Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist (eBook)

(Autor)

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2016
288 Seiten
DVA (Verlag)
978-3-641-15720-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist - Stefan Bollmann
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'Ergründe, ergrabe, ergreife das Glück' - Goethe für fast alle Lebenslagen
Der Sinn des Lebens? Wenn einer mit beharrlicher Leidenschaft danach gesucht hat, dann Johann Wolfgang von Goethe. Stefan Bollmann destilliert aus Goethes Leben und seinen Werken ein so liebenswürdiges wie kurzweiliges Buch für alle, die es wie er nicht lassen können, nach dem Guten, Wahren und Schönen zu fragen. Goethe hat als Erster verstanden, dass der Sinn des Lebens die Summe dessen ist, wie wir jeden einzelnen unserer Tage gestalten. So gesehen und gelesen ist Goethe der beste und klügste aller vorstellbaren Ratgeber: Wie übersteht man die ersten 25 Jahre, ohne den Lebensmut zu verlieren? Warum kann die Zerstreuung zur Fokussierung führen? Von ihm erfahren wir aber auch, dass das Wichtigste am Reisen das Zurückkommen ist und wie man die Liebe neu entflammt.

Stefan Bollmann zeigt uns einen Goethe, den wir gerade in unserer unübersichtlichen Gegenwart dringender denn je brauchen. Ohne ihn wäre das Leben tatsächlich sinnlos.

Stefan Bollmann, geboren 1958, promovierte nach einem Studium der Literatur, Geschichte und Philosophie über Thomas Mann. 1998 tauschte er den Beruf des Hochschullehrers gegen den des Lektors in Publikumsverlagen. Stefan Bollmann hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Mit seinen Bestsellern 'Frauen, die lesen, sind gefährlich' (2005) sowie 'Frauen, die lesen, sind gefährlich und klug' (2010), beide erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag, ist er dem Wandel der Lesekultur nachgegangen und hat den Boom des Themas mit angestoßen, das er in 'Frauen und Bücher. Eine Leidenschaft mit Folgen' (DVA 2013) noch umfänglicher betrachtet hat. Seine Bücher wurden in 16 Sprachen übersetzt und verkauften sich annähernd eine halbe Million Mal.

II.
WIE MAN EINE LEBENSKRISE MEISTERT – UND DABEI ZUM AUTOR WIRD


»Sieh Lieber, was doch alles Schreibens Anfang und
Ende ist, die Reproduktion der Welt um mich, durch
die innre Welt, die alles packt, verbindet, neuschafft,
knetet und in eigner Form, Manier wieder hinstellt,
das bleibt ewig Geheimnis, Gott sei Dank, das ich auch
nicht offenbaren will den Gaffern und Schwätzern.«

GOETHE AN FRIEDRICH HEINRICH JACOBI,
DEN DÜSSELDORFER FREUND, AM 21. AUGUST 1774

Der Entschluss, ein eigenes, unverbrauchtes, einzigartiges, kurz: ein individuelles Leben zu führen, ist ein erster Schritt. Doch Unabhängigkeitserklärungen wie die des jungen Goethe am Shakespeare-Tag sind eine Momentaufnahme, kein Dauerzustand. Die Frage, die sich sofort einstellt, lautet: Wie soll es denn aussehen, das eigene Leben? Wer oder was gibt Orientierung, wenn nicht mehr jene Sozialformen, die vorherige Generationen vorgelebt haben? Das eigene Leben ist nach einer Formulierung des Soziologen Ulrich Beck zunächst nur eine Leerstelle, die eine Gesellschaft hinterlässt, die der nachwachsenden Generation keine verbindlichen Angebote mehr macht, jedenfalls keine, die deren Erwartungen ans Leben entsprechen.

Goethe hat in dieser Situation eine Zeit lang mit der Religion geliebäugelt. Die Depression im Anschluss an seine Leipziger Studentenzeit trieb ihn in die Arme des Pietismus. Dort machte er intensive Bekanntschaft mit einer Frömmigkeit, die auf das Leben einwirken, es verwandeln wollte. Das Gemeinschaftsgefühl, dem er dort begegnete, hat ebenso zu seiner Heilung beigetragen wie der allem Religiösen eigentümliche Perspektivenwechsel: auf das zu sehen, was unsere Vorstellungskraft übersteigt, statt um das eigene Befinden zu kreisen. Die Abkehr von äußeren Attributen wie Macht und Erfolg, stattdessen die Hinwendung zu inneren Werten und solchen, die unser Bewusstsein transzendieren – alles das macht Religion bis auf den heutigen Tag nicht nur für junge Menschen attraktiv.

Schon bald wandte sich Goethe von den pietistischen Kreisen wieder ab, weil er mit ihrer Sektiererei und ihrem Sündenbewusstsein nichts anzufangen wusste. Die Energien jedoch, die der Glaube freisetzen kann, beeindruckten ihn nachhaltig. Aus dieser Phase brachte er den Gedanken mit, dass nur eine Lebensorientierung, die den ganzen Menschen anspricht, auch seine Ängste und Nöte, und diese negativen in positive Gefühle zu verwandeln versteht, seiner Generation etwas zu sagen und überhaupt eine Zukunft hat. Was seien »die tausendfältigen Religionen anders als tausendfache Äußerungen« jener Heilungskraft, die die Natur »in die Existenz eines jeden lebendigen Wesens« gelegt habe, wird er Jahre später, am 4. Oktober 1782, gegenüber dem reformierten Pfarrer und charismatischen Prediger Johann Caspar Lavater bekennen.

Je stärker er sich als Dichter profilierte – zuerst im Freundeskreis, später auch in gedruckter Form –, desto mehr übertrug Goethe die Energien des Glaubens auf die Literatur. Goethe war, was man bibelfest nennt – mit den Geschichten und Lebensweisheiten des Alten wie des Neuen Testaments war er aufgewachsen. Mit der Bibel lernte er – wie in protestantischen Elternhäusern üblich – Lesen und Schreiben; sie war seine Fibel. Spuren davon finden sich in seinen literarischen Texten ohne Zahl. Sie sind jedoch keineswegs ein Beleg für seine Gläubigkeit; bereits mit Anfang zwanzig hat Goethe einen naiven so gut wie einen metaphysischen Gottesglauben abgelegt. Vielmehr setzt er das Verfahren der Überblendung gewöhnlicher Ereignisse mit elementaren christlichen Mustern als Stilmittel ein. Es verleiht seinen Texten ein Pathos, das die zeitgenössischen Leser ungeheuer beeindruckte. Sein berühmtestes Werk, das in diesen Jahren entsteht – der Briefroman Die Leiden des jungen Werthers –, wendet mit großer Konsequenz Elemente der Passionsgeschichte Jesu auf den an einer unrealisierbaren Liebe leidenden Werther an. Selbst sein Suizid trägt Züge eines Opfertods, was das ohnehin schon vorhandene Skandalpotenzial des Buches noch erhöhte.

Religiöse, geradezu eschatologische Erwartungen wurden an den jungen Goethe aber auch von außen herangetragen. Viele, die ihm begegneten und ihn hörten, sahen in ihm ein »Genie vom Scheitel bis zur Fußsohle« oder sogar einen »Besessenen«. Als Goethe einmal in Gießen, anfangs unerkannt, an einer Versammlung von Pionieren des damals in den Kinderschuhen steckenden Literaturbetriebs teilnimmt und in einer aufsehenerregenden Rede die literarischen Erscheinungen mit Naturphänomenen vergleicht, Bild auf Bild häufend und im Überschwang kein Ende findend, berichtet ein Teilnehmer von diesem Ereignis in einem Ton, als habe die Gesellschaft soeben das Auftreten eines neuen Propheten erlebt. Dem, »der Goethe nicht gesehen noch gehört« habe, so ein anderer, könne man unmöglich »etwas Begreifliches über dieses außerordentliche Geschöpf Gottes« mitteilen.

In einer Zeit, deren Alltag noch stark von christlichem Gedankengut geprägt war und in der viele, häufig falsche Propheten die Erwartungen der Menschen für ihre Zwecke zu mobilisieren wussten, führten solche Erlebnisse zu abenteuerlichen Deutungen. Man verglich sein Auftreten mit dem des jungen Jesus vor den Schriftgelehrten im Tempel. Ein anderer Bekannter meinte, noch nie habe er das Gefühl der Jünger von Emmaus im Evangelium so gut mitempfinden können, als sie von Jesus sagten: »Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?« Er schließt seine hymnische Auslassung mit der Aufforderung: »Machen wir ihn immer zu unserm Herrn Christus, und lassen Sie mich den letzten seiner Jünger sein!«

Goethe begegnete der überschwänglichen Erwartungshaltung an seine Person anfangs mit Enthusiasmus, später mit zunehmender Skepsis. Er war eine Rampensau, aber kein Heilsbringer. Als Schriftsteller war sein Anliegen gerade nicht, Jünger um sich zu scharen, sondern seine Leser dort zu erreichen, wo ihr Herz schlug und ihre Lebensader pulsierte, wo er ihre Abgründe und Bedrängnisse vermutete. Hier sollte sie die Botschaft seiner Dichtung erreichen und sie verwandeln. Und er wusste natürlich: Auch seine Leserinnen und Leser waren mit der Bibel als Basiswerk der Lebensdeutung aufgewachsen.

In diesem Bewusstsein spricht er bereits in jungen Jahren von der Literatur als seinem Evangelium. Wohl als eine rein weltliche frohe Botschaft, die keinerlei Ansprüche an religiöse oder gar theologische Wahrheit erhebt. Aber als ein Evangelium immerhin, das »uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf uns drücken«, wie er das später in Dichtung und Wahrheit formuliert hat. Literatur mag das wohl schon immer gekonnt haben. Ein Bewusstsein davon, dass genau das ihre Aufgabe sein könnte, existiert indessen erst seit der Goethe-Zeit. Vorher war die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens, frei nach Goethes Faust, stets die Gretchenfrage gewesen: »Wie hältst du es mit der Religion?« Jetzt bekommt die Religion eine ernsthafte Konkurrentin – die Literatur.

»DER KALTE, SCHRECKLICHE KELCH«


Wenn Goethe seine Literatur als ein Evangelium auffasst, so bedeutet das jedoch nicht, dass die Geschichten, die seine Schauspiele und der Roman von den Leiden des jungen Werthers erzählen, gute Laune verbreiten und positives Denken lehren. In der Regel haben sie noch nicht einmal ein Happy End. Die literarische Vorliebe des jungen Goethe galt sozialen Außenseitern, die von der Idee beseelt sind, ein eigenes Leben zu führen, und an den Bedingungen scheitern, unter denen sie dies tun können. Das verbindet den Raubritter Gottfried von Berlichingen, in dessen Rufnamen Götz die Zeitgenossen auch den Namen des Autors des Stücks mithörten, mit dem sozialen Aufsteiger Clavigo, dem flüchtigen Kindsvater Faust und dem Trio infernale von Stella, des »Schauspiels für Liebende«.

Der große Erfolg, den Goethe schon bald mit seinen Dichtungen verbuchte, hatte damit zu tun, dass die jungen Leute, die seine Texte verschlangen, darin sich selbst und ihre elementaren Schwierigkeiten mit dem Leben wiedererkannten. Natürlich hat jeder seine ganz individuellen Probleme und verfügt über einen einzigartigen Gefühlshaushalt. Aber bei jungen Menschen ungefähr gleichen Alters und ähnlicher Bildung – kurz: bei den Mitgliedern einer Generation – ist die Schnittmenge relativ groß. Und das schon deshalb, weil die hohen Erwartungen an das Leben, die die meisten haben, über kurz oder lang bei allen zu tiefen Enttäuschungen führen. Goethes Schriftstellerkollegen Jakob Michael Reinhold Lenz war es vorbehalten, auszudrücken, was dessen Literatur, gerade auch Die Leiden des jungen Werthers, so herausstellt: uns »mit Leidenschaften und Empfindungen« bekannt zu machen, »die jeder in sich dunkel fühlt, die er aber nicht mit Namen zu nennen weiß«.

Beim Werther, dem einzigen Roman aus dieser Zeit, signalisiert schon der Titel, dass wir es mit einer Leidensgeschichte zu tun bekommen. Gerade dieses Buch zeigt, wie ernst es Goethe mit dem Verständnis seiner Literatur als Evangelium war. Wie die frohe Botschaft, von der die christlichen Evangelien erzählen und auf die sich eine ganze Religion beruft, ist auch diese hier aufs Engste mit dem Leiden und Sterben der Hauptperson verknüpft. Werther ist ein neuer Jesus und seine Passion die Geschichte eines Menschen wie du und ich, der an der Unmöglichkeit der Liebe und der Gleichgültigkeit der Welt leidet. »Ich will sterben!«, schreibt er an die bereits mit einem anderen verlobte Geliebte: »Es ist nicht Verzweiflung, es ist...

Erscheint lt. Verlag 9.5.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte 18. Jahrhundert • 19. Jahrhundert • Alain de Botton • Biografie • Biografischer Essay • Biographien • Deutsche Literatur • eBooks • Goethe Zeit • Klassik • Klassiker • Lebenskunst • Sturm und Drang • Zitate von Goethe
ISBN-10 3-641-15720-X / 364115720X
ISBN-13 978-3-641-15720-3 / 9783641157203
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