Herz der Finsternis (eBook)

Reclam Taschenbuch

(Autor)

Daniel Göske (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
166 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961923-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Herz der Finsternis -  Joseph Conrad
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In nur wenigen Wochen niedergeschrieben, ist Herz der Finsternis Joseph Conrads literarische Bewältigung seiner eigenen Reise auf dem Kongo, von der ihm eine zeitlebens zerrüttete Gesundheit und alptraumhafte Erinnerungen geblieben waren. Im Auftrag einer belgischen Handelsgesellschaft reist der Flussdampferkapitän Charlie Marlow nach Afrika. Er ist auf der Suche nach dem Agenten Kurtz, der eine wichtige Handelsniederlassung im Elfenbeingebiet leitet. Doch je tiefer Marlow in das fremde Terrain vordringt, desto mehr beginnt er, an der Welt um sich herum und sich selbst zu zweifeln. Eine Auseinandersetzung mit den Grundfragen des menschlichen Daseins und ein modernes Gegenbild des Dante'schen Abstiegs ins Inferno. - Mit einer kompakten Biographie des Autors.

Conrad Ferdinand Meyer (11.10.1825 Zürich - 28.11.1898 Kilchberg bei Zürich) litt zeit seines Lebens an Depressionen. Ein Geschichtsstudium und Reisen nach Italien weckten seine Begeisterung und schriftstellerische Inspiration für die Kunst und Kultur der Antike und Renaissance. Den ersten Erfolg als Dichter hatte er mit dem Versepos »Huttens letzte Tage« von 1871. In einer späten Schaffensperiode suchte er sich von den traditionellen Formen der Erlebnislyrik zu lösen. Meyer strebte nach einer Objektivierung subjektiver Erfahrung. In seinem erzählerischen Schaffen dominiert die Novelle mit einer Vorliebe für historische Stoffe und große Gestalten, meist erzählt von einem zeitgenössischen, nur am Rande beteiligten Beobachter (Rahmenerzählung), der für Distanz und eine durch Undurchschau¬barkeit und Zweideutigkeit geprägte ?Objektivität? sorgt, wie in »Das Amulett« von 1873.

Conrad Ferdinand Meyer (11.10.1825 Zürich – 28.11.1898 Kilchberg bei Zürich) litt zeit seines Lebens an Depressionen. Ein Geschichtsstudium und Reisen nach Italien weckten seine Begeisterung und schriftstellerische Inspiration für die Kunst und Kultur der Antike und Renaissance. Den ersten Erfolg als Dichter hatte er mit dem Versepos »Huttens letzte Tage« von 1871. In einer späten Schaffensperiode suchte er sich von den traditionellen Formen der Erlebnislyrik zu lösen. Meyer strebte nach einer Objektivierung subjektiver Erfahrung. In seinem erzählerischen Schaffen dominiert die Novelle mit einer Vorliebe für historische Stoffe und große Gestalten, meist erzählt von einem zeitgenössischen, nur am Rande beteiligten Beobachter (Rahmenerzählung), der für Distanz und eine durch Undurchschau¬barkeit und Zweideutigkeit geprägte ›Objektivität‹ sorgt, wie in »Das Amulett« von 1873.

Herz der Finsternis

Anhang
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Nachwort
Zeittafel

I


Die »Nellie«, eine seetüchtige Jacht, schwoite ohne das leiseste Flattern der Segel um ihren Anker und lag still. Die Flut stieg, der Wind war fast ganz abgeflaut, und da es flussabwärts gehen sollte, blieb ihr nichts übrig, als beizudrehen und auf die Ebbe zu warten.

Die Mündung der Themse dehnte sich vor uns wie der Anfang einer unendlichen Wasserstraße. In der Räumte waren See und Himmel fugenlos zusammengeschweißt, und in der leuchtenden Weite schienen die sonnengegerbten Segel der mit der Flut flussaufwärts treibenden Kähne stillzustehen – rote Büschel aus Leinwand, scharf zugespitzt im Glanz der lackierten Bugspriete. Ein Nebelschleier ruhte über dem platten Land, dessen weite Flächen sich in der See verloren. Über Gravesend lag ein finsterer Dunst, der sich noch weiter entfernt zu einer trüben Düsternis zu verdichten schien, die reglos über der größten und großartigsten Stadt dieser Erde brütete.

Der Generaldirektor war unser Kapitän und Gastgeber. Wir vier sahen ihm wohlwollend zu, wie er, uns den Rücken zukehrend, am Bug stand und auf die See hinausblickte. Auf dem ganzen Strom gab es nichts, das nur halb so seemännisch ausgesehen hätte. Er erinnerte an einen Lotsen, für einen Seemann die Verlässlichkeit in Person. Es war schwierig, sich klarzumachen, dass seine Arbeit nicht dort draußen in der leuchtenden Meeresbucht auf ihn wartete, sondern hinter ihm, inmitten der brütenden Düsternis.

Uns vereinte, wie ich irgendwo schon gesagt habe, das Band der See. Nicht nur hielt dieses Band unsere Herzen während langer Trennungszeiten zusammen; es machte uns auch nachsichtig für die Geschichten eines jeden – und sogar für seine Überzeugungen. Der Anwalt – ein famoser alter Knabe – hatte wegen seiner hohen Jahre und hohen Verdienste das einzige Polster an Deck und lag auf der einzigen Matte. Der Buchhalter hatte bereits eine Schachtel mit Dominosteinen hervorgeholt und spielte mit ihnen herum. Marlow saß, an den Besanmast gelehnt, mit überkreuzten Beinen achtern. Mit seinen hohlen Wangen, seiner gelblichen Gesichtsfarbe und seinem aufrechten Rücken bot er einen asketischen Anblick und erinnerte mit seinen herabhängenden Armen, die Handflächen auswärts gekehrt, an eine Götterstatue. Nachdem der Direktor sich überzeugt hatte, dass der Anker ordentlich fest saß, kam er nach achtern und setzte sich zu uns. Träge wechselten wir ein paar Worte. Dann herrschte Schweigen an Bord der Jacht. Aus irgendeinem Grund begannen wir nicht mit der Dominopartie. Wir waren in Gedanken versunken und zu nichts aufgelegt, als ruhig vor uns hin zu schauen. Der Tag neigte sich in vollkommener Klarheit und leuchtender Stille. Das Wasser glitzerte friedlich, der Himmel war wolkenlos, eine gütige Unermesslichkeit makellosen Lichts; sogar der Dunst über den Marschen von Essex glich einem zarten und schimmernden Gewebe, das von den fernen waldigen Hügeln herabhing und das flache Land in durchsichtige Schleier hüllte. Nur die im Westen über dem oberen Flusslauf brütende Düsternis verdunkelte sich mit jeder Minute, wie zornig über das Nahen der Sonne.

Und in ihrer weiten und unmerklich langsamen Bahn sank die Sonne schließlich tief herab, und ihr glühendes Weiß verwandelte sich in ein trübes Rot, das weder Licht noch Hitze ausstrahlte, als würde sie gleich jäh verlöschen, zu Tode getroffen von der Berührung mit jener Düsternis, die über einer riesigen Menschenmasse brütete.

Alsbald kam eine Veränderung über das Wasser, und die heitere Klarheit verlor an Leuchtkraft, gewann aber an Tiefe. Nach Jahrhunderten treuer Dienste für das Volk, das an seinen Ufern siedelte, lag der alte, weite Fluss am Ende dieses Tages still und glatt da, ausgebreitet mit der gelassenen Würde einer bis an die äußersten Enden der Erde reichenden Wasserstraße. Wir betrachteten den ehrwürdigen Strom nicht im kräftigen Licht eines kurzen Tages, der da kommt und für immer verschwindet, sondern im erhabenen Schein bleibender Erinnerungen. Und wirklich ist nichts leichter für den, der mit Ehrfurcht und Hingabe zur See gefahren ist, als auf dem Unterlauf der Themse den Geist einer großen Vergangenheit zu beschwören. Der Gezeitenstrom fließt in immerwährender Dienstbarkeit hin und her, und er ist voll von Erinnerungen an Männer und Schiffe, die er dem Frieden in der Heimat oder den Schlachten auf See entgegentrug. Er hatte all jene Männer gekannt und ihnen gedient, die der Stolz der Nation sind, von Sir Francis Drake bis Sir John Franklin, Ritter allesamt, mit oder ohne Titel – die großen fahrenden Ritter der See. Er hatte all jene Schiffe getragen, deren Namen in der Nacht der Zeiten wie Juwelen blitzen, von der »Golden Hind«, die, heimgekehrt mit ihren gerundeten Flanken voller Schätze, den Besuch Ihrer Königlichen Hoheit empfing und so ihre heldenhafte Geschichte krönte, bis zu der »Erebus« und dem »Terror«, die auf andere Eroberungen aus waren – und nie heimkehrten. Der Strom hatte sie alle gekannt, die Männer und ihre Schiffe. Von Deptford, von Greenwich, von Erith aus waren sie in See gestochen – Abenteurer und Kolonisten; Schiffe im Dienste des Königs und Schiffe im Auftrag der Finanzwelt; Kapitäne, Admirale, die lichtscheuen »Schleichhändler« des Osthandels und die mit Vollmachten ausgestatteten »Regulären« der Ostindienflotten. Auf der Jagd nach Gold, auf der Suche nach Ruhm fuhren sie aus auf diesem Strom; sie trugen das Schwert und oftmals die Fackel, Boten der Macht ihres Landes, Träger eines Funkens vom heiligen Feuer. Was war nicht alles an wahrhaft Großem mit der Ebbe auf diesem Fluss hinausgesegelt in das Geheimnis einer unbekannten Erde! … Die Träume von Menschen, die Samen von Staaten, die Keime von Weltreichen.

Die Sonne ging unter; Dämmerung senkte sich auf den Strom, und entlang des Ufers glommen Lichter auf. Der Leuchtturm von Chapman, ein dreibeiniges, hochaufgereckt in der Schlickfläche stehendes Etwas, warf einen hellen Schein. Ein großes Gewirr von Positionslampen irrlichterte in der Fahrrinne auf und ab. Und weiter westlich, über dem Oberlauf des Flusses, zeichnete sich die Lage der ungeheuren Stadt noch immer drohend gegen den Himmel ab, eine brütende Düsternis im Sonnenlicht, ein dunkles Glosen unter den Sternen.

»Und auch dies«, sagte Marlow plötzlich, »ist einer der finsteren Orte auf Erden gewesen.«

Er war der Einzige unter uns, der noch immer zur See fuhr. Das Schlimmste, was man von ihm sagen konnte, war, dass er seinen Stand nicht wirklich verkörperte. Er war Seemann, aber er war auch ein Wanderer, während doch die meisten Seeleute sozusagen ein sesshaftes Leben führen. Sie haben ein bodenständiges Gemüt, und ihr Zuhause – das Schiff – ist immer um sie, ebenso wie ihr Heimatland – die See. Ein Schiff ist dem anderen sehr ähnlich, und die See bleibt sich immer gleich. In der Unwandelbarkeit ihrer Umgebung gleiten die fremden Küsten, die fremden Gesichter, die sich wandelnde Unermesslichkeit des Lebens vorüber, verschleiert nicht von der Ahnung des Rätselhaften, sondern von einer leicht verächtlichen Einfältigkeit. Denn es gibt nichts Rätselhaftes für einen Seemann außer der See selbst, die Herrin ist über sein Dasein und so unergründlich wie das Schicksal. Für das Übrige genügt nach getaner Arbeit ein gelegentlicher Bummel oder eine gelegentliche Zecherei an Land, um ihm das Geheimnis eines ganzen Kontinents aufzuschließen, und in der Regel ist ihm dieses Geheimnis der Mühe nicht wert. Das Seemannsgarn dieser Leute besitzt eine unverstellte Schlichtheit, deren ganzer Sinn innerhalb der Schale einer geknackten Nuss liegt. Marlow aber war kein gewöhnlicher Fall (seine Neigung, Seemannsgarn zu spinnen, ausgenommen). Für ihn lag der Sinn eines Ereignisses nicht im Inneren wie ein Kern, sondern außerhalb; er umgab die Geschichte, die ihn nur hervorrief, wie etwas Glühendes einen Dunstkreis erzeugt, umhüllte sie wie die dunstige Aureole, die manchmal sichtbar wird durch das geisterhafte Strahlen des Mondlichts.

Marlows Bemerkung kam beileibe nicht überraschend. Sie sah ihm sehr ähnlich. Schweigend nahmen wir sie auf. Niemand machte sich die Mühe, auch nur zu brummen, und bald sagte er sehr langsam:

»Ich dachte gerade an sehr alte Zeiten, als die Römer zum ersten Mal herüberkamen, vor eintausendneunhundert Jahren – neulich … Seither ist Licht von diesem Fluss ausgegangen – Ritter sagt ihr? Ja, aber es ist wie ein rasender Steppenbrand, wie ein Blitz in den Wolken. Wir leben im Augenblick des Aufflackerns – möge er so lang dauern, wie sich die alte Erde dreht! Aber gestern herrschte hier Finsternis. Stellt euch die Gefühle eines Kommandanten einer prächtigen – wie heißen die Dinger noch? – einer Triere im Mittelmeer vor, der plötzlich nach Norden beordert, in aller Eile über Land durch die Provinzen Galliens gebracht wird und dann den Befehl über eins der Schiffe erhält, die die Legionäre – fabelhaft geschickte Leute müssen das gewesen sein – bauten, und offenbar gleich hundertweise, in ein oder zwei Monaten, wenn wir glauben dürfen, was wir lesen. Stellt ihn euch vor, hier – am äußersten Ende der Erde; eine See von bleierner Farbe, die Farbe des Himmels wie Rauch, ein Schiff ungefähr so stabil wie eine Ziehharmonika – und er segelt flussaufwärts, mit Proviant oder Befehlen, oder was immer. Sandbänke, Sümpfe, Wälder, Wilde, herzlich wenig Genießbares zu essen für einen zivilisierten Mann und nichts...

Erscheint lt. Verlag 8.10.2021
Reihe/Serie Reclam Taschenbuch
Reclam Taschenbuch
Übersetzer Daniel Göske
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Englische Literatur • Expedition Unterbewusstsein Kongo • Herz der Finsternis Deutsch • Herz der Finsternis Übersetzung • Literatur europäischer Kolonialismus • Literatur Kongo • Roman europäischer Kolonialismus • Roman Kolonialismus • Roman Kongo
ISBN-10 3-15-961923-0 / 3159619230
ISBN-13 978-3-15-961923-1 / 9783159619231
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