Never Coming Home (eBook)
368 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0757-9 (ISBN)
Kate Williams machte sich als Autorin der Jugendbuchtrilogie «The Babysitters Coven» einen Namen und schreibt für verschiedene Zeitschriften wie z. B. «Cosmopolitan» oder «Elle». Sie lebt mit ihrer Familie in Kansas.
Kate Williams machte sich als Autorin der Jugendbuchtrilogie «The Babysitters Coven» einen Namen und schreibt für verschiedene Zeitschriften wie z. B. «Cosmopolitan» oder «Elle». Sie lebt mit ihrer Familie in Kansas. Bettina Münch, Übersetzerin, Lektorin und Autorin, wurde 1962 geboren. Sie studierte Germanistik, Anglistik und Pädagogik in Marburg/Lahn.
2. Kapitel
Graham Hoffman nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. Er hatte auf dem Flug nicht eine Minute geschlafen und keine Ahnung, wie lange er schon wach war. Er war so müde, dass die Worte vor seinen Augen verschwammen. Er las Sharons SMS noch einmal, um sicherzugehen, dass er sie richtig verstand. Die Nachricht war so lang, dass sie in drei Teilen ankam, von denen jeder fast das ganze Display ausfüllte.
Graham!!! Es tut mir wirklich furchtbar leid, und ich werde alles erklären, wenn ich ankomme, im Augenblick kann ich nur sagen, dass du unsere Rettung bist und ich wahnsinnig froh bin, dass wir jemanden wie dich dabeihaben. Es gibt Riesenstress mit unseren Investoren – irre!!! –, und die Marketing-, PR-Leute und ich stecken hier fest und betreiben Schadensbegrenzung. Wir schaffen es erst nach dem Frühstück auf die Insel. Es ist ein Albtraum! Du musst mich vertreten. Du bist der Einzige, der die Erfahrung dafür hat.
Heiß die anderen einfach auf der Insel willkommen und schieß ein Gruppenfoto, sobald alle da sind. Das leitest du dann an mich weiter, damit ich zumindest das Foto pünktlich posten kann. Wenn sich irgendjemand über sein Zimmer beschwert, erinnere sie daran, dass es ein Soft Opening ist und wir an den letzten Macken noch arbeiten.
Geh in mein Büro. Auf dem Schreibtisch liegt ein Stapel Willkommensbriefe. Bitte verteile sie nach dem Frühstück. NICHT VORHER! Nach dem Frühstück. Du bist unsere Rettung – hab ich das schon gesagt?! Lol. Aber es stimmt – und der Einzige, der mir gerade helfen kann. Es wird sich für dich lohnen, und sobald ich ankomme, reden wir über eine zusätzliche Vergütung. DU BIST DER BESTE! ICH KANN DIR GAR NICHT GENUG DANKEN.
Es war gut, dass Sharon ihn immer mit Lob überschüttete und so sichtlich beeindruckt war von seiner bisherigen Arbeit, denn jedes Mal, wenn Graham mit ihr gesprochen hatte, hatte die Marketing-Direktorin von Unknown Island unglaublich verpeilt gewirkt. Sogar so verpeilt, dass er im Grunde nie wirklich mit ihr gesprochen hatte. Sie hatten immer per SMS oder E-Mail kommuniziert, weil Sharon ebenso viele technische Schwierigkeiten wie Investorenprobleme zu haben schien. Schlechte Verbindung, Zoom-Störung und was es sonst noch alles gab. Graham konnte das wohl verstehen. Es war sicher nicht einfach, eine abgelegene Insel mit Internet auszustatten. Die jetzige Situation war der perfekte Beweis dafür: Er hatte versucht, Sharon zu antworten und sie zu fragen, ob sie vielleicht kurz am Telefon miteinander reden könnten, aber die Nachricht war nicht rausgegangen. Sie hing immer noch im Postausgang.
Sharons SMS war fast auf die Sekunde genau in dem Moment aufgepoppt, als Graham auf der Insel ankam. Bis er die Nachricht zu Ende gelesen hatte, war das Boot, das ihn und Robby Wade abgesetzt hatte, bereits wieder auf dem Meer verschwunden. Jetzt saß Graham in Sharons Büro, an dem, was er für ihren Schreibtisch hielt, und tatsächlich lag dort ein Stapel Umschläge aus dickem, fein geripptem Papier, das teuer aussah; jeder Umschlag war in elegant verschnörkelter Schrift an einen anderen Gast adressiert.
Einer von ihnen trug seinen Namen, und Graham hätte ihn am liebsten sofort geöffnet, um zu sehen, worum es bei dem ganzen Wirbel ging, aber der Umschlag war mit schwarzem Wachs versiegelt, in dem die Initialen UI prangten. Wenn er ihn öffnete, würde er ihn nicht wieder richtig verschließen können. Egal, die Briefumschläge nach dem Frühstück zu verteilen, war kein Ding. Es war die Sache mit dem «Soft Opening», die schwierig werden würde, denn diese Eröffnung war so «soft», dass es wehtat.
Soweit Graham bisher gesehen hatte, war das Hotel mehr als unfertig. Es gab einen Swimmingpool und einen Whirlpool, die beide in Ordnung aussahen, aber in ihrer Nähe befanden sich keinerlei Sitzgelegenheiten. Nicht ein einziger Liegestuhl. Das Meer war himmelblau und der Sand weich und weiß, aber der Strand war eindeutig noch nie geharkt worden. Er lag voller Zweige, und als Graham zum Wasser hinuntergelaufen war, wäre ihm fast eine tote Schlange vor die Füße gespült worden. Eine große Schlange noch dazu, mindestens einen Meter lang, mit breiten schwarz-weißen Streifen. Graham war froh, dass niemand in der Nähe gewesen war, der ihn schreien hörte. Aber das hieß auch: Es war niemand in der Nähe.
Er hatte sich auf die Suche nach Hotelangestellten gemacht, um ihnen von der Schlange zu erzählen, aber nur zwei Personen gefunden. Eine davon war eine Frau, die in der Küche arbeitete und vollauf damit beschäftigt zu sein schien, Robby bei den Frühstücksvorbereitungen zu helfen, sodass Graham sie nicht stören wollte. Die andere Person war ein Mann, der tatsächlich immer noch dabei war, in den Bungalows die Türen einzubauen. Auch das erschien Graham wichtiger als die Schlange, denn normalerweise erwarteten die Gäste, dass ihre Hotelzimmer Türen hatten, da konnte er ihnen noch so viel erklären. Er war sich nicht sicher, welche Sprache der Mann sprach, aber es war definitiv nicht Englisch, denn alles, was er zu verstehen schien, war das Wort «Schlange».
«Schlecht! Bleiben weg!», sagte der Mann, deutete mit zwei gekrümmten Fingern Fangzähne an und zischte, um eine Schlange nachzuahmen. Graham lächelte nur und ging davon.
Der Tisch im Speiseraum war eingedeckt, aber das Mobiliar war billig und zusammengewürfelt. Das gleiche Bild bot die Lobby. Auf einem der Sofas prangte ein Fleck, und der Boden sah aus, als sei er noch nie gefegt worden. In den Ecken häuften sich tote Fliegen. Die Wände hatten Löcher, aus denen unangeschlossene Kabel sprossen, als wären es Schlingpflanzen, und das fluoreszierende Licht flackerte und bestrahlte die rauen Kanten der Trockenmauer. Alles, was aus Stoff war, verströmte einen leichten Modergeruch. Unknown Island war kein Resort, es war eine Absteige und hatte mit den Bildern nicht die geringste Ähnlichkeit.
In dem Promo-Video, mit dem Unknown Island seine Marketingkampagne gestartet hatte, wirkte alles prachtvoll und mondän. Models, die aus Booten sprangen, Strände entlangliefen und in den Wellen herumspritzten. Sex und Glamour, so was in der Art, und alle Fotos, die in den Accounts von Unknown Island gepostet worden waren, strotzten nur so vor Luxus. Weiche, weiße Bettlaken, überall Sträuße mit weißem Jasmin, brennende Kerzen, poliertes Mahagoni, gebratene Schrimps und Cocktails, verziert mit Orchideen. Auch wenn er noch jung war, verfügte Graham über genügend Marketingerfahrung, um zu wissen, dass ein bisschen Übertreibung dazugehörte, aber dieses Maß an Übertreibung verschlug einem die Sprache. Er wusste jetzt schon, dass die anderen Gäste stocksauer sein würden, wenn sie ankamen, dabei hatte er sich die Zimmer noch gar nicht angesehen.
Und dann war da noch das Frühstück.
Robby Wade gehörte zu den Gästen, aber er war auch für das Frühstück verantwortlich. Robby war erst siebzehn und bereits ein prominenter Koch mit einem super erfolgreichen YouTube-Kanal und einem gut besuchten Restaurant in Atlanta. Es leuchtete ein, die erste Mahlzeit auf der Insel von einem großen Namen zubereiten zu lassen, aber als Graham Robby auf der Überfahrt gefragt hatte, was er zum Frühstück auftischen würde, hatte Robby geantwortet: Biscuits and Gravy. Es war über dreißig Grad heiß. Wer wollte schon in Badeklamotten Buttermilchbrötchen mit Wurstbrät in Rahmsoße essen und sich dann an den Strand legen? Anscheinend hatte Graham das Gesicht verzogen, denn Robby war mächtig beleidigt. «Das ist mein Spezialgericht», erklärte er. «Sie haben es ausdrücklich geordert.»
Das Büro war natürlich nicht klimatisiert, und die Hitze machte es Graham schwer, klar zu denken. Er stammte aus Minneapolis, und selbst wenn die Temperaturen dort unter null Grad fielen, brauchte er nicht mehr als eine Windjacke. In der kurzen Zeit auf der Insel hatte er bereits zwei T-Shirts durchgeschwitzt; wenn er in dem Tempo weitermachte, würde er bald waschen müssen. Er schnappte sich ein Taschentuch und wischte sich die Stirn ab, dann hielt er nach etwas Ausschau, um es zu entsorgen. Aber einen Mülleimer gab es natürlich nicht. Das Büro war spärlich eingerichtet und enthielt nichts Persönliches, so als wäre Sharon noch nie hier gewesen.
Abgesehen von Schreibtisch und Schrank, dem Computer und einem unbequemen Stuhl war der einzige andere Gegenstand im Raum ein Tresor, ein großer grauer Metallklotz, der merkwürdig bedrohlich wirkte. Zweifellos brauchte ein Resort wie dieses einen Tresor, aber warum versteckte man ihn nicht in der Wand oder fand eine andere Möglichkeit, ihn zu tarnen. Es ließ den Raum wirken wie ein Kautionsbüro oder ein Pfandhaus, zwielichtige Orte, die Graham nur aus dem Fernsehen kannte. Er schaute auf sein Handy und sah, dass die SMS an Sharon immer noch nicht gesendet worden war. Wenn die anderen Gäste hier ankamen, hatte er zwei Möglichkeiten: Er konnte in aller Unschuld die Hände heben und ihnen wahrheitsgemäß sagen, dass er nichts mit all dem zu tun und keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging. Oder er tat, was in seiner Macht stand, um Sharons Anweisungen zu befolgen.
Als sie an Graham herangetreten war und ihm angeboten hatte, der Ansprechpartner für die ganze Geschichte zu werden, war er begeistert und geschmeichelt gewesen. Es war eine große Aufgabe, und es beeindruckte ihn, dass sein Ruf bis ganz nach oben, bis zu den Leuten von Unknown Island, durchgedrungen war, wer immer sie auch sein mochten. Und genau das war das...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2024 |
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Übersetzer | Bettina Münch |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Bücher für Jugendliche • Buch Teenager • Einsame Insel • Fantasy Island • Follower • Fyre Island • Geschenk Mädchen ab 14 • Gesellschaftskritik • influencer • Jugendbuch • Jugendbücher • Jugendbuch Social Media • Jugendbuch Thriller ab 14 • Jugendliteratur • Jugendromane • Jugendthriller • Junge Erwachsene Romane • Karen McManus • Mobbing • Mord • Netflix Film • One of us is lying • Rache • Resort • Social Media • spannende Jugendbücher • Spannendes Buch für Jugendliche • The I-Land • Thriller |
ISBN-10 | 3-7336-0757-0 / 3733607570 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0757-9 / 9783733607579 |
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