Totenreich (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
400 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2696-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Totenreich - Michael Jensen
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Der Preis der Freiheit. Jens Druwe, der glaubte, als Polizeiinspektor nach 1945 ein neues Leben beginnen zu können, wird als Kriegsverbrecher inhaftiert und verurteilt. Man wirft ihm vor, bei Säuberungsaktionen im Osten dabei gewesen zu sein. Auch seine Freundin Eva, die von ihm schwanger ist, kann ihn nicht retten. Doch da eröffnet sich eine neue Chance. Im Auftrag des britischen Geheimdiensts soll Druwe verdeckt im Zuchthaus arbeiten, um untergetauchte Nazis aufzuspüren. Es geht vor allem darum, einen Mann zu finden, der für Tausende von Tötungen im Osten verantwortlich ist. Druwe nimmt diese Aufgabe an - und er weiß genau, dass er nicht scheitern darf, will er seinen Frieden und seine Freiheit wiedererlangen. Spannend und gründlich recherchiert - ein einzigartiger Roman über die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Vom Autor des Bestsellers 'Totenland'.



Michael Jensen wurde 1966 im Norden Schleswig-Holsteins geboren. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg und Flensburg. Im Hauptberuf ist er als Arzt und Therapeut tätig. Seine beruflichen Erfahrungen hat er in zwei Sachbüchern zusammengetragen. Dabei interessieren ihn besonders die seelischen Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs, vor allem bei den Nachkommen von Opfern und Tätern. Für sein literarisches Schreiben hat er ein Pseudonym gewählt. Im Aufbau Taschenbuch sind seine Kriminalromane »Totenland« und »Totenwelt« lieferbar.

Prolog


Bad Mondorf, Juli 1945

»Hervorragend, mein lieber Doktor. Ich habe geriebenen Trüffeln auf zerlaufenem Parmesan schon immer den Vorzug gegeben.« Göring tauchte gierig das letzte Stück Brot in den Käserest. Es war leider nur eine winzige Portion gewesen. Verdammte Diät.

»Sehen Sie es als kleinen Dank«, antwortete der Arzt, auf dessen Hemd sich Schweißflecken abzeichneten.

Die Stimmung des schwülen Hochsommerabends hatte sich auf das Gemüt von Mensch und Tier gelegt. Ein alter Dackel lief unruhig umher auf der Suche nach Wasser. Die Katze des Concierge lag träge auf dem Fenstersims. Der kleine Gartentisch im Hofgarten war mit einer gelben Schicht von Blütenpollen bedeckt. Zwei Männer saßen hier. Sie tranken jetzt Tee und Zitronenwasser mit Eis. In Erwartung des erlösenden Gewitters hatten die beiden schwitzenden Gäste eine Weile geschwiegen. Der Platz schien eher für ein verliebtes Paar geeignet, weniger für eine Vernehmung. Im Schatten hinter dem Palasthotel, an einer Schleife des Flüsschens Gander gelegen, war der schwere Rosenduft fast greifbar. Immerhin brachte das träge fließende Wasser etwas Kühlung zu den Männern herüber. Im Westen waren die Hanglagen des Moseltals im Dunst des frühen Abends zu erahnen. Jedoch, es fand sich keine Wolke am Himmel.

Wäre ein Beobachter in diesem Moment nichtsahnend aus einem sechsjährigen Schlaf erwacht, hätte ihn in der ländlichen Region Luxemburgs nichts an einen verheerenden Krieg denken lassen. An einen Krieg, der halb Europa verwüstet und achtzig Millionen Menschen getötet oder verwundet hatte. Die Männer, die in diesem Haus logierten, waren Gefangene. Sie waren die Überbleibsel eines mörderischen Regimes, von den Alliierten versammelt, um sie auf ihre Prozesse vorzubereiten. Trotz der idyllischen Lage und der komfortablen Unterbringung waren die Gäste also zwangsläufig unzufrieden. Schließlich sahen sie sich als Staatsmänner. Immerhin hatten sie zur Elite jenes Dritten Reichs gehört, dessen Volksangehörige sich für auserwählt und überlegen gehalten hatten. Die mehr als fünfzig hochrangigen Nazis wurden nun von einfachen, amerikanischen Soldaten bewacht, die fluchten, Kaugummi kauten und oft verdächtig jenen Menschen ähnelten, die vor etwa drei Jahren in den östlichen Lagern verschwunden waren.

Der bekannteste unter ihnen war lange Zeit sogar zweiter Mann im Staat gewesen. Dem Volk war er in Erinnerung durch seine markigen Sprüche und seine Großmannssucht. Letztere hatte im Lauf der Jahre auch Ausdruck in entsprechender Leibesfülle gefunden. Nun allerdings musste er sich auf Anordnung der Militärführung an Abmagerungskost halten.

»Können Sie nicht dafür sorgen, dass ich mir endlich eine neue Uniform anfertigen lassen kann?«, fragte Hermann Göring. Er trug schwarze Reitstiefel nach Gutsherrenart und eine weiß-graue Fantasieuniform mit Tressen, Kordel und diversen Orden und Abzeichen. Die Epauletten waren – wenn man den Gerüchten Glauben schenkte – aus purem Gold. Man hatte ihm alles belassen, lediglich den Blutorden hatte ihm ein Sergeant unsanft von der rechten Brusttasche gerissen. Göring hatte umgehend ein Protestschreiben an den US-Oberbefehlshaber verfasst: Mein lieber Eisenhower, ein edles Erinnerungsstück wurde mir unrechtmäßig genommen … Eine Antwort hatte er nicht erhalten.

Jacke, Schärpe und Hose waren ihm – nachdem er in den letzten Wochen dreißig Kilo eingebüßt hatte – viel zu groß und schmälerten etwas die würdevolle Eleganz, mit der er aufzutreten wünschte.

»Herr Marschall, ich bin Ihr Arzt, nicht Ihr Zeugwart«, erwiderte Dr. Douglas Kelley kühl.

»Ja, aber Sie sind doch verantwortlich dafür, dass ich seit Wochen nur Suppe und Gemüse esse«, lamentierte sein Gegenüber. »Ich habe fast sechzig Pfund verloren. Und da muss man einem Mann in meiner Stellung zugestehen, sich anständig und passend zu kleiden. Ich zahle auch dafür.« Er schwieg einen Moment. »Im Übrigen habe ich den Rang eines Reichsmarschalls inne, Herr Doktor«, ergänzte er dann, fast ein wenig beleidigt.

Göring hatte sich manche Annehmlichkeit gesichert, seit er in dem mondänen, ehemaligen Palasthotel im Kurort Mondorf angekommen war. Er sah sich als Gast, nicht als Gefangener. Er war es gewohnt, sich die Welt so zu schaffen, wie er sie haben wollte. Anfangs hatte er versucht, sich aus seinen sechzehn Schrankkoffern ein luxuriöses Leben einzurichten. Immerhin hatten die Amerikaner ihm zugestanden, seinen Kammerdiener Robert und fast hunderttausend Reichsmark mitzubringen. Aus dem Barvermögen finanzierte er sich munter den Bezug von Rauchwaren, Zeitschriften und Spirituosen. Diese gönnerhafte Art eines Lebemanns beeindruckte denn auch manchen einfachen GI.

Es würde ihm nicht schwerfallen, sich auch zusätzliche Verpflegung zu verschaffen, dachte der Psychiater. Aber Göring hatte stolz erklärt, dass er in der kommenden Zeit Deutschland vertreten müsste. Und eine hundertdreißig Kilo schwere Kugel wäre in einem Land der Not nicht glaubwürdig, hatte er befunden. Die Amerikaner nannten die ausgemergelten Menschen in Europa – speziell auch die aus den Lagern Befreiten – nur Bone People, Knochenmenschen. Oft waren die Holzschuhe an ihren Füßen schwerer als ihr Körper. Derart schlimm stand es jedoch um den Reichsmarschall keineswegs.

Kelley war von seinem Schützling ebenso fasziniert wie abgestoßen. Der Mann war ein Prahler und Fantast. Er kannte kein Maß und war glaubhaft überzeugt, in der Politik weiterhin eine große Rolle spielen zu können. Und dennoch – oder gerade deshalb – hatte er es in der Hitler-Diktatur weit gebracht. Göring litt zudem an einer – unter zu Macht gekommenen Adligen und Geistlichen im Mittelalter oft verbreiteten – Fresssucht. Es schien, als ob solche Männer im wahrsten Wortsinn alles in sich hineinstopfen mussten. Nach dem Psychoanalytiker Sigmund Freud, den Dr. Kelley bewunderte, waren solche »Mund-Menschen« von einem tiefen, inneren Wunsch nach Vereinnahmung und Versorgt-Sein bestimmt. Zudem hatte Göring mithilfe von »Morphium-Kuren« immer wieder versucht, seine Nerven zu beruhigen. Letztlich aber war er nur ein Mann, der der Welt entfliehen wollte, wenn sie nicht zu seinem Wunschdenken passte. Und in den letzten drei Jahren war das immer öfter der Fall gewesen. Andererseits war Göring auch ein charmanter Plauderer. Er wirkte im ersten Moment sympathisch und schien jeden Zuhörer um den Finger zu wickeln. Er suchte nonchalant Erklärungen für ein Chaos, das er schon einmal – nach dem Ende des ersten großen Kriegs – erlebt hatte. Er war witzig und schlagfertig und konnte auf fast hypnotische Weise über Pläne und Visionen sprechen. Dabei zog er nicht nur seine Landsleute, sondern auch den Amerikaner Kelley in seinen Bann.

»Ist das Zittern nun besser, Herr Reichsmarschall?« Kelley achtete auf die korrekte Rangbezeichnung, denn Göring weigerte sich, mit ihm oder anderen Amerikanern zu sprechen, wenn sein Titel nicht genannt wurde.

»Ja, Herr Doktor. Die Vitaminspritzen haben nun doch geholfen.« Zur Bestätigung hielt Hermann Göring die Hände nach vorn. Durch seinen Entzug vom Morphium hatte er über viele Wochen heftige Körpersymptome gezeigt.

Kelley war zufrieden. Sein offizieller Auftrag, Göring und die anderen Gefangenen in eine gute, gesundheitliche Verfassung zu bringen, war fast erfüllt. Ihnen konnte in Nürnberg der Prozess gemacht werden. Der Arzt hatte hier keinen wirklich schweren Fall mehr zu betreuen. Er dachte an die ärztlichen Kollegen, die in England mit dem schwer gestörten Rudolf Heß beschäftigt waren. Er hatte sie mehrfach telefonisch beraten. Der Stellvertreter des Führers war offenbar geisteskrank. Oder aber er simulierte, um einem Prozess zu entgehen. Jedenfalls wäre mit dem Kerl wissenschaftlich kein Blumentopf zu gewinnen, und Kelley war froh, dass er nach Mondorf beordert worden war.

Er hatte hier mit lösbaren Problemen zu tun gehabt. Der frühere Generalgouverneur Hans Frank, der »Schlächter von Polen«, hatte zwar einige Selbstmordversuche hinter sich. Dass er sich auf diese Weise dem Gerichtsverfahren entzog, war durch Kelley und sein Ärzteteam jedoch verhindert worden. Der Leiter der Arbeitsfront, Robert Ley, war massiv alkoholkrank. Um einem Delir und Krampfanfällen vorzubeugen, hatte Kelley ihm drei Mal am Tag eine kleine Menge Whiskey verordnet. Und Gauleiter Streicher litt offenbar unter einer aggressiven Psychose. Er schrie oft grundlos, schlug um sich und sah überall Juden und deren Verschwörungen. Vielleicht war es fortgeschrittene Syphilis, die sein Gehirn zerfressen hatte. Phenobarbital in kleiner Dosierung hatte den Mann endlich ruhiggestellt.

Douglas Kelley hatte alles im Griff, seine Hauptarbeit war getan, der Abschlussbericht an Eisenhowers Stab fast fertig. Jetzt konnte er sich einen weiteren Monat der Befragung Görings und anderer NS-Granden widmen. Erst dann würden sie das ehemalige Hotel in Luxemburg verlassen und verlegt werden. Er wollte an den Männern eine wissenschaftliche Untersuchung durchführen. Was machte einen Menschen zum Nazi? War das eine Charakterfrage? Oder war es einfach nur eine typisch deutsche Eigenschaft? Konnte jeder zum Nazi erzogen werden, wenn es das Umfeld zuließ und förderte? Oder musste man zum Nazi geboren sein? Kelley hatte aufmerksam die Arbeiten zur Vererbung und Genetik verfolgt. Gab es vielleicht ein Nazi-Gen? Mit den Antworten auf diese Fragen und einem entsprechenden Aufsatz würde Dr. Douglas Kelley Aufsehen in der Fachwelt erregen, da war er sicher. Vieles hatte er bereits aus den Krankenakten erfahren, aber...

Erscheint lt. Verlag 19.7.2021
Reihe/Serie Inspektor Jens Druwe
Inspektor Jens Druwe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alliierte • Flensburg • Gefangenschaft • Geheimdienst • Jens Druwe • Michael Jensen • Natiomalsozialisten • Nazi-Täter • Otto Skorzeny • Rattenlinie • reichsregierung • Russlandfeldzug • Simon Wiesenthal • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-2696-5 / 3841226965
ISBN-13 978-3-8412-2696-9 / 9783841226969
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