Zeit für Astronauten (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
432 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0831-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zeit für Astronauten -  Nils Mohl
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Was ist härter - noch nicht ganz 16 zu sein oder schon Anfang 20? Körts, eine schräge Gestalt aus den Riegeln am Stadtrand, trägt seit neuestem gebügelte Hemden. Das Schülerpraktikum absolviert der 15-Jährige im Reisebüro des Einkaufszentrums. Er träumt von seiner früheren Nachbarin Domino, rund fünf Jahre älter als er und für ihn praktisch unerreichbar. Die wiederum bekommt eines Tages eine rätselhafte Postkarte von ihrem lang verschollenen Mitbewohner Bozorg. Die Spur führt an den Rand des Kontinents, 3000 Kilometer weit im Süden. Lebenswege kreuzen sich, die Vergangenheit drängt sich in die Gegenwart, ein Countdown beginnt zu laufen - und die Frage bleibt: Wo geht die Reise hin, wenn plötzlich alles auf dem Spiel zu stehen scheint?

Nils Mohl, geboren 1971, lebt und arbeitet in Hamburg. Für seinen Roman «Es war einmal Indianerland» wurde er u. a. mit dem Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis und mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Nils Mohl, geboren 1971, lebt und arbeitet in Hamburg. Für seinen Roman «Es war einmal Indianerland» wurde er u. a. mit dem Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis und mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

|Körts


|Freitag, 6. Mai

Ein unschuldiger Morgen am Stadtrand, also. Offiziell längst Frühling. Was man auch am Licht merkt. Wie es mit dem Beton der Hochhausriegel und noch mehr Hochhausriegel ringsum Geometrie betreibt.

Häuserschatten.

Scharfe Schatten.

Grün meldet sich in Büschen und Bäumchen zurück, grell und satt und frisch, durchsetzt mit Sprenkeln und Tupfern: Giftgelb Brautweiß Filzstiftrosa Tuschkastenorange Zirkuslila.

Raketensalven der Natur, schallgedämpft abgefeuert.

In die Lebewesen der Gegend kommt mehr und mehr Wallung, dass es überall nur so amselt und zwitschert und hummelt seit Tagen.

Das alles unter einem Himmel, an dem es nichts zu meckern gibt, der sich heute mit Maiwölkchen wie aus dem Prospekt dekoriert hat, der ein prima Sonnenbrillenargument liefert.

Körts verspiegeltes Modell sitzt schief im Gesicht. Ein prallbackiges Jungengesicht: glatt wie ein Pfirsich. Körts stupst gegen den Brillensteg. Das klobige Hörgerät hängt dem Bügel rechts im Weg. Nichts zu machen.

8.30 Uhr.

Vielleicht ein paar Minuten eher, vielleicht ein paar Minuten später.

Jedenfalls … die letzte Welle Berufsverkehr rollt, und die Schülerhorden sind inzwischen durch. Das macht es leichter, den Platz im Blick zu behalten, wo diese abstrakte Skulptur in der Sonne blitzt. Silbrige Elemente fügen sich zu einem lichten, kubistischen Großgebilde, das auf massivem Sockel ruht. Wie der Baum aus einem Science-Fiction-Film. Da soll das Geschäft gleich laufen.

Stichwort: Raketensalven.

– Du, Kevin!

Körts vernimmt den Ruf hinter sich.

Im Rücken, in Spuckweite, wenn er sich umdreht: Cems Markt, Zwitter aus Stehcafé-Kiosk und Gemüseladen. Dort deckt man sich vorm Unterricht mit Kaltgetränken Knabberartikeln Süßwaren ein. Meist belegt dann schon ein Trio Lederjackensenioren einen der Bistrotische. Frühschoppen.

Körts dreht sich nicht um. Ächzt stattdessen vor sich hin:

– Du Riesenbaby, Adil …

Körts reagiert nicht auf seinen Vornamen. Was wohl auch Adil wieder eingefallen sein muss. Denn, nächster Versuch:

– Körts! He, ich brauche dich mal eben.

Körts’ Kinn sinkt kurz auf die Brust, bevor er sich erbarmen lässt. Adil kämpft mit dem Portemonnaie. Sein Daumen steckt in einem pompösen Verband. Körts schnappt sich die Geldbörse und übergibt seinen Posten an Adil, deutet mit zwei gespreizten Fingern abwechselnd auf dessen Augen und die Metallbaum-Skulptur:

– Nur dahin gucken, nicht in die Wolken glotzen und nicht auf deine Latschen, einfach nur dahin! Kriegst du das geregelt?

– Warum sollte ich auf meine Latschen glotzen?

– Du trägst zwei unterschiedliche Turnschuhe, darum.

– Ist ein Test, oder?

– Nö, Adil, kein Test.

– Im Ernst?

– Nicht nach unten gucken!

Adil trägt wirklich zwei unterschiedliche Turnschuhe und hat es nicht gemerkt. Körts betritt Cems Markt: Kühlschränke, Gemüseregale, Cem mit kaltem Zigarrenstumpen zwischen den Zähnen. Bei ihm am Tresen schlürft ein kompakter Mann Kaffee. Arbeitsklamotten, Klempner-Schirmmütze, Tochter dabei. Cem:

– Bildhübsche Tochter hast du. Sieht gar nicht aus wie Papa.

Dreckiges Cem-Lachen.

Der Kaffeeschlürfer drückt sich die Tochter gleich mal fest in den Arm:

– Die Süßeste in der ganzen Gegend. Wird langsam flügge.

Ein Veilchen hat die Süßeste unterm Auge. Sieht man. Trotz der Schminkorgie. Rötlich bemalte Wangen, Lidschatten pink, schwarz umrandete Augen, körniger Lippenstift.

– Hi Kevin, wie läuft’s?, sagt die Süßeste.

Und linst zu Körts rüber, hinweg über das Klatschmagazin, in dem sie nebenbei blättert.

In Körts’ Jahrgang machen gerade alle Praktikum. Sie vermutlich im Nagelstudio oder Friseursalon. Oder Puff. Wo Papa sie gleich absetzen wird. Körts nickt der aus der Parallelklasse kaum merklich zu. Ihren Namen hat er gerade nicht parat. Dieser Parfümnebel.

– Der Stoff für Adil, sagt Körts zu Cem.

– Aye aye, Commander, sagt Cem zu Körts.

Reicht ihm die Papiertüte mit dem Gebäck. Außen zeichnen sich bereits Flecken vom Zuckerguss ab. Körts zahlt, Sonnenbrille immer noch schief auf der Nase. Die Süßeste meldet sich zu Wort.

– Heute frei im Reisebüro?, fragt sie Körts.

Das Klatschmagazin jetzt fest an die Brust gedrückt. Ein prominenter Schauspieler grinst vom Titelblatt herab. Grübchen im kantigen Kinn. Perfekte Zahnreihen. Verschattete Augen. Der Polarisierer! Das große Interview – über Erfolg, Feinde und wer künftig die Hauptrolle in seinem Privatleben spielt!

– Oha, Praktikum im Reisebüro, sagt der Klempner, ist das nicht was für Röckchenträger? Bleistifte anspitzen, Kataloge sortieren und so Zeug.

Körts dreht am Hörgerät. Mit Bei-mir-kommt-gerade-nicht-viel-an-Miene. Stirn in Falten. Cem hebt die Hand zum Abschied:

– Commander!

Körts hört im Rausgehen noch den Klempner fragen:

– Commander?!?

Cem, bestens aufgelegt:

– Jeden Tag jetzt gebügeltes Hemd. Vielleicht mal einer für deine Kleine. Der will nach oben.

– Pffah.

Auch das hört Körts noch. Plus: wie ein Schluck Kaffee zurück in einen Becher geprustet wird.

Was für ein Planet!

Wo hat man ihn, Commander Körts, hier nur abgesetzt?

Körts hat immer schon in den Hochhausriegeln rund um das Einkaufszentrum gelebt. Früher waren die Fassaden aus Waschbeton. Nach und nach wurde saniert und damit alles bunt.

Die Leben der Bewohner blieben, wie sie immer waren. Grau.

Die Lederblousons der Senioren vor dem Kiosk sind braun. Kackbraun.

Körts übergibt Adil die Papiertüte und befragt das Trio, ob sich etwas Auffälliges getan hat, während er im Kiosk war. Müdes Verneinen. Unterlippen, die feucht vorgeschoben werden.

– Aber geiles Oberhemd, sagt der eine Alte, schniekes Teil, nur, warum machst du oben am Hals nicht einmal einen Knopf auf, Sportsfreund?

Körts lässt nicht locker:

– Zwei Typen mit einem mickrigen Hund, sagt er, nichts gesehen?

Adil macht sich bereits über das Gebäck her.

– Die waren noch nicht da, vermeldet er kauend, hätte ich dir auch sagen können.

Der eine Alte wieder zu Körts:

– Geile Sonnenbrille und geiles Oberhemd, wirklich. Von deinem Opa?

Körts zu Adil:

– Du hast unter Garantie wieder in die Wolken gegafft. Du gaffst immer hoch. Selbst wenn kein Flugzeug fliegt, selbst wenn keine Zugvögel da oben unterwegs sind, gaffst du rauf.

– Ich schwör’s, die ganze Zeit nur auf den Platz, nuschelt Adil.

Körts nimmt die breiten Stufen runter zur Straße. Am Fuß der Treppe, bei den Findlingen, an denen die Hunde gerne das Pinkelbein heben, fällt Körts auf, dass er Adils Portemonnaie noch immer in der Hand hält.

Adil folgt Körts bei Rot über die Straße.

Körts baut sich an der Skulptur auf.

Diese Schatten: Kanten wie mit dem Lineal gezogen.

– Hast du das überhaupt gemerkt, sagt Körts zu Adil, du nimmst dein Gebäck. Und das Portemonnaie? Das Portemonnaie ist dir egal.

– Ich vertrau dir.

– Weißt du, was? Du interessierst dich überhaupt nicht für Geld. Du solltest dir ernsthaft Sorgen um deine Zukunft machen.

Ein Gebäckkrümel baumelt an Adils Nase.

Adil Suleman: Körts’ Klassenkamerad und Nachbar. Ein Lulatsch mit müden Knopfaugen wie ein Ameisenbär. Die Nase wirkt zu groß für sein Gesicht. Adil könnte eins a den Nebendarsteller in einem dieser uralten Sandalenschinken mimen. Diese Art Film, die abends manchmal auf den Sendern läuft, von denen kein Mensch weiß, wer die wohl guckt.

Vielleicht liegt es auch an Adils breiten Augenbrauen.

Aber: Brillie im Ohr.

Und riecht immer nach Kokosseife.

Kokosseife.

– Ich mache mir laufend Sorgen um die Zukunft.

– Tust du nicht.

– Doch. Weil, ich komme nie dort...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2024
Reihe/Serie Stadtrand-Trilogie
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Bozorg • Domino • Jenfeld • Jugendliteratur • Körts • Liebe-Glaube-Hoffnung • Schwanger • Touristenhochburg • Vorstadt
ISBN-10 3-7336-0831-3 / 3733608313
ISBN-13 978-3-7336-0831-6 / 9783733608316
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