»Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können«. (eBook)

Briefwechsel mit seinen Söhnen Bruno und Heiner

(Autor)

Michael Limberg (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2019 | 1., Originalausgabe
360 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75785-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

»Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können«. - Hermann Hesse
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Es ist nicht leicht, Sohn eines berühmten Vaters zu sein. Zumal wenn der Vater häufig abwesend ist und dann auch noch die Familie zerbricht. Wie es Hermann Hesse und seinen Söhnen Bruno und Heiner »trotz allem Schwierigen« gelungen ist, eine liebevolle, lebenslange Beziehung aufzubauen - davon erzählt dieser Briefwechsel, der fast 300, bislang unveröffentlichte Briefe enthält.

Die hier wiedergegebene Korrespondenz setzt Anfang 1920 ein. Zwei Jahre zuvor hatte Hesses erste Frau und die Mutter seiner Kinder, Mia Hesse-Bernoulli, einen psychischen Zusammenbruch und wurde in eine Klinik eingewiesen. In der Folge sah er sich gezwungen, seine Söhne in Obhut zu geben: Der 14-jährige Bruno kam als Pflegesohn zu einem befreundeten Ehepaar, der vier Jahre jüngere Heiner erlebte eine Odyssee durch Kinderheime und Schulinternate.

Hesse ist bemüht, trotz der räumlichen Trennung die Entwicklung seiner Söhne mit Rat und Tat zu begleiten. Er geht voller Verständnis auf die Probleme und Lebensentwürfe der beiden Heranwachsenden ein, immer individuell und auf Brunos und Heiners Temperament und Charakter zugeschnitten. In seinen Briefen bestärkt er sie, ihren eigenen Weg zu gehen, und ermuntert sie, die eigenen Anlagen, die sie in sich tragen, weiterzuentwickeln. Dass nicht nur er ihnen hilft, ihren Platz im Leben zu finden, sondern auch sie ihm über die Jahre helfen, sich in seiner Rolle als Vater zurechtzufinden, dokumentiert der Briefwechsel auf ebenso unterhaltsame wie erhellende Weise.



<p>Hermann Hesse, geboren am 2.7.1877 in Calw/W&uuml;rttemberg als Sohn eines baltendeutschen Missionars und der Tochter eines w&uuml;rttembergischen Indologen, starb am 9.8.1962 in Montagnola bei Lugano.</p> <p>Er wurde 1946 mit dem Nobelpreis f&uuml;r Literatur, 1955 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Nach einer Buchh&auml;ndlerlehre war er seit 1904 freier Schriftsteller, zun&auml;chst in Gaienhofen am Bodensee, sp&auml;ter im Tessin.</p> <p>Er ist einer der bekanntesten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts. </p>

Briefe

1 Heiner

Rütte, den 16. ‌2. ‌19201

Lieber Vater!*

Vielen Dank für den lieben Brief, den Du mir geschrieben hast. Wie geht es Dir? Wir haben schon ein Pferdlein in unserem Stall. Vor ein paar Tagen fuhren wir mit dem Schlitten aus, was uns sehr Freude machte. […] Herr Ambühl sagt, wenn Du uns schreibst, so dürfen wir mit unserem Rössli ausfahren. Herr Ambühl hat Bericht bekommen von Basel über die Ausstellung2 und hat sich sehr gefreut. In der Schule geht alles gut. Wenn Bruno aus der Schule kommt, so schenkt ihm Herr Ambühl eine kleine Werkstatt, wo er allerlei Sachen aus Holz machen kann. […]

In unserem Haus haben wir sehr viele Tiere, nämlich eine Kuh, ein Pferd, eine Ziege, ein Schwein, zwei Enten, fünf Hühner und einen Hahn, 10 Hasen und eine zugelaufene Katze. […] Der Hahn kräht immer am Abend um 8 Uhr und nicht am Morgen. Ich und Wolfi3 haben beide im März Geburtstag, und auch im März werden wir unser Schwein schlachten. Ich freue mich schon jetzt auf den Speck. Viele Grüsse von Deinem Heiner.

Wünsche Dir einen guten Abend!

*Die vorangegangenen Briefe des Vaters sind nicht erhalten.

1Der zehnjährige Heiner und sein dreieinhalb Jahre älterer Bruder Bruno wurden im Januar 1920 beim Erzieher Friedrich Ambühl in Rütte bei Herrischried im Südschwarzwald untergebracht.

2Hermann Hesse stellte Anfang 1920 erstmals seine Aquarelle in Basel aus.

3Ein weiterer Zögling.

2

Aus Bruno Hesses Tagebuch1

Dort [in Rütte] hatten wir nun immer viel Arbeit. Wolfi und Heiner besorgten den Stall, und ich musste kochen. Heiner und ich gingen auf der Rütte in die Schule. Wenn wir von der Schule heimkamen, musste ich in die Küche und kochen, immer Kartoffeln und hie und da Äpfel dazu, etwas anderes gab es selten, höchstens hie und da zum Nachtessen Gersten- oder Haferbrei. Neben diesen Arbeiten mussten wir noch viel anderes tun. […] Es wäre in der Rütte gewiss sehr schön gewesen, wenn wir bei jemand anderem als bei Ambühl gewesen wären. Aber Ambühl schimpfte immer nur mit uns, und wir konnten ihm nichts recht machen. Mich schickte er oft beim ärgsten Schneesturm nach Herrischried, wenn es gar nicht nötig gewesen wäre. Manchmal war es spät am Abend und schon dunkel. Wenn viel Schnee war, ging ich mit den Skiern und kam halb erfroren nach Herrischried. […] Im März kamen Heiner und ich wieder von der Rütte fort. Die Zeit bei Ambühl kam uns wie eine Ewigkeit vor, trotzdem es nur ein Vierteljahr war. […] Die Mutter kam im März auf die Rütte, um zu sehen, wie es uns gehe, denn schreiben konnten wir nichts, da Ambühl alle Briefe las und auf der Post in Herrischried sagte, sie sollen keine Briefe von uns annehmen, auf denen nicht der Stempel Ambühls war. […] Die letzte Zeit hatte ich es überhaupt bös bei Ambühl, denn er behauptete, ich hätte der Mutter einen Brief geschrieben, von dem er nichts gewusst hätte. Das war aber gar nicht wahr. Ambühl fragte mich immer, und wenn ich nein sagte, prügelte er mich durch und quälte mich den ganzen Tag, bis ich endlich sagte, ich hätte den Brief geschrieben. Als Heiner und ich einmal allein waren, fragte mich Heiner auch, und ich sagte ihm, ich hätte keinen Brief geschrieben. Heiner sagte das Ambühl, als er von ihm gefragt wurde, da wurde ich noch einmal von Ambühl durchgeprügelt, und dann musste ich jeden Tag von dem Brief hören und wurde von Ambühl so schlecht behandelt wie noch nie.2

1Auszug aus dem ersten Tagebuch von Bruno, geschrieben im Juli 1920 auf der Oschwand in Oberaargau. Bruno nannte das Heft »Meine Lebensgeschichte«.

2Nach Klagen der Buben über die misslichen Verhältnisse in Rütte brach ihre Mutter Mia im April den Aufenthalt bei Ambühl abrupt ab. In einer Nacht-und-Nebelaktion nahm sie beide Söhne mit zu sich nach Ascona. Kurz darauf erlitt sie einen erneuten Nervenzusammenbruch und wurde zusammen mit Heiner in die psychiatrische Klinik in Mendrisio eingeliefert.

3 Bruno

[Poststempel: Oschwand, 30. ‌4. ‌1920]

Lieber Vater!

Es geht mir hier gut. Ich kann auf der Hobelbank schreinern, wenn der Schreiner nicht da ist. Ich habe das Modellierhölzchen jetzt fertig gemacht, Herr Amiet1 gab mir dafür einen Franken. Frau Amiet hat mir auch schon zehn Rappen gegeben, weil ich eine Maus gefangen habe, sie gibt mir für jede Maus so viel. Ich habe jetzt schon selbst eine Mausefalle gemacht. Vor einigen Tagen fand Frau Amiet ein Drehörgelchen, das nicht mehr ging, und schenkte es mir. Ich nahm es auseinander und reparierte es wieder und machte ein Kistchen darum; jetzt läuft es wieder gut, ich lasse es immer am Abend im Bett spielen. Hoffentlich geht es Dir gut.

Viele Grüsse an Dich und Natalina2 von Bruno.

Herr und Frau Amiet und die Mädchen3 grüssen dich vielmals.

1Der Kunstmaler Cuno Amiet (1868-1961) und seine Frau Anna (1874-1953), bei denen Bruno seit dem 22. April 1920 lebt.

2Natalina Bazzari (1868-1942), Hesses Haushälterin.

3Amiets Adoptivtöchter Greti Adam (1900-1979) und Lydia Friedli (1896-1976) und die Pflegetochter Mineli (Hermine) von Ballmoos (1905-1990).

4 Bruno

[Oschwand, 30. ‌7. ‌1920]

Lieber Vater!

Es geht mir gut. Heute morgen bekam ich von der Mutter einen Korb voll Pfirsiche und Pflaumen. Sie schrieb mir, es wäre schön, wenn ich im September ein paar Wochen zu ihr kommen könnte. Wir haben September und Oktober Ferien. Sie schrieb, ich könnte zum Herbsten kommen, aber das geht auch nicht gut. Wir haben hier auch viel Äpfel abzulesen, und Kartoffelgraben müssen wir auch. Die Tante1 sagt, es sei ihr auch so langweilig, wenn ich so lang fort gehe. Sie hätte es lieber, wenn ich so wenig als möglich fortgehe, und in den Ferien kann ich ja hier bleiben, hier ist es so schön wie an einem andern Ort. Wir haben jetzt Ernteferien. Otto Bürgi2 schrieb mir einmal, ob ich nicht zu ihnen nach Gersau in die Ferien kommen dürfe, aber ich ging nicht und schrieb ihm, dass es wegen der Seuche3 nicht gut gehe. Bis Luzern käme ich schon, ich würde über die Linde nach Huttwil und über Zell nach Luzern fahren, von dort mit dem Schiff nach Weggis, aber ob ich von dort weiterkäme, weiss ich nicht, und bis Gersau mit dem Schiff fahren, wäre mir zu teuer. Und weil es hier so schön ist, ist es gar nicht nötig, dass ich in die Ferien gehe. Nach Ascona gehe ich im September lieber nicht, da vielleicht der Brüdi4 zur Mutter in die Ferien geht, und wenn wir beide dort sind, würde es die Mutter zu sehr aufregen, dass sie vielleicht wieder krank werden könnte, und das möchte ich nicht machen. Es ist jetzt sehr lustig bei uns. Der Rolf Langnese5 ist hier, und jetzt baden wir fast jeden Tag zusammen im Bassin im Garten. Ich habe für die Mutter und für Greti zum Geburtstag schon Zeichnungen und Rähmchen gemacht. […]

Wir spielen jetzt jeden Abend, wenn es dunkel ist, Verstecken, das geht sehr lustig. Hoffentlich geht es Dir gut.

Herzliche Grüsse von Deinem Bruno.

1Bruno nannte seine Pflegeeltern Onkel und Tante.

2Ein Freund von Bruno aus Gersau am Vierwaldstättersee, wo Bruno und Heiner in den Ferien waren.

3In Oschwand herrschte zu dieser Zeit die Maul- und Klauenseuche.

4Der jüngste Bruder Martin (1911-1968), genannt Brüdi.

5Rolf Langnese...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte abwesender Vater • Berühmter Vater • Briefe • Briefwechsel • Bruno Hesse • Familie • Familie Hesse • Familienvater • Geschenkbuch • Heiner Hesse • Hermann Hesse • Hermann Hesse als Vater • Hermann Hesse und seine Söhne • Hesse • Kinder berühmter Eltern • Korrespondenz • Mia Hesse-Bernoulli • Nobelpreis für Literatur 1946 • Scheidungskind • Söhne von Hermann Hesse • unveröffentlichte Briefe • Vaterliebe • Vater-Sohn-Beziehung • Väter und Söhne
ISBN-10 3-518-75785-7 / 3518757857
ISBN-13 978-3-518-75785-7 / 9783518757857
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