Neptun 1986 (eBook)

Thriller | Ein atemberaubender DDR-Thriller in der aufgeheizten Atmosphäre der 80er Jahre
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
368 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2699-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Neptun 1986 -  Frank Granitz
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Eine junge Frau gerät zwischen die Fronten von Ost und West und muss eine Entscheidung auf Leben und Tod treffen Nina ist noch ein Kind, als ihre Schwester aus der Familie genommen wird. Doch den Schmerz vergisst sie nie. Seitdem führt sie das Leben einer scheinbar normalen Frau, im Neptun-Hotel in Warnemünde ist sie die Empfangschefin. Erst eine Geheimkonferenz im Hotel verändert alles. Einer der Teilnehmer ist Wassili, Ninas große Liebe. Achtzehn Jahre haben sie sich nicht gesehen. Durch ihn bekommt sie hochbrisante Informationen über illegal in der DDR gelagerte Waffen. Endlich ist ihre Stunde gekommen. Sie will das Schicksal beider deutscher Staaten in die Hand nehmen und das Geheimnis der Gegenseite preisgeben. Doch Nina gerät zwischen die Fronten und wird zur Gejagten. Sie hat nur noch ein Ziel - sie muss ihren Sohn retten. Das Neptun-Hotel als Schauplatz einer dramatischen Eskalation: mondän und geheimnisvoll.

Frank Granitz wurde 1967 in Brandenburg an der Havel geboren. Er ist Absolvent der Filmschule Wien, promovierter Ethnologe und seit 2016 als freier Autor tätig.

Frank Granitz wurde 1967 in Brandenburg an der Havel geboren. Er ist Absolvent der Filmschule Wien, promovierter Ethnologe und seit 2016 als freier Autor tätig.

Kapitel 2


Mai 1968, Leningrad

In diesem Stadtviertel war sie noch nie zuvor gewesen.

Wieder verglich sie Straßennamen und Hausnummer mit der Anschrift auf dem Zettel, den ihr Lena in die Hand gedrückt hatte. Mit Lena, einer Moskauer Studentin, teilte sie sich das Zimmer, und ursprünglich war es ihre Idee, gemeinsam hierherzugehen. Doch wie so oft, kam bei Lena etwas »außerordentlich Wichtiges« dazwischen, das sich meistens um einen Mann drehte, und sie hatte ihr »Wir treffen uns dann da« immer noch im Ohr.

Die Adresse gehörte zu einem alten Palais, das in den Glanzzeiten St. Petersburgs ein Prunkstück gewesen sein musste. Heute wirkte das ehemals herrschaftliche Stadthaus abgewirtschaftet und heruntergekommen. Der Vorgarten war verwildert, der Putz der Fassade brüchig und von rötlichen Algen durchsetzt.

Nina fächelte sich kühle Luft zu.

Für Anfang Mai ist es viel zu heiß, dachte sie und hielt einen Moment inne, um ihr Kleid glatt zu streichen, bevor sie über den breiten Kiesweg auf das Eingangsportal zuging.

Die riesige Holztür trug bereits eine Patina aus grauem Staub und schwarzem Ruß, darunter konnte sie mit viel Wohlwollen einen Rest von grünem Anstrich erkennen.

Sie drückte die schwere eiserne Klinke nach unten und zwängte sich durch den Spalt. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. Ihre Augen benötigten einen Moment, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen.

Sie betrat einen großen Raum, der früher einmal die Empfangshalle des Palais gewesen sein musste. Etwas Stuck unter der Decke und die kümmerlichen Reste einer weinroten Stofftapete zeugten von der früheren Pracht.

Jetzt war alles dem Verfall preisgegeben.

Es roch muffig nach altem Wasser, vermutlich war in der Wand ein Rohr gebrochen. Über ihrem Kopf nisteten Tauben in den Wandöffnungen, in bröckelnden Kaminen sammelte sich Schutt, und das von Feuchtigkeit durchsetzte Parkett wölbte sich.

Nina ging ein Stück vorwärts, ihre Schritte hallten in der Stille nach, während sie sich noch einmal der Adresse auf dem Zettel vergewisserte.

Als sie zweifelnd aufsah, fiel ihr Blick auf einen großen, mit barocken Goldleisten gerahmten Spiegel, der seitlich von ihr hinter einem Mauervorsprung hing. Er war definitiv gerade erst restauriert worden, und das frisch polierte Erscheinungsbild ließ ihn wie einen Fremdkörper zwischen all dem Unrat erscheinen.

Nun bemerkte sie auch die Treppe, die hinter dem Spiegel nach unten in den Keller führte.

Nina betrachtete neugierig ihre Gestalt im Spiegel. Sie fragte sich, ob sie sich während der letzten zwei Monate, die sie nun in Leningrad studierte, verändert hatte? Sie kniff die Augen zusammen.

Sie war etwas schmaler geworden, schien es ihr. Das schlichte weiße Kleid, das in Berlin noch fast zu eng anlag, umspielte nun locker ihre Hüften, betonte die leicht gebräunten Arme und die schlanken Beine, die in roten Stiefeln steckten, wie es in diesem Sommer 1968 Mode war. Das lange dunkelblonde Haar trug sie heute zum ersten Mal offen und zu beiden Seiten gescheitelt, so wie sie es auf einem französischen Filmplakat gesehen hatte.

Sie versuchte auch, wie die Frau auf dem Kinoplakat zu lächeln, doch es wirkte nicht echt.

Langsam stieg sie die Stufen hinunter. Die Treppe war unerwartet lang, und am Ende erwartete sie eine schwere Eisentür.

Sie drückte auf eine Klingel. Kurz darauf öffnete sich ein kleines Fenster. »Parole?«, fragte eine tiefe Männerstimme bestimmt.

Nina erinnerte sich, was Lena ihr gesagt hatte.

»The Who!«

»Kharascho!«

Das Fenster schloss sich, und die Tür ging auf.

Ein bulliger Mann, der wie ein Boxer aussah, deutete auf einen Gang, der mit kleinen grünen Kacheln gefliest war.

Mit klopfendem Herzen ging sie weiter. Lena und ihre verrückten Ideen, ging es ihr durch den Kopf. Da hörte sie schon die ersten Töne der Musik.

Der Gang machte einen Knick und weitete sich dann vor ihr … zu einem unterirdischen Schwimmbad.

Nur dass das Bassin gänzlich ohne Wasser war und jetzt als Tanzfläche genutzt wurde. Oben in den Ecken am Beckenrand hingen Lautsprecher, und in der Luft über den Köpfen der Tanzenden schwebten Discokugeln, die von farbigen Lichtern angestrahlt wurden.

Hinter einem Tisch stand ein junger Mann in einer braunen Stoffhose und weißem Hemd mit einem Kopfhörer am Ohr und spulte ein Tonband ab, auf der Suche nach dem nächsten Song, während eine ausgelassene Menge auf dem gekachelten Grund des Schwimmbeckens mit zuckenden Armen und Beinen in den Rhythmen westlicher Beatmusik versank.

Nina ließ ihren Blick durch den Raum gleiten. Überall standen oder saßen Leute an den Rändern in kleinen Gruppen zusammen. Sie bemerkte, wie die Augen der anderen sich neugierig auf sie richteten, auf ihre entblößten Arme und ihre schmale Gestalt. Einige von ihnen meinte sie aus der Fakultät zu kennen, aber sooft sie sich auch umsah, ihre Freundin mit den auffallenden langen roten Locken und im blauen Minikleid war nicht darunter.

Nina beschloss, sich an der Bar, die sie auf der Längsseite des Schwimmbades entdeckt hatte, eine Erfrischung zu holen und Lena so lange Zeit zu geben zu erscheinen, bis sie ausgetrunken hatte.

Ein pickeliges Mädchen mit dicker Brille, das hinter dem Tresen stand und sie neidisch musterte, stellte ihr einen Wodka hin.

Nina bedankte sich und nahm am Ende der Bar Platz.

Im Halbdunkel konnte sie die Köpfe und emporgereckten Arme der Tanzenden nur schemenhaft sehen.

Sie nippte am Glas.

Nicht weit von ihr entfernt erkannte sie Dimitri Iwanow, einen jungen, hoch aufgeschossenen Studenten in kariertem Hemd mit Seitenscheitel und Brille, der lässig an einer Holzbox lehnte. Sie wusste, dass er der Sohn eines führenden Parteifunktionärs und Gastgeber dieser illegalen Partys war.

Obwohl ihm die Aufmerksamkeit aller Anwesenden galt, stand er unbefangen da, als wäre er allein im Raum. Weder schien er die aufreizenden Gesten der Mädchen zu beachten, die sich um ihn drängten, noch ging er auf die Unterhaltung der männlichen Kommilitonen ein, die einen Halbkreis um ihn bildeten.

Nina beschlich das Gefühl, dass er ebenso wie sie auf jemanden wartete. Wieder blickte sie hinüber zum Eingang. Von Lena noch immer keine Spur.

Auf einmal verstummte die Musik.

Dafür geisterte jetzt das gelbe Oval eines Scheinwerfers über die Köpfe der Partygäste hinweg, bis es auf ein Mädchen mit Wuschelhaaren in einem kurzen grün karierten Rock und weißer Bluse traf, das am Beckenrand Aufstellung genommen hatte. Sie hielt ein Mikrofon vor der Brust und schaute nach unten.

Alle Anwesenden wandten sich ihr gespannt zu.

Auch Nina.

Das Mädchen begann, etwas auf Französisch zu singen, es klang wie ein frivoles Chanson, und sie wiegte sich dazu aufreizend in den Hüften. Anscheinend waren die Sängerin und das Lied bekannt. Das Publikum klatschte begeistert im Takt dazu.

Nina konnte der Darbietung nichts abgewinnen. Sie fand das, was die Frau da vorbrachte, gekünstelt und übertrieben, mal schämte sie sich für sie, mal amüsierte sie sich über sie.

Sie blickte sich um und suchte in den Gesichtern der Umstehenden vergebens nach dem gleichen Gefühl des Spottes, das sie empfand, aber alle anderen schienen von dem singenden Mädchen hingerissen zu sein.

Das Lied neigte sich dem Ende, und Beifall brandete auf.

Nina hatte genug.

Sie trank den letzten Schluck Wodka aus und machte sich auf den Weg. Sie stellte gerade das Glas auf dem Tresen ab, als das Mädchen mit der Brille hinter der Bar sich aufgeregt zwei Studenten zuwandte, die lässig daran lehnten.

»Das ist der, von dem ich euch erzählt habe!«, flüsterte sie. »Das ist Wassili Alexejewitsch Michailow!«

Nina folgte der Blickrichtung ihrer Augen und sah einen ungewöhnlich schönen Offizier durch den Saal auf sie zukommen. Obwohl er eine Uniform trug und seine Haltung eines gewissen Stolzes nicht entbehrte, wirkte er selbst an einem zwielichtigen Ort wie diesem nicht deplatziert.

Als er auf Höhe der Bar war, trafen sich kurz ihre Blicke, und sie erkannte, dass auf seinem anziehenden Gesicht ein Ausdruck von Zufriedenheit und Heiterkeit lag.

Michailow blieb abrupt stehen. Dann wandte er sich einem weißblonden Studenten mit Stupsnase und Sommersprossen in einem gestreiften Hemd zu, der nachlässig ein Glas Bier in der Hand hielt. Er richtete eine Frage an ihn und schob dabei den rechten Daumen hinter einen geschlossenen Knopf seiner Uniform. Da im selben Augenblick die Beatmusik wieder einsetzte, verstand Nina nicht, was er sagte, entnahm aber seiner Haltung, dass er sich nach ihr erkundigte.

»Krasivaja dewotschka« las sie von seinen vollen Lippen. Offenbar meinte er sie damit.

Der Student sah abschätzend zu ihr herüber, erkundigte sich danach bei seinem Freund, der neben ihm stand, bevor er mit den Achseln zuckte.

Wortlos wandte sich Michailow ab und ging weiter zu Dimitri Iwanow, der ihm freundschaftlich die Faust in die Seite stieß.

»Die beiden sind seit der Schulzeit ganz dicke Freunde«, hörte Nina das Barmädchen sagen.

»Aber der dürfte doch gar nicht hier sein«, maulte der...

Erscheint lt. Verlag 28.4.2022
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 60 Jahre Mauerbau • Agententhriller • BND • DDR Buch • INF-Vertrag • Kalter Krieg Roman • Krimi historisch • Mauerfall • Ostsee • Rostock • Spionage • Stasi • Thriller Historisch • Thriller Neuerscheinung 2022 • Verfolgung
ISBN-10 3-8437-2699-X / 384372699X
ISBN-13 978-3-8437-2699-3 / 9783843726993
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