Der Prinz aus dem Paradies (eBook)
416 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-20310-8 (ISBN)
Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie mit zahlreichen Romanen sensationellen Erfolg hatte. Seit einigen Jahren schreibt sie ausschließlich Tatsachenromane, ein Genre, das zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Mit diesen Romanen erobert sie immer wieder die SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrem Mann in Salzburg, wo sie auch gemeinsam Schreibseminare geben.
1
DÜSSELDORF, AUGUST 1995
Nebenan saß ein junges Pärchen, eng aneinander gekuschelt auf den schmalen Flugzeugsitzen. Er las Siddhartha von Hermann Hesse, und sie blätterte in einem Reiseführer, Sri Lanka – Insel der Träume. Die junge Frau hatte ihren Wuschelkopf an seine Schulter gelehnt.
Na toll. Die hatten sich. Und ich? Nicht ohne Neid schielte ich zu ihnen hinüber. Ich hatte niemanden. Ich war eine geschiedene Frau mittleren Alters.
Verzweifelt atmete ich schwer gegen eine Panikattacke an. Sri Lanka. Zehn Stunden Nachtflug. Mein Sohn war doch verrückt, mir so eine weite Reise zu schenken!
Was lag denn da alles auf meinem Sitz? Ich zog eingeschweißte Decken, Kissen und Kopfhörer unter meinem Allerwertesten hervor. Wohin jetzt damit? Auch mein Handgepäck konnte unmöglich so vor meinen Füßen stehen bleiben.
Mühsam stemmte ich mich noch mal hoch, hielt tapfer dem Strom der nach mir hereindrängenden Passagiere stand und wuchtete meine prall gefüllte Tasche ins Gepäckfach. Eine hübsche Stewardess eilte herbei. »Darf ich Ihnen behilflich sein?«
»Ja bitte, ich glaub, mir wird schwindelig.« Eine Hitzewallung überkam mich, sodass ich mich schwer zusammenreißen musste, den Flieger nicht wieder fluchtartig zu verlassen.
Ruhig, Rosemarie!, beschwor ich mich. Ganz ruhig. Wir atmen tief in den Bauch, denken an etwas Schönes und entspannen uns.
»Vielen Dank.« Uff. Plumps. Wieder saß ich auf meinem Sitz.
Ich tupfte mir mit einem Erfrischungstuch die Schweißtropfen von Stirn und Oberlippe. »Schrecklich eng hier, was?«, sagte ich zu dem Pärchen. »Waren Sie schon mal in Sri Lanka?«
»Nein.« Die beiden schauten mich fragend an. »Und Sie?«
»Nein«, gestand ich. »Bis vorgestern wusste ich noch nicht mal, wo das überhaupt liegt!«
»Und wie kommt es dann, dass …?« Das junge Glück wechselte erstaunte Blicke.
»Weil mein Sohn mir die Reise zum Geburtstag geschenkt hat. Der ist zwar erst im November, aber Mario, also mein Sohn, hat gemeint, die Preise wären gerade besonders günstig gewesen.«
Schwer atmend versuchte ich, den Sicherheitsgurt um meine weiblichen Rundungen zu zurren. Die zwei waren so schlank, dass ein Sicherheitsgurt für beide gereicht hätte.
»Er muss es ja wissen, er arbeitet in einem Reisebüro.«
Unter den prüfenden Blicken der Stewardess, die bestimmt überlegte, ob sie mir ein Verlängerungsteil oder ein Beruhigungsmittel bringen sollte, sprudelte es nur so aus mir heraus:
»Junge, hab ich gesagt, ich bin reif für die Insel. Du sitzt doch an der Quelle. Schau doch mal nach einem günstigen Angebot, Last Minute, nach einem schönen Ort, an dem deine alte Mutter mal zwei Wochen entspannen kann, bis es im Job wieder rundgeht.«
»Na, so alt sind Sie doch auch noch nicht …«
»Was arbeiten Sie denn?«
»Bald neunundvierzig«, gab ich freimütig zu. »Als Psychologin leite ich Entspannungskurse für Erwachsene und Kinder. Mitte September geht es wieder los mit autogenem Training, Hypnose und Stressbewältigung, aber jetzt muss ich selber mal runterkommen.« Ich wich einem dicken Bauch aus, der sich in mein Gesichtsfeld schob. »Aber doch nicht so!« Jemand versuchte, sein Gepäck in das Fach über mir zu quetschen. Dabei sprang ein Hemdknopf ab, und ein haariger Bauchnabel stach mir ins Auge.
Ich drehte den Kopf, um dieses Grauen nicht sehen zu müssen. Lieber wandte ich mich wieder den appetitlichen jungen Leuten zu.
»Und dann ruft mich Mario gerade mal vor zwei Tagen an und sagt: ›Mutter, du fliegst dahin, wo der Pfeffer wächst‹. Darauf ich: ›Wo wächst denn der Pfeffer?‹ und er: ›An der Südspitze Indiens – in Sri Lanka.‹ – ›Junge!‹, brause ich auf, ›bist du verrückt‹? Da will ich doch nicht hin! Das ist doch in der Dritten Welt! Ich brauche Ruhe und Erholung und keinen Ärger mit Salmonellenvergiftung, Kriminalität und so …«
Die jungen Leute machten große Augen.
»Und er sagt: ›Tja Mutter, ich dachte du wolltest so billig wie möglich so weit weg wie möglich! Also Sri Lanka!‹ – Darauf ich: ›Und was ist, wenn ich krank werde und in ein Buschkrankenhaus muss, wo mich keiner versteht und wo ich wegen der unsauberen Verhältnisse erst recht krank werde? Die haben da bestimmt nur ein Klo für alle.‹«
Die zwei lauschten mit offenem Mund. Kann sein, dass das Mädchen ein bisschen blass wurde.
»Menschenskind, ich kann ja noch nicht mal Englisch! Und auf das scharfe Essen da hab ich auch keine Lust! Davon krieg ich bestimmt Durchfall!« Endlich war der Dicke mit dem aufgeplatzten Hemd verschwunden. »Lieber Gott …« Ich wischte mir erneut den Angstschweiß von der Stirn. Ich wollte ans Mittelmeer! Nach Italien, Spanien, meinetwegen auch nach Griechenland! Aber was macht Mario? Bucht mir dieses ›Superschnäppchen‹ am Ende der Welt! Hotelresort Hikkaduwa Namaste – ich deklamierte sorgfältig dieses exotische Zauberwort.
Um meine Panik in den Griff zu bekommen, redete ich immer weiter, ohne Punkt und Komma.
»Da hätte ich auch zu Hause bleiben können!« Ich tupfte mir den Schweiß von der Oberlippe. »Am Bodensee ist es jetzt im August doch auch schön! Aber ich habe einen neunzigjährigen Vater und einen behinderten Bruder, deshalb wollte ich wirklich mal weit weg von Baden-Württemberg!«
Ich versuchte ein tapferes Grinsen. »Aber was soll’s, für irgendwas ist es bestimmt gut. Es gibt keine Zufälle im Leben! Zufall ist, was uns zufällt auf unserem Lebensweg!«, gab ich einen meiner Lehrsätze zum Besten. »Man muss einfach Vertrauen haben. Dem Schicksal voll und ganz vertrauen. Dann wird alles gut.«
In dem Moment ließ sich der Dicke mit dem Hemd auf den Sitz vor mir fallen und stellte seine Rückenlehne beim Anschnallen so weit zurück, dass sie mir fast an die Stirn knallte.
O Gott. Das Ganze hier war eine einzige Heimsuchung. Trotzdem zitierte ich weiter aus meinem Psychologie-Repertoire. »Alles hat einen Sinn. Auch Menschen, die Prüfungen für einen sind. Man kann aus jeder Situation etwas lernen.« Ich stemmte meine Knie gegen die Vorderlehne und bohrte sie dem Dicken in den Rücken. »Das Einzige, was wirklich Zufall ist, ist, wenn man die Garagentür zuhaut und gleichzeitig fällt in der Küche die Uhr von der Wand.«
Die beiden lauschten mit offenem Mund. Inzwischen verließ der Riesenflieger bereits seine Position und rollte unerbittlich in Richtung Startbahn. Ich krallte mich in meine Armlehnen. Wie sollte ich die nächsten zehn Stunden in dieser Enge überleben, ohne durchzudrehen? Ohne einen Menschen, der mir liebevoll die Hand hielt?
O Gott, der Pilot gab Gas. Ich wurde von einer enormen Kraft in den Sitz gedrückt, und wir gingen in den Steigflug. Mit gefalteten Händen saß ich da und betete: »Lieber Gott, lass diese Reise zu etwas Gutem führen.« Vor lauter Aufregung kamen mir die Tränen. Es war wie Lachen und Weinen zugleich. Juhu! Wir flogen! Wie aufregend war das denn!
Mit zunehmender Höhe wurde ich ruhiger. Vielleicht weil ich mir einbildete, dem lieben Gott jetzt näher zu sein?
Endlich gingen die Anschnallzeichen aus, und die Maschine hatte ihre endgültige Flughöhe erreicht.
»Uff.« Mir entfuhr ein Stöhnen. »Das Schlimmste hätten wir schon mal geschafft.«
Erleichtert ließ ich meinen Gurt aufschnappen, als der Dicke vor mir seinen Sitz nach hinten fuhr. Jetzt hatte ich seine Halbglatze fast im Gesicht.
Rosemarie, liebe deinen Nächsten!, dachte ich stoisch. Das gilt auch für deinen Vordermann.
Schon wehten köstliche Düfte durch die Gänge, und die Stewardessen warfen uns zur Steigerung der Vorfreude schon mal einen heißen nassen Lappen in den Schoß.
Eifriges Geklapper von Seiten der jungen Damen in den hübschen Uniformen ließ mich erfreut den Kopf heben.
»Was darf es für Sie zum Trinken sein?«
»Och, ich genehmige mir zur Feier des Tages mal ein Sektchen.«
Den hatte ich mir jetzt verdient. Ich prostete dem reizenden Pärchen neben mir zu, und innerlich auch mir selbst. Rosemarie, du schaffst das!
Der Sekt beruhigte meine Nerven, und die Nüsschen, die man gratis dazu bekam, würden den schlimmsten Hunger lindern. Schließlich hatte ich erst mal den Zug nehmen und über Stuttgart zum Flughafen Düsseldorf fahren müssen. Ich war also schon eine ganze Weile unterwegs. Heißhungrig riss ich das Tütchen auf und stopfte mir die Nüsschen in den Mund. Ich kam mir vor wie der berühmte Pawlowsche Hund, mir lief das Wasser im Munde zusammen. So, Rosemarie. Ab jetzt entspannst du dich und genießt den Flug!
Das junge Glück hatte sich Kopfhörer aufgesetzt. Bestimmt hatten die beiden fürs Erste genug von meinem privaten Bordentertainment. Auch gut. So konnte ich endlich meinen Gedanken nachhängen.
Ich döste ein, als mich jemand behutsam antippte.
»Was möchten Sie essen? Pasta oder Rind?«
»Wie? Oh?! Ist es schon so weit?«
Seit einer Stunde hatte ich die Menükarte auf dem Schoß und noch keinen Blick hineingeworfen!
»Pasta bitte.«
Ganz heiß lag sie auf meinem Teller, dazu gab es Brötchen, Butter, einen Salat mit pikantem Dressing und zum Nachtisch Weinschaumcreme. O Gott, wie wundervoll.
»Danke!« Ich strahlte die Stewardess an, als hätte sie mir das alles persönlich gekocht. Begeistert machte ich mich über das köstliche Essen her. So königlich bedient zu werden, und das in zehntausend Metern Höhe!
Ich...
Erscheint lt. Verlag | 13.11.2017 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Culture Clash • eBooks • Ehe mit Ausländer • Frau sucht Mann • Große Liebe • kleine geschenke für frauen • Liebesromane • Sri Lanka • Tatsachenroman |
ISBN-10 | 3-641-20310-4 / 3641203104 |
ISBN-13 | 978-3-641-20310-8 / 9783641203108 |
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