Das perfekte Gift (eBook)

Roman
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2021 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491339-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das perfekte Gift -  Sergej Lebedew
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Sergej Lebedew besticht in seinem Roman »Das perfekte Gift« durch schwindelerregende Einblicke in Russlands Abgründe. Bis heute sind Stalins Schatten und der Kalte Krieg zu spüren. Und bis heute fasziniert das perfekte Gift, das nicht nur tötet, sondern Angst verbreitet, die viel giftiger ist als ein chemischer Stoff aus russischen Laboren. Ein fulminanter Roman über Wespenstiche, an denen Geheimagenten sterben, und die Jagd nach einem todbringenden Chemiker. »Sergej Lebedew schreibt nicht über die Vergangenheit, das hier ist unsere Gegenwart.« Swetlana Alexijewitsch »Lebedew durchschaut, was die meisten sowjetischen und postsowjetischen Schriftsteller nicht sehen wollten.« Vladimir Sorokin

Sergej Lebedew arbeitete nach dem Studium der Geologie als Journalist. Gegenstand seiner Romane sind für den 1981 Geborenen die russische Vergangenheit, insbesondere die Stalin-Zeit mit ihren Folgen für das moderne Russland. Bei S. FISCHER sind seine Romane »Der Himmel auf ihren Schultern« (2013), »Menschen im August« (2015), »Kronos' Kinder« (2018) und »Das perfekte Gift« (2021) erschienen. Zuletzt erschien der Erzählungsband »Titan oder Die Gespenster der Vergangenheit« (2023). Sergej Lebedew lebt zur Zeit in Potsdam.

Sergej Lebedew arbeitete nach dem Studium der Geologie als Journalist. Gegenstand seiner Romane sind für den 1981 Geborenen die russische Vergangenheit, insbesondere die Stalin-Zeit mit ihren Folgen für das moderne Russland. Bei S. FISCHER sind seine Romane »Der Himmel auf ihren Schultern« (2013), »Menschen im August« (2015), »Kronos' Kinder« (2018) und »Das perfekte Gift« (2021) erschienen. Zuletzt erschien der Erzählungsband »Titan oder Die Gespenster der Vergangenheit« (2023). Sergej Lebedew lebt zur Zeit in Potsdam. Franziska Zwerg, geboren 1969, studierte in Berlin und Moskau Slawistik, Germanistik und Theaterwissenschaft und übersetzt zeitgenössische russische Literatur, neben den Romanen von Sergej Lebedew u.a. die Werke von Grigori Kanowitsch und Dina Rubina.

›Das perfekte Gift‹ ist voll von [...] starken Bildern, griffigen Ideen. [...] ein Kunststück.

Mit Angst lassen sich ganze Bevölkerungsgruppen dirigieren. [...] Und auch das macht die Aktualität dieses beunruhigenden Buches aus.

Die Qualität von ›Das perfekte Gift‹ geht weit über seinen dokumentarischen Wert hinaus.

so gut, wie russische Literatur schon lange nicht mehr war, realistisch, poetisch und spannend bis zum Nervenzusammenbruch.

Es ist ein hochpoetischer, hochphilosophischer und hochpolitischer Roman, der zeigt, dass in Russland Vergangenes nicht einfach vergangen ist, sondern immer noch erschreckend gegenwärtig.

[Lebedew] [g]ibt Gas, um die Thrillerhandlung voranzutreiben und bremst, um in Rückblicken größere Zusammenhänge sichtbar zu machen. Und das macht er ziemlich gekonnt.

Auch wenn Putin nie erwähnt wird, spürt man seine heimtückische Präsenz. Ein fesselnder Roman vom mutigsten Schriftsteller Russlands.

ein subtiler und hochpolitischer Roman.

ein Thriller, der rasanter nicht sein könnte [...] Dieser Autor weiß seine Recherchen zur neuesten russischen Geschichte mit einer spannenden Handlung zu verbinden.

Ein Thriller in Gift getunkt, der wie bei John Le Carré mit geheimen Welten und dem Teuflischen fasziniert.

Lebedew reichert seinen Roman zu einem spannungsgeladenen, brisanten und brandaktuellen Thriller an, der [...] Wahres und Erfundenes, Gegenwart und Vergangenheit verschwimmen lässt.

›Das perfekte Gift‹ ist ein russischer Roman mit einem politisch brisanten
Plot, dem Tempo eines Thrillers und der sprachlichen Raffinesse großer Literatur.

Sein Spionagethriller führt, ähnlich wie John le Carrés Klassiker um den Top-Geheimdienstler Smiley, tief hinein in eine Schattenwelt, die durchtränkt ist von Angst und Paranoia.

Es ist Literatur, die Jahrzehnte überdauern wird.

Im Falle Lebedews ist zumindest eines gewiss: Die Literatur selbst ist das mächtige Gegenmittel gegen das schlimmste Gift.

Faszinierend, [...] wie der Autor eine schaurige, parallel zur gesellschaftlichen Realität existierende Geheimwelt zum Leben erweckt

eine brisante und spannungsgeladene Erzählung, die eine überaus bedrohliche Atmosphäre ausstrahlt

Kapitel eins


An seine stillen, anhaltenden Beschwerden hatte sich Wyrin als Begleiterscheinung des nahenden Alters längst gewöhnt. Im Sommer jedoch spürte er die lästigen Körperqualen um vieles deutlicher als zu anderen Jahreszeiten. Gegen Ende August, um den Jahrestag seiner Flucht, reiften und gediehen sie, folterten Gelenke, Blutgefäße und Augen – und milderten sich leicht im Frühherbst, wenn die Hitze nachließ und das Barometer zur Ruhe kam.

›Vielleicht ist es die Wirkung des in absentia verhängten Todesurteils?‹, spottete er für sich, den Wermutgeschmack des aufgeschobenen Todes auf den Lippen.

›Oder mein Körper rächt sich an mir?‹, dachte er. ›Wegen des neuen Gesichts, gemacht von einem Schönheitschirurgen? Wegen der mit Laser entfernten Erinnerungsnarben und Muttermale? Er kennt sie alle noch und will sich pünktlich zum Jahrestag der Flucht rächen?‹

Von den Kontaktlinsen, die seine Augenfarbe veränderten, bekam er ständig Bindehautentzündung. Die Füße summten von den Schuheinlagen, die ihn größer aussehen ließen. Sein Haar war vom ständigen Färben spröde und dünn geworden. Ein anderer zu sein war tägliche harte Arbeit, und er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen.

Formal existierte dieser Mann der Vergangenheit nicht mehr, war nun ein anderer. Ein Wechselbalg, eine Wandelgestalt. Mit einer Biographie, die Meister der Lüge und Verwandlung für ihn erdacht hatten.

Eine andere Sprache. Andere Gewohnheiten. Sogar die Träume waren andere. Ein anderes Bewusstsein, das das frühere gleichsam überwucherte.

Diese übergestülpte Identität fügte sich zu seiner wirklichen nur als Prothese; kaum konnte Wyrin sie als natürlichen Teil seiner selbst empfinden.

Auch wenn sein Körper mit dem Skalpell neu entworfen worden war, blieb die Erinnerung – in allen Fibern der Gedärme, der Leber, der Nieren, wo sich die Schlacken des Lebens kristallisieren und absetzen. Sein Körper wehrte sich gegen die neue Gestalt, den neuen Namen, das neue Leben. Er wehrte sich, obwohl es für Wyrin keinen Weg zurück in die Vergangenheit gab und nicht geben konnte; sein Todesurteil hatte einer banalen, metaphorischen Sentenz zur Rechtswirkung verholfen.

Und so unterdrückte er den Widerstand seines verfallenden Körpers nicht länger, der dieses unechte, aufgezwungene Mysterium der zweiten Geburt leugnete, sondern lernte, ihn zu schätzen und mitfühlend zu beobachten. Mein Leib, mein Leib, nur du bist mir geblieben – sagte er sich manchmal mit seltsamer, jugendlicher Zärtlichkeit. Sein Körper war für ihn tatsächlich der einzige materielle Beweis, früher ein anderer gewesen zu sein.

Es gab indes noch einen weiteren Beweis, zu dem er allerdings keinen Zugang hatte. Ein papiernes Gespenst. Das Reserve-Duplikat eines Lebensbeweises. Ein archiviertes »Ich«, das gewöhnliche Menschen nicht haben.

Seine Offizierskaderakte. Die Essenz dessen, wer er gewesen war. Noch kein Überläufer. Noch kein Verräter.

Ein hellblauer Kartonordner. 225 × 330 × 25 Millimeter.

Prüfkarte. Fragebogen. Lebenslauf. Rekrutierungsbericht der Dienststelle. Unterschrift über Geheimhaltung. Ergebnisse der Sonderüberprüfung. Ausdauertest: Geländelauf über drei Kilometer. Beurteilungen: Papier, Papier, Papier.

Er ahnte, dass nach seiner Flucht eine Anordnung mit dem Vermerk »Streng geheim« erlassen worden war, mit den zwei bezeichnenden Nullen der Geheimhaltungsstufe: »Betrifft Maßnahmen aufgrund des Verrats von A.W. Wyrin«. Früher hatte er solche Anordnungen im Sekretariat vorgelesen bekommen – über andere. Alle identisch, wie mit Pauspapier geschrieben. »Ideologische Entartung. Moralischer Verfall. Notwendige Maßnahmen zur Eindämmung der Folgen des Verrats.« Variabel waren nur die Namen der Delinquenten gewesen, all der Kaderleiter, Schulungsgruppenleiter, Abteilungsleiter, die nicht die nötige Wachsamkeit gezeigt, einen potentiellen Abtrünnigen nicht rechtzeitig entlarvt hatten.

Er jedoch fand, dass alle Rügen in seinem Fall grundlos waren. Er hatte dem System treuer gedient als andere. Und er war mehr als andere erschrocken, als der Zerfall des Landes einsetzte und es schien, dass nach ihm auch das System zerbräche.

Inzwischen waren fast drei Jahrzehnte vergangen, und Wyrin redete sich ein, die von ihm preisgegebenen Informationen und Agenten hätten längst jede Bedeutung verloren. Die Agenten wären sowieso aufgeflogen, sagte er sich, irgendwer hätte sie sowieso verraten, wenn nicht ich, dann ein anderer. Wie Geld, das kurz vor seiner Entwertung steht, habe ich sie nur rechtzeitig vermarktet; wer hätte ein, zwei Jahre später noch Verwendung für derartige Informationen gehabt? Wen hätten Agenten in antisowjetischen Emigrantenkreisen, in den Reihen der kommunistischen Parteien Europas noch interessiert? Wenn doch die UdSSR selbst schon untergegangen war?

Rational betrachtet, wähnte sich Wyrin in relativer Sicherheit. Seine Kaderakte jedoch, die noch dort, in seiner Heimat, jenseits der für ihn unüberschreitbaren Grenze lag, war wie eine Voodoo-Puppe, in die ein Hexenmeister jederzeit seine tödlichen Nadeln stechen konnte.

Deswegen verspürte Wyrin manchmal eine unbegründete Furcht und inspizierte Hände, Bauch, Hals und Gesicht: Ob es irgendwo einen Hautausschlag oder ein Papillom gab, jene seltsamen Anzeichen, die die sibyllinische Natur den Menschen manchmal schickt. In solchen Momenten fühlte er vage eine schicksalhafte Verbindung zwischen Leib und Papier, als ob das im Archiv lagernde Dokument fühlen und mehr wissen könnte, als darin geschrieben stand, dass es über die einförmige Natur einer Furie verfügte, die nur suchen und Rache nehmen kann.

Papier will Blut, flüsterte er dann und erinnerte sich, wie man ihm früher gewichtige Pappordner ausgehändigt hatte: Vorgänge operativer Überwachung, Fälle operativer Ermittlung. Damals war er noch der Jäger gewesen, nicht der Gejagte. Er hatte sich mit denen befasst, die in den Westen ausgewiesen worden, geflohen oder ausgereist waren. Nach ihrem Weggang waren die Akten zur Verwahrung im Archiv geblieben und konnten, falls nötig, »raufgeholt« werden – das war im Dienst die Formulierung dafür gewesen, »aus dem Archiv raufholen«.

Aus dem Keller. Aus der Tiefe. Vom Grund.

Die Akten enthielten alles. Tausende von Seiten. Abschriften von abgehörten Telefongesprächen. Geheimdienstmitteilungen. Berichte der operativen Personenkontrolle. »Ein Verlassen der Wohnung oder der Besuch von geheimdienstlich erfassten Personen konnte während der ersten Tageshälfte nicht festgestellt werden. Um 16.35 Uhr fuhr in den Innenhof des Wohnhauses des Objekts ein Fahrzeug der Marke …« »Um 10.05 Uhr verließ das Objekt das Haus und begab sich zur Bäckerei, wo es ein Weißbrot erwarb …«

Blasse Buchstaben – das Farbband der Schreibmaschine war abgenutzt – spiegelten die Ohnmacht, die Blutleere derer, die unter Beobachtung standen. Er erinnerte sich an Tausende solcher Zeilen. Ihre Alltäglichkeit hatte damals wie ein Aphrodisiakum auf ihn gewirkt, als sichtbare Verkörperung der behördlichen Macht und der Nichtigkeit der Feinde im Inneren – Insekten, Würmer, Gekreuch unter der Lupe.

Jetzt – ein Leben später, in einem freien Land – kam es ihm so vor, als hätte er damals einen paranoiden Roman ohne Autor gelesen, den Text aller Texte, geschrieben von einer irren, staatlichen Gedächtnismaschine. Ein Roman mit dem Anspruch, das Leben weitestmöglich zu erfassen und eine polizeiliche Kopie davon zu erstellen.

Aber der Staat ist immer ein Zyklop, sein Sehvermögen monokular und eingeschränkt. Er erkennt nur die Wasserzeichen von Loyalität und Illoyalität. Die Spiegelungen von Verdachtsmomenten, die in zufälligen Ereignissen eine vermeintliche Verkörperung finden. Deswegen war eine solche Akte kein Duplikat des Lebens, dachte er, sondern dessen abgenabelter, dunkler Doppelgänger, hervorgebracht von Denunziationen, abgelauschten Worten, erspähten Szenen; sie war die Quelle einer geheimen, unheilvollen Macht, die die schützenden Schleier des Alltags herunterriss.

Auch er hatte solche Doppelgänger geschaffen, um mit ihrer Hilfe Jagd auf Menschen zu machen.

Jetzt aber machten sie Jagd auf ihn.

Wyrin konnte es nicht beweisen, sicher wusste er gar nichts. Er witterte es nur – mit dem sechsten Sinn des Opfers. Nicht einmal innerhalb ihrer Behörde wurden Geheimnisse ausgetauscht. Er konnte nur vermuten, dass es eine weitere, heimliche Anordnung gab, dass es sie geben könnte, als Schatten der anderen mit Sondernummer: »Betrifft Maßnahmen aufgrund des Verrats von …« Die Anordnung kam einem Urteil gleich. Denn in den Neunzigern hatte Wyrin der Polizei Angaben gemacht, als diese die Geschäftsbeziehungen seiner ehemaligen Kollegen, Scheinunternehmen, Geldwäsche und illegale Ausfuhr von Bargeld untersuchten. Damals schien das harmlos. Jetzt nicht.

Psychologen hatten ihn gewarnt, er könne den irrationalen Drang verspüren, die Botschaft anzurufen, sich zu ergeben. Oder ein sinnloses Risiko eingehen, die Regeln der Konspiration aus Dummheit missachten und damit unbewusst seine Enttarnung provozieren.

Nie jedoch hatte er etwas in dieser Art gefühlt.

Aber Wyrin erzählte den Psychologen auch nicht, dass er eine abergläubische Furcht vor etwas anderem hegte: einem dummen Vorkommnis, irgendeinem unbedeutenden, irrlichternden Zufall, einer tödlichen, widersinnigen Bagatelle, so wie...

Erscheint lt. Verlag 30.6.2021
Übersetzer Franziska Zwerg
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Agenten • Anspruchsvolle Literatur • biologische Waffen • Geheimdienst • Gift • Giftanschlag • Kalter Krieg • Nawalny • Nowitschok • Putin • Russland • Skripal • Westdeutschland
ISBN-10 3-10-491339-0 / 3104913390
ISBN-13 978-3-10-491339-1 / 9783104913391
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