Das Experiment (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018
624 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-22174-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Experiment - Arkadi Strugatzki, Boris Strugatzki
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In Das Experiment erzählen Arkadi und Boris Strugatzki die Geschichte des linientreuen russischen Astronomen Andrej Woronin, der in einer von der Außenwelt abgeschotteten Stadt an einem rätselhaften Experiment teilnimmt. Doch wer sind die anderen Teilnehmer? Welche Geheimnisse verbergen sie? Und was ist eigentlich der Sinn des Experiments? Als sich eigenartige Vorfälle in der Stadt häufen, muss Woronin mit einem Mal alles, woran er bisher geglaubt hat, infrage stellen ...

Arkadi (1925-1991) und Boris (1933-2012) Strugatzki zählen zu den bedeutendsten und erfolgreichsten russischen Autoren der Nachkriegszeit. Ihre Romane sind nicht nur faszinierende Parabeln über die Stellung des Menschen im Universum, sondern auch schonungslose Abrechnungen mit Ideologiegläubigkeit und Personenkult. Etliche ihrer Texte durften in der Sowjetunion nicht erscheinen. Inzwischen hat die Gesamtauflage ihrer Werke die fünfzig Millionen überschritten, sie wurden in über dreißig Sprachen übersetzt. Viele ihrer Romane wurden verfilmt - Andrei Tarkowskis Adaption von »Picknick am Wegesrand« unter dem Titel »Stalker« gehört zu den Klassikern der Filmkunst.

VORWORT VON DMITRY GLUKHOVSKY

Kein westlicher Science-Fiction-Autor, ob Amerikaner oder Europäer, wurde jemals so berühmt, wie es die Brüder Strugatzki in der Sowjetunion waren. Wenn in den 1970er-Jahren ein neues Buch von ihnen erschien – in einer Erstauflage von einer halben Million – hatten nur wenige das Glück, dieses auch sofort lesen zu können. Im Jahre 1979 schließlich brachte Andrej Tarkowskis Film Stalker – der auf dem Roman »Picknick am Wegesrand« basiert – den Brüdern Strugatzki auch die Anerkennung der sowjetischen Intelligenzija. Eine Filmadaption des Romans »Der Montag fängt am Samstag an« wurde 1982 ein bislang unerreichter Publikumserfolg. Aber schon lange zuvor standen Verwandte, Freunde und Arbeitskollegen immer sofort in der langen Schlange an, um eines dieser halben Million Exemplare zu ergattern. Niemand ließ sich vom Warten abschrecken. Wir waren es gewohnt, für wertvolle Dinge Schlange zu stehen. Einen Monat für ein Buch, fünf Jahre für ein Auto, zehn Jahre für eine Wohnung …

Der Unterschied lag allerdings nicht einfach nur im Bekanntheitsgrad der Brüder Strugatzki. Sie waren jedem literaturinteressierten Menschen in der Sowjetunion ein Begriff, aber es gibt natürlich auch westliche Science-Fiction-Autoren, die so gut wie jeder kennt.

Der Unterschied lag in der Erwartungshaltung der Leserschaft.

Im Westen war Science-Fiction immer eher etwas für Träumer. Westliche Science-Fiction-Literatur bedient, damals wie heute, eine Nische, deren Größe Jahr für Jahr schwankt.

In der Sowjetunion war Science-Fiction dagegen ein fester Bestandteil des Mainstreams. Die Kommunistische Partei und die Regierung arbeiteten an einem bombastischen Projekt mit dem Ziel, die Gesellschaft, den Staat, das Individuum und letztlich die ganze Welt komplett umzukrempeln. Gegen ein derart fantastisches Vorhaben waren selbst die kühnsten Schriftstellerfantasien kaum mehr als ein Vorgeschmack auf das, was bald kommen würde. Die gängige sowjetische Science-Fiction-Literatur – darunter auch die frühen Werke der Strugatzkis – nahm uns mit in diese von den Ideologen versprochene strahlende und gerechte Zukunft, in der der Kommunismus den Sieg davongetragen hat und seit langer Zeit Frieden auf der Welt herrscht. Eine Zukunft, in der Russisch die Sprache des internationalen Austauschs ist und sich Erzählenswertes nur noch an abgelegenen Orten unserer Galaxie ereignet, Orte, zu denen die Erdenmenschen Fortschritt und Wohlstand bringen.

Verglichen damit war die Gegenwart in der Sowjetunion hart, aber die Mangelwirtschaft schien gerechtfertigt: Wir alle zusammen, als Nation, standen einfach nur für eine bessere Zukunft in der Schlange an. Und die Science-Fiction-Autoren fühlten sich verpflichtet, uns zu zeigen, was das Schicksal in den strahlenden Schaufenstern des kommunistischen Paradieses bereithielt: Sieh mal, wenn du dich auf die Zehenspitzen stellst, kannst du schon das Ende der Schlange erkennen … In den frühen 1960er-Jahren versprach Chruschtschow die Verwirklichung des kommunistischen Projekts für das Jahr 1980. Fünf Jahre für ein Auto, zehn Jahre für eine Wohnung, zwanzig Jahre für das Paradies. Man musste also nichts weiter tun, als lange genug am Leben zu bleiben. In diesem Paradies würden dann Vernunft und Menschlichkeit triumphieren, dort würde es ehrlich und gerecht zugehen. In diesem Paradies, so versprach man uns, würde alles kostenlos verfügbar sein, die Gesellschaft würde von jedem nur das fordern, was er geben konnte, und jedem das geben, was er brauchte. An diesen Plan wollten wir gerne glauben.

Auch die Brüder Strugatzki wollten gerne daran glauben. Sie waren während des Krieges in Leningrad aufgewachsen und vergaßen nie den Preis, zu dem der Sieg erkauft worden war. Oder den Preis, den wir für die großen kommunistischen Projekte bezahlten. Oder die Härte, die unsere Schäfer an den Tag legen mussten, wenn die Herde auf dem Weg in den Garten Eden störrisch wurde oder gar nicht mehr folgen wollte. Aber zu dieser Zeit schien das Ziel einfach zu bedeutend und zu großartig, um lange über die zu seiner Erreichung notwendigen Mittel nachzudenken.

Der einzige Ort, an dem man tatsächlich einmal nachdachte, war die Küche, unter Freunden und im Kreis der Familie. Und auch wenn in der Zeit von Chruschtschow und Breschnew niemand für seine Zweifel erschossen wurde, auch wenn die Säuberungsaktionen verurteilt wurden und der Stalin-Kult seinen Nimbus verlor, so waren doch die Zeitung Prawda und das staatliche Radio- und Fernsehkomitee die Einzigen, denen dieses Nachdenken erlaubt war. Und das auch nur, solange es den heimlichen Machtkämpfen innerhalb des Politbüros dienlich war.

Natürlich wurde die Prawda – wie die übrige Presse – nicht einfach nur vom Staat kontrolliert; sie war vielmehr seine Vorhut, ja seine Sturmtruppe. Ebenso wie die sogenannte »ernsthafte« Literatur. Die veröffentlichten Romane und Geschichten erfüllten genau abgezirkelte politische und soziale Aufgaben: die heroische Glorifizierung von Arbeit und Militärdienst, die Darstellung sowjetischer Alltagsfröhlichkeit, die komplexen Wechselwirkungen von zwischenmenschlichen Beziehungen und Produktionsverhältnissen. Alles andere – von Daniil Charms bis Bulgakow, von Pasternak bis Solschenizyn – wurde nicht als Literatur anerkannt und war praktisch nicht-existent. Autoren sollten nicht schöpferisch tätig sein, sondern dienen und die Vorgaben der Ideologen der Kommunistischen Partei mit Leben erfüllen.

Die Science-Fiction genoss diesbezüglich größere Freiheiten. Denn sie beschrieb ja nicht das Hier und Jetzt und auch nicht die Sowjetunion. Sie äußerte zudem keine Zweifel daran, dass der Kommunismus in der näheren Zukunft triumphieren würde. Ganz offensichtlich steckte sie ihre Nase nicht in gegenwärtige Angelegenheiten, sondern beschäftigte sich mit abstrakten Themen und fernen Welten. Dementsprechend hatte sie andere und nicht so strenge Vorgaben zu erfüllen. Dennoch war die Science-Fiction-Literatur wie alles, was veröffentlicht wurde, der Zensur unterworfen.

Die Zeit verging, und das Land verbummelte sie weiter mit Schlangestehen. Und die Bilder der Schaufenster voller Glückseligkeit und Gerechtigkeit verblassten im Dunst der Zukunft. Chruschtschow, der die Verwirklichung des Kommunismus in der absehbaren Zukunft versprochen hatte, wurde gestürzt, und diejenigen, die an seine Stelle traten, reduzierten ihre Versprechen auf sechshundert Quadratmeter große Grundstücke für Datschas. Und das Morgen kam einfach nicht. Vielmehr wurde es wegen »technischer Schwierigkeiten« immer wieder auf Übermorgen verschoben. Unter den Menschen in der Schlange breitete sich ängstliches Geflüster aus, und als die Führer des Landes alt wurden und in die Senilität abdrifteten, wurde das Flüstern lauter. Es wurde offensichtlich, dass wir in der falschen Schlange standen. Und das Erschreckende daran war, dass wir möglicherweise schon immer in der falschen Schlange gestanden hatten.

Auch in den Werken der Brüder Strugatzki war dieses Flüstern nun immer lauter durch die Klänge der Fanfaren zu hören, die eine glückliche kommunistische Zukunft auf Erden verkündeten. Natürlich war auf der Erde immer noch alles in bester Ordnung und frei verfügbar, und jeder sprach Russisch. Aber die Ereignisse an den rückständigen Orten der Galaxie deuteten jetzt eine andere Lesart des aktuellen Prawda-Leitartikels an.

Der Roman »Das Experiment« spielt offensichtlich an einem Ort, der nicht die Erde und auch kein anderer Planet ist, sondern eine eigene Welt – eine in sich geschlossene Welt außerhalb von Zeit und Raum. Die Figuren entstammen unserer Realität, wenn auch verschiedenen Ländern und Zeiten des 20. Jahrhunderts. So gibt es einen britischen Offizier aus dem Ersten Weltkrieg, einen deutschen Soldaten, der im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat, den »Sowjetbürger« Andrej aus den Fünfzigern und einen amerikanischen College-Professor aus den Sechzigern. Alle sprechen offenbar dieselbe Sprache, aber diese Sprache ist nicht Russisch. Sie wurden aus ihrem vertrauten Leben auf der Erde, ihrer Zeit und Kultur herausgerissen und in die »Stadt« gebracht – als Versuchskaninchen in einem Experiment, das weder Anfang noch Ende hat und dessen Ziel und Bedeutung vor den Teilnehmern geheim gehalten wird. Niemand informiert die Testpersonen über die stattfindenden Versuche. Die Organisatoren sehen wie gewöhnliche Leute aus, wie Parteifunktionäre oder Geheimdienstmitarbeiter – sie lächeln genauso freundlich und bitten wie diese um Geduld. Und alle Einwohner der Stadt sind geduldig.

»Das Experiment« wurde 1972 fertiggestellt, aber erst sechzehn Jahre später, nach Beginn der Perestroika, ungekürzt publiziert. Und selbst das überrascht, denn die Anspielungen auf die Sowjetunion sind in diesem Roman so deutlich, dass man sich berechtigte Sorgen machen musste – nicht nur um die Brüder Strugatzki, sondern auch um die Zensoren, die die Veröffentlichung gestatteten.

Dabei spielt es keine Rolle, dass es sich bei den Einwohnern der Stadt nicht nur um Menschen aus dem ehemaligen Russischen Reich handelt, sondern auch um Ausländer. Es spielt keine Rolle, dass sich das Regime dort ändert und die Stadt in manchem ebenso dem Westen ähnelt – vielleicht sogar mehr als der Sowjetunion. Es spielt keine Rolle, dass die Sowjetunion in dem Roman...

Erscheint lt. Verlag 13.8.2018
Übersetzer Reinhard Fischer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Град обреченный
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte 20. Jahrhundert • diezukunft.de • eBooks • Gesellschaftkritik • russische Science-Fiction • Science-Fiction-Klassiker
ISBN-10 3-641-22174-9 / 3641221749
ISBN-13 978-3-641-22174-4 / 9783641221744
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