Die Kinder des Dschinn: Gefangen im Palast von Babylon (eBook)
384 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0733-3 (ISBN)
P. B. Kerr wurde 1956 in Edinburgh/Schottland geboren. Er studierte Jura an der Universität Birmingham und arbeitete zunächst als Werbetexter, bis er sich einen Namen als Autor von Krimis und Thrillern für Erwachsene machte. Viele seiner Bücher wurden internationale Bestseller, etliche mit großem Erfolg verfilmt. Für seine Arbeit wurde er u. a. zweimal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Mit der Abenteuer- und Fantasy-Serie «Die Kinder des Dschinn» gelang ihm auch als Kinderbuchautor auf Anhieb ein internationaler Erfolg.
Philip Kerr, geboren 1956 in Edinburgh, war ein international bekannter Autor. Seine mehrbändige Krimireihe um den deutschen Privatdetektiv Bernie Gunther erhielt zahlreiche Preise, darunter den Ellis-Peters-Award. Mit seiner Fantasyserie «Die Kinder des Dschinn», die er unter den Namen P.B. Kerr veröffentlichte, machte er sich auch als Kinder- und Jugendbuchautor einen Namen. Philip Kerr verstarb 2018 in London.
Die Dschinn, die aus der Kälte kamen
»Ich will als Hexe gehen«, sagte Philippa. »Mit vielen Warzen.«
»Und ich als Vampir«, sagte John. »Mit richtigem Blut an den Zähnen.«
»Ihr wisst beide, dass das nicht in Frage kommt«, sagte ihre Mutter kurz.
»Jedes Jahr der gleiche Streit«, seufzte John. »Ich verstehe nicht, Mum, was du dagegen hast. Halloween ist doch ein harmloser Spaß.«
John und Philippa Gaunt wohnten in der East 77th Street Nummer 7 in New York. Sie waren Zwillinge, und wie alle anderen Kinder liebten sie den Brauch, an Halloween von Tür zu Tür zu gehen und um Geld oder Süßigkeiten zu bitten. Aber gleichzeitig waren sie auch Dschinn, die mit außergewöhnlichen Kräften Außergewöhnliches tun konnten – zum Beispiel, jemandem drei Wünsche gewähren. Zumindest konnten sie das, solange das Wetter warm war. Dschinn sind aus Feuer gemacht, deshalb können sie Kälte nicht ausstehen, und junge, unerfahrene Dschinn wie John und Philippa sind bei kaltem Wetter so gut wie machtlos. Deshalb sind Dschinn eher in heißen Wüstenländern anzutreffen. Im Sommer ist es in New York zwar heiß, die Winter aber sind sehr kalt und schon Ende Oktober wird es ziemlich frisch. In diesem Jahr jedoch war es an Halloween ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Nachdem Mrs Gaunt – selbst ein Dschinn – ihren Kindern verboten hatte, mit ihren Freunden von Haus zu Haus zu ziehen, machte sie ein Versöhnungsangebot.
»Hört mal«, sagte sie, »wollen wir nicht das warme Wetter nutzen und in den Central Park gehen? Ihr könntet euch jeder in ein Tier verwandeln – damit ihr in Übung bleibt. Es ist leicht möglich, dass ihr heute zum letzten Mal Gelegenheit habt, eure Kräfte zu erproben, bevor der Winter kommt.«
»Ich will aber kein Tier sein«, sagte Philippa. »Ich will eine Hexe sein. Mit Warzen.«
»Und ich Dracula«, beharrte John. »Mit Blut an den Zähnen.«
»Und ich sage Nein«, erklärte Mrs Gaunt unnachgiebig. Als sie vor vielen Jahren Mr Gaunt kennen lernte, hatte sie bald gelobt, ihre eigenen Dschinnkräfte nie mehr anzuwenden, wenn auch aus Gründen, die den Zwillingen noch nicht ganz einleuchteten. John glaubte, es hinge wohl damit zusammen, dass ihr Vater Edward ein Mensch war. Ihn beunruhigte die Vorstellung, dass seine beiden Kinder die Macht besaßen, ihn – zumindest während der Sommermonate – in einen Hund zu verwandeln. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb Mrs Gaunt mit John und Philippa vereinbart hatte, ihre Dschinnkräfte nur nach Absprache mit ihr anzuwenden – damit sie nicht übereilt etwas taten, was sie später vielleicht bereuten. Die Kräfte eines Dschinn, auch eines jungen Dschinn, sind nämlich sehr stark. Aber sie wusste auch, dass ein junger Dschinn ab und zu seine Kräfte üben muss, schon allein, um seine Gesundheit und sein allgemeines Wohlbefinden zu stärken.
Aber die Zwillinge waren noch kein bisschen überzeugt, dass die Verwandlung in ein Tier verlockender sein sollte als eine Halloween-Verkleidung.
»Ich versteh’s einfach nicht«, rief John. »Warum dürfen wir denn nicht Halloween feiern? Du hast uns noch nie erklärt, was du eigentlich dagegen hast.«
»Nein?«
»Nein!«, riefen die beiden wie aus einem Mund.
Mrs Gaunt schüttelte den Kopf. »Vielleicht habt ihr Recht«, räumte sie ein.
»Also, erklär«, sagte John. Er klang skeptisch, denn seiner Meinung nach nahm seine Mutter Halloween viel zu ernst.
»Es ist wirklich ganz einfach«, sagte sie. »An Halloween wird etwas in den Mittelpunkt gerückt, von dem die meisten Menschen nichts wissen. Für gute Dschinnstämme wie den unseren ist diese Zeit immer sehr schwierig. Es waren nämlich böse Dschinnstämme wie die Ghul, die Shaitan und die Ifrit, die vor vielen Jahrhunderten leichtgläubige Menschen dazu überredeten, sie in dieser Zeit des Jahres anzubeten und zu verehren. Im Gegenzug versprachen sie, ihnen kein Leid zuzufügen. Während dieser Zeit der Verehrung verkleideten sich die Menschen so, wie sie sich diese bösen Dschinn vorstellten. Sie brachten ihnen Wein und Leckereien, um von Unglück verschont zu bleiben. Und das ist der Grund, weshalb unser Stamm, die Marid, mit diesem Treiben nie etwas zu tun haben wollte. Versteht ihr jetzt? Ich muss sagen, nach allem, was ihr in diesem Sommer von Nimrod erfahren habt, überrascht es mich eigentlich, dass ihr die Sache so leicht nehmen könnt.«
Die Zwillinge schwiegen eine Weile und dachten über Mrs Gaunts Erklärung nach. Nicht im Traum wären sie darauf gekommen, dass ausgerechnet das Dschinnvolk der wahre Ursprung all des Bösen sein sollte, das an Halloween dargestellt wurde. Anders als die meisten Kinder wussten sie nur zu gut, dass ein böser Dschinn einen Menschen, aber auch einen anderen Dschinn an sich binden und zu seinem Sklaven machen konnte. Schon in ihrem ersten Sommer als Dschinn hatten sie das Böse ganz aus der Nähe gesehen, einmal in Gestalt von Akhenatens Geist und dann in der Person von Iblis aus dem Stamm der Ifrit. Sie hatten aus erster Hand miterlebt, wozu Böses fähig war. In Kairo hatten die Ifrit sogar einen Mann namens Hussein Hussaout ermordet. Mrs Gaunt hatte Recht: Das Böse war immer in der Welt.
Philippa zog die Schultern hoch. »Jetzt, wo du’s erklärt hast, verstehe ich den Zusammenhang ganz gut.«
»Das freut mich, mein Liebling«, sagte Mrs Gaunt.
»Klar«, sagte John. »Du willst verhindern, dass uns was passiert, nicht?«
Mrs Gaunt nickte. »Ich bin eine Mutter«, sagte sie. »Das ist meine Aufgabe.«
Also gingen sie in den Zoo. Aber schnell kamen sie zu dem Schluss, dass es eigentlich nicht viel Spaß machen konnte, als Tier in einem Käfig zu leben – der Eisbär wirkte besonders unglücklich. Sie verließen also den Zoo wieder und machten sich lieber auf die Suche nach frei lebenden Tieren im Park, deren Körper sie sich für ein, zwei Stunden leihen konnten.
Philippa entschied sich für ein Eichhörnchen: Mit großem Vergnügen turnte sie die Bäume rauf und runter, und einmal erschreckte sie ein paar Touristen, die nicht schnell genug Nüsse herausrückten. Sie hatte aber nicht mit Flöhen im Pelz gerechnet und auch nicht mit einem zänkischen Backenhörnchen, auf dessen Baum sie dummerweise geraten war. Als sich schließlich auch noch eine Katze an sie heranpirschte, war sie ganz froh, sich wieder in ein Mädchen verwandeln zu können.
John tat sich schwerer mit seiner Entscheidung. Eichhörnchen und Backenhörnchen fand er zu niedlich und mädchenhaft. Er war schon drauf und dran, in den Zoo zurückzukehren und sich doch in einen Eisbären oder einen der Seelöwen zu verwandeln, als er etwas entdeckte, das ihm noch reizvoller erschien. In der Nähe der Eisbahn führte ein Mann Falken vor. Kaum hatte John den schönen blaubraunen Wanderfalken auf der behandschuhten Hand des Mannes gesehen, nahm er die Gestalt des Falken Malty an. Wanderfalken gehören zu den schnellsten Vögeln der Welt, und John fand es herrlich, hoch über den Bäumen dahinzusegeln, dann plötzlich wie eine Bombe zwischen ein paar dumme Tauben zu fahren und dazu noch einen Typen zu erschrecken, der gerade Tai-Chi-Übungen machte. Am Ende stürzte er sich auf die Beute, die ihm von seinem Falkner angeboten wurde – alles in einer Geschwindigkeit von mehr als zweihundert Stundenkilometern.
Aber Johns Dasein als Falke hatte auch seine unangenehme Seite: Noch Stunden danach musste er sich übergeben, wenn er an den widerlichen Geschmack der toten Maus dachte, die ihm der Falkner als Belohnung gereicht hatte.
Trotzdem erklärte John, sein größter Wunsch zu Weihnachten sei ein Wanderfalke. Und nachdem er sich im Internet gründlich darüber informiert hatte, breitete er das Thema vor seinem Vater aus.
Edward Gaunt war ein Mensch – oder ein »Irdischer«, wie es der Onkel der Zwillinge (selbst ein großer, mächtiger Dschinn) bezeichnete. Das hieß, dass er nicht aus Feuer, sondern aus Erde bestand und deshalb ganz gewöhnlich war. Das hieß jedoch nicht, dass Mr Gaunt keine Autorität über seine fantastisch begabten Kinder hatte. Besonders groß war diese natürlich im Winter, wenn er die beiden mehr oder weniger machtlos wusste. Dann neigte er viel eher dazu, sie wie normale Kinder zu behandeln und ihnen Dinge zu verbieten, von denen er nichts hielt. Zum Beispiel, einen Wanderfalken zu halten.
»Ich könnte verstehen, wenn du dir einen Kanarienvogel wünschst«, sagte Mr Gaunt hinter seiner Zeitung hervor, als John eines Tages beim Frühstück von seiner Idee gesprochen hatte. »Meinetwegen auch einen Papagei. Aber einen Falken? Ein Falke ist etwas ganz anderes, John. Falken sind Raubvögel. Stell dir vor, er greift einen Hund im Park an. Oder einen alten Menschen! Am Ende stehe ich vor Gericht und werde zu Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt. Was dann?«
»Dad«, sagte John. »Wir reden von einem Falken, nicht von einem Pterodaktylus.«
Doch Mr Gaunt war nicht zu überzeugen.
»Wenn du ein Tier haben willst, warum wünschst du dir dann nicht eine Wüstenspringmaus oder einen Hamster wie …« Er hatte sagen wollen »wie jeder normale Junge«, aber da fiel ihm ein, dass sein Sohn wohl kaum ein gewöhnlicher Junge war, sowenig wie seine Tochter ein gewöhnliches Mädchen. Manchmal fiel es Edward Gaunt leicht, das Besondere an den Zwillingen zu vergessen. Immerhin sahen sie wie ganz normale Kinder aus. Sie sahen sich nicht einmal ähnlich. John war groß und dunkelhaarig, Philippa war kleiner, hatte rotes...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2024 |
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Reihe/Serie | Die Kinder des Dschinn |
Illustrationen | Volker Fredrich |
Übersetzer | Ulli Günther, Herbert Günther |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer • Aladdin • Aladin und die Wunderlampe • Die Kinder des Dschinn • Freundschaft • John • Magische Kinderbücher • P.B. Kerr • Philip Kerr • Philippa • Wunderlampe |
ISBN-10 | 3-7336-0733-3 / 3733607333 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0733-3 / 9783733607333 |
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