How to Make Friends with the Dark (eBook)
464 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0606-0 (ISBN)
Kathleen Glasgow lebt und schreibt in Tucson, Arizona. »Girl in Pieces« ist ihr erstes Jugendbuch und wurde direkt ein »New York Times«-Bestseller. Inzwischen hat sie mehrere Jugendbücher veröffentlicht, die vielfach ausgezeichnet und in 24 Sprachen übersetzt worden sind.
Kathleen Glasgow lebt und schreibt in Tucson, Arizona. »Girl in Pieces« ist ihr erstes Jugendbuch und wurde direkt ein »New York Times«-Bestseller. Inzwischen hat sie mehrere Jugendbücher veröffentlicht, die vielfach ausgezeichnet und in 24 Sprachen übersetzt worden sind.
DAVOR
Ich finde die Rechnungen rein zufällig, versteckt unter einem Stapel Unterwäsche in der Kommode, die meine Mutter und ich uns teilen. Statt sauberer Socken ziehe ich ein Bündel Briefe mit Aufschriften wie Dringend, Letzte Mahnung, Wir bitten um sofortige Rückmeldung hervor.
Mein Herz klopft. Wir haben nicht viel, hatten wir noch nie, aber wir sind mit dem über die Runden gekommen, was Mom als Fahrerin des Bücherbusses und als Aushilfe in Bonitas Kindertagesstätte verdient. Im Sommer haben wir außerdem das Marmeladenmobil, aber das ist eine andere Geschichte.
Man versteckt keine Briefe in Schubladen, wenn man nicht ziemlich besorgt ist.
Mom liegt seit gestern Morgen auf dem Sofa, in eine schwarz-rote Wolldecke gewickelt, und schläft ihre Kopfschmerzen aus.
»Mom«, sage ich laut. »Mommy.«
Keine Antwort. Ich schaue auf die schiefhängende Uhr an der Wand. Noch vierzig Minuten bis zur ersten Stunde.
Wir beide sind das, was Mom gerne »eine gut geölte, gut aussehende und gut riechende Maschine« nennt. Aber ich bin darauf angewiesen, dass die andere Hälfte dieser Maschine piept und surrt und all die anderen Dinge tut, die Mütter eben so tun. Außer ihr habe ich niemanden. Es ist nicht so wie bei meiner Freundin Cake, die mit ihren Eltern und ihrem Onkel zusammenlebt. Wenn Mom krank ist, oder deprimiert, habe ich Pech gehabt, was Hilfe und Gesellschaft angeht.
Und Mitfahrgelegenheiten zur Schule.
»Mom!« Ich schreie, so laut ich kann, und zerreiße mir dabei fast die Kehle. Ich stopfe die Rechnungen zurück unter die Wäsche und gehe ins Wohnzimmer.
Der Schrei hat gewirkt. Sie sitzt aufrecht, die Wolldecke liegt am Boden.
»Dir auch einen guten Morgen«, murmelt sie verschlafen.
Ihr kurzes Haar ist auf der einen Seite platt gedrückt und auf der anderen Seite stachelig. Sie schaut sich um, als wäre ihr alles hier fremd, als wäre sie eine Außerirdische, die versehentlich in unsere seltsame, irdische Atmosphäre geraten ist.
Sie blinzelt einmal, zweimal, dreimal, dann sagt sie: »Tiger, Süße, mach mir einen Kaffee, ja?«
»Es gibt keinen Kaffee.« Das sage ich so vorwurfsvoll wie nur möglich. Ich muss ein bisschen fies sein. Es sieht ganz danach aus, als steckten wir in echten Schwierigkeiten, und außerdem brennen mir gerade noch ein paar andere Dinge ein Loch ins Hirn, zum Beispiel Kai. Ich brauche eine Mom, die funktioniert.
»Es gibt gar nichts«, füge ich hinzu. »Okay, Erdnussbutter. Du kannst eine schöne große Tasse heiße Erdnussbutter haben.«
Mom lächelt, und ich werde weich. Alles, was ich über das Bündel unbezahlter Rechnungen sagen wollte, fliegt aus dem Fenster. Es wird schon wieder in Ordnung kommen. Alles kommt wieder in Ordnung, so wie immer.
Wir werden wieder piepen und surren.
Mom steht auf und wankt zu der roten Kaffeemaschine. Kaffee ist Moms Droge. Und Zigaretten, da können Bonita, Cake und ich ihr noch so oft sagen, dass die Dinger widerlich und tödlich sind. Als ich klein war, bin ich immer in aller Herrgottsfrühe aufgewacht und wollte mit ihr spielen, nur mit ihr, bevor sie mich in die Kita geschleppt hat, und ich musste immer warten, bis sie ihren ersten Kaffee getrunken und ihre erste Zigarette geraucht hatte. Es war eine Qual, darauf zu warten, dass diese blöde Maschine endlich eine Tasse Kaffee ausgespuckt hatte, während ich schon die Legosteine oder Mikadostäbchen in der Hand hielt.
Sie stößt einen tiefen Seufzer aus. »Oh, Shit«, murmelt sie. »Süße! Ich setze mich wohl besser mal in Bewegung, hm?« Sie steht am Waschbecken und dreht den Hahn auf, aber es kommt nichts raus. »Geht das Wasser immer noch nicht? Ich hatte gehofft, das war nur ein böser Traum.« Sie deutet mit dem Kinn auf den Wasserhahn.
»Pacheco geht nicht ans Telefon«, sage ich. Mr. Pacheco ist unser Vermieter, und er ist kein Ausbund an Freundlichkeit.
Sie murmelt: »Dann muss ich mich darum heute auch noch kümmern.« Ich schweige. Redet sie von den Rechnungen? Vielleicht sollte ich …
Mom streckt die Arme aus. »Komm her, Süße. Komm her. Komm zu mir.«
Da laufe ich, so schnell, dass ich fast auf dem zerschlissenen Wollteppich ausrutsche, zu ihr, und mein Gesicht landet direkt unter ihrem Schlüsselbein. Ihre Lippen drücken einen Kuss auf meinen Scheitel.
Mom zittert. Ihr Hemd ist feucht, als hätte sie geschwitzt. Wahrscheinlich braucht sie eine Zigarette. »Es tut mir leid«, flüstert sie in mein Haar. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Diese Kopfschmerzen. Dass Bonita weg ist, dass die Kita schließen musste. Ich … das war alles sehr viel auf einmal, ich habe wohl einfach Panik bekommen. Hast du gestern Abend überhaupt was gegessen?«
Nur einen Becher Wackelpudding, und mein Magen brüllt vor Hunger, aber das sage ich nicht. Ich kuschle mich nur an sie.
Meine Mutter zieht den Kopf zurück und lacht. »Grace«, sagt sie. Wenn ich meinen richtigen Namen höre, muss ich immer das Gesicht verziehen. »Gracie, das Pyjamaoberteil ist ein bisschen klein, Püppchen.«
Ich ziehe das T-Shirt nach unten und verschränke die Arme vor der Brust.
Mom seufzt. Ich weiß, was jetzt kommt, also setze ich mein Langweilig!-Gesicht auf.
»Tiger«, sagt sie fest. »Du bist ein wunderschönes Mädchen. Das war nur ein blöder Witz, tut mir leid. Du sollst dich niemals verstecken. Du entwickelst dich zu etwas Wundervollem. Du brauchst dich nicht zu schämen.«
Wundervoll. Bonita und sie übertreiben es manchmal mit ihrem Zuspruch. Cake meint, die Lebensaufgabe meiner Mom und ihrer besten Freundin sei »Starke-Mädchen-Erziehung« – stärker, als sie selbst waren. »Weißt du«, sagte sie einmal, »vermutlich haben ihre eigenen Mütter sie vor dem Abschlussball auf Magerquark-Diät gesetzt und zu ihnen gesagt, dass sie in der Nähe von Jungs schön die Beine geschlossen halten sollen.«
Ich verdrehe die Augen und stöhne. »Das musst du sagen«, erwidere ich. »Du bist meine Mom. Das steht in deiner Stellenbeschreibung.«
Ihr Gesicht wird sanft, und ich kriege ein schlechtes Gewissen. Einmal habe ich gehört, wie sie Bonita erklärt hat: »Ich versuche, Tiger all die Dinge zu sagen, die ich selbst nie gehört habe, weißt du?«
Ich wüsste gerne, was sie alles nicht zu hören bekommen hat. Denn sie ist ziemlich wortkarg, wenn es um die Zeit geht, in der sie noch keine Mom war. Ihre Eltern sind gestorben, als sie auf dem College war, und sie redet nicht gerne von früher.
Meine Mutter kramt in den Schränken und findet irgendwie, irgendwo, eine Dose Cola, obwohl ich gestern Abend jeden Winkel nach Essbarem durchforstet habe. Sie trinkt einen großen, dankbaren Schluck und wischt sich den Mund ab. Dann fischt sie eine Zigarette aus ihrer Handtasche.
»Zieh dich an, Tiger. Ich setze dich an der Schule ab, und dann habe ich eine Menge zu tun. Heute wird ein Höllentag, das steht fest. Einkaufen, Pacheco, das volle Programm. Ich mache es wieder gut, dass ich so k.o. war, okay?«
»Okay.«
Mom geht in den Garten, um zu rauchen, und ich gehe in mein Zimmer, wo ich verzweifelt versuche, in meinem Kleiderschrank voll unpassender Klamotten etwas halbwegs Passendes zu finden. Mom tut so, als wäre es kreativ und witzig und individuell und umweltbewusst, Kleidung aus Verschenkekisten am Straßenrand mitzunehmen (»Des einen Müll ist des anderen Schatz!«) und nicht nur ein Nebeneffekt unserer knappen Finanzen, aber manchmal wünschte ich, ich könnte zur Schule gehen wie jedes andere Mädchen auch, in Leggings und T-Shirt und hübschen Riemchensandalen, aus denen meine rosa lackierten Zehennägel herausschauen. Stattdessen wirke ich meistens wie ein Geschöpf aus der Vergangenheit, in alten Klamotten, die so aussehen wie, tja, wie alte Klamotten.
Ich ziehe einen Rock und ein verblichenes T-Shirt an und setze ein Basecap auf, denn das Wasser im Bad sieht auch schon verdächtig aus, so dass Duschen nicht in Frage kommt. Ich putze mir die Zähne wie ein Derwisch und spritze mir Wasser ins Gesicht.
Dann gönne ich mir, wie immer, mindestens drei Sekunden, um mich zu fragen: Wer zum Teufel ist das? Und wo, bitte, kommt sie her?
Denn meine dunklen, glatten Haare sind ganz anders als der kurze helle Wuschelkopf meiner Mutter. Und meine Sommersprossen sehen neben ihrem makellosen Teint wie Schlammspritzer aus.
So vieles an mir stammt von der Person, die nicht genannt werden soll. So vieles von mir ist unbekannt.
Trotzdem bin ich hier, und ich muss meine Mutter auf Trab bringen, pünktlich in die Schule kommen, die erste Stunde überstehen und die kleine tägliche Shit-Show, die ich gerne »Die Grausamkeiten der Lupe Hidalgo« nenne, und danach, wenn ich bis dahin überlebe, Bio, und Kai Henderson, der mein Herz wie eine liebeskranke Trommel schlagen lässt, wenn ich nur an ihn denke, und der zu den Dingen gehört, über die ich dringend mit meiner Mutter reden muss.
Im Auto fummelt sie am Radioregler herum. Mein leerer Magen röhrt wie...
Erscheint lt. Verlag | 11.10.2023 |
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Reihe/Serie | Girl in Pieces |
Übersetzer | Maren Illinger |
Zusatzinfo | 1 s/w-Abbildung |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Adam Silvera • Am Ende sterben wir sowieso • Booktok • Bücher wie Girl in Pieces • Depression bei Jugendlichen • Letzte Chance • letzte Worte • Pflegefamilie • TIKTOK Bestseller deutsch • tiktok made me buy it • Tod der Mutter • Trauer • Verlust |
ISBN-10 | 3-7336-0606-X / 373360606X |
ISBN-13 | 978-3-7336-0606-0 / 9783733606060 |
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