Mörderisches Madeira (eBook)
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2696-2 (ISBN)
Tomás Bento ist Germanist, Pädagoge und promovierter Diplom-Psychologe, lebt und arbeitet in Kiel. Er ist gern auf Reisen - immer auf der Suche nach Geschichten und Einblicken in fremde Lebenswelten. Madeiras Flora und Fauna haben ihn dabei besonders beeindruckt.
Tomás Bento ist Germanist, Pädagoge und promovierter Diplom-Psychologe, lebt und arbeitet in Kiel. Er ist gern auf Reisen – immer auf der Suche nach Geschichten und Einblicken in fremde Lebenswelten. Madeiras Flora und Fauna haben ihn dabei besonders beeindruckt.
2
Primeiro-sargento Brendão führte ihn durch das große zweiflügelige Tor in die Halle. Es war der Weg, den auch der Arbeiter genommen hatte, der am Morgen den Toten entdeckt hatte. Wenn es Spuren gegeben hatte, waren sie hier ohnehin verwischt. Nicht nur der Arbeiter, auch die Beamten der Guarda Nacional Republicana, die als Erste am Tatort eingetroffen waren, und die Rettungssanitäter waren hier entlanggelaufen.
Mauricio behagte es trotzdem nicht, dass keiner der Beamten Überzieher über den Schuhen trug. Er selbst hatte sich ein Paar aus dem Kofferraum geholt und auch Latexhandschuhe über die Finger gestreift, ehe er die Halle betrat. Immerhin hatten außer dem Arbeiter auch alle anderen Handschuhe getragen, die Sanitäter Gummihandschuhe wie Mauricio, die GNR-Beamten dünne Lederhandschuhe. Das reduzierte das Risiko von Fehlspuren, wenngleich jeder, der hier entlanglief, immer noch Haare, Hautschuppen und Fasern von seiner Kleidung zurücklassen konnte.
Sie gingen an den Destillierapparaten auf der linken und der Presse auf der rechten Seite vorbei. Als die großen Kupferkessel in Sicht kamen, blieb Mauricio stehen.
Brendão streckte den Arm aus. »Da.«
Mauricio kniff die Augen zusammen. Der Kessel stand in einem der dunkleren Winkel der Halle. Nach der Helligkeit draußen dauerte es einen Moment, ehe Mauricio sich an die spärliche Beleuchtung gewöhnt hatte. Nur langsam schälten sich die Umrisse heraus. Er nahm sich einen kurzen Moment, um sich zu sammeln. Dann kletterte er auf das Metallgerüst, das den Kessel umgab.
Aus der braunen Masse im Kessel ragten zwei schlanke, braun gebrannte und blond behaarte Knöchel und große Füße, die in schwarzen, abgetragenen Trekkingsandalen steckten. Mauricio musterte sie nur knapp und kletterte rasch wieder nach unten. Alles Weitere musste warten, bis die Spurensicherung abgeschlossen war.
»Warum haben Sie am Telefon nicht gesagt, dass es sich bei dem Toten nicht um meinen Bruder handeln kann?«, fragte er den Primeiro-sargento.
Brendãos Miene blieb hart. »Das Opfer ist noch nicht identifiziert.«
»Ein blonder Mann mit abgelaufenen Sandalen.«
»Ich kenne Ihren Bruder nicht. Ungesicherte Erkenntnisse gebe ich nicht weiter.«
»Aber mein Bruder lebt.« Mauricio deutete nach draußen.
»Das wussten wir nicht. Als wir die PJ informiert haben, war er nicht auffindbar.«
Mauricio musterte das finstere Gesicht des GNR-Beamten. Langsam begann er zu ahnen, was in dessen Kopf vorging. »Sie halten meinen Bruder für tatverdächtig?«
Brendão zuckte mit den Schultern. »Es ist sein Betrieb. Außerdem war er nicht in seinem Büro, als der Arbeiter das Auffinden der Leiche melden wollte. Er war auch telefonisch nicht zu erreichen.«
Mauricio deutete nach draußen. »Schließlich haben Sie ihn aber angetroffen.«
Der Primeiro-sargento nickte knapp. »Meine Männer haben gesehen, wie er sich von hinten in sein Büro geschlichen hat. Anscheinend hatte er etwas vergessen, das er für seine Flucht brauchte.«
Mauricio runzelte die Stirn. »Warum vermuten Sie, dass er fliehen wollte?«
Brendão vollführte eine ausholende Armbewegung. »Vor der Halle standen ein Rettungswagen und unsere Einsatzfahrzeuge. Wenn er nichts zu verbergen hat, warum ist er dann nicht dazugekommen und hat nach dem Rechten gesehen? Er ist immerhin der Besitzer der Engenho. Er müsste doch neugierig sein, was vor sich geht. Es sei denn, er wusste es längst.«
Mauricio wurde innerlich kalt. Rasch überlegte er. Die Büros waren in einem Anbau auf der Rückseite der Halle untergebracht, in der sich die Brennerei befand. Von der Eingangstür aus war der Hof nicht zu sehen. Kam man von der Straße, musste man auf dem Weg dorthin allerdings daran vorbei.
»Was hat er gesagt, wo er sich aufgehalten hat?«
»Angeblich war er in der Nähe der Kirche. In dem Teehaus neben der Lehrfarm, der Quinta Pedagógica.«
Mauricio lächelte erleichtert. »Dann hat er den Weg durch den Wald genommen. Er geht gerne spazieren, wenn er nachdenken will. Sofern er von dort zum Bürotrakt gegangen ist, hatte er keine freie Sicht auf den Hof.«
Brendão wirkte verstimmt. »Genau das hat er behauptet.«
»Gibt es einen Grund, ihm nicht zu glauben? Haben Sie im Teehaus nachgefragt, ob er dort war?«
»Die Bedienung hat es bestätigt, aber sie konnte nicht genau sagen, wann er gekommen und wie lange er geblieben ist. Als sie bei seinem Begleiter kassiert hat, war er jedenfalls schon gegangen.«
»Das heißt, er war nicht allein? Also hat er doch ein Alibi.«
»Er will uns den Namen seines Begleiters nicht nennen.«
»Aha?« Mauricio spürte, wie er sich verspannte. Er musste mit Alexandro reden. Es passte nicht zu ihm, sich der Polizei gegenüber unkooperativ zu verhalten. Es sei denn, er hätte tatsächlich eine Straftat begangen. Doch das konnte sich Mauricio beim besten Willen nicht vorstellen. Alexandro war der älteste der drei Brüder, er war immer diszipliniert und vernünftig gewesen. Er war auch nicht der Typ für gewalttätige Auseinandersetzungen. Wenn einer von ihnen jemals Gefahr gelaufen wäre, vom rechten Weg abzukommen, dann war es sein jüngerer Bruder Jacinto, der das Leben nicht so eng sah. Aber nicht Alexandro!
Mauricio trat aus der Halle ins Sonnenlicht und sah, dass die GNR-Beamten seinen Bruder auf die Rückbank ihres Wagens gesetzt hatten. Die Tür stand offen, Alexandro, der den Kopf in die Hände gestützt hatte, wurde von zwei Beamten flankiert. Mauricio verschob seinen Plan, mit ihm zu sprechen. Auch wenn er nicht glaubte, dass Alexandro irgendetwas Verbotenes getan hatte – dass er überhaupt dazu in der Lage wäre –, wollte er lieber unter vier Augen mit ihm reden.
Stattdessen wandte er sich an einen der Beamten, die das Gelände mit dem gelb-weißen Absperrband der GNR abriegelten. »Haben Sie den Auffindungszeugen vernommen?«, erkundigte er sich.
Der GNR-Beamte verneinte. »Er war nicht in der Verfassung.«
Mauricio schaute sich um. »Wo ist er jetzt?«
Der Beamte deutete über den Hof zu einem Holzstapel. Darauf hockte ein Mann, die Beine angezogen, die Hände auf den Knien. Er trug graue Arbeitskleidung und eine verblichene Schiebermütze. »Haben Sie seine persönlichen Daten aufgenommen?«
Der GNR-Beamte nickte knapp. »Sein Name ist Arturo Andrade. Er …«
Mauricio hob die Hand, um ihn zu stoppen. »Danke. Ich kenne den Mann.«
Andrade war der Brennmeister der Engenho. Er hatte schon unter Mauricios Vater für den Betrieb gearbeitet. Als sie Kinder waren, hatte er ihnen jedes Detail der Anlage erklärt und sie vom Zuckerrohrsirup probieren lassen, einmal sogar von dem fertigen Aguardente de cana-de-açúcar. Mauricio und seinen Brüdern war davon schlecht geworden, aber sie waren trotzdem stolz gewesen. Der Brennmeister hatte sie wie echte Männer behandelt.
Als Mauricio jetzt auf ihn zuging, sah er, dass Andrade alt geworden war. Er rechnete nach; tatsächlich musste der Brennmeister die sechzig längst überschritten haben. Vermutlich stand er kurz vor der Rente.
Er war ein schmaler Mann mit tiefbrauner Haut. Sein Gesicht war zerknittert, in den Falten wucherten graue Bartstoppeln. Mit der rechten Hand umfasste er den Kopf einer kleinen, geraden Pfeife, die in einer Lücke seiner braun verfärbten Zähne steckte.
Andrade legte den Kopf schief. »Mauricio. Wir haben uns lange nicht gesehen.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund. »Ich habe von deinem Bruder erfahren, dass deine hübsche Frau gestorben ist. Das tut mir sehr leid.«
»Danke.« Mauricio, der sich seit Marias Tod von den meisten Menschen zurückgezogen hatte, musste schlucken. Andrades ehrliches und schlichtes Mitgefühl berührte ihn tiefer, als es viele andere Beileidsbekundungen getan hatten.
»Kommst du zurecht?«
Mauricio schaute den alten Mann an. Jemandem wie ihm konnte er nichts vormachen. »Es wird besser. Aber es ist immer noch schwer.«
Andrade nickte. Er wies mit der freien Hand zu den Dienstfahrzeugen der GNR. »Warum bewachen sie deinen Bruder? Glauben Sie, dass er etwas mit dem Toten im Kessel zu tun hat?«
»Nein. Das ist Routine.« Auch wenn er dem alten Brennmeister gern sein Herz ausgeschüttet hätte, Ermittlungsdetails durfte er nicht weitergeben.
»Soso.« Die dunklen Augen ließen Mauricio nicht los. Aus der Pfeife stiegen kleine Rauchwolken auf.
»Erzähl mir, wie du den Toten entdeckt hast.«
Arturo Andrade nahm die Pfeife aus dem Mund. »Ich wollte kontrollieren, ob die Destille richtig arbeitet. Eigentlich beginnt meine Schicht erst heute Nachmittag. Aber gestern hat die Temperatur nicht gestimmt. Deshalb bin ich vorbeigekommen. Ich wollte mich bei deinem Bruder melden, doch er war nicht in seinem Büro. Also bin ich einfach in die Halle gegangen. Frag mich nicht, warum, aber ich habe sofort gespürt, dass etwas nicht stimmt. Ich bin die Treppen hochgestiegen und habe in alle Kessel geschaut. Und da habe ich ihn gesehen.«
»Wann war...
Erscheint lt. Verlag | 27.5.2022 |
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Reihe/Serie | Ein Madeira-Krimi | Ein Madeira-Krimi |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Atmosphäre • Comissario Mord • Cozy Crime • Culture Clash • deutsche Ermittlerin im Ausland • Fernweh • Krimi für den Strand • Krimi für den Urlaub • Krimi Neuerscheinung 2022 • Kulinarik • Landschaft • Madeira • Natur • Portugal • portugiesischer Ermittler • Reiselust • Urlaubskrimi |
ISBN-10 | 3-8437-2696-5 / 3843726965 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2696-2 / 9783843726962 |
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