Sonne, Moon und Sterne (eBook)

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2019 | 1. Auflage
240 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0217-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sonne, Moon und Sterne -  Lara Schützsack
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»Sensationell gut geschrieben.« Spiegel Online über Lara Schützsacks Debüt »Und auch so bitterkalt« Warum die elfjährige Gustav Gustav genannt wird, weiß niemand so genau, es ist für diese Geschichte aber auch nicht so wichtig. Der Sommer steht vor der Tür, und Gustavs Eltern haben den Familienurlaub in Dänemark abgesagt. Sie haben nämlich Midlife Crisis (das ist Pubertät für Eltern) und brauchen Abstand. Zu allem Überfluss bekommt Gustav Busen, und wie bitteschön soll man mit zwei Erbsen auf der Brust ins Freibad gehen, als wäre alles wie immer? Gustav spürt, dass dieser Sommer das Ende von vielem Vertrauten ist - und der Anfang von allem! Zart, poetisch und liebevoll schreibt Lara Schützsack von den winzigen Verschiebungen, die das Erwachsenwerden mit sich bringen, und die manchmal, vollkommen unbemerkt, ein kleines Erdbeben auslösen können.

Lara Schützsack, geboren 1981 in Hamburg, studierte Germanistik, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften sowie Amerikanische Literatur und Kultur an der Universität Potsdam. Es folgte ein Drehbuchstudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Lara Schützsack lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.  Literaturpreise für ?Und auch so bitterkalt? - Ulla-Hahn-Autorenpreis 2014 - Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2014 Literaturpreise für ?Sonne, Moon und Sterne? - Paul Maar-Preis für junge Talente - Korbinian 2019

Lara Schützsack, geboren 1981 in Hamburg, studierte Germanistik, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften sowie Amerikanische Literatur und Kultur an der Universität Potsdam. Es folgte ein Drehbuchstudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Lara Schützsack lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.  Literaturpreise für ›Und auch so bitterkalt‹ - Ulla-Hahn-Autorenpreis 2014 - Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2014 Literaturpreise für ›Sonne, Moon und Sterne‹ - Paul Maar-Preis für junge Talente – Korbinian 2019 Regina Kehn studierte Illustration an der Hochschule für Gestaltung in Hamburg. Seit 1990 arbeitet sie als freie Illustratorin für Zeitschriften und Kinder- und Jugendbuchverlage. Für ihre Illustrationen wurde Regina Kehn 1993 und 2014 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und erhielt 1996 die Bronzemedaille in der Sparte Illustration vom Art Directors Club. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in Hamburg. Literaturpreise: ›Das literarische Kaleidoskop‹: Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2014 (Kritikerjury)

2


Am Abend besteht Iris darauf, dass alle zusammen essen. Gustav wundert sich, Iris ist eigentlich keine von diesen Müttern, die Wert darauf legen, dass zusammen gegessen wird. Im Gegenteil, Iris liebt es, abends mit einem hastig geschmierten Butterbrot auf dem Sofa zu sitzen und auf ihr iPad zu starren. Es gibt ja Erik, der sich letztes Jahr zu Weihnachten einen Handstaubsauger gekauft hat. Und obwohl Iris findet, dass ein Handstaubsauger furchtbar spießig ist, scheint es sie nicht zu stören, wenn Erik damit ihre Spuren beseitigt. Iris krümelt abends also leidenschaftlich gerne auf dem Sofa herum, und auf die Frage, ob es etwas zum Abendessen gibt, antwortet sie mit einem Blick, der darauf hindeutet, dass jeder, der ein richtiges Abendessen möchte, nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Manchmal spart sie selbst diesen Blick und deutet stumm auf die Küchenzeile oder auf Erik, der dann umgehend Pfannkuchen macht. Erik ist ein phantastischer Koch. Der beste Koch, den Gustav sich vorstellen kann. Etwas, das man von Iris nicht behaupten kann. Iris’ Pfannkuchen werden selbst von Sand verschmäht. Und es ist bekannt, dass Hunde Allesfresser sind.

Für das regelmäßige Essen ist in Gustavs Familie also Erik zuständig. Nicht so heute.

Heute gibt es von Iris persönlich aufgewärmte Tiefkühlerbsen mit Kohlrabi.

Na danke, Iris, denkt Gustav und versucht, Sara zu ignorieren, die die Erbsen einzeln auf ihre Gabel aufspießt und vor sich hin prustet.

»Erinnert mich an irgendwas«, kichert sie.

Ramona stimmt in ihr Lachen ein.

Gustav spürt, wie ihr Röte ins Gesicht steigt. Iris guckt fragend von einem zum anderen.

»Kann ich mitlachen?«, fragt sie.

Erik starrt auf seinen Teller.

Als alle außer Erik aufgegessen haben, setzt Iris ein wichtiges Gesicht auf.

»Bitte bleibt noch einen Moment sitzen.«

In der Küche macht sich eine beklemmende Stimmung breit wie ein Tiefdruckgebiet. Erik starrt auf seinen Teller. Ramona und Sara winden sich unter der Stille. Stille ist etwas, das sie einfach nicht ertragen können. Wenn sie nicht am Musiktropf hängen, wird ihr Leben von einem Dauergemaule untermalt, einem beständigen Jammern und Meckern, nur unterbrochen von blitzartigen Kommentaren über diesen oder jenen Jungen, die entweder begeistert oder ganz und gar vernichtend sind. Das hängt, soweit Gustav das beurteilen kann, weniger von dem betreffenden Jungen ab als vom Wetter oder ihren Tagen, die Ramona und Sara als Erklärung für alles dienen.

»Gibt’s noch was, oder warum können wir nicht aufstehen?«, fragt Sara.

»Ja! Es gibt etwas! Erik und ich wollen euch etwas sagen.«

Iris stößt Erik an, der jetzt hochguckt und so aussieht, als ob er gleich zu weinen anfängt. Offensichtlich erwartet Iris von ihm Unterstützung, aber es kommt keine. Erik bleibt stumm. Sara taxiert Iris von oben bis unten.

»Mann, ihr seid ekelig, ein Baby oder was? Dafür seid ihr doch viel zu alt.« Sara verzieht angewidert das Gesicht.

Iris übergeht diesen Kommentar und wartet einen Moment. Dann tippt sie erneut Erik an, so als gäbe es eine Absprache, dass nun er derjenige ist, der sich zu äußern hat. Doch Erik sagt weiterhin gar nichts. Iris seufzt. Sie strafft ihre Schultern.

»Erik und ich, wir brauchen Abstand«, sagt sie.

»Häh?«

»Wie?«

Selbst bei Ramona kommt nun ein gewisses Interesse auf.

»Erik und ich müssen mal ein bisschen Raum zwischen uns bringen. Wir funktionieren als Paar nicht mehr so gut.« Iris versetzt Erik einen gezielten Hieb in die Seite, woraufhin Erik – als hätte der Hieb es aus ihm herausbefördert – ausspuckt: »So ist es.«

»Ihr trennt euch?«

»Dürft ihr das?«

»Dürfen wir was?«

»Einfach so ohne unsere Zustimmung auseinanderziehen, solange wir minderjährig sind.«

Gustav sagt gar nichts.

»Mal ganz langsam. Niemand hat hier von Trennung oder Ausziehen gesprochen. Erst mal brauchen wir einfach ein bisschen Zeit ohneeinander.« Iris sagt das so, als ginge es um die Entscheidung, wann sie heute Abend zum Minigolf aufbrechen. »Unser Dänemark-Urlaub fällt dieses Jahr deswegen leider aus. Logisch, da wären wir ja alle zusammen auf engstem Raum, und das ist genau das, was Erik und ich gerade nicht gut ertragen können.«

Der Dänemark-Urlaub! Das ist so, als würde Iris verkünden, dass Weihnachten ausfällt. Gustav kann sich an kein einziges Jahr erinnern, in dem sie nicht nach Dänemark gefahren sind. Der Campingplatz direkt am Meer, der Geruch der Strandrosen, einschlafen zum Gesang des Meeres, die scharfen Lakritze, von denen Sara, Ramona und Gustav nicht genug bekommen können, Scrabble am Abend vor dem Camper, Iris und Erik, die nach einem Bier kichernd Geschichten von früher erzählen. Dänemark und Sommer, das gehört schon immer zusammen … Das eine ist ohne das andere für Gustav einfach nicht denkbar.

Gustav schaut von Iris zu Erik und wieder von Erik zu Iris. Nicht ausgeschlossen, dass sie Witze machen. Als Omni und Analog haben sie oft Witze gemacht, über die nur sie selbst sich amüsiert haben. Darin haben Eltern ja eine gewisse Begabung. In Witzen, die nur sie witzig finden. Aber heute gibt es zwischen Iris und Erik keinen Witz. Keinen Austausch von Blicken, aus dem ein leises Glucksen entspringt. Keine Pointe. Nichts. Zwischen Iris und Erik gibt es gar nichts. Nur Unzufriedenheit, die wie ein unsichtbarer Eisklotz zwischen ihnen am Tisch sitzt.

Ramona ist die Erste, die sich wieder zu Wort meldet.

»War eh ein bisschen peinlich, dass wir die Einzigen sind, deren Eltern nicht getrennt sind.«

»Bekommen wir denn dann irgendwas als Entschädigung?«, fragt Sara.

Iris guckt verständnislos.

»Na, Ferientaschengeld oder so. Ihr spart doch dann voll viel Geld, wenn ihr keinen Urlaub für uns bezahlt.«

»Spinnt ihr eigentlich? Ich weiß nicht, wie ihr euch das vorstellt. Den Camper konnten wir nicht stornieren. Das ist blöd, aber so ist es eben. Denkt jetzt nicht, dass wir wegen dem abgesagten Urlaub im Geld schwimmen. Wie ihr wisst, hat euer Vater im letzten Jahr kaum etwas verdient.«

»Im letzten halben Jahr«, sagt Erik und fängt sich einen fragenden Blick von Iris ein. »Im letzten halben Jahr habe ich nicht so gut verdient.«

Iris winkt ab. Wie dem auch sei.

Als Gustav an Iris vorbei aus der Küche geht, zieht die sie an sich und drückt Gustavs Kopf an ihren weichen Bauch. Das tut Iris sonst nie. Gustav weiß nicht, was sie machen soll, und deswegen bleibt sie einfach stehen. So ähnlich, wie man am Flughafen in der Sicherheitskontrolle stehen bleibt. Möglichst unauffällig, aber aufmerksam.

Iris fährt mit der Hand durch Gustavs kurzes Haar. Gustav merkt, dass Iris’ Hand zittert und ganz nassgeschwitzt ist. Iris redet, während sie Gustavs linkes Ohr an ihren Bauch drückt und mit der anderen Hand Gustavs rechtes Ohr zudrückt. Leider hört Gustav nur die Hälfte von dem, was sie sagt. Es hat etwas zu tun mit traurig sein und sprechen und Familie bleiben.

Gustav überlegt noch, ob sie Iris darauf hinweisen soll, dass sie nichts verstehen kann, wenn Iris ihre beiden Ohren zudrückt. Aber sie hat das Gefühl, dass es nicht so sehr darum geht, was Iris sagt. Mehr um Iris’ Stimme, die vertraut klingt und nah, aber auch nicht zu nah. Ein bisschen so, als würde man an einem Sommertag ganz oben unter dem Dach liegen und dem Regen lauschen.

Iris nimmt jetzt die Hand von Gustavs Ohr und dreht Gustav so hin, dass sie ihr direkt in die Augen schaut.

»Versprichst du mir das?«

Gustav hat keine Ahnung, was sie versprechen soll. Sicher irgendwas mit traurig, sprechen und Familie bleiben. Gustav nickt. Iris umarmt Gustav noch einmal fest. Dann drückt sie ihr einen nassen, knallenden Kuss direkt neben das Ohr und schiebt sie aus der Tür.

 

»Glaubst du, die meinen das ernst?«

Im Vorbeigehen hört Gustav Saras Stimme aus Ramonas Zimmer. Gustav bleibt kurz vor der Zimmertür stehen.

»Quatsch. Das ist die Midlife-Crisis. Ganz normal in dem Alter. Ist so ’ne Art vorübergehende Krankheit für die Köpfe von Eltern. Nicht mehr als ein geistiger Schnupfen. Geht vorbei.«

Ramona ist Expertin für alles. Midlife-Crisis also. Iris und Erik krank. Vielleicht erklärt das ihre ständigen Streitereien. Ein bisschen beruhigt geht Gustav in ihr Zimmer. Iris und Erik haben ihr zu Weihnachten einen iPod geschenkt. Gustav wollte unbedingt ein iPhone haben – so wie die meisten Mädchen in ihrer Klasse, aber Erik fand das zu früh. Erik und Iris haben sich dann auf einen iPod geeinigt, mit dem Gustav von zu Hause aus immerhin Nachrichten verschicken und ins Internet gehen kann.

Das macht sie jetzt auch. Sie geht ins Internet und gibt »Midlife-Crisis« in die Suchmaschine ein. Das Internet spuckt bereitwillig eine Antwort aus.

Midlife-Crisis (engl. für »Lebensmittekrise«) nennt man einen psychischen Zustand von Unsicherheit. Er tritt in der Regel zwischen 40 und 50 Jahren auf. Die Betroffenen berichten von innerer Unruhe, Unzufriedenheit und Stimmungsschwankungen.

»Pubertät für Eltern«, seufzt Gustav. Auch das noch. Als ob Sara und Ramona nicht schon genug Unruhe, Unzufriedenheit und Stimmungsschwankungen in diese Wohnung bringen. Nun auch noch Erik und Iris. Es ist nicht so, dass Gustav dachte, dass bei Iris und Erik alles gut ist. Seit Wochen schon hört sie Iris und Erik abends streiten. Seitdem Maren, Iris’ beste Freundin, die auf Mallorca lebt, sehr krank gewesen ist, redet Iris nämlich ständig davon, dass man...

Erscheint lt. Verlag 27.2.2019
Illustrationen Regina Kehn
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte Berlin • Coming of Age • Dänemark • Eltern • Erste Liebe • Erwachsenwerden • Erwachsenwerden: Familie • Familie • Familienurlaub • Freibad • Geschwister • Gustav • Haustier • Hund • letzter Schultag • Midlife Cirises • Midlife Crisis • Moon • Pubertät • Schützsack • Sommer • Sommerferien • Sonne • Sterne • Trennung
ISBN-10 3-7336-0217-X / 373360217X
ISBN-13 978-3-7336-0217-8 / 9783733602178
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