CHARLIE'S GOOD TONIGHT (eBook)
384 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2881-2 (ISBN)
Paul Sexton ist Autor, Journalist und Radiomacher, der die Rolling Stones seit mehr als 30 Jahren begleitet und all ihre Mitglieder etliche Male interviewt hat. Für sein Buch über Charlie Watts bekam er exklusiven Zugang zum engsten Umfeld der Band und zur Familie des Schlagzeugers. Seine ersten musikjournalistischen Artikel schrieb er 1977 als Teenager für den Record Mirror, und viele seiner Reportagen und Interviews erschienen in namhaften Zeitungen wie The Times, The Sunday Times und dem Billboard Magazine. Zudem produzierte er unzählige Dokumentationen für BBC Radio 2. Er lebt im Süden Londons.
Paul Sexton ist Autor, Journalist und Radiomacher, der die Rolling Stones seit mehr als 30 Jahren begleitet und all ihre Mitglieder etliche Male interviewt hat. Für sein Buch über Charlie Watts bekam er exklusiven Zugang zum engsten Umfeld der Band und zur Familie des Schlagzeugers. Seine ersten musikjournalistischen Artikel schrieb er 1977 als Teenager für den Record Mirror, und viele seiner Reportagen und Interviews erschienen in namhaften Zeitungen wie The Times, The Sunday Times und dem Billboard Magazine. Zudem produzierte er unzählige Dokumentationen für BBC Radio 2. Er lebt im Süden Londons.
1
Fertighauskindheit und ein Jazzfreund fürs Leben
Mozart wusste schon, wovon er redet. Aber er hätte einen guten Drummer gebraucht. Keith Richards, 2011
Das wandelnde Gitarrenriff erklärte mir, wie die Synthese aus Hillbilly und Black Music die Formel für den Rock’n’Roll hervorgebracht hatte, der das Feuer für die sich gerade findenden Rolling Stones und eine Generation ähnlich hoffnungsvoller Proleten entflammte. Die Pointe seiner Geschichte fühlte sich für mich immer so an, als hätte er damit auch das Leben des Mannes, der achtundfünfzig Jahre lang hinter ihm saß, flapsig auf den Punkt gebracht. Man kann sich gut vorstellen, dass Wolfgang Amadeus in einem Paralleluniversum zu Charlie Watts aufblicken würde. Alle anderen haben es jedenfalls getan.
Charlie war nicht nur der widerwilligste Star in der gesamten Musikwelt, sondern auch der unwahrscheinlichste Kandidat, um so viele Jahrzehnte lang den Drumhocker bei den globalsten Repräsentanten des Rock’n’Roll zu besetzen. Selbst nachdem er schließlich den wiederholten Angeboten der Band nachgegeben hatte, sich ihrer Truppe anzuschließen, glaubten weder er noch sonst jemand, dass die Stones und ihr Rythm-and-Blues-Spektakel länger als ein Jahr überleben würden.
Anfang Juni 1941 lag die Bismarck versenkt auf dem Grund des Atlantiks. Deutschland bereitete sich mit einer Truppenstärke von drei Millionen Mann darauf vor, die Sowjetunion zu überfallen. Bald sollten Panzerschlachten um Kiew toben, wie ein schreckliches Vorzeichen für 2022. Nachdem die Queen’s Hall nach einem Bombenangriff ausgebrannt war, hatten die traditionell dort stattfindenden Proms in der Royal Albert Hall eine neue Heimat gefunden. Churchills Handelsministerium verkündete die Einführung von Kleidercoupons, die jedoch noch nicht gedruckt waren, sodass die Margarinecoupons aus dem Bezugsscheinheft herhalten mussten: sechzehn für einen Regenmantel, sieben für Schuhe. Doch im University College Hospital in Bloomsbury hatte Lil Watts andere Sorgen.
Die gerade zwanzigjährige Lillian Charlotte Watts, die in Islington als Tochter von Charles und Ellen Eaves zur Welt gekommen war, hatte 1939 den einen Monat älteren Charles Richard Watts geheiratet. Er gehörte zum Bodenpersonal der Royal Air Force und diente als Chauffeur für das Offizierskorps. Nach seiner Entlassung aus dem Kriegsdienst wurde er Lkw-Fahrer für die London, Midland and Scottish Railway, ein Beruf, den er immer noch ausübte, als die Stones Großbritannien eroberten. Am Montag, dem 2. Juli 1941, brachte Lillian ihr erstes Kind zur Welt, das – genau wie Bill Wyman und Brian Jones – nach seinem Vater benannt wurde. Es war der Auftakt des Lebens von Charles Robert Watts.
Die britischen Charts sollten formal erst zehn Jahre später eingeführt werden, doch die Andrew Sisters lieferten mit ihrem »Boogie Woogie Bugle Boy« bereits Ermunterung für die Truppe. Bald prophezeiten Glenn Miller und zahlreiche andere Stars bessere Zeiten und »Blue Birds Over the White Cliffs of Dover«. In den Radios liefen die Comedysendung It’s That Man Again und Deanna Durbins »Waltzing in the Clouds«, die Ink Spots und Bing Crosby, während Noël Coward höflich fragte: »Could You Please Oblige Us With a Bren Gun?« Abbott und Costello zählten zu den neuen Stars des Kinos, Universal hatte jüngst ihren Film In the Navy mit Dick Powell veröffentlicht. Joan Crawford, deren Bild später zur Covercollage von Exile on Main St gehören sollte, begeisterte in George Cukors gerade angelaufenem Melodram Die Frau mit der Narbe.
Als Kleinkind lebte Charlie jeweils eine Zeitlang bei seinen Großmüttern, während sein Vater in der Royal Air Force diente, doch er hatte kaum Erinnerungen an die Kriegsjahre. Später sagte er: »Ich hörte, wie in der Nachbarschaft Bomben explodierten. Und ich weiß noch, wie wir Hals über Kopf aus dem Haus in den Luftschutzbunker gerannt sind. Aber ich war noch sehr klein. Krieg war für mich eine Art Spiel – ich glaube nicht, dass ich jemals echte Angst hatte.«
Seinen Vornamen teilte er nicht nur mit seinem Vater, sondern auch mit seinem Großvater (Charles A. Watts), seinem Onkel und seinem Cousin; darum nannten ihn seine Eltern häufig Charlie Boy. Der jüngste Charles besuchte die Fryent Way Infant School in Kingsbury im Nordwesten von London. In Kingsbury begegnete er nach Kriegsende auch dem neun Monate jüngeren Dave Green. Sie wurden Freunde fürs Leben und Bandkollegen in vielen von Charlies Jazzprojekten, im Studio wie auf der Bühne.
Obwohl Dave neun Monate jünger ist, hat er lebhaftere Erinnerungen an den Krieg. »Ich wurde 1942 in Edgware geboren, und wir haben in Kingsbury gewohnt. Mein Dad war bei den Royal Engineers. Er ist am D-Day nach Frankreich übergesetzt, und ich erinnere mich noch – ich muss ungefähr zwei gewesen sein – an die V1-Raketen. Eine ist in unserer Straße runtergekommen, etwa sechzig Häuser weiter. Das Gebäude wurde völlig zerstört. Ich weiß noch, dass meine Mum mich immer unter die Treppe geschoben hat. Ich glaube, das hat die Regierung den Leuten damals geraten.«
Dave erinnert sich auch, dass seine Mutter gerne die tägliche BBC-Sendung Music While You Work hörte. Später erzählte sie ihm, dass er immer die Basslinien beliebter Schlager mitsang, ein frühes Vorzeichen seiner lebenslangen Ausnahmestellung als Kontrabassist. Er breitet seine Erinnerungen mit so viel Freundlichkeit und Großzügigkeit aus, dass man schnell das Gefühl hat, schon ein Leben lang mit ihm befreundet zu sein. Als wir für dieses Buch miteinander sprachen, stand er kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag, und er hat sich eine bescheidene Lebensfreude bewahrt, die Charlie bestimmt sympathisch war.
1946 wurden sie Nachbarn und bald auch vereinte musikalische Geister. Dank der deutschen Luftwaffe zogen beide Familien in den Pilgrims Way in Wembley, in einfache Fertighäuser, wie sie zahlreichen ausgebombten Familien in Großbritannien zur Verfügung gestellt wurden. Rückblickend erscheinen die anderthalbgeschossigen Häuser aus vorproduzierten Modulen primitiv, doch für die Familie Green waren sie damals staunenswert.
»Als wir in der Brampton Road in Kingsbury gewohnt haben, waren die Fertighäuser nicht weit entfernt, und ich erinnere mich, dass ich oft dorthin gegangen bin, um sie anzuschauen«, sagt Dave. »Es gab noch keine richtige Straße, und überall lagen große Erdhaufen. Aber meine Mum hat diese Fertighäuser geliebt. Sie hatten fantastische, moderne Küchen, mit Kühlschrank und allem Drum und Dran. Sie trug sich in eine Anwärterliste ein, und als die Häuser fertig waren, sind wir eingezogen.« Charlie wohnte mit seinen Eltern in der Nummer 23, die Greens in Nummer 22.
1944 brachte Lillian Charlies Schwester Linda zur Welt, zu der er immer ein enges Verhältnis hatte, vor allem als er noch bei seinen Eltern lebte. Gemeinsam mit ihrem Mann Roy Rootes hat sie für dieses Buch zum ersten Mal überhaupt ein Interview über ihren Bruder gegeben. Tatsächlich wissen viele Menschen gar nicht, dass Charlie eine Schwester hatte, da Linda nie das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat.
»Das wissen sie nicht, weil ich mich nie in den Vordergrund gedrängt habe«, sagt sie leise, als sie und Roy mich in ihrem Haus in Buckinghamshire empfangen. »Das liegt nicht in meiner Natur, und außerdem weiß ich, dass er es nicht gewollt hätte. Aber wenn ich bei einem Konzert mal ganz vorne stand und jemand sagte: ›Oh, du bist Charlies Schwester, du musst echt stolz auf ihn sein‹, dann antwortete ich: ›Ja, ich bin stolz auf ihn.‹ Er war nie jemand, der übertrieben hat. Er bevorzugte Begegnungen unter vier Augen, weil er ein ziemlich zurückhaltender Mensch war. Er war wie meine Mum, ich bin mehr wie mein Dad. Charlie konnte einfach nur dasitzen und kein Wort sagen.«
Sie spricht mit nostalgischer Wärme über die Jahre zu Hause mit ihrem Bruder und ihren Eltern und das Gemeinschaftsgefühl in ihrem kleinen Zuhause. »Weil sie Sport und Billard mochten, beschloss Dad, einen Billardtisch in halber Größe zu kaufen«, erzählt Linda. »Wenn man einen Stoß machen wollte, musste man das Fenster öffnen«, ergänzt Roy trocken. »Alle kamen zu uns nach Hause, und mein Dad hat es geliebt«, fügt Linda hinzu. »Meine Mutter war ein bisschen reservierter, aber für sie war es auch okay, weil sie sich hauptsächlich in der Küche aufhielt.« Roy, der ein Jahr älter ist als Charlie, heiratete Linda 1965.
»Ich glaube, Charlie und ich sind uns zum ersten Mal begegnet, als wir dort hingezogen sind. Da war ich vier«, sagt Dave. »Unsere Mütter wurden sehr enge Freundinnen, und im Lauf der Jahre wurden wir auch echt gute Freunde. Es ist wirklich erstaunlich, wie wir unser gemeinsames Interesse für Jazz im Tandem entwickelt haben.«
»Bis wir zehn waren, haben wir im Garten gespielt«, erzählte Charlie mir. »Es war eigentlich ein großes Grundstück mit einem Zaun auf der Rückseite. Der hatte ein Loch, durch das wir geschlüpft sind. Unsere Eltern waren befreundet. Dann fing Dave...
Erscheint lt. Verlag | 24.11.2022 |
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Übersetzer | Dieter Fuchs, Kristian Lutze |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Andy Warhol • Angie • Blues • Brian Jones • Bruder • Charlie Watts • Geschenk • Keith Richards • London • Mann • Mick Jagger • Papa • Pop • Rock • Rock and Roll • Rockmusik • Rolling Stones • Ron Wood • satisfaction • Sticky Fingers • Sympathy for the devil • Vater • Weihnachtsgeschenk |
ISBN-10 | 3-8437-2881-X / 384372881X |
ISBN-13 | 978-3-8437-2881-2 / 9783843728812 |
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