Eckstein (eBook)

Abschiede
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2023 | 1. Auflage
496 Seiten
Atlantis Kinderbuch (Verlag)
978-3-7152-7020-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eckstein -  Pascale Quiviger
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König Tibald und seiner Gemahlin Ema steht das Undenkbare bevor: Sie müssen ihre Tochter, Prinzessin Miriam, der Catastrophe, dem verfluchten Wald im Süden Ecksteins, als Maimädchen opfern. Danach ist ihr Leben wie auf den Kopf gestellt. Ema fühlt sich am Königshof zunehmend eingeengt, und auch Tibald wünscht sich nichts sehnlicher, als ab­ zudanken und fernab der Verpflichtungen eines Monarchen zu leben. Nur wer würde dann Eckstein und seine Bewohner beschützen? Zum ersten Mal in der Geschichte steht das einst so friedliche Königreich am Rande des Abgrunds: Nach dem Hungerwinter und der sommerlichen Dürre fehlt es den Men­schen an allem. Und Tibalds Halbbruder Jesko, der seit jeher über Eckstein herrschen will, bedroht nach wie vor den Frieden des Landes - und des Königs Leben. Jesko kennt keine Skrupel und hat einflussreiche Kom­plizen, die ihm helfen, Tibald und Ema immer einen Schritt voraus zu sein.

Pascale Quiviger, 1969 in Montreal geboren, hat als Kind häufig gehört, dass sie sich zwischen dem Schreiben und dem Malen entscheiden müsse. Doch das hat sie bis heute nicht getan. Nach ihrem Studium der Philosophie und bildenden Künste zog sie zunächst nach Italien, wo sie Zeichenkurse gab. Ihre visuellen Arbeiten wurden in Kanada und Italien ausgestellt. Heute lebt sie mit ihrer Familie im englischen Nottingham. Ihre literarischen Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter auch die vierteilige phantastische Abenteuersaga Eckstein.

Pascale Quiviger, 1969 in Montreal geboren, hat als Kind häufig gehört, dass sie sich zwischen dem Schreiben und dem Malen entscheiden müsse. Doch das hat sie bis heute nicht getan. Nach ihrem Studium der Philosophie und bildenden Künste zog sie zunächst nach Italien, wo sie Zeichenkurse gab. Ihre visuellen Arbeiten wurden in Kanada und Italien ausgestellt. Heute lebt sie mit ihrer Familie im englischen Nottingham. Ihre literarischen Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter auch die vierteilige phantastische Abenteuersaga Eckstein.

1


Zweimal im Jahr teilen sich Licht und Dunkelheit die vierundzwanzig Stunden des Tages genau untereinander auf. Es sind Momente der vollkommenen Ausgewogenheit. Nach der Tagundnachtgleiche des Frühlings triumphiert das Licht über die Dunkelheit, nach der Tagundnachtgleiche des Herbstes das Dunkel über das Licht.

An diesem dreiundzwanzigsten September herrschte mittags eine drückende Hitze. Die Menschen zogen sich hinter ihre geschlossenen Fensterläden zurück, wie sie es schon den ganzen Sommer getan hatten. Als sie abends aus ihren Häusern kamen, sahen sie am Horizont endlich Wolken aufziehen. Einzelne dicke violette Gebilde – keine gewöhnlichen Wolken. Die Hafenbewohner wurden als Erste nachdenklich beim Anblick des klebrigen Schaumes, den die Wellen auf dem Kieselstrand hinterließen. Wieso waren da überhaupt Wellen? Es ging doch gar kein Wind, ja die Luft war völlig reglos. Die Dörfler fanden sich nicht zurecht zwischen der bewegten See und dem unbewegten Himmel. Sie warteten darauf, dass sich eine Wolke entlud, dass die Nacht hereinbrach.

Die Zeit schien stillzustehen. Auf dem Hügel warfen die Bäume immer längere Schatten, deren Umrisse verschwammen. Blätter fielen ganz von selbst herab, Sand stieg sonderbar von den Wegen auf, die Schafe drängten sich zusammen wie ein einziges Wollknäuel. Die unvermeidliche Zikade hörte auf zu singen.

Als hinter den verdorrten Wipfeln Westwaldens die Sonne untergegangen war, zog ein unangenehmer Windhauch über die Insel, strich über das trockene Gras, kroch überallhin, bis unter die Türschlitze. Um acht Uhr abends war aus dem Hauch eine Böe geworden. Um neun ein Sturm. Die Birken bogen sich in die Horizontale, und gegen den Hafenkai brandete eine riesige Welle. Drinnen im Schloss wirkten die Fenster pechschwarz, und die Wände schienen näher zu rücken. Eilige Schritte hallten über die Steinfliesen, Türen knallten im Windzug, und fortwährend erloschen Kerzen. Um zehn erhob sich die Stimme des Waldes. Ein bedrohliches Murmeln. Eine Mahnung, ein Ruf, ein unverständliches Geraune, das dennoch jeder verstand: Heute Abend musste eine Familie ihr kleines Kind dem Wald übergeben.

Karl trat aus der Schmiede, um seine Frau Mathilde abzuholen. Sie selbst hatten einst auf diese Weise ihre Tochter verloren, eines Herbstabends zur Tagundnachtgleiche. In Sidra hatten sie sie zwar wiedergefunden, doch kurz darauf war diese ebenfalls verschwunden. Hatte Sidra etwas mit dem Ruf des Waldes zu tun? Mathilde hielt sich die Ohren zu. In ihrem Kopf durchlebte sie von Neuem und in allen Einzelheiten jene Nacht, in der sie ihr Kind hatte hergeben müssen. Sie sah wieder Alberich vor sich, sein Mund eine schnurgerade Linie in dem gepflegten Bart, seine blassen Augen starr auf den Weg vor sich gerichtet, als er sie zur Hütte des Mittelsmannes führte. Sie spürte wieder die friedlichen Atemzüge des schlafenden kleinen Schatzes in ihrem Arm, den nervösen Schritt des Schimmels und direkt neben sich den unter Schock stehenden Karl.

Nun würde einem anderen Mädchen dasselbe Schicksal widerfahren. Willem Schöne war einer der wenigen, der begriff, um welches Kind es sich handelte, und er war darüber am Boden zerstört: seine Patentochter. Die heutige Tagundnachtgleiche würde nicht nur die Blutlinie des Königshauses unterbrechen, sie würde auch sein Herz brechen. Ein paar Türen weiter war Blasius von Frixeln in seinem Bett, das er nicht mehr verließ, zur selben Schlussfolgerung gelangt. Bei all seinen Grübeleien und geistigen Höhenflügen hatte er sich doch niemals etwas Derartiges vorstellen können. Eine Insel ist eine Insel, dachte er traurig. Trifft sie ein Unglück, trifft es sie ganz.

Lysander, der bei ihm saß, bestürmte seinen Lehrer mit Fragen. Noch hatte ihm niemand erklären wollen, weshalb ein Fluch über Eckstein lag, und selbst Blasius hielt seine Lider still und verweigerte ihm damit eine Antwort. Wütend machte sich der Junge zur Küche auf, die ein beliebter Treffpunkt im Schloss war. Dort stieß er auf Felix, der ihn schon überall suchte. Und der Hüne von Mann war es zu guter Letzt, der ihm mit tränenerstickter Stimme die Legende vom allerersten König, der wahnsinnig gewordenen Königin und ihrer verschollenen Tochter erzählte.

Unterdessen saß Tibald in einem dunklen Winkel seines Arbeitszimmers, wie gelähmt vor Entsetzen, von den Bildern und namenlosen Erinnerungen, die mit dem Ruf des Waldes auf ihn einstürmten. Er sah wieder das Medaillon vor sich an einem Zweig baumeln, sah bläuliches Granitgestein, ein grünes Licht. Fühlte Asche und Dornen. Er schüttelte den Kopf im vergeblichen Versuch, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Vor allem wollte er nicht verstehen, was an diesem Abend geschehen würde. Er bereitete sich darauf vor, das Kind einer anderen Familie dem Wald zu überbringen. Die Eltern des Babys würde er am Vier-Wege-Kreuz treffen, und wie es die Tradition verlangte, würde er ihnen allein entgegenreiten. Allein, ohne Ema. Wie sollte er es nur ohne Ema schaffen?

Wo war sie überhaupt? Er hatte sie seit dem Morgen nicht mehr gesehen. Tibald nahm sich vor, sie zu suchen, aber dann wandte er sich doch zerstreut etwas anderem zu. So verwirrt war er nicht mehr gewesen, seit er vor zehn Monaten der Catastrophe entronnen war. Mit fahrigen Fingern rückte er den Dolch an seinem Gürtel zurecht, holte zuerst seinen langen roten Mantel und vergaß ihn dann auf einem Stuhl. Zog einen Stiefel an und fand den anderen nicht. Eine unsichtbare Krone schien sich kalt und schwer auf sein Haupt zu senken: die Krone der Traurigkeit, die früher oder später auf allen Ecksteiner Herrschern lastete und ihre Regentschaft bestimmte.

Als sich um elf Uhr abends der Ruf des Waldes zum Schrei wandelte und entwurzelte Bäume den Hafenhügel hinabrollten, ging die Tür vom königlichen Arbeitszimmer auf. Im Halbdämmer konnte Tibald seine Frau nicht gleich erkennen. Erst als sie näher trat, registrierte er ihre Reisekleidung und in ihren Armen die warme Decke, aus der ein rosa Bäckchen, blonde Locken und eine mollige kleine Hand hervorlugten. Und da erst traf ihn die Wahrheit mit voller Wucht und in ihrer ganzen Grausamkeit.

Lieber wäre er gestorben. So unendlich viel lieber wäre er gestorben. Tibald wich zum Kamin zurück und schüttelte unmerklich den Kopf. Ema sah ihn mit sich ringen und konnte ihm nicht helfen. Sie selbst lebte ja nur noch halb. Wie viele Stunden blieben ihnen noch? Den ganzen Tag lang hatte sie Miriam betrachtet, wie sie vor sich hin brabbelte und an der Stelle, wo sie ein Zähnchen bekam, an ihrer Faust nuckelte. Wie konnte Ema ihm eine Hilfe sein? Mit welcher Kraft sollte sie das fertigbringen? Mit welchen Worten, in welcher Sprache?

Tibald lehnte sich schwer an den weißen Marmorsims und legte sich eine Hand über die Augen. Auf einmal tauchte mit erstaunlicher Klarheit jener Albtraum vor ihm auf, den er Nacht für Nacht geträumt und anschließend immer wieder vergessen hatte. All die Monate, in denen er sich qualvoll in seinem Bett gewälzt hatte, waren nur eine Vorbereitung gewesen auf das Unglück, das ihm nun bevorstand. Wie ein Schauspieler vor einer Theateraufführung hatte er nachts fortwährend geprobt. Und ganz wach träumte er jetzt, bis die Wirklichkeit in ihn eingesunken war. Er hatte das Medaillon nicht verloren. Er hatte es absichtlich im Wald zurückgelassen und an einen Zweig gehängt, damit Miriam das Gesicht ihrer Mutter nicht vergaß. Er hatte einen Pakt mit Sidra geschlossen. Einen unumgänglichen Pakt. Er konnte nichts dafür. Weder der König noch der Mensch konnte irgendetwas dafür.

Als er wieder aufsah, begegnete er Emas schwarzen Augen. Sie blickte ihn unverwandt an, schien aber seltsam abwesend, weit weg hinter ihren unnahbaren Zügen verschanzt. Würde er auch sie verlieren? Er ging zu ihr, um Mutter und Tochter in seine Arme zu schließen. Miriam war warm, Ema kalt. Er liebte die eine so sehr wie die andere. Sie beide bewohnten eine so tiefe Region seines Wesens, dass nichts sie ihm jemals entreißen konnte. Mit einer jähen Bewegung löste er sich von ihnen, fand den fehlenden Stiefel, schlüpfte hinein, knöpfte seine Weste zu, zog den Mantel an.

In tiefem Schweigen machten sie sich zum Pferdestall auf. Unterwegs traten die Leute vor ihnen auseinander und senkten die Köpfe. Ema bewegte sich würdevoll und reserviert, Tibald starrte auf einen fernen Punkt vor sich, sein Mund ein gerader Strich wie damals bei seinem Vater. Die Wäscherin und der Schmied waren die Einzigen, die ihnen ins Gesicht zu sehen vermochten. Während Mathilde zart über Miriams Stirn strich, sprach sie ganz leise zu der Königin wie zu einer jüngeren Schwester. Sie beschwor sie, stark zu sein, erklärte ihr, dass das Land sie brauche. Ema antwortete ihr in einer fremden Sprache.

Die Pferde im Marstall befanden sich in größter Unruhe. Epinal wieherte seit zwei Stunden, um seine Pupillen leuchtete der Ring aus grünem Licht. Gabriel hatte unter großen Mühen drei Schimmel gesattelt, wie es die Tradition verlangte. Doch als er die kleine Prinzessin erblickte, glitt ihm das Zaumzeug aus der Hand, das er gerade anlegen wollte. Er rechnete noch einmal neu: Wenn der König zugleich der Vater war, dann genügten zwei Pferde. Schweren Herzens brachte er das dritte in seine Nische zurück.

Als Tibald und Ema losritten, hatten sie noch kein Wort miteinander gesprochen. Dichter Nebel verschluckte Baumstämme und Schlossmauern. Der Rundbogen vor ihnen sah aus wie eine schwebende Brücke, und die wenigen versprengten Schaulustigen erinnerten an Bojen. Am Vier-Wege-Kreuz wurden sie von einem Mann und einer Frau mit ihrer kleinen Tochter erwartet, die am ersten Mai während des Mittagsläutens...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2023
Reihe/Serie Königreich Eckstein
Königreich Eckstein
Übersetzer Sophia Marzolff
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Fluch • Gefahren • Insel • Königreich • Meer • Prinz • Seefahrt
ISBN-10 3-7152-7020-9 / 3715270209
ISBN-13 978-3-7152-7020-3 / 9783715270203
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