1984 (eBook)

Roman
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2021 | 1. Auflage
416 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43771-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

1984 -  George Orwell
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Aktueller denn je: Orwells visionäres Meisterwerk  -  neu übersetzt Als Mitarbeiter des Ministeriums für Wahrheit verbringt Winston Smith seine Tage damit, die Geschichte zugunsten der regierenden Partei umzuschreiben. Aber in seinem Inneren wächst ein Widerstand gegen das totalitäre System, in dem das Leben aufs Strengste reguliert und überwacht wird. Als Winston sich verbotenerweise verliebt, erfährt er, was der Wunsch nach Freiheit kostet.

George Orwell (1903-1950), eigentlich Eric Arthur Blair, wurde in Indien als Sohn eines britischen Kolonialbeamten geboren. Nach Studienjahren in Eton und Wellington trat er 1922 in den burmesischen Polizeidienst ein. 1927 zog er zurück nach England und arbeitete dort sowie in Paris als Journalist, Tellerwäscher und Lehrer. Seine Romane >Farm der Tiere< und >1984< sind Klassiker der Weltliteratur.

George Orwell (1903-1950), eigentlich Eric Arthur Blair, wurde in Indien als Sohn eines britischen Kolonialbeamten geboren. Nach Studienjahren in Eton und Wellington trat er 1922 in den burmesischen Polizeidienst ein. 1927 zog er zurück nach England und arbeitete dort sowie in Paris als Journalist, Tellerwäscher und Lehrer. Seine Romane ›Farm der Tiere‹ und ›1984‹ sind Klassiker der Weltliteratur.

Ansichten über Wahrheit


Vorwort von Robert Habeck


George Orwell ist der Analytiker des Totalitarismus. Bis 1989 und dem Ende des real existierenden Sozialismus blieben seine Romane ›1984‹ und ›Farm der Tiere‹ die vielleicht jeweils aktuellsten Bücher ihrer Zeit. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetrepublik und dem beschworenen Sieg des globalen kapitalistischen Liberalismus schienen sie historisch geworden zu sein. Aber heute, nochmals dreißig Jahre später, sind sie wieder aktuell, vielleicht aktueller denn je. Denn nicht nur gewinnen autoritäre Regime global gesehen an Zuspruch, auch Staaten, die von sich glauben mögen, sie seien die ehemaligen Fackelträger der Freiheit und Demokratie, werden von einem autoritären Populismus gebeutelt. Insofern erleben wir derzeit nicht einfach nur eine neue Teilung der Welt in liberale und illiberale Demokratien, autoritäre Herrschaft gegen eine freiheitliche, liberale Ordnung. Wir erleben, wie das Gift des totalitären Denkens auch in das Fundament der Demokratie einsickert und sie von innen auszuhöhlen droht. Neue Allianzen entstehen zwischen weltanschaulich ganz unterschiedlich ausgerichteten Regierungen, die jedoch alle die Ablehnung gegen Freiheitsrechte, Pressefreiheit und Gewaltenteilung eint. Für alle, die die Instrumente des Autoritären, des Totalitären verstehen wollen, ist das Wiederlesen von George Orwell ein Muss.

Bedrohlich ist diese Entwicklung und Systemkonkurrenz zwischen autoritären und freiheitlichen Staaten, weil Erstere anders als früher möglicherweise auch einen ökonomischen Vorteil durch das massenweise Abgreifen von Daten haben. Galt es in der analogen Welt als ausgemacht, dass Wettbewerb, Freiheit und Kreativität und Marktwirtschaft gegenüber Planwirtschaft, gelenkten Prozessen, Oligopolen und Kartellen mindestens langfristig überlegen sind, weil sie effizienter und schneller Erkenntnisse und Innovationen hervorbringen, so ist das in der digitalen Wirtschaft bei Weitem nicht sicher. China beispielsweise mit seinen großen, zentral gesammelten Daten über Verhaltensweisen, Krankheitsbilder, persönliche Vorlieben weiß viel mehr über die Gesellschaft als die europäischen Staaten. Der Staat hat einen gigantischen Informationsvorteil gegenüber den dezentralen Wirtschaftssystemen. Erst recht, wenn Künstliche Intelligenz mit ins Spiel kommt und die Datenmengen auswertet. Für Demokratie und Bürgerrechte ist diese staatliche Kontrolle inakzeptabel. Der Machtvorteil gegenüber einer freien Gesellschaft, die das private Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht ausspäht und ausbeutet, ist jedoch immens. Ob die liberalen Demokratien diese neue Systemauseinandersetzung bestehen werden oder nicht, hängt ganz maßgeblich von der Frage ab, ob es ihnen gelingt, sich gegenüber den großen Herausforderungen unserer Zeit als handlungsfähig zu erweisen.

Für heutige Generationen, die freiwillig ihre privatesten Angelegenheiten im Internet teilen und die daran gewöhnt sind, dass Google immer weiß, wo wir uns gerade befinden, scheint die Überwachung durch die Technik, die Orwell in ›1984‹ aufzeigt, möglicherweise geradezu altmodisch. Dabei wird übersehen, wie aktuell die damit verbundene Warnung ist. Zynischerweise liefert gerade die Corona-Krise Beispiele en masse dafür, was technische Überwachung mittlerweile zu leisten in der Lage ist. Und die autoritären Herrscher weltweit nutzten die Lebensgefahr durch das Virus radikal aus. Parlamentarische Mitbestimmung, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit wurden eingeschränkt. China vor allem spielte während der Corona-Zeit seinen technisch-totalitären Komplex voll aus und nutzte sein »Social Scoring«-System, um Menschen mit Corona-Infektion zu isolieren, indem ihnen beispielsweise verwehrt wurde, Züge, Busse oder Bahnen zu benutzen oder einzukaufen. Dritte konnten über ihre Smartphones identifizieren, wo sich Corona-Infizierte aufhielten. Über die Gesichtserkennung des Handys und die Temperaturmessung des Fingers auf dem Touchscreen konnte eine Vordiagnose getroffen werden. Der chinesische Staat übte totale Überwachung aus und kontrollierte das Verhalten seiner Bürgerinnen und Bürger bis ins letzte Detail. China schuf durch das »Social Scoring« den gläsernen Untertanen. War man schon daran gewöhnt, dass das Überqueren von Straßen ohne Erlaubnis gefilmt und gespeichert wurde, ist die Ausweitung der sozialen Kontrolle auf die Gesundheitsdaten der Menschen eine weitere Dimension auf dem Weg zur sozialen Manipulation. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari wies in einem Gastbeitrag in der Financial Times am 20. März 2020 darauf hin, dass Emotionen messbare biologische Phänomene seien wie Krankheitssymptome. Wird auf Handys oder in Armbändern eine Technik eingesetzt, die Erkältungen und Infekte erkennen kann, ist sie auch in der Lage, Gelächter oder Ablehnung zu erkennen – und könnte dieses Wissen zur Beeinflussung von Meinungen nutzen. Das markiert die Grenze zwischen Überwachung und Manipulation. Und es ist genau diese Grenze, die Orwell schon in ›1984‹ sichtbar gemacht hat. So schlimm es ist, in einem Staat zu leben, in dem das Recht auf freie Rede genommen ist, schlimmer ist es, in einem Land zu leben, das die Menschen so manipuliert, dass sie überhaupt nicht mehr auf den Gedanken kommen zu widersprechen, beziehungsweise ihnen die Sprache genommen wird. Auch hier liefert die jüngste Geschichte eindringliche Beispiele dafür, dass genau solche Versuche immer wieder unternommen werden, auch in Deutschland. Nach der Landtagswahl in Thüringen 2019 konnte man AfD-Funktionären einen Abend lang zuschauen, wie sie behaupteten, dass ihr Wahlerfolg ein Sieg über Hass und Hetze sei. Diejenigen, die alle Grenzen des Sagbaren verschieben und überschreiten, beklagen sich, dass es in Deutschland Sprachverbote gebe. Diejenigen, die Anstand und Moral vermissen lassen, bezeichnen sich als bürgerlich. Diejenigen, die die Demokratie zu einer Volksherrschaft umbauen vollen, beschimpfen sie als Diktatur und Fassadendemokratie. Wir erleben in diesen Zeiten ein orwellsches NeuSprech par excellence. Aus Lüge wird Wahrheit und aus Wahrheit Lüge.

›1984‹ erneut zu lesen, hatte einen eigentümlichen Effekt auf mich. Als ich das Buch das erste Mal las, noch in der Schule, war es für mich eine Metapher für die totalitären Regime der dunkelsten Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, des Stalinismus und des Nationalsozialismus. Es führte vor, wie Menschen gebrochen und manipuliert werden, wie Faschismus funktioniert, wie die Wirklichkeit zu einer einzigen Manipulation wird. Man weiß nicht, ob der Krieg, den Eurasien gegen Ozeania und Ostasien im Roman führt, tatsächlich stattfindet oder ob die Raketenangriffe nicht doch auf das Konto der eigenen Regierungen gehen, um ihre Gewalt zu rechtfertigen, so, wie beispielsweise der Reichstagsbrand 1933 in Berlin von den Nazis gelegt wurde, um Kommunisten und Sozialdemokraten zu inhaftieren. Und am Ende des Tages wird ein großer Sieg vermeldet, wie in der Wochenschau der Nazis.

Man weiß auch nicht, ob Emmanuel Goldstein, der Widersacher des Systems, und die Untergrundbewegung der »Bruderschaft« überhaupt existieren. Vermeintliche Freunde entpuppen sich als Spitzel, die Gedankenpolizei spürt nicht nur Verrat auf, sondern implementiert den Gedanken an Verrat in Köpfen, nur um diese dann abzuschlagen. Und am Ende verraten sich auch die einander liebenden Hauptfiguren, Winston Smith und Julia, gegenseitig. Es bleiben nur Scham und gebrochene Individualität. Es bleibt nichts Gutes. Es bleibt keine Hoffnung.

›1984‹ war für mich früher die literarische Intensivierung dessen, was ich aus Geschichtsbüchern und Nachrichtensendungen kannte. Es war die Veranschaulichung dessen, was die Generation meiner Großeltern im Nationalsozialismus und meiner Onkel und Tanten in der DDR erlebt haben müssen. Es war eine überzeugende Darstellung davon, wie es sich anfühlen muss, wenn die Intimsphäre ausgeleuchtet wird. »Ständig beobachteten dich seine Augen, ständig umgab dich seine Stimme. Beim Schlafen und beim Wachen, bei der Arbeit und beim Essen, zu Hause und auf der Straße, in der Badewanne und im Bett – es gab kein Entkommen. Nichts gehörte dir selbst, außer den paar Kubikzentimetern im Inneren deines Schädels.«

Aber es hatte damals nichts mit meiner Wirklichkeit zu tun. Und auch all die Kampagnen der letzten Jahre, die sich auf »orwellsche Überwachung« beriefen, gegen Vorratsdatenspeicherung, Datenleaks, Volkszählungen, Videoüberwachung, Warnung vor Amazons Alexa etc. fand ich letztlich an den Haaren herbeigezogen. Den orwellschen Überwachungsstaat auf den Bildschirm zu reduzieren, reduziert den Roman auf die Auflistung technischer Instrumente. Letztlich leben wir in einer freien Demokratie, das war immer meine feste Überzeugung gewesen. Und das Vertrauen darauf hat die Orwell-Lektüre für mich zu einem Spiegel der Vergangenheit gemacht. Eindringlich, ja. Grundsätzlich, unbedingt. Immerhin ist ›1984‹ einer der wenigen Romane der Weltliteratur, von dem es Elemente in unser sprachliches Allgemeingut geschafft haben – »Big Brother is watching you«. Aber diesen Roman darüber hinaus als gegenwärtig zu bezeichnen? Irgendwie schien mir diese Interpretation etwas überzogen, etwas zu dystopisch.

Beim erneuten Lesen ist es mir vollkommen anders gegangen. Ehrlich gesagt, habe ich dabei überhaupt nicht mehr an 1933–1945 oder die DDR oder Sowjetrussland gedacht. Ich dachte nur noch an unsere Zeit, unsere unmittelbare Gegenwart. Und das liegt an der von Orwell messerscharf vorgeführten Analyse, wie Sprache manipuliert werden kann. Wie Geschichte umgedeutet werden kann. Wie der Gesellschaft ein festes Wertefundament entzogen wird, sodass am Ende nur noch Angst und totale...

Erscheint lt. Verlag 22.1.2021
Nachwort Lutz-W. Wolff
Übersetzer Lutz-W. Wolff
Vorwort Robert Habeck
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte alternative facts • alternative Fakten • Angst • Big Brother • Big Brother Is Watching You • Circle • Datenspeicherung • Demokratie • Doppeldenk • Dystopie • England • Farm der Tiere • Gedankenpolizei • Geheimdienst • Geschichtsverfälschung • gläserner Mensch • Großer Bruder • Klassiker • Manipulation • Ministerium der Wahrheit • Neusprech • Neuübersetzung • Roman • Science Fiction • spiegel bestseller • totalitärer Staat • Totalitarismus • Überwachung • Überwachungsdystopie • Überwachungsstaat • Utopie • Winston Smith • Zweifel
ISBN-10 3-423-43771-5 / 3423437715
ISBN-13 978-3-423-43771-4 / 9783423437714
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