So dunkel die Nacht (eBook)

Thriller
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
336 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-30613-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

So dunkel die Nacht -  MARY HIGGINS CLARK,  Alafair Burke
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Der schlimmste Albtraum einer jeden Mutter: die Entführung ihres Kindes
Melissa Eldredge ist als Kind durch die Hölle gegangen. Sie und ihr Bruder Michael wurden entführt und sind nur knapp mit dem Leben davongekommen, als ihre Mutter alles riskierte, um die beiden zu retten. Nun wiederholt sich die Geschichte: Kurz vor Melissas Hochzeitstag verschwindet ihre zweijährige Stieftochter Riley spurlos. Wurde sie ebenfalls entführt, und hat der Täter etwas mit dem Albtraum von damals zu tun? Melissa und Michael müssen sich ihren schlimmsten Ängsten stellen, um die kleine Riley zu finden. Jede Sekunde zählt.

Mary Higgins Clark (1927-2020), geboren in New York, lebte und arbeitete in Saddle River, New Jersey. Sie zählt zu den erfolgreichsten Thrillerautoren weltweit. Ihre große Stärke waren ausgefeilte und raffinierte Plots und die stimmige Psychologie ihrer Heldinnen. Mit ihren Büchern führte Mary Higgins Clark regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten an. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den begehrten Edgar Award. Zuletzt bei Heyne erschienen: »Denn du gehörst mir«.

Prolog


Durch die Ritzen der Fensterrahmen zog ein feuchter abendlicher Windhauch. Noch vor wenigen Jahren wäre das in ihrem ehemaligen Kinderzimmer undenkbar gewesen. Ihre Mutter hatte ein Auge auf solche Unzulänglichkeiten, vor allem, wenn sie das Wohlbefinden der Gäste unter ihrem Dach beeinträchtigten. Und ihr Vater, der beste Immobilienmakler auf Cape Cod, hatte sich im Lauf der Jahre im Dienst an seinen Kunden zu einem fachkundigen Handwerker entwickelt. Aber nicht nur die Dichtung der Fensterrahmen hatte in jüngster Zeit Risse bekommen, sondern die gesamte Familie Eldredge.

Um endlich schlafen zu können, stand Melissa vom Bett auf, schlüpfte in ihre Pantoffel und schlich zum Fenster. Sie wollte niemanden wecken. Nachdem sie die Vorhänge vorgezogen hatte, fand sie ganz oben im Schrank eine Extradecke, breitete sie übers Bett und speicherte auf ihrem Handy eine Erinnerungsnotiz, vor ihrer Rückkehr nach New York noch einen Handwerker damit zu beauftragen, sich mal das ganze Haus anzusehen. Nur für den Fall, dass sie ihre Mutter doch davon überzeugen konnte, es zu verkaufen.

Als sie wieder ins Bett schlüpfte und das Handy auf dem Nachtkästchen ablegte, traf eine neue Nachricht ein. Bist du noch wach?

Sie musste lächeln. Es freute sie, dass sich Charlie während der vier Tage, die sie hier war, regelmäßig gemeldet hatte. Grad noch so, antwortete sie.

Sie waren beide beruflich viel unterwegs, aber er meldete sich jedes Mal, wenn er morgens aufstand und abends ins Bett ging. Na, gab’s wieder Knatsch?

Er spielte auf den »albernen Zwist unter Geschwistern« an, wie ihre Mutter das am Vortag abgetan hatte. Ihr Bruder Mike hatte einen Saisonjob und war zum ersten Mal seit der Beerdigung zu dieser Familienzusammenkunft auf Cape Cod in die Staaten zurückgekehrt. Heute nur Friede, Freude, Eierkuchen. Wir waren zusammen am Grab.

Der alte Landfriedhof an der Straße zur Kirche Our Lady of the Cape war auch auf dem Gemälde abgebildet, das im Wohnzimmer über dem Klavier hing, eines der zahlreichen Bilder an den cremefarbenen Wänden im Haus. Als ihre Mutter vierzig Jahre zuvor die düsteren Grabsteinreihen gemalt hatte, hatte sie sicherlich keinen Gedanken daran verschwendet, hier einmal ihren Ehemann zu bestatten.

Sie hielt kurz inne und musste daran denken, wie Mike, als sie am Nachmittag am Grab ihres Vaters gestanden hatten, erst die Hand ihrer Mutter gehalten hatte, dann ihre. Sie waren immer noch eine Familie, egal, was passierte. Familie ist Familie, schrieb sie noch. Sie hatte nie ein negatives Wort über ihre Familie fallen lassen, bis sie mit der Trauerarbeit begonnen hatte. Jedes Mal, wenn während der Therapie das Thema auf die Eldredges kam – und darauf, was in der Vergangenheit geschehen war –, verstummte sie. Aber ihr wurde gesagt, dass ein wesentlicher Teil der Therapie daraus bestehe, über die eigene Kindheit zu reden. So hatte sie manchmal ein schlechtes Gewissen und wusste nicht recht, ob sie während der Therapie nicht zu oft von den kleinen Problemen in der Familie sprach und alles Positive außen vor ließ. Heute am Grab aber hatte sie die gelegentlichen Reibereien vergessen und war wieder einmal dankbar gewesen für das wunderbare Leben, das ihre Eltern ihr ermöglicht hatten.

Sie sah die Pünktchen auf dem Display, die anzeigten, dass Charlie eine Antwort verfasste. Apropos Familie, hab ich dir in letzter Zeit mal gesagt, dass ich es kaum erwarten kann, dich zu heiraten? Nur noch zwei Monate.

Erst zwei Wochen zuvor hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht, den sie sofort angenommen hatte. Es war die Idee ihrer Mutter gewesen, am ersten Todestag ihres Vaters zu heiraten, auch wenn das mit einer sehr kurzen Verlobungszeit einherging. Die Trauung würde auch sehr klein ausfallen – nur Braut und Bräutigam, dazu die unmittelbare Familie und einige Freunde.

Lächelnd tippte sie ihre Antwort, so wie sie immer lächelte, wenn sie an ihre Zukunft mit ihm dachte. Ich wollte es dir eigentlich erst morgen sagen, aber ich bin heute an einem ganz reizenden kleinen Weingut vorbeigekommen. Ich weiß, wir haben gesagt, im Rathaus, aber vielleicht …? Sie drückte auf Senden und hängte einige Fotos an, die sie auf dem Rückweg vom Friedhof gemacht hatte, als sie dort kurz angehalten hatten, um mit ein paar Worten ihres Vaters zu gedenken.

Nur Sekunden später klingelte ihr Handy. Ein FaceTime-Anruf von Charlie. Sie nahm an. »Guten Abend!«, begrüßte sie ihn freudig, als sein Gesicht auf dem Display erschien. Er hatte kurz geschnittene dunkle Haare und hellblaue Augen. Dazu hatte er sich heute noch ein paar Tage alte Bartstoppel auf dem kantigen Kiefer stehen lassen.

»Zu viel Getippe«, sagte er. »Wenn wir schon über die Hochzeit reden, will ich wenigstens meine Braut vor mir sehen.«

»Du hast dir die Fotos des Weinguts angeschaut?«

»Ja. Absolut perfekt. Und die Aussicht ist unglaublich.«

»Aber wir wollten doch alles so einfach wie möglich halten und nur aufs Rathaus gehen.«

»Du wolltest das alles so haben.«

Es war noch nicht lange her, dass sie eine große Hochzeit mit einem Empfang in einer angesagten New Yorker Location vor sich gesehen hatte – vielleicht dem Loeb Boathouse im Central Park oder dem Rainbow Room mit Blick aufs Rockefeller Center. Aber wenn sie davon geträumt hatte, dann hatte sie sich immer vorgestellt, dass ihr Vater sie durch den Mittelgang führte – und ein anderer Mann als Charlie sie am Altar erwartete. Es erschien ihr nicht fair, ihre Brautfantasien auf eine andere Beziehung zu übertragen. Dennoch, vielleicht gab es ja etwas, das zwischen einer Märchenhochzeit und dem Rathaus in der City von New York lag. Eine kleine Feier im Freien, auf einem Weingut auf dem Cape, das wäre doch genau das Richtige für Charlie und sie.

»Aber wir haben doch allen schon das Datum mitgeteilt. Und gesagt, dass es in der Stadt stattfindet.«

Er ließ sein perfektes Lächeln aufblitzen. »Allen? Alle sind in diesem Fall … sechs Leute – die dich alle von Herzen lieben und, falls es nötig sein sollte, auch zum Mond fliegen würden, damit sie an deinem besonderen Tag dabei sein können. Unserem besonderen Tag.«

Als er die sechs Gäste erwähnte, hoffte Melissa, dass er auch seine Schwester mit dazuzählte, allerdings gehörte Rachel Miller sicherlich nicht zu denen, die Melissa »von Herzen liebten«. Widerwillig hatte sie sich bereit erklärt, Melissa kennenzulernen, bislang hatten sie sich aber nur zweimal getroffen. Angeblich war sie wütend gewesen, als Charlie ihr von seinem Heiratsantrag erzählte, und hatte gemeint, ihr Bruder würde sich viel zu schnell in eine neue Beziehung stürzen. »Vielleicht kommt Rachel dann ja auch mit«, sagte Melissa.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir werden heiraten, so oder so, und es wird an diesem wundervollen Ort stattfinden, den du aufgetan hast. Lass es uns buchen.«

»Wirklich?«

»Sicher. Schick mir den Namen des Weinguts, und ich rufe morgen gleich an.« Damit, wusste sie, war die Entscheidung gefallen. Unter den tausend Dingen, die sie an Charlie bewunderte, war, dass er sich immer sofort um alles kümmerte, ständig nahm er ihr unzählige Dinge ab, sodass sie den Kopf für anderes frei hatte. »Oh, hier will jemand Hallo sagen.«

Die Kamera an Charlies Handy wurde nach unten gedreht, bis sie ein pausbäckiges Gesicht sah, das zu ihr aufblickte. Rileys feine blonde Haare waren ganz zerzaust. Im Hintergrund sah Melissa Kartons auf dem Küchenfußboden gestapelt. Sie hatten gerade damit begonnen, die Sachen in seiner Wohnung in der Upper West Side zu verpacken, da er mit Riley bei ihr einziehen würde.

»Hallo, Missa!« Es klang fast wie Missy, ihr Spitzname, bis sie in der ersten Klasse von heute auf morgen verkündet hatte, dass sie von nun an Melissa genannt werden wolle. Riley lächelte so angestrengt, dass sie dazu fast die Augen zusammenkniff. »Wann kommst du?« Hinter der Handykamera, außerhalb des Bildes, sagte Charlie zu Riley, sie solle ihr eine Kusshand zuwerfen. Das kleine Mädchen legte seine Patschehand an die rosaroten Lippen und pustete ganz fest. Für eine nicht mal Dreijährige machte sie das sehr gut.

»Bald, Liebes. In zwei Tagen komm ich wieder nach New York.«

Ihre zukünftige Stieftochter hielt zwei Finger hoch. »Zwei! Genau wie ich.«

»Nur dass es zwei Tage sind, nicht zwei Jahre.«

»Weiß ich.« Sie wandte sich von der Kamera ab und stapfte davon.

»Kein leichtes Publikum«, sagte Melissa, als Charlie wieder auf dem Display erschien.

»Fast, als hätte sie die Aufmerksamkeitsspanne einer Zweijährigen«, antwortete er und gluckste kopfschüttelnd. »Ganz zu schweigen davon, dass du mit ihrem neuen Peppa-Wutz-Spielhaus konkurrierst.«

»Wie hat sie dich dazu gebracht, dass du sie so lange aufbleiben lässt?«

»Sie ist nach dem Essen gleich ins Bett, vor einiger Zeit aber wiedergekommen, weil sie angeblich was gehört hat. Ich dachte mir, ich lass sie noch so lange spielen, bis ich mit der Arbeit fertig bin.«

»Wir sprechen uns morgen wieder?«

»Klar«, sagte er. »Und an allen Morgen danach.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, beantwortete sie noch widerwillig die drei Mails eines hartnäckigen Anwalts, der die Bedeutung einer Abwesenheitsnotiz nicht zu verstehen schien, bevor sie das Licht auf dem Nachtkästchen endgültig ausschaltete. Als sie die Augen schloss, sah sie sich neben Charlie stehen: Sie...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2023
Übersetzer Karl-Heinz Ebnet
Sprache deutsch
Original-Titel Where are the Children Now?
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2023 • Bestsellerautorin • Cape Cod • eBooks • entführtes Kind • Entführung • Kindheitstrauma • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Neue Thriller 2023 • Starke Frau • Thriller • Wintersturm
ISBN-10 3-641-30613-2 / 3641306132
ISBN-13 978-3-641-30613-7 / 9783641306137
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