm über den Weg gelaufen war. Er wollte sie vor dem damaligen Chaos beschützen, vor den Gangs, den Drogen, vor Sklaverei und Krankheit. Und natürlich schmeichelte ihm, dass sie ihn wollte. Er war auch nur ein Mann, und sicher hatte er genug vom Alleinsein. Als er und meine Mutter einander trafen, war seine erste Frau seit zwei Jahren tot.

Natürlich konnte er meine Mutter nicht beschützen. Das hätte niemand gekonnt. Sie hatte ihren Weg gewählt, lange bevor sie sich begegneten. Er machte den Fehler, in ihr eine junge Frau zu sehen. In Wahrheit war sie ein Sprengkopf, geladen und auf Position.

Aus den Tagebüchern von Lauren Oya Olamina
Sonntag, 26. September 2032


Heute feiern wir den Tag der Ankunft. An diesem Tag vor fünf Jahren haben wir hier, in den Bergen des Humboldt County, unsere Gemeinschaft namens Acorn gegründet.

Wie durch eine Art perverser Würdigung dieses Festtages hatte ich gerade einen meiner wiederkehrenden Albträume. In den letzten Jahren sind sie selten geworden – vertraute Feinde mit fiesen Angewohnheiten. Ich kenne sie. Ihre Anfänge sind so sanft und unkompliziert … Dieser hier fing als Trip in die Vergangenheit an, nach Hause, um Zeit mit geliebten Geistern zu verbringen.

Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, erhebt sich aus der Asche. Aus irgendeinem Grund bin ich nicht überrascht, obwohl ich es vor Jahren niederbrennen sah. Obwohl meine Füße die Ruine durchschritten haben, die übrig blieb. Hier steht es nun wie eh und je, und ist voller Menschen – sämtlicher Menschen, die ich als kleines Mädchen kannte. Sie sitzen in den unteren Zimmern in Reihen aus alten metallenen Klappstühlen, auf hölzernen Küchen- und Esszimmerstühlen und stapelbaren Plastikstühlen, eine stumme Gemeinde der Vertriebenen und der Toten.

Der Gottesdienst hat schon angefangen, und natürlich predigt mein Vater. In seiner Robe sieht er aus wie immer: groß, breitschultrig, ernst, aufrecht – eine hohe Schwarze Mauer von einem Mann, dessen Stimme man nicht nur hören, sondern auf der Haut und bis in die Knochen spüren kann. Es gibt in diesen Räumen keinen Winkel, den mein Vater mit seiner Stimme nicht erreichen könnte. Hier gab es noch nie eine Lautsprecheranlage – er hat sie nicht nötig gehabt. Nun höre und fühle ich wieder seine Stimme.

Wie viele Jahre liegt das Verschwinden meines Vaters zurück? Oder besser gesagt: Wie lange liegt sein Tod zurück? Sicher wurde er umgebracht. Er war nicht die Art Mann, die seine Familie im Stich lässt, seine Gemeinde, seine Kirche. Zu jener Zeit, als er verschwand, kam man leichter gewaltsam ums Leben als heute. Am Leben zu bleiben, war hingegen so gut wie unmöglich.

Eines Tages ist er von zu Hause aufgebrochen, um in sein Büro am College zu fahren. Seine Kurse gab er am Computer und musste nur einmal pro Woche zum Campus, doch selbst bei einem Mal pro Woche war er einer zu großen Gefahr ausgesetzt. Die Nacht verbrachte er wie gewöhnlich im Büro. Menschen mit Arbeit machten sich am besten früh am Morgen auf den Rückweg. Er machte sich auf den Weg nach Hause und ward nie mehr gesehen.

Wir haben nach ihm gesucht. Sogar die Polizei haben wir bezahlt, um nach ihm zu fahnden. Alles umsonst.

Das war mehrere Monate bevor unser Haus niedergebrannt, bevor unsere Nachbarschaft zerstört wurde. Ich war siebzehn. Jetzt bin ich dreiundzwanzig und mehrere Hundert Meilen von jenem toten Ort entfernt.

Nur in meinem Traum ist alles plötzlich wieder gut.

Ich bin zu Hause, und mein Vater predigt. Schräg hinter ihm sitzt meine Stiefmutter an ihrem Klavier. Vor ihm, in dem großen, nicht ganz offenen, L-förmigen Raum aus Wohn-, Ess- und Familienzimmer, sitzen unsere Nachbarn, die Gemeinde. Für diesen Sonntagsgottesdienst haben sich noch mehr als die üblichen dreißig bis vierzig Gläubigen in unseren Wohnbereich gequetscht. Für eine Baptistengemeinde sind sie viel zu leise – zumindest für die Baptistengemeinde, in der ich groß geworden bin. Sie sind hier, aber irgendwie auch nicht. Es sind Schattenmenschen. Geister.

Nur meine eigene Familie fühlt sich echt an. Wie die meisten anderen sind sie tot, und doch sind sie lebendig! Meine Brüder sind hier und sehen so aus wie damals, als ich etwa vierzehn war. Keith, der am ältesten und fiesesten ist und als Erster gestorben, ist elf. Das bedeutet, dass Marcus, mein Lieblingsbruder und der Hübscheste aus der ganzen Familie, zehn ist. Ben und Greg, die beinahe aussehen wie Zwillinge, sind acht und sieben. Wir sitzen in der Nähe meiner Stiefmutter in der ersten Reihe, damit sie uns im Auge behalten kann. Ich sitze zwischen Keith und Marcus, damit sie sich während des Gottesdienstes nicht an die Gurgel gehen.

Als meine Eltern gerade nicht hinsehen, verpasst Keith Marcus über meinen Schoß hinweg einen heftigen Schlag auf den Oberschenkel. Marcus, der jünger und kleiner ist, aber auch dickköpfig und hart im Nehmen, schlägt zurück. Ich schnappe mir je eine Faust meiner Brüder und drücke zu. Ich bin größer und stärker als beide und hatte schon immer kräftige Hände. Die Jungs winden sich und versuchen, ihre Fäuste zu befreien. Einen Moment später lasse ich los. Lektion gelernt. Ein, zwei Minuten werden sie einander in Ruhe lassen.

In meinem Traum spüre ich ihre Schmerzen nicht wie in unserer Kindheit. Damals war ich für ihr Benehmen verantwortlich, weil ich die Älteste war. Ich musste sie im Zaum halten, obwohl es für mich vor ihren ständigen Schmerzen kein Entrinnen gab. Was mein Hyperempathie-Syndrom betraf, kannten mein Vater und meine Stiefmutter kein Pardon. Sie weigerten sich, mich als behindert zu betrachten. Ich war die Älteste, Punkt. Ich musste die Verantwortung tragen.

Trotzdem fühlte ich jede verdammte Schürfwunde, jeden Schnitt und jede Verbrennung, die meine...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2024
Reihe/Serie Parabel
Parabel
Übersetzer Dietlind Falk
Sprache deutsch
Original-Titel Parable of the Talents
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte 2024 • Afroamerikaner • Afrofuturismus • die parabel vom sämann • diezukunft.de • Dystopie • dystopie fantasy • Earthseed • Earthseed Serie • eBooks • Gemeinschaft • Make America Great Again • Nahe Zukunft • Neuerscheinung • New York Times Bestseller Autorin • Rassismus • Religion • Schwarze Autor*innen • Schwarze Protagonist*innen • Unterdrückung • Widerstand
ISBN-10 3-641-29256-5 / 3641292565
ISBN-13 978-3-641-29256-0 / 9783641292560
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