Ich ist ein anderer (eBook)

Heptalogie III - V | Nobelpreis für Literatur 2023

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
368 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00194-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich ist ein anderer -  Jon Fosse
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Der zweite Band von Jon Fosses international gefeierter 'Heptalogie' - eine grandiose Geschichte über das Erwachsenwerden. 'Ich ist ein anderer' spielt in unserer Welt, wenn auch nicht ganz. Da sind zwei Maler mit demselben Namen, Asle ? der eine erfolgreich, aber Witwer, der andere säuft. Oft könnte man meinen, sie wären ein und derselbe, und doch begegnen sie sich manchmal, sprechen auch miteinander. Zeit und Raum folgen im Leben dieser beiden anderen Gesetzen, was an der Südwestküste Norwegens - dem Meer, den Fjorden - liegen mag. In diesem Buch ist Asle noch jung. Hier und da ein flüchtiger Kuss, eine Zigarette und Alkohol, Rockbands und Raufereien und im Hintergrund eine Mutter, die nörgelt, und ein Vater, der schweigt. In jenen Jugendjahren begegnen sich die beiden Asles zum ersten Mal. Sie sehen einander seltsam ähnlich, kleiden sich gleich, und beide wollen Maler sein. In der Kunstschule lernt Asle seine zukünftige Frau kennen, verliebt sich in sie. Geschrieben in betörend melodiöser Prosa, erzählt dieser geheimnisvolle, fast magische Roman von dem, was es ausmacht, am Leben zu sein: der Wärme eines Hundes auf dem Schoß, dem Vergnügen, allein mit dem Auto über Land zu fahren, dem Geschmack von Eiern mit Speck. Ein einzigartiges Werk über Liebe, Kunst und Glauben, über Alkohol, Freundschaft und den Lauf der Zeit.

Jon Fosse, 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund geboren und am Hardangerfjord aufgewachsen, gilt als einer der bedeutendsten europäischen Schriftsteller unserer Zeit. 2023 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.  Internationale Bekanntheit erlangte Fosse zunächst als Dramatiker. Seine mehr als dreißig Theaterstücke werden weltweit aufgeführt und brachten ihm zahlreiche Preise ein. In deutscher Übersetzung erschienen zunächst die Romane 'Melancholie', 'Morgen und Abend' und 'Das ist Alise'. Für sein Prosawerk 'Trilogie' bekam er 2015 den Literaturpreis des Nordischen Rates verliehen, den renommiertesten Literaturpreis Skandinaviens. Mit 'Der andere Name', dem ersten Band seines Romanprojekts 'Heptalogie', war er 2020 für den  International Booker Prize nominiert, mit dem letzten Band 'Ein neuer Name' stand er 2022 auf der Shortlist und wurde mit den wichtigsten norwegischen Literaturpreisen Brageprisen und Kritikerprisen ausgezeichnet. Seit 2011 genießt er lebenslanges Wohnrecht in der 'Grotte', einer Ehrenwohnung des norwegischen Königs am Osloer Schlosspark, und lebt mitunter auch in Hainburg an der Donau/Österreich oder in Frekhaug/Norwegen. Seit 2022 ist er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.

Jon Fosse, 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund geboren und am Hardangerfjord aufgewachsen, gilt als einer der bedeutendsten europäischen Schriftsteller unserer Zeit. 2023 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.  Internationale Bekanntheit erlangte Fosse zunächst als Dramatiker. Seine mehr als dreißig Theaterstücke werden weltweit aufgeführt und brachten ihm zahlreiche Preise ein. In deutscher Übersetzung erschienen zunächst die Romane "Melancholie", "Morgen und Abend" und "Das ist Alise". Für sein Prosawerk "Trilogie" bekam er 2015 den Literaturpreis des Nordischen Rates verliehen, den renommiertesten Literaturpreis Skandinaviens. Mit "Der andere Name", dem ersten Band seines Romanprojekts "Heptalogie", war er 2020 für den  International Booker Prize nominiert, mit dem letzten Band "Ein neuer Name" stand er 2022 auf der Shortlist und wurde mit den wichtigsten norwegischen Literaturpreisen Brageprisen und Kritikerprisen ausgezeichnet. Seit 2011 genießt er lebenslanges Wohnrecht in der "Grotte", einer Ehrenwohnung des norwegischen Königs am Osloer Schlosspark, und lebt mitunter auch in Hainburg an der Donau/Österreich oder in Frekhaug/Norwegen. Seit 2022 ist er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959, lebt in Berlin. Er übersetzt u.a. auch Jean Echenoz, Édouard Louis, Jon Fosse, Tomas Espedal und Tarjei Vesaas. Ausgezeichnet wurde er z. B. mit dem Jane Scatcherd-Preis, dem Paul-Celan-Preis des Deutschen Literaturfonds und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (zusammen mit Frank Heibert).

III


Und ich sehe mich dastehen und das Bild mit den beiden Strichen anschauen, einer ist lila, einer braun, sie kreuzen sich in der Mitte und ich denke, es ist so kalt in der Stube und es ist zu früh zum Aufstehen, egal, wie spät es ist, also warum bin ich aufgestanden? denke ich und ich mache das Licht in der Stube aus und ich gehe in die Schlafkammer und ich mache dort das Licht aus und ich lege mich wieder ins Bett und wickele mich gut in die Decke und Brage legt sich dicht neben mich und ich denke, heute Nacht habe ich wenig geschlafen, wirklich nicht viel, und heute ist Mittwoch und es ist wohl noch frühmorgens oder vielleicht ist es immer noch Nacht? denke ich, und es war so kalt in der Stube, dass ich nicht aufstehen mochte, denke ich und ich streichele Brage über den Rücken und dann schaue ich in die Dunkelheit und ich sehe Asle auf der Schaukel sitzen zu Hause auf dem Hof und er schaukelt nicht, er sitzt nur da und er denkt, was soll er tun? und er schaukelt vorsichtig langsam hin und her und dann kommt Die Mutter in den Windfang und sie ist böse und Asle versteht nicht, warum sie so böse ist

Komm her, sagt sie

Was ist, sagt er

Komm, sagt Die Mutter

Na gut, sagt Asle

und er steigt von der Schaukel und er geht zur Mutter, sie steht im Windfang und schaut ihn an und er geht die Treppe hoch

Ja, sagt er

Ja da bist du ja, sagt sie

und er versteht nicht, warum die Stimme von der Mutter so böse klingt, was hat sie? was hat er getan, dass sie so böse auf ihn ist? denkt er

Schau, sagt Die Mutter

und sie macht die eine Hand auf und Asle sieht drei Kronenstücke in der Hand von der Mutter liegen und sie steht da und hält die Hand mit den drei Kronenstücken vor sich hin und sie sagt nichts und Asle denkt, wie hat Die Mutter die drei Kronenstücke finden können? er hatte sie an einer guten Stelle verstecken wollen, ja er hat sie unter eine von den Steinplatten auf dem Hofplatz tun wollen und dann hat er es vergessen, es war einfach weg, und jetzt steht Die Mutter da und hält ihm die drei Kronenstücke hin, und wie hat sie die wohl finden können? denkt Asle und dann denkt er, natürlich hat sie die in seiner Hosentasche gefunden, denn er hat vergessen, sie aus der Hosentasche zu nehmen und zu verstecken

Wo hast du die her? fragt Die Mutter

und Asle denkt, er kann nicht sagen, dass Die Glatze ihm die gegeben hat, dass er sie bekommen hat, als er mit der Glatze im Auto mitgefahren ist, und warum er sie bekommen hat, das kann er auf gar keinen Fall sagen

Sag schon, sagt Die Mutter

und Asle denkt, er kann auf gar keinen Fall die Wahrheit sagen, dass Die Glatze ihm die gegeben hat, und weil er niemandem erzählen soll, dass er mit der Glatze im Auto mitgefahren ist und dass ihm Die Glatze die Hand aufs Bein gelegt und er die Hand weggenommen hat, mindestens zweimal hat Die Glatze das gemacht, denkt er

Wo hast du das Geld her? sagt Die Mutter

So sag schon, sagt sie

Steh nicht stumm da und halt Maulaffen feil, sagt sie

und dann nimmt sie seine Schulter und sie schüttelt ihn und sie sagt, wenn sie ihn was fragt, dann muss er antworten, sie schreit fast

Antworte, sagt Die Mutter

und er muss wohl einfach was sagen, denkt Asle

Hab ich gefunden, sagt er

Du hast das Geld gefunden? sagt sie

Wo? sagt sie

Ja sag schon, wo hast du es gefunden, sagt sie

und Asle steht nur da und Die Mutter lässt seine Schulter los

Auf der Straße, sagt er

Auf der Straße, ach was, sagt Die Mutter

Ja auf der Straße, sagt Asle

Wo genau, sagt sie

Wo Das Bäckerhaus steht, sagt er

Du hast es vor dem Bäckerhaus gefunden? sagt Die Mutter

und sie sagt, das hätte er wohl gern, dass sie das glaubt, dass er es gefunden hat, vor dem Bäckerhaus

Gestohlen hast du es, sagt Die Mutter

Ich hab nichts gestohlen, sagt Asle

Doch, gestohlen hast du es, sagt sie

Nein, sagt er

Doch, sagt sie

und Die Mutter sagt, sie hat in ihrem Portemonnaie nachgesehen, denn da drin waren ein paar Kronenstücke, viel Geld hat sie ja nicht, aber ein paar Kronenstücke waren da drin, sie weiß nicht mehr, wie viele, aber ein paar waren es, und so, wie sie es sieht, hat er die drei Kronenstücke aus ihrem Portemonnaie gestohlen, sagt sie, aber sie ist nicht sicher, denn jetzt sind noch fünf Kronenstücke in ihrem Portemonnaie, und ob vorher noch mehr darin waren, ja das weiß sie nicht mehr so genau, trotzdem kann das gut sein, ja dass sie acht hatte und nicht fünf

Hast du das Geld aus meinem Portemonnaie genommen? sagt Die Mutter

und Asle sagt, er hat das Geld nicht gestohlen, hat es gefunden, wie gesagt, ja vor dem Bäckerhaus, sagt er

Lüg nicht, sagt Die Mutter

Ich lüge nicht, sagt Asle

und dann stehen sie beide da und sagen nichts und dann sagt Die Mutter, sie hat seine Hose waschen wollen und dann schaut sie immer erst in den Hosentaschen nach und was findet sie da nicht alles, immer findet sie was, Steine, Kiefernzapfen, Nägel, Glasmurmeln, Kordeln, ja sie weiß gar nicht, was sie alles findet, aber noch nie, nie hat sie drei blanke Kronenstücke in seinen Hosentaschen gefunden und sie weiß gar nicht, wo Asle das Geld herhat, aber ehrlich kann das nicht zugegangen sein

Ich hab es gefunden, sagt er

Ja das hast du gesagt, sagt Die Mutter

und dann stehen sie nur da und dann sehen sie den Vater um die Ecke vom Alten Haus kommen, wo Die Großmutter und Der Großvater wohnen, und Die Mutter ruft dem Vater zu, gut, dass er kommt und Der Vater kommt in aller Ruhe zu ihnen

Was ist denn? sagt er

und er sieht Die Mutter an

Ja, sagt sie

Du siehst so anders aus, sagt Der Vater

Ja, sagt Die Mutter

und eine Zeitlang herrscht Stille

Dann sag schon, was ist, sagt Der Vater

Schau mal, sagt Die Mutter

und sie hält ihm die Hand mit den drei Kronenstücken hin

Ja drei Kronen, sagt Der Vater

Ja eben, sagt Die Mutter

Und was ist mit denen? sagt er

Aber, sagt Die Mutter und sie spricht nicht weiter

Aber, sagt Der Vater

Aber ich habe das Geld in seiner Hosentasche gefunden, sagt Die Mutter

und sie sieht Asle an und dann sagt Der Vater nichts und sie stehen nur da

Wo hast du das Geld her? sagt Der Vater

und Asle sagt, er hat es gefunden

Er sagt, er hat es vor dem Bäckerhaus gefunden, sagt Die Mutter

Das kann ja sein, sagt Der Vater

Glaubst du das? sagt Die Mutter

und Der Vater sagt nichts

Schau mal in deinem Portemonnaie nach, ob was fehlt, sagt Die Mutter

Der Vater nimmt sein Portemonnaie hervor und er schaut darin nach und er sagt, er kann sich nicht genau erinnern, wie viele Kronenstücke da drin waren, also kann er auch nicht wissen, ob jemand welche rausgenommen hat, aber warum sollte Asle das auch tun? denn der stiehlt ja wohl nicht? sagt Der Vater und er sieht Asle an

Ich stehle nicht, sagt Asle

Ich hab noch nie was gestohlen, sagt er

Nein, sagt Der Vater

und dann sagt Der Vater, warum soll er das Geld nicht vor dem Bäckerhaus gefunden haben, aber dann hat jemand das Geld vielleicht verloren und vermisst es jetzt, sagt Der Vater, und vielleicht denkt derjenige, er hat das Geld vielleicht vor dem Bäckerhaus verloren, nachdem er Brot gekauft hat, oder vielleicht denkt er, er hat es auf dem Ladentisch vergessen, nachdem er das Brot mit einem Fünfer bezahlt und drei Kronen zurückbekommen hat, ja und dann geht er vielleicht zurück zum Bäcker und zur Bäckerfrau und fragt, ob er das Geld dort vergessen oder es vielleicht vor dem Bäckerhaus verloren hat, und vielleicht denkt er, dass Der Bäcker oder Die Bäckerfrau es gefunden hat, sagt Der Vater und dann sagt er, am besten, Asle geht zurück zum Bäcker und zur Bäckerfrau und gibt das Geld zurück, falls jemand es verloren hat und danach fragt, sagt Der Vater und Die Mutter sagt, sie ist sicher, dass Asle das Geld gestohlen hat, und Der Vater sagt, warum soll das so sicher sein? sagt er

Nein stimmt, da hast du recht, sagt Die Mutter

Gut, dass du so denkst, sagt sie

und sie sieht Asle an und sie sagt, wenn er das Geld wirklich gefunden hat, dann muss sie ihn um Entschuldigung bitten, weil sie gedacht hat, er hat es gestohlen, aber er kann es ja auch gefunden haben und daran hat sie nicht gedacht, sagt sie

Du kannst das Geld ja auch gefunden haben, sagt Die Mutter

Und dann muss ich dich um Entschuldigung bitten, sagt sie

Ich hätte nicht einfach sagen sollen, dass du gestohlen hast, dass du ein Dieb bist, sagt sie

und Der Vater sagt, jetzt reden sie nicht mehr darüber und jetzt gehst du, Asle, zum Bäckerhaus und gibst das Geld dem Bäcker oder der Bäckerfrau, je nachdem, wer rauskommt, wenn du klingelst, und dann sagst du, du hast es vor dem Bäckerhaus gefunden, aber wenn niemand den Bäcker oder Die Bäckerfrau nach dem Geld gefragt hat, weil er es verloren hat, ja dann kannst du es wohl behalten? sagt Der Vater

Und dann hast du ja richtig Glück gehabt, dass du drei Kronen gefunden hast, sagt er

Ja, muss man sagen, sagt Die Mutter

Ich lauf sofort hin, sagt Asle

und dann läuft er die Auffahrt runter und über Die Landstraße zum Bäckerhaus und er geht durch die Tür und zum Ladentisch und nimmt die Glocke, die da steht, und schüttelt sie und die Glocke läutet und Der Bäcker kommt und stellt sich hinter den Ladentisch und Asle sagt, er hat diese drei Kronen draußen vor dem Bäckerhaus gefunden und jetzt, jetzt lügt er immer weiter und das ist hässlich, er schämt sich, denkt Asle und er stottert vielleicht ein bisschen und Der Bäcker sieht...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2022
Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alkoholismus • Bergen • Doppelgänger • Erwachsenwerden • Fjorde • Glauben • Heptalogie • Künstlerroman • Literaturnobelpreis • Literaturnobelpreisträger • Nobelpreis für Literatur 2023 • Nobelpreis Literatur • Nobelpreisträger Literatur • Norwegen • norwegische Bücher • norwegische Literatur • norwegische Romane • Opus Magnum
ISBN-10 3-644-00194-4 / 3644001944
ISBN-13 978-3-644-00194-7 / 9783644001947
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