Linden Hills (eBook)

Roman
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2022 | 1. Auflage
400 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-31131-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Linden Hills -  Gloria Naylor
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Linden Hills - wer hier lebt, hat es geschafft. Elegante Häuser und perfekt gepflegte Rasen säumen die acht Ringstraßen, die sich den Hügel hinabwinden. Lester und sein bester Kumpel Willie, beide verflucht knapp bei Kasse, verabscheuen die noble Klientel, reinigen aber für ein paar Dollar ihre Auffahrten und Pools. Vorbei an glänzenden Fassaden und übertünchten Rissen arbeiten sie sich Straße für Straße den Hügel hinunter. Bis ganz nach unten, wo Luther Nedeed, das Epizentrum der Macht, ein finsteres Geheimnis hütet. Gloria Naylor enthüllt, wie die Menschen für den American Dream mit ihrer Seele bezahlen und wie das funkelnde Versprechen eines besseren Lebens in schneidende Niedertracht zersplittert.

Gloria Naylor (1950-2016), geboren in New York, studierte Anglistik und African-American Studies. Ihr Debütroman Die Frauen von Brewster Place erschien 1982, weitere Romane und Erzählungen folgten. Ihr vielschichtiges Werk kreist um das Leben Schwarzer, um ihre Kämpfe und Hoffnungen, in einer Welt, in der Weißsein alles bedeutet. Für ihre Werke erhielt sie u. a. den American Book Award und den National Book Award. Sie unterrichtete Literatur und Kreatives Schreiben an verschiedenen amerikanischen Universitäten.

Gloria Naylor (1950–2016), geboren in New York, studierte Anglistik und African-American Studies. Ihr Debütroman Die Frauen von Brewster Place erschien 1982, weitere Romane und Erzählungen folgten. Ihr vielschichtiges Werk kreist um das Leben Schwarzer, um ihre Kämpfe und Hoffnungen, in einer Welt, in der Weißsein alles bedeutet. Für ihre Werke erhielt sie u. a. den American Book Award und den National Book Award. Sie unterrichtete Literatur und Kreatives Schreiben an verschiedenen amerikanischen Universitäten.

19. Dezember


Das Geschäftsviertel der Wayne Avenue umfasste fünf Blocks im nördlichen Teil der Straße. Es gab eine Bibliothek, eine Reinigung, einen Supermarkt und zwei Delikatessenläden (von denen einer besseres Marihuana als Olivenbrot verkaufte und einen Fahrdienst anbot, wenn der Taxistand geschlossen war). Es gab drei Spirituosengeschäfte und drei kleine Straßenkirchen – der Tabernakel of the Saint grenzte direkt an Harrys Discount-Weinkellerei. Dazwischen waren etliche Immobilienmakler verstreut, in deren verstaubten Schaufenstern bunt gezeichnete Aushänge Gartenwohnungen in Linden Hills anpriesen. Aber die Wohnungen, die sie tatsächlich vermieteten, befanden sich gleich auf der anderen Seite der Wayne Avenue – abzüglich der Gärten und des gepflegten Zustands aus der Zeit, als noch weiße Familien dort gelebt hatten. Diese Gebäude waren die Enklave der Hoffnungsvollen, die aus den überfüllten Regionen von Putney Wayne und den Gassen von Brewster Place geflohen waren. Sie kamen sich jetzt ungemein vorstädtisch vor, zwei mitgenommene Bäume schmückten das Ende eines jeden Blocks, und von ihren rückwärtigen Fenstern aus hatten sie tatsächlich Sicht auf Linden Hills. Die Wayne Junior Highschool mit ihrem großen asphaltierten Schulhof, den Handballfeldern und Basketballkörben nahm einen ganzen Block auf dieser Straßenseite ein. 

Willie und Lester kamen sich drüben beim Schulhof entgegen. Willie hatte gerade die Straße von einem der Spirituosenschäfte aus überquert und sein kleines braunes Päckchen in der Tasche seiner Caban-Jacke verstaut.

»Hey, Shit.«

»Hey, White.«

Willie streckte die linke Hand mit der Handfläche nach oben aus und grinste Lester an.

»Nimms mit der Linken.«

Lester grinste zurück, ließ seine linke Handschuh-Hand auf Willies klatschen und hielt die rechte Handfläche hoch. »Nimms mit der Rechten.«

Das Ritual wurde mit Willies rechtem Handklatscher beendet. Dann die Arme hoch – »Nimm alles, wenns passt« –, vier Hände bildeten zwei Fäuste. Und die Jungs lachten.

So begrüßten sie sich seit ihrer gemeinsamen Zeit auf der Schule, vor der sie jetzt standen. Nach ihrem Abschluss dort hatten sie getrennte Wege eingeschlagen – Lester ging zur Spring Vale High, und Willie trieb sich auf den Straßen rum. Aber auf der Junior High waren sie unzertrennlich gewesen, und aus der Zeit stammten ihre Spitznamen und ihrer beider Wunsch, Dichter zu werden. Willie K. Mason war so schwarz, dass die Kinder sagten, wenn er noch eine Spur dunkler würde, könnte er nur noch in die umgekehrte Richtung weitergehen. Wurde nicht Eis so kalt, dass es heiß wurde? Und wenn man Kohle verbrannte, wurde sie zu Asche; wenn also Willie noch einen Hauch dunkler würde, müsste er zwangsläufig weiß werden. Willie glaubte eine Weile daran und lief im Sommer mit langärmeligen Hemden und einem riesigen Panamahut herum. Er fürchtete sich davor, eines Tages weiß aufzuwachen, denn seine Mutter würde ihn aus dem Haus werfen, und bei den wirklich tollen Sisters würde er keinen Stich mehr machen. Und so bekam der dunkelste Junge auf der Wayne Junior High den Spitznamen White Willie. Mit Lester Tilson freundete er sich in der siebten Klasse an, nachdem er ihm beim Kampf gegen einen Neuntklässler beigestanden hatte, der Lester wegen seines milchiggelben Hauttons »Babyshit« genannt hatte. Der Junge war doppelt so groß wie sie und begrüßte Willies Eingreifen, weil er dadurch seine Knöchel schonen und Willies Kopf gegen Lesters Kinn einsetzen konnte. Als Lester und Willie mit blutigen Nasen, die ihre Hemden volltropften, wieder aufstanden, sagte Willie zu dem Jungen: »Davon haben wir noch ’ne Menge mehr auf Lager, wenn du ihn noch mal Baby Shit nennst. Er iss kein Baby.« 

»Er sieht halt aus wie Babyshit. Sag ihm, er soll sich eine Windel aufs Gesicht binden.«

Lester war bereit, sich noch mal zu schlagen, aber Willie fand, es sei Zeit für einen Kompromiss. »Hör mal, ich will nicht, dass dich mein Kumpel hier umbringt. Nenn ihn einfach Shit, und wir belassens dabei.«

Er überzeugte Lester davon, dass der Name cool sei. Überleg mal – Shit. Ein echtes Schimpfwort, und niemand kriegt Ärger mit dem Direktor oder so, wenn er es benutzt: Wenn es sein Name ist, ist es halt sein Name, was sollen die Lehrer da schon machen? Lester war nicht ganz überzeugt von Willies Logik, aber er wusste, was ihm blühte, wenn er jeden Tag mit einem zerrissenen Hemd nach Hause käme. Und da seine Mama dafür bekannt war, einen härteren rechten Haken zu haben als sämtliche Jungs in Wayne – inklusive der Neuntklässler –, ließ er es dabei bewenden.

Sie besuchten zusammen die achte und neunte Klasse, tauschten Baseballkarten, 45er-Platten von Smokey Robinson und Schwindeleien über Eroberungen unnahbarer Mädchen in Wayne, bekannt für ihren Vorsatz, sich vor der Ehe nicht herzugeben – oder zumindest nicht vorm College, denn wenn sie schon schwanger würden, dann wenigstens von einem Kerl mit Hochschulabschluss. Willie hatte Lester sein erstes Kondom gezeigt. Wenn nur die Hälfte von Lesters Geschichten wahr wäre, könnte der ihm hoffentlich die richtige Anwendung dieser kleinen Gummischeibe so fachmännisch erklären, dass er die anderen Jungs vom Wahrheitsgehalt seiner eigenen Geschichten – zumindest einiger – überzeugen konnte.

»Mach schon, Shit, ziehs über.«

Lester starrte ebenso verwirrt auf die schlaffe Gummihülle wie sein Freund. »Näh, Mann.«

»Ah, bitte. Zeigs mir nur einmal. Hör mal, ich hab das Mädchen echt so weit. Aber sie hat Angst, ’n dicken Bauch zu kriegen. Und die andern Male hab ichs immer ohne gemacht. Aber diese eine hier wills nur machen, wenn ich das benutze.«

Lester nahm das Kondom mit klopfendem Herzen und kämpfte gegen seine zittrigen Hände an. Er untersuchte es bedächtig, während Willie gebannt jede seiner Bewegungen beobachtete. Schließlich schüttelte Lester den Kopf und schnippte es zurück zu Willie.

»Mann, das iss zu klein. Das krieg ich nich drüber.«

»Ja?« Willie betrachtete seinen Freund mit neuem Respekt. »Aber es dehnt sich.«

»Iss mir egal – iss die falsche Größe für mich. Sinnlos, ein heiles Gummi kaputt zu machen.«

»Gott«, sagte Willie, als er den schlaffen Schlauch langsam zu seinen vollen zweiundzwanzig Zentimetern auszog, »du musst da echt ’n beachtliches Teil haben.«

Und Lester hatte Willie seine ersten Gedichte gezeigt. Sie lernten gerade gemeinsam für eine Geometrie-Prüfung zu Hause bei Lester am First Crescent Drive. Immer wieder hob Lester den Blick zu Willies dunklem Krauskopf, der über ein schmuddeliges Papier mit Dreiecken und Linien gebeugt war. Er fingerte nervös an den lose hinten ins Lehrbuch gestopften Blättern herum und hoffte, dass er heute endlich den Mut aufbrachte, sie hervorzuziehen.

»White?«

»Ja.«

»Nichts.« Lester seufzte und steckte den Kopf wieder ins Buch. Gedichte schreiben galt als waschlappig bei der Clique, mit der er und Willie abhingen – außer es war etwas über Miss Thatchers schirmförmiges Hinterteil; eventuell kam man am Valentinstag damit durch, wenn die damit bedachte Sister heiß genug war. Aber so ein Quark über Sonnenuntergänge und Blumen und wie er sich manchmal im Dunkeln noch immer ein bisschen fürchtete, oder über seinen Wunsch, später mal wie Malcolm X zu sein, für ihn die größte historische Persönlichkeit überhaupt? Oder über das Gefühl, das einen überkam, wenn man Hank Aarons kraftvollen, muskulösen Körper beim Schwingen des Schlägers herumwirbeln sah? – verdammt. Er wollte nicht, dass Willie ihn für schwul hielt oder so.

»White?«

»Shit, hör auf, mich zu nerven, wenns nich was Wichtiges ist. Ich glaub, ich hab die alte Thatcher hier echt dran. Ich kann beim Test morgen beweisen, dass die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten nicht eine gerade Linie ist.«

»Hier.« Lester stieß ihm die Blätter ins Gesicht. »Lies das mal.« Sein angehaltener Atem brannte ihm in der Lunge, während Willie die verkrumpelten Blätter glatt strich und zu lesen begann. Dann sah er die Mundwinkel seines Freundes leicht nach oben zucken.

»Wenn du lachst, so wahr mir Gott helfe, nehm ich von hier Anlauf und verpass dir ’n Tritt in den Hintern. Und wenn du irgendwem in der Schule was davon erzählst, werd ich dich einen Lügner nennen, White Willie – und, und ich werd dir noch mal in den Hintern treten. Ich kann dich und praktisch alle andern Jungs verprügeln, außer Spoon, aber nur, weil der unfair kämpft. Gib das Zeug wieder her!«

Willie hielt die Gedichte außerhalb Lesters Reichweite. »Hey, mach dich locker, Mann. Die sind echt gut.«

Lester wurde heiß vor Freude, aber das durfte er sich auf keinen Fall anmerken lassen. Dann wäre er echt ein Schwuli. Er schnalzte mit der Zunge. »Ach, sind nix Besonderes.«

»Ohne Quatsch, Shit. Du musst ’n Haufen Zeit da reingesteckt haben.«

»Zwei Sekunden – nicht mehr. Weniger Zeit, als du zum Pinkeln brauchst.«

»Ja, also, jedenfalls brauch ich ’n ganzes Stück länger, um meine zu schreiben, und die sind nicht mal so gut.«

»Ja?« Lester spürte seine Gesichtszüge entgleiten, aber er riss sich zusammen. »Mach halblang. Ich hab dich noch nie ’n...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2022
Übersetzer Angelika Kaps
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bürgerrechtsbewegung • People of Color • Rassismus • USA
ISBN-10 3-293-31131-8 / 3293311318
ISBN-13 978-3-293-31131-2 / 9783293311312
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