Portugiesische Abrechnung (eBook)
350 Seiten
Piper Verlag
978-3-377-90011-1 (ISBN)
Maike Braun, geboren 1962 in Reutlingen, studierte Naturwissenschaften in Deutschland, den USA und Großbritannien. Heute lebt sie in Hamburg. Nach mehreren Jahre in der Hirnforschung arbeitet sie als selbstständige Beraterin, Mediatorin und Autorin. Sie verbringt jedes Jahr mehrere Wochen in Portugal, weshalb ihr das Thema Klimawandel und die 'Nationale Meeresstrategie' Portugals besonders am Herzen liegen.
Maike Braun, geboren 1962 in Reutlingen, studierte Naturwissenschaften in Deutschland, den USA und Großbritannien. Heute lebt sie in Hamburg. Nach mehreren Jahre in der Hirnforschung arbeitet sie als selbstständige Beraterin, Mediatorin und Autorin. Sie verbringt jedes Jahr mehrere Wochen in Portugal, weshalb ihr das Thema Klimawandel und die "Nationale Meeresstrategie" Portugals besonders am Herzen liegen.
Kapitel 1
Abschied
Selva stand am Fenster ihres Apartments und fragte sich, ob sich jetzt sogar das Wetter gegen sie verschworen hatte. Draußen hatte das Großreinemachen begonnen. Genau wie in ihrem eigenen Leben. Ein zorniger Wettergott kippte den Regen kübelweise über der Stadt aus, ließ Rinnsale zu Sturzbächen anschwellen, spülte achtlos Fallengelassenes fort, Pappbecher, Plastikflaschen, sogar eine Sandale konnte sie ausmachen. Er drehte den Wind auf und kärcherte dann die Straßen. Die wenigen Passanten, die sich hinaus ins Freie wagten, stemmten sich mit ihren Schirmen gegen seine Wut.
Sie war froh, wenn sie das alles endlich hinter sich lassen könnte: den Regen, die Stadt, die bambiäugigen Idealisten der Direktion Klimapolitik, die es nicht hören wollten, wenn sie ihnen zum x-ten Mal die fehlende Wirtschaftlichkeit ihrer Maßnahmen vorrechnete, das für eine Person viel zu teure Apartment, ihre gescheiterte Ehe.
Nur, wohin sollte sie gehen? Zurück nach Hamburg, wo das Wetter kaum besser und die Mieten noch höher waren? Sie war Mitte vierzig, das war mindestens zwanzig Jahre zu früh, um sich aufzugeben.
Sie warf ein paar Kissen vom Sofa, unter denen sie ihre Schlüssel vermutete. Nachdem sie sie gefunden hatte, schlüpfte sie in ihre Pumps, überlegte es sich anders und zog ihre Laufschuhe an. Sie knöpfte den Regenmantel zu, zurrte den Gürtel fest und griff nach dem Regenschirm. Aufmunternd nickte sie ihrem Spiegelbild zu. Bereit für den Sturm.
Zehn Minuten später, die nassen Haare klebten ihr im Gesicht, betrat sie das Café; viele Steckdosen, gutes WiFi, schlechter Kaffee. Sie entdeckte Özlem nicht sofort und befürchtete schon, sie habe sie versetzt.
»Du bist pünktlich«, sagte Özlem und nickte anerkennend, als Selva an ihren Tisch trat. Sie griff in den Serviettenspender und nahm eine Faust voll Papierservietten, um sich damit Hals und Stirn zu trocknen. »Ich bin eben lernfähig«, sagte sie, streifte den nassen Mantel ab und legte ihn neben sich ab.
Özlem schob ihr einen braunen DIN-A4-Umschlag zu. »Die Scheidungspapiere.«
Selva sackte auf den Stuhl. Acht Jahre waren sie zusammen gewesen. Zwei Wochen, nachdem die gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland eingeführt wurde, hatten sie geheiratet. Vor einem Jahr war sie Özlem nach Brüssel gefolgt, als die dort eine Stelle bei Europol angenommen hatte. Jetzt war ihr überraschend eine leitende Funktion beim LKA in ihrer Heimatstadt Düsseldorf angeboten worden. Da konnte sie nicht ablehnen, hatte Özlem erklärt.
Selva musterte ihre Noch-Ehefrau. Die Kombination aus rotbraunem Haar, einem Gesicht wie aus feinstem Meißner Porzellan und Augenbrauen, die sich wie Schwanenschwingen über ihren honigwarmen Augen erhoben, verlieh ihrem Aussehen etwas Zartes, geradezu Verletzliches. Doch das täuschte. Darunter verbarg sich eine hartnäckige Ermittlerin und ehemalige Landessiegerin in Mixed Martial Arts. Das spitzbübische Lächeln, in das sich Selva vor acht Jahren verliebt hatte, war längst einem Vorwurfs-V auf der Stirn gewichen.
Özlem betrachtete sie mit derselben kühlen Professionalität, mit der sie vermutlich auch Verdächtigte verhörte. Doch Selva war keine Verdächtige. Sie war das Feuerwerk in ihrem Leben, die rettende Hand, die Özlem immer wieder aus dem selbst gegrabenen Loch namens Arbeit zog. Zumindest hatte das Özlem bis vor wenigen Monaten noch gesagt. Was war geschehen? Wo hatten sie, wo hatte Selva die falsche Abzweigung genommen? Wann war aus dem Feuerwerk »Sprunghaftigkeit« geworden? Aus der rettenden Hand »ein ständiges Zerren und Ziehen«?
»Ich hätte dir die Papiere auch per Kurier schicken lassen können«, sagte Özlem jetzt.
Wortlos nahm Selva die Dokumente aus dem Umschlag und blätterte zur letzten Seite.
»Wann trittst du deine neue Stelle an?«, fragte sie und kramte in ihrer Handtasche nach etwas zu schreiben.
Özlem reichte ihr einen Kugelschreiber. »In einer Stunde geht mein Zug.«
»So schnell? Ich dachte, wir gehen noch ein letztes Mal zusammen essen und stoßen auf die guten Zeiten an?«
»Das hatten wir doch alles schon, Selva.«
Ein kurzes Nicken, Selva unterzeichnete die Papiere. »Brauchst du Hilfe beim Umzug?«, fragte sie und hoffte, es klang beiläufig.
Özlem zögerte, bevor sie antwortete. »Jonathan hilft mir dabei.«
Das hätte sich Selva denken können. Jonathan war ihr Sohn aus erster Ehe. Er ließ keine Gelegenheit aus, sie spüren zu lassen, dass er lieber ihre Ex-Frau als Mutter gehabt hätte als sie.
Özlem berührte ihre Hand. »Gib ihm etwas Zeit. Er ist erst zwanzig. Da ist es ganz normal, dass er rebelliert.«
Schon möglich, dachte Selva und zog ihre Hand zurück, doch von Problemen mit seinem Vater hörte sie nie etwas. Vermutlich hatte Özlem trotzdem recht. Aber es tat weh. Das alles hier tat weh, verdammt weh, sogar.
Kurz darauf stand Selva erneut im Regen und überlegte gerade, ob sie ihre neu gewonnene Freiheit, denn als das würde sie ihren Single-Status ab sofort betrachten, mit einem Besuch beim besten Chocolatier Brüssels feiern sollte, als ihr Chef anrief. Genau genommen, war er ihr Auftraggeber bei der Europäischen Kommission, für die er sie als externe Sachverständige angeheuert hatte. Sie hatte Karel von Anfang an gemocht, seinen Pragmatismus und die Art, wie er seine Leute behandelte, die Tatsache, dass er auch mal fünfe gerade sein lassen konnte, genauso wie seine Vorliebe für gutes Essen und seinen von einer kleinen Butze zum Elektroauto umgebauten Porsche Carrera.
»Bist du immer noch an einem Tapetenwechsel interessiert?«, fragte er jetzt. Ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Ich habe da vielleicht etwas für dich.«
Eine gute halbe Stunde später klopfte Selva mit durchweichten Schuhen an Karels offene Bürotür. Er nahm ihr den Mantel ab und deutete auf die Sitzecke. »Kaffee? Etwas Stärkeres?« Als sie den Kopf schüttelte, holte er eine Packung Pralinen aus der Schreibtischschublade. »Hm?«, fragte er, und sie nickte. Vorsichtig öffnete er den Pappkarton und schob ihr die dunklen Köstlichkeiten zu.
»Woher wusstest du, dass ich meinen neuen Status mit Schokolade feiern will?«, fragte sie und nahm nun doch einen Espresso.
»Like minds think alike«, sagte er. »Ich tröste mich auch gerne mit Süßkram, wie man sieht.« Selva zwang sich, nicht auf seinen Bauch zu schauen, über dem sich das Hemd bereits ordentlich spannte.
»Also, was hast du für mich?«, fragte sie nach der zweiten Praline.
»Ein ehemaliger Studienkollege aus Lissabon hat mich gestern angerufen. Der Mann leitet die Direção Municipal de Ambiente, Estrutura Verde, Clima e Energia der portugiesischen Hauptstadt, ist also so etwas wie der Leiter der Umweltbehörde Lissabons. Er ist gerade dabei, die Treibhausgasbilanz für die Stadt zu aktualisieren«, erklärte Karel. »Anscheinend stimmt da was mit den Zahlen nicht, und er könnte Unterstützung gebrauchen.«
»Die haben doch bestimmt eigene fähige Leute. Außerdem habe ich keine Ahnung von Energiebilanzen. Ich kenne mich nur mit Handelsbilanzen und solchen Dingen wie Cash Flow und Gewinnmargen aus.«
»Ich weiß«, sagte Karel und griff ebenfalls nach einem der mit karamellisierten Pekannüssen bestreuten Nugatwürfel, »aber er klang ziemlich aufgeregt. Er ist überzeugt, dass jemand die Arbeit seiner Leute torpediert.«
»Dein Freund ist Verschwörungstheoretiker?«
Karel schüttelte den Kopf. »Nein, er ist ein bodenständiger Kerl. Isst mindestens einmal pro Woche Bacalhau.« Auf Selvas fragenden Blick hin fügte er hinzu, dass es sich dabei um ein portugiesisches Nationalgericht handelte. »Außerdem geht er gerne segeln und trägt Dreireiher mit Einstecktuch.«
Selva war nicht überzeugt, dass diese Eigenschaften, vor allem die letzte, gegen Verschwörungsängste sprachen; Schwurbelglauben machte nicht vor dem schmiedeeisernen Gatter einer Villa halt.
»Und wie soll da jemand von extern helfen?«, fragte Selva, »noch dazu jemand, der weder Portugiesisch kann noch eine Ahnung hat, wie man eine Treibhausgasbilanz erstellt geschweige denn überprüft?«
»Letzteres ist gar kein Problem, dafür gibt es Online-Kurse, und ansonsten gehst du vor wie immer«,...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2023 |
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Reihe/Serie | Selva Klimt ermittelt | Selva Klimt ermittelt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Amtshilfe • analystin • Bohrtechnik • Erster Fall • EU-Beamte • Klima • Krimi • Küste • Leiche • Lissabon • Meer • Methan • Mord • Portugal • Queer • Roman • Sommer • Start-up • Strand • Toter • Treibhausgase • Umwelt • Umweltkatastrophe • Umweltschutz • Urlaub • Writers 4 Future |
ISBN-10 | 3-377-90011-X / 337790011X |
ISBN-13 | 978-3-377-90011-1 / 9783377900111 |
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