Drosselbart (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 2. Auflage
408 Seiten
TWENTYSIX EPIC (Verlag)
978-3-7407-2390-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Drosselbart -  Simone Vajda
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Drosselbart Solange sie denken kann, ist Prinzessin Marrill in Prinz Wotan von Granegg verliebt. Doch Bischof Anselm ist die Verbindung mit dem heidnischen Prinzen nicht willkommen. Marrill soll sich auf einem Fest einen geeigneteren Gemahl aussuchen. Doch statt sich einen Verlobten zu erwählen, beleidigt Marrill die anwesenden Adligen. In seiner Verzweiflung droht der König seiner Tochter, sie mit dem erstbesten Spielmann zu vermählen, der an seine Tür klopft. Marrill glaubt nicht, dass ihr Vater so herzlos sein könnte, wird aber eines Besseren belehrt und muss einem Fremden in seine armselige Hütte folgen.

Simone Vajda wurde 1970 in Mutlangen geboren. Ihre Kindheit war geprägt von Büchern und Tagträumen. Dadurch entstand schon früh der Wunsch, selbst Geschichten zu schreiben, in die nun ihre Erfahrungen als Erzieherin einfließen. Sie ist verheiratet, Mutter von zwei Töchtern und lebt mit Kakadu und Hund in der Nähe von Stuttgart.

Freyr


GOTT DES
SONNENSCHEINS,
DER FRUCHTBARKEIT
UND DES WACHSTUMS

Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten Marrills Nasenspitze. Tief atmete sie den erdigen Duft des erwachenden Frühlings ein. Allmählich durchdrang der Morgentau den Stoff ihres Kleides, sie fröstelte, doch darauf achtete sie nicht weiter.

Es war die Zeit der Tag-und-Nacht-Gleiche.

Über Marrill kreiste die dunkle Silhouette eines Falken, seine Schreie klangen einsam.

Erst als sie die Augen zusammenkniff, erkannte sie die flatternden Bänder. Es war ein Jagdfalke aus dem Reich der Graneggs.

Sehnsucht schnürte ihr Herz, es glich einem Gefängnis, wozu nur einer den Schlüssel hatte, um sie zu befreien.

»Wenn ich nur so fliegen könnte wie du, dann würde ich nachsehen, wie es Wotan geht,« wisperte sie dem Vogel zu. »Grüße ihn von mir!« Sie küsste ihre Fingerspitzen und pustete den Kuss dem Raubvogel zu.

Ein langgezogenes Kreischen kam als Antwort von dem Falken.

»Prinzessin Marrill, kommst du?«, trug der Wind die vertraute Stimme vom Burgtor zu ihr.

Wehmütig stand Marrill auf und sah in die Richtung, aus der ihre Amme nach ihr rief. »Ich komme!«

»Beim Holunder der heiligen Hel. Du liegst auf der Erde. Dein Kleid ist ganz feucht, und dann läufst du auch noch barfuß«, tadelte Maiva, doch ihre Augen leuchteten voller Freude und zärtlicher Besorgnis.

»Ach Maiva, die Sonne scheint, es ist Frühling. Das muss ich einfach fühlen.« Dabei wackelte sie mit den nicht mehr ganz sauberen Zehen und küsste ihre Amme versöhnlich auf die Wange, doch sofort wurde sie wieder ernst und deutete zum Himmel. »Siehst du den Falken? Der kommt von den Graneggs. Ob Wotan wieder gesund ist?«

Die tiefer werdenden Falten auf der Stirn verrieten, dass Maiva angestrengt nachdachte. »Ich weiß nur, dass der Prinz bei einer Schlacht schwer verwundet wurde und sich nur langsam erholt.« Nebenbei zupfte sie vertrocknetes Gras aus Marrills geflochtenem Zopf.

»Wotan war so viel netter als seine jüngeren Brüder, leider war er nicht oft beim Spielen dabei.« Jetzt säuberte Maiva ihr das einfache Gewand. Was ihr das Gefühl gab, immer noch das kleine Mädchen zu sein, nach dem die Amme schauen musste.

»Als er alt genug war, durfte er mit auf die Beizjagd, und du hast heftig protestiert, weil dein Vater dich nicht mitnahm«, erinnerte sich Maiva schmunzelnd.

»Wotan schien es nichts auszumachen. Er brachte mir nach der Jagd eine wunderschöne Fasanenfeder mit.« Sie dachte an die Feder, die sie noch immer aufbewahrte und hütete, als wäre es ein kostbarer Schatz.

»Der Prinz fühlte sich wohl eher geschmeichelt. Weil es zu offensichtlich war, dass du nur seinetwegen mit auf die Jagd wolltest.« Maiva kniff ihren Schützling in die Wange und lächelte sie liebevoll an.

»Ach je, hoffentlich hat er das vergessen!« Marrill zog die Nase kraus, zu gut erinnerte sie sich noch an den kleinen Aufstand, weil sie mit auf die Jagd wollte.

»Der Prinz mochte dich genauso gerne, wie du ihn. Doch die darauffolgenden Jahre sicherte er die Grenzen gegen die eindringenden Barbaren. Da hatte er bestimmt keine Zeit, an ein kleines Mädchen zu denken.« Sie zog bei dem Satz den letzten trockenen Grashalm aus ihrem Haar. »Jetzt bist du einigermaßen sauber, lass uns gehen.«

Eine Weile liefen sie schweigend den Hügel hinab, doch eine Frage brannte Marrill auf der Seele: »Meinst du, ich würde dem Prinzen noch gefallen?«

»Merkst du nicht, sobald du einen Raum betrittst, wie du die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf dich ziehst?«

»Das war früher, doch Bischof Anselm gibt mir das Gefühl, mein Anblick ist unzumutbar. Er mag mich nicht!«, stellte Marrill bedauernd fest.

»Der Bischof ist blind für alles Schöne! Er sieht nicht dein langes, lockiges Haar, das so hellglänzend ist wie gesponnenes Mondlicht. Deine Lippen haben die Farbe von voll erblühtem Rotklee. Deiner hübschen Nasenspitze sieht man die Neugier an, wie der Löwenzahnknospe, die die ersten Sonnenstrahlen nicht erwarten kann. Doch am beeindruckendsten sind deine wunderschönen Augen, die so grün sind wie der Efeu, der an den Burgtürmen emporklettert!« Liebevoll sah Maiva sie an.

»Nach deiner Beschreibung hab ich viele Gemeinsamkeiten mit einem Kräutergarten im Mondschein!«, schalkhaft lächelte Marrill ihre Amme an.

»Nicht nur, sondern mit der Schönheit der Natur! Schau nur, wie herrlich alles im Sonnenschein aussieht!«

Marrill ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen, mit den sanften Hügeln, wovon die meisten bewaldet waren. Sie warf einen Blick zurück zur Burg, die glänzend im Morgensonnenschein dastand. Bis hinunter in die Talsenke mit dem Kloster, wo unzählige Obstbäume wuchsen, zwischen denen sich, in ihrem Flussbett, sanft die Lein schlängelte. Über die Lein führte ein Steg, an einem alten Kirschbaum vorbei, der im Sommer die süßesten Kirschen trug. Doch so weit brauchten sie nicht zu gehen, denn zur rechten Seite der Burg wuchsen bereits die ersten Kräuter.

Von Weitem roch Marrill den schweren Duft des Bärlauchs. Dunkelgrün, matt glänzend stand er da und brauchte nur mit der Bronzesichel geerntet zu werden. Sie ließ sich auf die Knie in den weichen Waldboden fallen. »Mmh, endlich. Der erste Bote des Frühlings.« Ein paar Stängel schob sie sich genüsslich in den Mund. Mit ihrer Sichel schnitt sie die kühlen zarten Blätter. In solch einem Moment schien die Zeit stillzustehen. Sie fühlte sich wie in einer eigenen Welt, eingehüllt im Duft der Pflanzen mit dem Klang der Waldbewohner. Eine Zufriedenheit überkam sie, alle Sorgen wurden bedeutungslos und ein Lächeln lag auf ihren Lippen. »Maiva, wie war das mit den Bären?«

Immer noch wollte Marrill die alten Sagen hören, die ihr schon als Kind erzählt worden waren.

Gerührt lächelte Maiva sie an und begann zu erzählen: »Jedes Jahr nach dem langen, kalten Winter erwacht der Braunbär, wenn der Bärlauch aus der Erde sprießt. In den Blättern steckt die pure Lebenskraft, sodass es sogar einen riesigen Bären stärkt!«

Insgeheim sah sich Marrill jedes Mal um, ob nicht einer hinter ihnen stand und mit seinen mächtigen Tatzen drohte, weil die beiden sein Futter wegnahmen.

Nachdem sie genügend gesammelt hatten, pflückte Maiva am Waldrand die gerade sprießenden Brennnesseln, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Brennnessel ist das Kraut des schönen, sanften Sonnen- und Lichtgottes Heimdall,« erklärte sie währenddessen, »der Hüter der Regenbogenbrücke. Die Brücke die Welt der Menschen mit der Welt der Götter verbindet.«

In der Nähe wuchsen Schlüsselblumen. »Und das sind die Schlüssel der Freya?«, fragte Marrill, obwohl sie es genau wusste.

»Ja. Das ist die Blume unserer Göttin Freya. Sie hat die Schlüsselgewalt über das Gehöft und trägt den Schlüsselbund. Einmal ließ sie den Bund herunterfallen, und auf der Erde wuchs daraus ein Blümchen, das wie der Schlüsselbund aussah. Da Freya am Spinnrad mit den acht Speichen das Schicksal spinnt, schließt man damit verborgene Räume auf und erlangt an Weisheit.«

»Indem ich die Blume pflücke?«, fragte Marrill.

»Nicht alleine davon, der Schlüssel ist die Sprache der Pflanze. Wir erlernen sie im Kreislauf des Lebens, irgendwann wirst du es verstehen. Wenn die ersten Schlüsselblümchen aus der Erde kommen, ist es ein Zeichen, dass der Frühling beginnt. Nach dem harten Winter ist es jedes Jahr von neuem eine große Freude, sie zu sehen«, liebevoll strich Maiva über die gelbe Blüte und lächelte Marrill an. Trotz ihres Alters funkelten ihre Augen voller Lebensfreude. Marrill nickte anerkennend. Das Wissen ihrer Amme war für sie erstaunlich, jedes Mal lernte sie Neues dazu.

»Doch jetzt lass uns weitergehen. Schau, wie fleißig dort gearbeitet wird!« Maiva zeigte in die Waldlichtung. Die Strahlen der Frühlingssonne schienen durch die Bäume, genau auf einen Waldameisenhaufen am Fuß der Fichte.

Dort tummelten sich Tausende der kleinen Insekten. Maiva konnte nie an einem dieser Hügel vorbeigehen, ohne ihre Hände hineinzuhalten.

Während sich auf dem Arm der Amme zahllose Tierchen verbissen, nahm Marrill zwei auf ihren Zeigefinger. »Iehhh, die beißen mich! Wie erträgst du das nur?«

»Daran gewöhnst du dich! Die Ameisen helfen uns, keine Gelenkschmerzen zu bekommen.«

Solange Maiva sich noch piesacken ließ, setzte Marrill ihre beiden Ameisen zurück und beobachtete interessiert das Durcheinander auf dem Hügel. »Die scheinen alle ihren Weg zu kennen.«

»Das ist die göttliche Ordnung, die jedes Lebewesen in sich trägt!«,...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Märchen / Sagen
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Christianisierung des Heidentums • Nordische Mythologie • Rauhnächte • Schwäbische Alb • Umweihung heidnischer Kulte & Jahresfeste
ISBN-10 3-7407-2390-4 / 3740723904
ISBN-13 978-3-7407-2390-3 / 9783740723903
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