Kleines Konversationslexikon für Haushunde (eBook)

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eBook Download: EPUB
2018
208 Seiten
btb Verlag
978-3-641-24295-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kleines Konversationslexikon für Haushunde - Juli Zeh, David Finck
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Das Hundeversteherbuch für jeden Zweibeiner.
Beherrscht ein Hund einen soliden Grundstock an Vokabeln, verhindert das Missverständnisse und erleichtert das Zusammenleben von Haushund und Homo sapiens enorm. In diesem Buch erklärt Othello, der Hund von Juli Zeh, der sich auf umfangreiche Recherchen stützen kann, auf seine unvergleichlich großmäulige und extrem geistreiche Art die Welt, wie sie wirklich ist ...

Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Promotion im Europa- und Völkerrecht. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman »Adler und Engel« (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Heinrich-Böll-Preis (2019). Im Jahr 2018 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz und wurde zur Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt. Ihr Roman »Über Menschen« war das meistverkaufte belletristische Hardcover des Jahres 2021. Zuletzt erschien bei Luchterhand der zusammen mit Simon Urban verfasste Bestseller »Zwischen Welten«.

D

Darwin, Charles

1809 – 1882, Begründer der modernen Evolutionstheorie. Nach Darwin werden Entstehung und Wandel von Arten durch natürliche Selektion realisiert. Eine Art, die sich weder wandeln noch neu entstehen will, sollte derartige Theorien lieber ignorieren. Darwin war das fünfte Kind einer Landarztfamilie und hatte selbst zehn Kinder, von denen sieben überlebten. Wie er zu seinen Ideen kam, ist damit ausreichend erklärt. Siehe auch  Fittest, survival of the.

Decke, Hunde

1. Dichter Belag aus Hundehaaren, der nach kurzer Zeit auf allen Lieblingsplätzen des Haushunds vorzufinden ist und die territoriale Souveränität des Hundes über die betreffenden Quadratzentimeter symbolisiert.

2. Großer Filzlappen, den homo sapiens über  1. wirft, um anzuzeigen, dass er der Einzige ist, der Teile seines souveränen Territoriums als Lehen vergibt. Nur komplexbeladene Hunde liegen unmittelbar nach dem Ausbreiten einer Hundedecke plötzlich an einem völlig anderen Platz. Denn die wahre Souveränität besteht darin, die Souveränitätsgesten aller anderen Lebewesen gepflegt zu übersehen.

Denken

Kognitive Fähigkeit, die dem menschlichen Überlegenheitsgefühl als letztes Bollwerk dient. Damit homo sapiens sich als unangefochtener Herrscher des Planeten fühlen kann, muss er sich immer wieder seiner fundamentalen Ausnahmestellung gegenüber allen anderen Wesen versichern. Dass er im Gegensatz zu seinem Haushund auf zwei Beinen geht und in der Lage ist, mit seinen irgendwie anstößig geformten Fingern den Kühlschrank zu öffnen, ist ihm als Unterscheidungskriterium zu simpel. Mensch-Sein verlangt nach einem theoretischen Sockel, auch »Geistesgeschichte« genannt.

Aristoteles hantierte noch mit dem »Menschen als politischem Tier«, was in Zeiten der Politikverdrossenheit als anachronistisch gelten darf. Bei dem Versuch, der Tierwelt durch Verwandtschaft mit dem Göttlichen zu entkommen, übersahen die Christen, dass den Haushund eine frappierende Familienähnlichkeit mit erheblich älteren Göttern verbindet. Homo faber musste darüber hinaus erkennen, dass sogar Kakadus und Otter in der Lage sind, ein Werkzeug zu verwenden. Im Kommunikationszeitalter schließlich mühen sich hoch bezahlte Forscher mit der Entschlüsselung von Walgesängen, und der Tag, an dem sie ihr Ziel erreichen, wird sicher der letzte sein, an dem Supermärkte Thunfisch in Dosen verkaufen. Im Grunde aber weiß längst jeder, dass auch Tiere über komplexe Sprachsysteme verfügen – sonst würden die Wissenschaftler für die Decodierung nicht so lange brauchen. Was bleibt? Die Gedanken sind frei, denkt sich der Mensch, und sollen deshalb ihm allein gehören. Er definiert »Denken« als die Befähigung, aus Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen. Erkenntnis wiederum, erkennt der Mensch, ist Vernunftsache und homo sapiens schon dem Namen nach ein Vernunftbegabter. Fertig ist die Vorherrschaft.

Nun hat aber selbst der vernageltste Haushund eine Vorstellung davon, was es beispielsweise heißt, wenn sein Mensch eine Reisetasche packt (vgl. hierzu  Tasche, Reise). Er erinnert sich an die letzte unklimatisierte Autofahrt nach Süditalien und macht sich einen Begriff vom Bedeutungsgehalt der Aussage »Hör auf zu nerven und steig ein«. In der Erkenntnis, dass er an seinem Schicksal nichts ändern kann, kriecht er ins Auto und verfällt in buddhistische Duldungsstarre. Woraus folgt: Cogito ergo Hund. Der differenzierungssüchtige homo sapiens sei getröstet mit dem Leitspruch einer ostdeutschen Brauerei: Der Unterschied zwischen Mensch und Tier / ist immer noch ein schönes Bier.

Denken

Dialoge

Was homo sapiens einen Dialog mit seinem Haushund nennt, ist in Wahrheit ein Monolog, da Letzterer sich bekanntlich streng an die Regel hält: Was auch passiert, sag niemals ein Wort (vgl.  Vorwort). Die kommunikative Einbahnstraße zwischen homo sapiens (Sender) und Hund (Empfänger) wird von drei Sorten von Botschaften benutzt: »Böser Hund«, »Guter Hund« und »Sonstige«. Zur Veranschaulichung wird im Folgenden ein kommentiertes Beispiel für jede Dialogart angeführt.

1. Böser Hund

Homo sapiens kommt nach Hause, der Haushund führt einen rituellen Begrüßungstanz auf. Im Flur sind die Überreste eines zerfledderten Telephonbuchs verstreut.

Homo sapiens: »Ist ja gut, war doch nur zwei Stunden weg. Danke, ich hab gern eine Hundezunge im Ohr, während ich mir die Schuhe ausziehe. Großes Kino. Absolut oscarverdächtig.«

Beim Dialog mit dem Haushund entfaltet homo sapiens eine infantile Art von Ironie, die er sich im Umgang mit Artgenossen niemals erlauben könnte. Der Hund simuliert ein  Lachen, indem er die Mundwinkel auseinander zieht und die Zunge heraushängen lässt.

Homo sapiens: »Ach du Scheiße, was ist das denn?«

Mensch und Tier lassen die Blicke über das Papierschnipselpanorama schweifen.

Homo sapiens: »Warst du das? Sag schon, warst du das etwa?«

In Anbetracht der Tatsache, dass sonst niemand zugegen ist, handelt es sich um eine rhetorische Frage, die keine Antwort verlangt. Der Haushund klappt die Ohren herunter und krümmt sich, bis er fast umfällt.

Homo sapiens: »Böser Hund! Du bist ein ganz böser Hund!«

Der Mensch fasst den Hund am  Genick und schüttelt ihn. Der Hund schreit, als würde ihm bei lebendigem Leib die Milz rausgerissen, woraufhin sich die Wut von homo sapiens sofort in Beschämung verwandelt. Er beginnt, Papierschnipsel aufzusammeln.

Homo sapiens: »Du denkst wohl, ich hab eh keine Freunde, da brauch ich auch kein Telephonbuch? Falsch gedacht. Böser Hund.«

Der Haushund sitzt in der Ecke und klappt jedes Mal die Ohren nach unten, wenn homo sapiens ihn ansieht. Versuchsweise klopft er ab und zu mit dem Schwanz auf den Boden, sofern er einen hat (vgl.  Kupieren). Endlich hat der Mensch die Spuren der Verwüstung beseitigt.

Homo sapiens: »Dann kannst du nächstes Mal die Öffnungszeiten von deinem blöden Tierarzt selbst herausfinden. Obwohl es dir lieber wäre, wir würden den überhaupt nicht anrufen, was? Deshalb hast du das Telephonbuch gefressen!«

Beinahe. Der Haushund hat das Stichwort für seinen Einsatz erkannt, leckt homo sapiens die Hände und beginnt mit Teil zwei des Begrüßungstanzes.

2. Guter Hund

Der Hund hält Wache vor der geschlossenen Tür des  Badezimmers und bekämpft seine Paranoia, indem er an einem Pantoffel schleckt. Als homo sapiens mit Duschen fertig ist, kommt er aus dem Bad und stolpert über den Hund.

Homo sapiens: »Wo sind … Hoppla! Was hast du denn da? Na sowas, du hast mir meine Pantoffeln gebracht! Oder wenigstens einen. Was für ein guter Hund! Feiner Hund.«

Der Pantoffel ist an einer Seite klitschnass, aber der Mensch verhält sich zum Hund wie Gott zum Menschen: willkürlich und unberechenbar im Guten wie im Bösen. In einem plötzlichen Zuneigungsanfall geht er in die Knie und massiert dem Hund das Rückenfell.

Homo sapiens: »So ein guter Hund. Du bleibst immer bei mir. Wir sind eine Familie. Ein  Rudel

Der Mensch glaubt, dass ein Haushund ihn besser versteht, wenn er pseudowissenschaftliche Termini aus der Zoologie verwendet. Für solche rührend naiven Ideen liebt ihn der Haushund besonders, weshalb er ihm jetzt mit der Zunge ins Gesicht fährt.

Homo sapiens: »Siehst du, das hast du begriffen! Du verstehst jedes Wort. Du tust nur so stumm, damit du nicht einkaufen gehen musst.«

Manchmal ist homo sapiens von erstaunlicher Hellsichtigkeit. Dass er seine wichtigsten Erkenntnisse für gelungene Witze hält, ist ein Problem der menschlichen Geistesgeschichte und gleichzeitig unsere Rettung in vielen Lebenslagen. Glücklich über diesen simplen Zusammenhang, wedelt der Hund mit den Pfoten in der Luft, während er von homo sapiens ausgiebig gelobt und bewundert wird.

3. Sonstiges

Dialoge in der Kategorie »Sonstiges« beziehen sich auf die Themengruppe Sinn des Lebens, persönliche Glücksfähigkeit und aktuelle Regierungspolitik. Der Haushund dient dabei als Ansprech-Dummy, weil er weder protestieren noch weglaufen kann. Gleiches gilt eigentlich für sämtliche Dialogformen, nur merkt man es hier besonders deutlich.

Homo sapiens: »Ach, mein Guter, wenn du wüsstest, wie das ist, sich den ganzen Tag mit Artgenossen herumzuschlagen! Entweder sie greifen dich an, oder sie schleimen rum, oder sie sind für beides zu blöd.«

Der Haushund ist Stammgast auf der Hundewiese (  Wiese, Hunde) und weiß deshalb haargenau, wie das ist. Er hebt die Augenbrauen zu einem Ausdruck tiefen Mitgefühls.

Homo sapiens: »Wenn alle so wären wie du! Geduldig, treu, immer da, wenn man jemanden braucht.«

Der Haushund klopft mit dem Schwanz auf den Boden. Abendessenszeit ist die treueste Stunde des Tages.

Homo sapiens: »Oder wenn wir tauschen könnten … Die Menschen rennen auf der Welt herum, kämpfen, schreien, regen sich auf und verdienen Geld damit, bis sie eines Tages feststellen, dass etwas anderes wichtiger gewesen wäre. Ein Hund muss nur darauf...

Erscheint lt. Verlag 6.8.2018
Zusatzinfo zahlreiche Farbfotos
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Haustiere • Hund • Hunde • Hundeversteher • Interaktion • Kommunikation • Othello • Roman • Romane
ISBN-10 3-641-24295-9 / 3641242959
ISBN-13 978-3-641-24295-4 / 9783641242954
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