Wer einmal lügt (eBook)
448 Seiten
Page & Turner (Verlag)
978-3-641-09705-9 (ISBN)
Ein großes, elegantes Haus in einem reichen Wohnviertel, ein teures Auto, zwei wohlgeratene Kinder: Megan lebt den perfekten amerikanischen Traum. Und nicht einmal ihr Ehemann ahnt, wer Megan wirklich ist. Denn einst verdiente sie sich ihr Geld als Stripperin in einem der übelsten Läden der ganzen Ostküste. Bis etwas Schreckliches geschah und die junge Frau in einer Nacht voller Blut und Grausamkeit die Flucht in ein anderes Leben ergriff. Siebzehn lange Jahre vermochte sie alle um sich herum zu täuschen - doch dann geschieht an ihrer alten Arbeitsstätte ein neuer Mord, ein einsamer Detective rollt einen alten Fall auf, und Megans heile Welt zerbirst in tausend scharfe Splitter ...
Harlan Coben wurde 1962 in New Jersey geboren. Nachdem er zunächst Politikwissenschaft studiert hatte, arbeitete er später in der Tourismusbranche, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Thriller wurden bisher in 45 Sprachen übersetzt, erobern regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten und wurden zu großen Teilen verfilmt. Harlan Coben, der als erster Autor mit den drei bedeutendsten amerikanischen Krimipreisen ausgezeichnet wurde - dem Edgar Award, dem Shamus Award und dem Anthony Award -, gilt als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Thrillerautoren seiner Generation. Er lebt mit seiner Familie in New Jersey.
EINS
In diesem Sekundenbruchteil, wenn er auf den Auslöser drückte und die Welt im grellen Blitzlicht verschwand, sah Ray Levine manchmal das Blut. Er wusste natürlich, dass er es nur vor seinem inneren Auge sah, aber gelegentlich – wie jetzt gerade – war die Vorstellung so real, dass er die Kamera senken und eine Weile auf den Boden starren musste. Dieser fürchterliche Moment – der Moment, in dem sich Rays Leben für immer verändert hatte, in dem er sich von einem Mann mit klaren Zielen und einer äußerst vielversprechenden Zukunft in den totalen Loser verwandelt hatte, der er jetzt war – überkam ihn nie in seinen Träumen oder wenn er allein in der Dunkelheit lag. Diese erschütternden Visionen warteten auf Situationen, in denen er hellwach, unter Menschen und mit etwas beschäftigt war, was manche Leute etwas sarkastisch vielleicht als Arbeit bezeichnet hätten.
Gnädigerweise verblasste das Bild, als Ray fortfuhr, den Bar-Mizwa-Jungen zu fotografieren.
»Guck mal hierher, Ira«, rief Ray hinter dem Objektiv. »Mit wem hast du was? Ist es wahr, dass Jen und Angelina immer noch deinetwegen im Clinch liegen?«
Ray bekam einen Tritt gegen’s Schienbein. Jemand stieß ihn zur Seite. Ray schoss dennoch weiter Fotos von Ira.
»Wo ist nachher die Party, Ira? Welches glückliche Mädchen bekommt den ersten Tanz?«
Ira Edelstein runzelte die Stirn und versuchte sein Gesicht vor der Kamera abzuschirmen. Unerschrocken sprang Ray weiter vor und schoss aus jedem Winkel Fotos. »Aus dem Weg!«, rief jemand. Wieder wurde Ray zur Seite gestoßen. Er versuchte, sich auf den Beinen zu halten.
Klick, klick, klick.
»Verdammte Paparazzi!«, rief Ira. »Kann man denn nie seine Ruhe haben?«
Ray rollte die Augen. Er wich nicht zurück. Wieder erschien das Blut vor seinem inneren Auge. Er versuchte, es wegzublinzeln, was aber nicht funktionierte. Ray ließ den Finger auf dem Auslöser. Ira, der Bar-Mizwa-Junge, flackerte jetzt in zeitlupenhaften, stroboskopartigen Bewegungen.
»Ihr Parasiten«, schrie Ira.
Ray fragte sich, ob man noch tiefer sinken konnte.
Ein weiterer Tritt gegen’s Schienbein beantwortete die Frage: Nein.
Iras »Leibwächter« – ein riesiger Kerl mit kahlrasiertem Schädel namens Fester – wischte Ray mit seinem baumdicken Unterarm zur Seite. Er tat das mit etwas zu großer Begeisterung, so dass Ray fast gestürzt wäre. Ray sah Fester mit einem »Was soll der Scheiß?«-Blick an. Fester entschuldigte sich lautlos.
Fester war Rays Chef und Freund und der Besitzer von Celeb Experience: Paparazzi for Hire – und die Firma tat genau das, was der Name besagte. Ray legte sich nicht etwa wie ein echter Paparazzo auf die Lauer, um kompromittierende Fotos von Prominenten zu machen und sie an die Boulevardpresse zu verkaufen. Nein, Ray stand noch weit darunter – wie Beatlemania zu den Beatles –, indem er Möchtegern-Prominenten anbot, sich ein paar Stunden lang wie echte Prominente zu fühlen. Gegen Bezahlung. Seine – häufig extrem selbstgefälligen und vermutlich von Erektionsschwierigkeiten geplagten – Kunden bestellten sich ein paar Loser, die ihnen folgten und Fotos schossen, um ihnen damit, wie es in der Broschüre hieß, »das ultimative Prominenten-Erlebnis mit ihren eigenen, exklusiven Paparazzi« zu ermöglichen.
Natürlich wusste Ray, dass er durchaus noch tiefer hätte sinken können. Er ging jedoch davon aus, dass es dazu eines Akts höherer Gewalt bedurft hätte.
Die Edelsteins hatten das Megapaket von der A-Liste bestellt – zwei Stunden mit drei Paparazzi, einem Leibwächter, einem Journalisten und einem Typen mit Mikrofonangel, die dem »Prominenten« die ganze Zeit folgten und Fotos schossen, als wäre er Charlie Sheen, der sich heimlich in ein Kloster schleicht. Zum Megapaket der A-Liste gehörte außerdem eine Gratis-DVD mit den Fotos und eines dieser kitschigen gefälschten Klatschmagazine mit dem eigenen Gesicht auf dem Titel und einer passenden Schlagzeile.
Der Preis für das Megapaket von der A-Liste?
Vier Riesen.
Um die unvermeidliche Frage zu beantworten: Ja, Ray hasste sich dafür.
Ira schob sich an ihm vorbei und verschwand im Tanzsaal. Ray ließ die Kamera sinken und sah seine beiden Paparazzi-Kollegen an. Keiner von beiden hatte das Loser-L auf die Stirn tätowiert, weil das, ehrlich gesagt, schlicht unnötig gewesen wäre.
Ray sah auf die Uhr. »Mist«, sagte er.
»Was ist?«
»Wir haben noch eine Viertelstunde.«
Seine Kollegen – kaum klug genug, ihre Namen mit dem Finger in den Dreck zu schreiben – grunzten. Noch eine Viertelstunde. Das bedeutete, dass sie reingehen und auch während der Aufnahmeprozedur weiterarbeiten mussten. Ray hasste das.
Die Bar-Mizwa fand im Wingfield Manor statt, einem absurd protzigen Bankettsaal, den man, wenn man ihn etwas zurückgebaut hätte, für einen von Saddam Husseins Palästen hätte halten können. Er war voller Kronleuchter, Spiegel, falschem Elfenbein, Holzschnitzereien und viel glänzender Goldfarbe.
Wieder hatte er das Blut vor Augen. Er blinzelte es weg.
Bei der Feier herrschte Smokingpflicht. Die Männer waren reich und abgespannt, die Frauen gut gepflegt und chirurgisch optimiert. Ray drängte sich in Jeans, einem verknitterten grauen Blazer und schwarzen Chuck-Taylor-Basketballschuhen durch die Menge. Ein paar Gäste sahen ihn an, als hätte er sich auf ihre Salatgabel erleichtert.
Auf der Bühne befanden sich eine achtzehnköpfige Band und ein Animateur, dessen Aufgabe es war, die Gäste in einen Zustand fröhlicher Ausgelassenheit zu versetzen. Er hatte frappierende Ähnlichkeit mit einem schlechten Gameshow-Moderator – oder auch mit dem guten Robert aus der Sesamstraße. Dieser Animateur griff nun zum Mikrofon und sagte im Tonfall eines Boxkampf-Ansagers: »Ladys and Gentlemen, hier ist er, heißen Sie ihn willkommen. Zum ersten Mal, seit er aus der Tora gelesen hat und damit zu einem Mann geworden ist, begrüßen Sie ihn mit einem großen Applaus, den einmaligen und einzigen … Ira Edelstein!«
Ira erschien mit zwei … Ray wusste nicht, wie man sie angemessen bezeichnete, am ehesten aber wohl als Edelstripperinnen. Als die beiden heißen Bräute ihn in den Raum geleiteten, befand sich der Kopf des Jungen auf Höhe ihrer Dekolletés. Ray machte die Kamera bereit und drängte sich kopfschüttelnd weiter vor. Der Typ war dreizehn. Wenn ihm in dem Alter solche Frauen so nahe gekommen wären, wäre er eine ganze Woche mit einem Ständer rumgelaufen.
Ach, die Jugendzeit …
Stürmischer Beifall brandete auf. Ira begrüßte die Menge mit einem majestätischen Winken.
»Ira!«, rief Ray. »Sind das deine neuen Angebeteten? Stimmt es, dass du noch eine dritte zu deinem Harem hinzufügen könntest?«
»Bitte«, sagte Ira mit routinierter Weinerlichkeit. »Auch ich habe ein Recht auf meine Privatsphäre.«
Es gelang Ray, sich nicht zu übergeben. »Aber das interessiert die Leute.«
Fester, der Leibwächter mit der Sonnenbrille, legte Ray eine große Hand auf die Schulter, so dass Ira an ihm vorbeigehen konnte. Ray drückte den Auslöser und achtete darauf, dass das Blitzlicht seinen Zauber entfachte. Die Band donnerte los – wann hatte das angefangen, dass bei Hochzeiten und Bar-Mizwas die Musik unbedingt in Stadionlautstärke gespielt werden musste? Es war die neue Feier-Hymne,Club Can’t Handle Me. Ira führte mit seinen zwei bezahlten Helferinnen einen anzüglichen Tanz auf. Dann stürmten seine dreizehnjährigen Freunde die Tanzfläche und sprangen einfach senkrecht in die Luft wie beim Pogo. Ray »kämpfte« sich an Fester vorbei, machte noch ein paar Fotos und sah auf die Uhr.
Noch eine Minute.
»Paparazzi-Schwein!«
Wieder ein Tritt gegen’s Schienbein von einem der kleinen Kretins.
»Au, Scheiße, das tat weh!«
Der Kretin huschte davon. Notieren, dachte Ray: Schienbeinschützer besorgen. Er sah Fester mit einem Blick an, der um Gnade flehte. Fester ließ ihn los und forderte ihn mit einem kurzen Kopfnicken auf, ihm in die Ecke des Saales zu folgen. Weil es dort zu laut war, gingen sie nach draußen.
Fester deutete mit seinem riesigen Daumen auf den Ballsaal. »Er hat seine Haftara-Abschnitte wirklich toll gelesen, findest du nicht auch?«
Ray starrte ihn wortlos an.
»Ich hab morgen einen Job für dich«, wechselte Fester das Thema.
»Groovy. Was denn?«
Fester wandte den Blick ab.
Das gefiel Ray nicht. »Uh-oh?«
»George Queller.«
»Du meine Güte.«
»Ja. Das Übliche.«
Ray seufzte. George Queller versuchte seine Partnerinnen bei der ersten Verabredung zu beeindrucken, indem er sie komplett überwältigte – und damit in Angst und Schrecken versetzte. Er bestellte Celeb Experience, um ihn und sein Date zu umschwärmen, während er mit ihr in ein kleines, romantisches Bistro ging. Vor einem Monat war eine Frau namens Nancy an der Reihe gewesen. Kaum saß sie, wurde ihr – unglaublich, aber wahr – eine eigene Speisekarte überreicht, auf der »Georges und Nancys erstes von vielen, vielen Dates« stand. Darunter waren die Adresse, der Tag, der Monat und das Jahr angegeben. Beim Verlassen des Restaurants wurden sie von den Miet-Paparazzi erwartet, die anfingen, Fotos zu machen, und erzählten, wie George das Wochenende auf den Turks- und Caicosinseln für die liebreizende und zu diesem Zeitpunkt bereits zu Tode...
Erscheint lt. Verlag | 11.3.2013 |
---|---|
Übersetzer | Gunnar Kwisinski |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Stay Close |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Atlantic City • Düsters Geheimnis • eBooks • Familie in Gefahr • Geheimnis in der Vergangenheit • Lügenspiel • New York Times Bestseller • Serienmörder • Skrupellose Killer • Thriller |
ISBN-10 | 3-641-09705-3 / 3641097053 |
ISBN-13 | 978-3-641-09705-9 / 9783641097059 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 2,8 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich