Die Verräterin - Das Imperium der Masken (eBook)
560 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490206-7 (ISBN)
Seth Dickinson hat zahlreiche Erzählungen in Analog, Asimov's, Clarkesworld und Strange Horizons veröffentlicht und schreibt für den Computerspiel-Blockbuster ?Destiny?. Er unterrichtet Kreatives Schreiben beim Alpha Workshop for Young Writers und hat 2011 den Dell Magazines Award gewonnen. ?Die Verräterin? ist sein erster Roman.
Seth Dickinson hat zahlreiche Erzählungen in Analog, Asimov's, Clarkesworld und Strange Horizons veröffentlicht und schreibt für den Computerspiel-Blockbuster ›Destiny‹. Er unterrichtet Kreatives Schreiben beim Alpha Workshop for Young Writers und hat 2011 den Dell Magazines Award gewonnen. ›Die Verräterin‹ ist sein erster Roman. Jakob Schmidt hat unter anderem Werke von Kim Stanley Robinson und Stephen King ins Deutsche übertragen. 2016 erschien seine Neuübersetzung von Frank Herberst SF-Klassiker ›Der Wüstenplanet‹.
›Die Verräterin – Das Imperium der Masken‹ ist ein sprachlich hervorragender Fantasy-Roman, mit ausgeklügelter Handlung und Mut zu harten Schicksalen für seine Charaktere.
Ein spannender, überraschender und sehr fesselnder Reihen-Auftakt […] Eine glasklare Leseempfehlung, wenn man auf provokative und aufregende Fantasy-Abenteuer steht!
Eine originelle Abwechslung zu den üblichen Fantasybüchern
Ein faszinierendes Debüt, das Seth Dickinson hier hinlegt – wenn auch eines, für das man sich etwas Zeit nehmen muss.
Kapitel 1
Es war wieder Handelszeit. Baru war noch zu jung, um den Wind des Imperiums zu riechen.
Die Maskerade schickte ihre bevorzugten Truppen, um Taranoke zu erobern: Segeltuch, Farbstoffe, glasierte Keramik, Robbenleder und Öle, Papiergeld, das in ihrer falcresischen Sprache bedruckt war. Die kleine Baru, die im heißen schwarzen Sand Burgen baute, sah gerne zu, wenn die Kauffahrer im Hafen einliefen. Anhand der Schiffe und der sie umkreisenden Seevögel lernte sie zählen.
Fast zwanzig Jahre später sollte sie sich an jene Segel am Horizont erinnern, als sie die Feuerbringer-Fregatten im Farbenspiel des Nordlichts krängen sah. Doch im Alter von sieben Jahren maß das Mädchen Baru Kormoran ihnen keine Bedeutung bei. Sie interessierte sich vor allem für Arithmetik, für Vögel und für ihre Eltern, die ihr die Sterne zeigten.
Aber es waren auch ihre Eltern, die ihr beibrachten, Angst zu haben.
Im herbstlichen Abendrot gingen Barus Väter, bevor die Sterne herauskamen, mit ihr hinunter zum Strand, um Kelp zu sammeln und ihn zu Asche zu verbrennen, mit der sie dann Glas herstellen konnten, aus dem sich wiederum mit Vulkangestein glattgeschliffene Teleskoplinsen anfertigen ließen, welche für den neuen Handel bestimmt waren. Als sie den Strand erreichten, sah Baru die Handelsschiffe der Maskerade am Horizont, wie sie in großem Abstand Halas Riff umrundeten.
»Seht doch, Daas«, sagte Baru. »Die kommen zum Markt in Iriad.«
»Ich sehe sie.« Vater Salm beschirmte seine Augen mit der Hand und beobachtete mit blutleeren, zusammengepressten Lippen die Schiffe. Er hatte Schultern wie ein Berg, und dicke Muskeln spielten unter seiner Haut. »Geh deinen Eimer vollmachen.«
»Schaut mal.« Vater Solit, der scharfe Augen hatte, nahm die Hand seines Ehemanns und deutete auf See hinaus. »Da ist noch ein drittes Schiff. Jetzt segeln sie schon in Konvois.«
Baru lauschte, während sie so tat, als grübe sie nach Seetang.
»Piraten sind ein guter Vorwand für einen Konvoi«, sagte Salm. »Und der Konvoi ist ein guter Vorwand für Geleitschutz.« Er spuckte in die Brandung. »Ritzel hatte recht. Dieses Abkommen ist vergiftet.«
Baru, die die Spiegelbilder der beiden beobachtete, sah, wie Solit Salm bei der Schulter griff, die schwieligen Hände gegen die rohe Kraft seines Mannes drückte. Beide Männer trugen ihre Haare zu Zöpfen geflochten, wobei Solits für die Arbeit in der Schmiede kurzgebrannt waren, während die von Salm ihm bis auf die Hüfte fielen – zum Ruhme im Kreis des Tötens, gegen die Flachländer.
»Siehst du es denn?«, fragte Solit.
»Nein. Aber es ist dort draußen. Hinter dem Horizont.«
»Was ist da draußen, Daa?«, fragte Baru.
»Mach deinen Eimer voll, Baru«, grollte Salm.
Baru liebte ihre Mutter und ihre Väter von Herzen, aber sie liebte es noch ein kleines bisschen mehr, Dinge zu wissen, und seit kurzem hatte sie die Verschlagenheit für sich entdeckt. »Daa«, sagte sie, an Solit gewandt, der oft umgänglicher war, »gehen wir morgen nach Iriad auf den Markt und sehen uns die Schiffe an?«
»Mach deinen Eimer voll, Baru«, sagte Solit, und weil er Salms Worte wiederholte, anstatt nachzugeben, wusste sie, dass er sich Sorgen machte. Kurz darauf fügte er jedoch hinzu: »Schleif heute Abend dein Glas, dann haben wir genug zu verkaufen. Und dann kannst du nach Iriad mitkommen und dir die Schiffe ansehen.«
An jenem Abend schlug sie das von Hand abgeschriebene Wörterbuch ihrer Mutter auf, las bei Kerzenschein mit zusammengekniffenen Augen und ging die Buchstaben des urunokischen Alphabets durch, bis sie bei Konvoi – eine Gruppe oder eine Karawane von Schiffen, die sich zum gegenseitigen Schutz zusammenschließen, insbesondere unter dem Schutz eines Kriegsschiffs ankam.
Ein Kriegsschiff. Hm.
Es ist da draußen, hatte Vater Salm gesagt.
Vom Hof ihres Hauses aus Aschenbeton drangen das Kreischen von Stein auf Glas und die leisen, besorgten Stimmen ihrer Mutter und ihrer Väter – Jägerin, Grobschmied und Schildträger – zu ihr herein. Einmal mehr zerbrachen sie sich den Kopf über das Abkommen.
Auch dieses Wort schlug sie nach, in der Hoffnung, es zu verstehen, weil das Verstehen ihr Macht über die Dinge gab. Aber sie begriff nicht, wie ein Abkommen Gift sein konnte. Vielleicht würde sie es auf dem Markt von Iriad herausfinden.
Baru stellte das Wörterbuch ihrer Mutter zurück. Dann zögerte sie, die Finger immer noch am abgesteppten Einband. Mutter hatte ein neues Buch in ihrer Sammlung, das in fremdartiges Leder gebunden war. Laut sprach sie den Titel auf der ersten Seite aus, der in seltsamen, rechtwinkligen Blockbuchstaben gedruckt war, spröde und unnahbar: Eine Einführung ins Aphalonische, die Reichshandelssprache; dem Volke Taranokes zum einfachen Gebrauche bereitgestellt.
In der unteren Ecke prangte eine laufende Nummer, die fast größer war, als sie zählen konnte.
Wo das Meer zwischen den Basaltarmen der Bucht von Iriad wogte, unterhalb der Zuckerrohr-, Makadamia- und Kaffeefelder, die in der Vulkanerde wuchsen, präsentierte der Markt sich wie ein stolzer, goldener Jüngling.
Bereits länger, als Baru sich erinnern konnte, wie man sich erinnert, waren die Kais von Iriad voller Markstände, und auf der ganzen Welt gab es nichts Lauteres und Fröhlicheres. Dieses Jahr lagen mehr Schiffe im Hafen – nicht bloß taranokische Fischerboote und Feluken, nicht bloß die vertrauten Kauffahrer der Oriati aus dem Süden, sondern auch hohe Maskeraden-Handelsschiffe mit weißen Segeln. Mit ihrer Ankunft war der Markt über die Gehsteige gequollen und trieb nun auf schwankenden Koa- und Walnussholzflößen einher. Trommler spielten in der hellen Wärme.
Als Baru heute auf den Markt kam, entdeckte sie etwas Neues, das ihr Vergnügen bereitete: das Intrigieren. Sie würde herausfinden, was ihren Eltern Sorgen machte, den Knoten von Kriegsschiffen und Abkommen entwirren. Sie würde es in Ordnung bringen.
Ihre Familie fuhr mit dem Kanu. Baru saß im Bug, während Mutter Ritzel und Vater Salm paddelten und Vater Solit nervös über die Teleskoplinsen wachte. Der von See kommende Wind hob Schwärme von Bergenten und Gänsesägern empor, Trupps von Alawas mit struppigen Kragen, die ihre Zweitonrufe ausstießen, Fischerreiher und Sturmvögel und Fregattvögel, und viel weiter oben große Raubmöwen, die als nachtschwarze Keile am Himmel standen. Fest entschlossen versuchte Baru, sie zu zählen und dabei die verschiedenen Arten auseinanderzuhalten.
»Baru Kormoran«, sagte Mutter Ritzel lächelnd. Für Baru war sie eine Brandungswoge im Sturm, ein Blitzschlag, so bedächtig und machtvoll wie das Sonnenlicht. Ihre dunklen Augen und die Zähne in ihrem Lächeln waren das, was Baru sich ausmalte, wenn sie von Panthern las. Die Bewegung ihrer Paddel war so sicher und geschmeidig wie die der Wellen darunter. »Das war ein guter Name.«
Baru, gewärmt und geliebt und begierig darauf, die anderen mit ihren Vogelzählkünsten zu beeindrucken, umarmte den Oberschenkel ihrer Mutter.
Sie suchten sich einen Kai, an dem sie ihre Teleskope ausladen konnten, und das Wogen des Markts hüllte sie ein. Baru bewegte sich zwischen Knien und Knöcheln hindurch und blieb, weil das geschäftige Treiben sie ablenkte, hinter ihren Eltern zurück. Taranoke war seit jeher ein Handelshafen, ein sicherer Inselhalt für die Dromonen der Oriati und die Kanus der Inselbewohner, weshalb Baru von klein auf ein wenig darüber wusste, wie der Handel funktionierte: Schiedsgerichte, Wechselkurse, Einfuhr und Ausfuhr. Wir verkaufen Zuckerrohr und Honig und Kaffee und Zitrusfrüchte, sagte Mutter Ritzel, und wir kaufen Stoffe, Segeltuch, Geldsorten, die andere Händler wollen – Baru, hör zu!
In letzter Zeit hörte sie immer zu. Etwas Zerbrechliches lag in der Luft, der Geruch eines aufziehenden Gewitters, und es machte ihr Angst, dass sie den Grund dafür nicht verstand.
Auf dem Markt roch es nach gekochter Ananas und frischem Ingwer, nach rotem Eisensalz und Anis. Inmitten der Trommeln und der Rufe der Tänzer und Zuschauer auf Urunokisch und Oriati und in der neuen Handelssprache Aphalonisch war das Klingen harter Münzen und Riffperlen zu hören, die von Hand zu Hand gingen.
»Soliiiit«, rief Baru. »Ich möchte …!«
»Ich weiß.« Solit, der bei der Arbeit war, erübrigte ein Lächeln für sie. Er war früher Schmied gewesen und brachte allem, was er gemacht hatte – Baru eingeschlossen –, Großherzigkeit entgegen. »Geh dich umsehen.«
Ausgezeichnet. Jetzt würde sie herausfinden, was das Wort Abkommen wirklich bedeutete.
Sie fand den Stand eines Fernhändlers, der im Weiß der Maskerade gestrichen war. Den Mann hinter den hoch aufgeschichteten Tuchbahnen – die man aus Schafen webte, bei denen es sich wohl um große, dumme Tiere handelte, die hauptsächlich aus Haaren bestanden – hätte man aus der Entfernung für einen Taranoker halten können, doch aus der Nähe verrieten ihn seine Lidfalten und seine flache Nase. Das war der erste Eindruck, den Baru von den Leuten aus Falcrest erhielt: sture Kinnpartien, flache Nasen, tief in den Höhlen liegende Augen mit Lidfalten, die Haut blassbraun oder kupfer- oder haferfarben. Zu jener Zeit kamen sie ihr gar nicht so anders vor.
Der Mann sah gelangweilt aus, weshalb Baru keine Hemmungen hatte, auf seinen Stand zu klettern. Er hatte Wachposten, zwei Frauen mit rasierten Köpfen und Seglerhosen, die allerdings damit beschäftigt waren, die Sprachbarriere zu einem jungen taranokischen Fischer zu überwinden.
»Hallo, mein Liebes«, sagte der Mann...
Erscheint lt. Verlag | 22.6.2017 |
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Übersetzer | Jakob Schmidt |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Auflehnung • Aurdwynn • Emanzipation • Fantasy-Trilogie • Freiheit • Fronten • Game of Thrones • Gerechtigkeit • Imperium • Imperium der Masken • Kolonie • Macht • Masken • Politik • politische Fantasy • Rebellion • Starke Frau • System • Trilogie • Verrat |
ISBN-10 | 3-10-490206-2 / 3104902062 |
ISBN-13 | 978-3-10-490206-7 / 9783104902067 |
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