Almost True Crime 1: Wer nicht liebt, muss sterben (eBook)

Inspiriert von einem wahren Verbrechen

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
240 Seiten
Thienemann Verlag GmbH
978-3-522-62200-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Almost True Crime 1: Wer nicht liebt, muss sterben -  Ruth Stiller
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Warum morden Jugendliche? True Crime, endlich auch für Jugendliche!  Ein Jugendroman, inspiriert von einem wahren Verbrechen:  Wie ein Wirbelwind tritt Jessie in Majas Leben und stellt ihr Leben auf den Kopf. Denn Jessie hat Majas Zeichentalent erkannt und verschafft der 16-Jährigen Anerkennung in ihrer Sprayergruppe. Nach einer Nacht- und Nebelaktion küssen sich die beiden Mädchen. Maja verliebt sich bis über beide Ohren, doch für Jessie ist es nur ein Spiel, eigentlich steht sie ja auf den Sprayer Fly. Und als der Interesse signalisiert, ist Maja abgemeldet. Aber Maja kann nur noch an Jessie denken, will nicht ohne sie leben. Und schließlich rastet Maja einfach aus: Nur ein kleiner Stoß, dann der Zug ... Wer nicht liebt, muss sterben!   - Ein mörderischer Stoff, kriminell gut geschrieben und mit psychologischem Tiefgang - Inspiriert von einem echten Fall: Zum Schutz der Persönlichkeitsreche der echten jugendlichen Täter*innen sind die Geschehnisse fiktionalisiert - Für Jugendliche und alle, die sich für jugendliche Straftäter*innen interessieren

Ruth Stiller schreibt seit vielen Jahren Krimis. Besonders beschäftigen sie Ursache und Wirkung der Verbrechen von und an jungen Menschen. Wie kann man schwere Gewalttaten von Jugendlichen erklären? Welche Rolle spielt die Familie? Und welche Chancen auf Rettung hätte es gegeben? Die Autorin denkt sich die Geschichten aus, die sie hinter den menschlichen Abgründen und Tragödien vermutet. So könnte es gewesen sein. Ruth Stiller lebt hinter einer der vielen Fassaden in München und schaut hinaus.

1. KAPITEL Der Himmel war ungewöhnlich grau für einen Sommertag. Die Wolken schoben sich ineinander, als wollten sie sich gegenseitig auffressen und aus den Wolkenwunden hätte es Blut regnen können, hätte gepasst, passierte aber nicht. Einfach nur grau. Maja schwang sich auf das schon lange funkelnagelneue Fahrrad ihrer Mutter und fuhr zum Baumarkt. Den Haarvorhang tief im Gesicht kaufte sie Pinsel, Rollen und schwarze Farbe. Genug für das ganze Zimmer. Die ganze Welt.

»Da musst du aber mindestens eine Wand hell lassen, Mädchen«, riet ihr der freundliche Fachverkäufer, »das wird sonst arg dunkel.«

Maja nickte. Genau das war der Plan. Dunkel. Sie zog auch keine alten Klamotten an und klebte nicht die Fußleisten ab, sie brauchte keine Leiter, nahm einfach ihren Stuhl und sie legte keine Musik auf. Musik machte Maja ratlos. Nur das nasse Quatschen der Rolle mit schwarzer Farbe auf Wand war zu hören. Bis alles dunkel war.

Maja verließ das Haus nicht mehr. Warum auch? Drieke war weg. Es gab dort draußen also nichts und niemanden, das es wert gewesen wäre. Zur Schule, klar, die musste man ja »besuchen«. Blöder Ausdruck.

Als wäre man zu Gast oder freiwillig dort. »Ohne Abi kannst du dich heutzutage gleich bei der Müllabfuhr anmelden.« Majas Vater war energisch hinterher, dass seine Tochter ihr »intellektuelles Potenzial« nicht verschwendete.

Also besuchte sie die Schule, lieferte ab, was ihr nicht besonders schwerfiel, und flog ansonsten unterm Radar. Schon immer.

»Das ist Maja. Die redet mit keinem. Lass sie in Ruhe!« Diesen Status hatte sie sich hart erarbeitet. Hinter dem Vorhang ihrer dunklen Haare kritzelte sie Zeichnungen in ihr Heft, illustrierte das vermittelte Wissen oder porträtierte die Menschen, mit denen sie das Klassenzimmer teilen musste, und die sich hauptsächlich duckfacig selbst fotografierten oder ihren Penissen folgten. Je nach Geschlecht. Selbst die Lehrer ließen sie in Ruhe und würden sie höchstens drannehmen, wenn sie sich gemeldet hätte. Kam aber nicht vor.

Drieke war auch anders. Bis vor Kurzem, genauer 41 Tagen, ging sie als Tagesschülerin in ein katholisches Mädcheninternat, und Maja wartete nachmittags ungeduldig, bis auch sie endlich aus der Lehranstalt kam. Dann chillten sie im Park, analysierten Filmplakate und suchten Schätze am Straßenrand. Oder sie verbarrikadierten sich in ihrem Zimmer und pressten Blumen, zeichneten, lasen sich Bücher vor und himmelten Schauspielerinnen an, die außer ihnen kaum jemand kannte. Drieke war nicht so ruhig wie Maja. In ihrem Körper lebten eine Million Ameisen, die keine Sekunde einfach nur rumsaßen. Sie waren immer in Bewegung. Und Drieke deswegen auch. Also las Maja vor und Drieke machte Kopfstand oder lief rückwärts oder sortierte alles nach Farben. Wenn sie zeichnete, dann Muster, nicht wie Maja comichaft verzerrte Menschenvisagen, faltete das Papier so lange, bis es nur noch ein kleines, kompaktes Paket war, oder stoppte die Zeit, wie lange es dauerte, bis es gänzlich verbrannte. Drieke ließ nicht viel übrig, bewahrte selten etwas auf, während Maja ihre Zeichnungen ordentlich in einem Ordner für die Nachwelt abheftete.

»Welche Nachwelt?« Drieke versuchte, den großen und den zweiten Zeh miteinander zu verknoten. »Nach uns kommt nichts mehr! Oder zumindest nichts so Gutes.« Maja liebte Driekes Kurzreferate über weltliche, politische oder göttliche Themen. In ihrem Kopf war wenig Platz dafür. Sie hatte ihn sozusagen leer geräumt und das sollte er auch bleiben. Wenn ihre Mutter mal wieder »diese Tage« hatte, dachte sie nicht darüber nach, sondern packte ihren Rucksack und übernachtete nebenan bei Drieke.

»Maja, das geht nicht. Jemand muss hierbleiben und sich um sie kümmern.« Ihr Vater hatte dafür selten Zeit. Sein individuelles Nobelhotel stand in den Reiseführern, sein Gesicht für Qualität und den immer gleichen gehobenen Standard. Präsenz war gefragt. Maja kümmerte sich manchmal und ein anderes Mal ging sie zu Drieke. Sie schliefen in dem großen Bett, das von einem schlichten Kreuz behütet wurde, Maja kuschelte sich Löffelchen an die Freundin und in ihrem leeren Kopf breitete sich ein watteweiches Gefühl aus, zog geräuschlos durch ihren Körper. Sie schlief ohne Traum und unbehelligt.

Jetzt war Drieke weg. So weit, dass man nicht einfach bei ihr übernachten konnte, so weit, dass man in einen Zug hätte steigen müssen, am anderen Ende von Deutschland, am Ende der Welt. Die ganze Familie war in einen Umzugstransporter geklettert und Driekes Hand, die aus dem Beifahrerfenster winkte, war mit ihm um die Kurve verschwunden.

»Du bist sechzehn, du musst nicht mit, du kannst sie anzeigen, du hast auch Rechte, du musst nicht mit.« So viel hatte Maja selten gesprochen, aber es war nicht von Bedeutung, ob viel oder wenig, laut oder leise, langsam oder schnell.

»Das ist meine Familie, Maja.« Drieke hatte ganz still dagesessen, still wie nie, hatte sich längst ergeben, ihr Widerspruch war vor Majas im Raum verpufft. Saß da wie ein Bild ohne Konturen, ihre Haare hatten die gleiche Farbe wie ihre Haut. Dann sprang sie auf, kramte in ihrem Schreibtisch, der schon merkwürdig leer geräumt aussah, und holte einen Block und einen Stift hervor. »Wir schreiben uns. Briefe, so wie früher, weißt du, wie Julia Lambert in Landhaus am See. Oh, Julia Lambert, ich liebe Julia Lambert. Nur stecken wir sie natürlich nicht in Flaschen. Briefumschlag, Briefmarke, Adresse rechts, Absender links, ja, Maja, das machen wir, ja?«

Nachdem der Umzugstransporter verschwunden war, blieb Maja mitten auf der Straße stehen. Die Leere, die Drieke hinterlassen hatte, war unerträglich und füllte wiederum die Leere in ihrem Kopf, die daraufhin keine Leere mehr war. Es dröhnte, als würden tausend Presslufthammer ihr Gehirn in kleine Splitter zerfetzen. Nein, das würde sie Driekes Eltern nie verzeihen und ihrem elenden Gott schon dreimal nicht.

»Darling, du stehst mitten on the street. Das ist very gefährlich, und dann noch without Helm!« Maja starrte die alte Frau Schuy an. Ihre Vorfahren stammten aus Amerika, weswegen sie sich den Akzent zugelegt hatte. Sie selbst lebte seit mindestens 300 Jahren in dieser Straße und kümmerte sich um alles. Maja hasste Menschen. Und seit Drieke einfach so um die Kurve gefahren und nicht mehr zurückgekommen war, umso mehr.

Ihre Mutter hätte rauskommen können, statt der alten Frau Schuy, sie mit ins Haus nehmen, wo Hühnersuppe auf dem Herd stand, die bekanntlich alle Krankheiten besiegte, hätte eine Runde mit Maja heulen können und den Fenchel aus der Suppe fischen, den Maja nicht leiden konnte, der aber nun mal dazugehörte. Aber erstens heulte Maja nicht, nie, und zweitens lag ihre Mutter im abgedunkelten Schlafzimmer, einen kalten Lappen auf den Augen und stöhnte vor sich hin.

Wie immer, wenn sie sich eigentlich kümmern musste, forderte sie die Zuwendung für sich. Maja brachte ihr lauwarmen Tee.

Liebe Drieke (oder Friederike, zur Strafe),

liebe Friederike (hm, kenn ich nicht), liebe Drieke,

die Schuy hat mich von der Straße gekehrt. Sie erinnert mich an die Leute aus der Bibel, von denen du erzählt hast, keinen Schimmer mehr, wie die hießen, aber sie sind über 800 Jahre alt geworden damals. Grauenhafte Vorstellung. Ich glaube, du bist noch nicht mal am Zielort (nein, ich werde mir den Namen nicht merken) und mir kommt es vor, als wärst du schon ewig weg. Auf jeden Fall zu lange. Ich wusste immer, was ich machen könnte, als ich wusste, dass du nebenan bist und gerade vielleicht Eierschalen zu Staub zermahlst oder aus Wollfäden lange Schlangen flichst, die zu absolut nichts zu gebrauchen sind. Jetzt habe ich keine Ahnung.

Mein Zimmer ist schwarz (wollte ich ja schon lange machen, bild dir bloß nichts ein) und ich öffne kein Fenster, obwohl die Farbe bis zur Hölle stinkt. Morgen ist Sonntag. Ich hatte überlegt, in deine Kirche zu gehen und den Mann am Kreuz zu beschimpfen. Wenn ich nicht im Schwarzfarbendelirium liege, wie Julia Lambert mit ihrem zerbrochenen Herz. Ja, ich weiß, du liebst Julia Lambert. Aber ich gehe doch nicht. Ich boykottiere Draußen.

Das gehört erstens uns zusammen und zweitens möchte ich nie wieder die Schuy treffen. Das auf der Zeichnung ist sie übrigens. Sie hatte nämlich eine Gartenschere in der Hand. Schuy Scissorhand. Du fehlst mir …

Maja versuchte, den Brief zu einem kleinen Paket zu falten. Aber sie war lange nicht so gut darin wie Drieke und es hätte auch nicht in den Umschlag gepasst.

»Maja? Bist du da?« Leise schwebte die Stimme ihrer Mutter unter der Türritze durch. »Maja?«

Sie lag im Bett. Ganz gerade, wie eine Leiche, nur die eine Hand auf der Stirn.

»Mama?«

»Ist Friederike weg?«

»Ja.«

Die Mutter seufzte und öffnete langsam die Augen, wandte sich Maja zu, die so im Türrahmen stand, wie man es tut, wenn man gleich wieder gehen will. »Geht es dir gut?«

»Nein.«

»Machst du mir ein kaltes Tuch? Mein Kopf …!«

Maja...

Erscheint lt. Verlag 27.1.2023
Reihe/Serie Almost True Crime
Almost True Crime
Mitarbeit Designer: Suse Kopp
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Drama • echte Fälle • Graffiti • Hass • Hip-Hop • Jugendbuch • Jugendliche Straftäter • Krimi • Kriminalfall • Lesbische Liebe • LGBTQ • Liebe • Mobbing • Mord • Schüchtern • Spannung • Sprayer • Straftat • Thriller • Tod • True Crime • Unerwiderte Liebe • Wahre Verbrechen
ISBN-10 3-522-62200-6 / 3522622006
ISBN-13 978-3-522-62200-4 / 9783522622004
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