Nikomachische Ethik (eBook)

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2021
Anaconda Verlag
978-3-641-27902-8 (ISBN)

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Nikomachische Ethik -  Aristoteles
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Jedes Handeln und Denken strebt nach dem Guten - das ist die Grundvoraussetzung für die »Nikomachische Ethik« des Aristoteles. Das ethische Vermögen des sozialen Menschen liegt für ihn im Vermeiden jedes Übermaßes, in jener »Mitte«, die allein Tugend und Glück hervorbringt. Dabei zielt er nicht auf einen starren Moralkodex mit konkreten Handlungsanweisungen, sondern auf das Erreichen des höchsten Gutes im Sinne eines möglichst tugendhaften und somit glücklichen Lebens im menschlichen Miteinander. Die Klarheit und Kraft seiner Gedanken sind bis heute ungebrochen.

ERSTES BUCH


ERSTES KAPITEL


1094a

Jede Kunst und jede Lehre, desgleichen jede Handlung und jeder Entschluß1, scheint ein Gut zu erstreben2, weshalb man das Gute treffend als dasjenige bezeichnet3 hat, wonach alles strebt. Doch zeigt sich ein Unterschied der Ziele. Die einen sind Tätigkeiten, die anderen noch gewisse Werke oder Dinge außer ihnen. Wo bestimmte Ziele außer den Handlungen bestehen, da sind die Dinge ihrer Natur nach besser als die Tätigkeiten4.

Da es viele Handlungen, Künste und Wissenschaften gibt, ergeben sich auch viele Ziele. Das Ziel der Heilkunst ist die Gesundheit, das der Schiffsbaukunst das Schiff, das der Strategik der Sieg, das der Wirtschaftskunst der Reichtum. Wo solche Verrichtungen unter einem Vermögen stehen, wie z. B. die Sattlerkunst und die sonstigen mit der Herstellung des Pferdezeuges beschäftigten Gewerbe unter der Reitkunst, und diese wieder nebst aller auf das Kriegs wesen gerichteten Tätigkeit unter der Strategik, und ebenso andere unter anderen, da sind jedesmal die Ziele der architektonischen, d. h. der leitenden Verrichtungen vorzüglicher als die Ziele der untergeordneten, da letztere nur um der ersteren willen verfolgt werden. Und hier macht es keinen Unterschied, ob die Tätigkeiten selbst das Ziel der Handlungen bilden oder außer ihnen noch etwas anderes, wie es bei den genannten Künsten der Fall ist5.

Wenn es nun ein Ziel des Handelns gibt, das wir seiner selbst wegen wollen, und das andere nur um seinetwillen, und wenn wir nicht alles wegen eines anderen uns zum Zweck setzen – denn da ginge die Sache ins unendliche fort, und das menschliche Begehren wäre leer und eitel –, so muß ein solches Ziel offenbar das Gute und das Beste sein. Sollte seine Erkenntnis nicht auch für das Leben eine große Bedeutung haben und uns helfen, gleich den Schützen, die ein festes Ziel haben, das Rechte besser zu treffen? So gilt es denn, es wenigstens im Umriß darzustellen, und zu ermitteln, was es ist und zu welcher Wissenschaft oder zu welchem Vermögen6 es gehört.

1094b

Allem Anschein nach gehört es der maßgebendsten und im höchsten Sinne leitenden Wissenschaft an, und das ist offenbar die Staatskunst. Sie bestimmt, welche Wissenschaften oder Künste und Gewerbe in den Staaten vorhanden sein, und welche und wie weit sie von den einzelnen erlernt werden sollen. Auch sehen wir, daß die geschätztesten Vermögen: die Strategik, die Ökonomik, die Rhetorik, ihr untergeordnet sind. Da sie also die übrigen praktischen Wissen schaften in den Dienst ihrer Zwecke nimmt, auch autoritativ vorschreibt, was man zu tun und was man zu lassen hat, so dürfte ihr Ziel die Ziele der anderen als das höhere umfassen, und dieses ihr Ziel wäre demnach das höchste menschliche Gut. Denn wenn dasselbe auch für den einzelnen und für das Gemeinwesen das nämliche ist, so muß es doch größer und vollkommener sein, das Wohl des Gemein wesens zu begründen und zu erhalten. Man darf freilich schon sehr zufrieden sein, wenn man auch nur einem Menschen zum wahren Wohl verhilft, aber schöner und göttlicher ist es doch, wenn dies bei einem Volk oder einem Staat geschieht. Darauf also zielt die gegenwärtige Disziplin ab7, die ein Teil der Staatslehre ist.

Was die Darlegung betrifft, so muß man zufrieden sein, wenn sie denjenigen Grad von Bestimmtheit erreicht, den der gegebene Stoff zuläßt. Die Genauigkeit darf man nicht bei allen Untersuchun gen in gleichem Maß anstreben, so wenig als man das bei den verschiedenen Erzeugnissen der Künste und Handwerke tut8. Das sittlich Gute und das Gerechte, das die Staatswissenschaft untersucht, zeigt solche Gegensätze und solche Unbeständigkeit, daß es scheinen könnte, als ob es nur auf dem Gesetz, nicht auf der Natur beruhte9. Und eine ähnliche Unbeständigkeit haftet auch den verschiedenen Gütern und Vorzügen an, indem viele durch sie zu Schaden kommen. Schon mancher ist wegen seines Reichtums und mancher wegen seines Mutes zugrunde gegangen. So muß man sich denn, wo die Darstellung es mit einem solchen Gegenstand zu tun hat und von solchen Voraussetzungen ausgeht, damit zufrieden geben, die Wahrheit in gröberen Umrissen zu beschreiben. Und ebenso muß man wo nur das häufiger Vorkommende behandelt und vorausgesetzt werden kann, auch nur solches folgern wollen. Ganz ebenso hat aber auch der Hörer die einzelnen Sätze aufzunehmen. Darin zeigt sich der Kenner, daß man in den einzelnen Gebieten je den Grad von Genauigkeit verlangt, den die Natur der Sache zuläßt, und es wäre geradeso verfehlt, wenn man von einem Mathematiker Wahrscheinlichkeitsgründe annehmen, als wenn man von einem Redner in einer Ratsversammlung strenge Beweise fordern wollte.

1095a

Jeder beurteilt nur dasjenige richtig, was er kennt, und ist darin ein guter Richter; deshalb wird für ein bestimmtes Fach der darin Unterrichtete und schlechthin der in allem Unterrichtete gut urteilen können. Darum ist ein Jüngling kein geeigneter Hörer der Staatswissenschaft. Es fehlt ihm die Erfahrung im praktischen Leben, dem Gegenstand und der Voraussetzung aller politischen Unterweisung. Auch wird er, wenn er den Leidenschaften nach geht, diesen Unterricht vergeblich und nutzlos hören, da dessen Zweck nicht das Wissen, sondern das Handeln ist. Es macht hier auch keinen Unter schied, ob einer an Alter oder an Charakter der Reife ermangelt. Denn der Mangel hängt nicht von der Zeit ab, sondern kommt daher, daß man der Leidenschaft lebt und nach ihr seine Ziele wählt. Für solche Leute bleibt das Wissen ebenso nutzlos, wie für den Unenthaltsamen, der das Gute will und es doch nicht tut. Wohl aber dürfte für diejenigen, die ihr Begehren und Handeln vernunftgemäß einrichten, diese Wissenschaft von großem Nutzen sein.

So viel stehe als Einleitung über den Hörer, über die Art, wie wir verstanden sein wollen, und über den Gegenstand, den wir zu behandeln haben.

ZWEITES KAPITEL


Nehmen wir jetzt wieder unser Thema auf und geben wir, da alles Wissen und Wollen nach einem Gut zielt10, an, welches man als das Zielgut der Staatskunst bezeichnen muß, und welches im Gebiet des Handelns das höchste Gut ist. Im Namen stimmen hier wohl die meisten überein: Glückseligkeit11 nennen es die Menge und die feineren Köpfe, und dabei gilt ihnen gut leben und sich gut gehaben12 mit glückselig sein als eins. Was aber die Glückseligkeit sein soll, darüber entzweit man sich, und die Menge erklärt sie ganz anders als die Weisen. Die einen erklären sie für etwas Greifbares und Sicht bares wie Lust, Reichtum und Ehre, andere für etwas anderes, mit unter auch dieselben Leute bald für dies bald für das: der Kranke für Gesundheit, der Notleidende für Reichtum, und wer seine Unwissenheit fühlt, bewundert solche, die große, seine Fassungskraft über steigende Dinge vortragen. Einige dagegen meinten, daß neben den vielen sichtbaren Gütern ein Gut an sich bestehe, das auch für alle diesseitigen Güter die Ursache ihrer Güte sei.

1095b

Alle diese Meinungen zu prüfen dürfte der Mühe nicht verlohnen; es wird genügen, wenn wir uns auf die gangbarsten und diejenigen, die einigermaßen begründet erscheinen, beschränken. Wir müssen hierbei vor Augen halten, daß ein großer Unterschied ist zwischen den Erörterungen, die von den Prinzipien ausgehen, und denen, die zu ihnen aufsteigen. Das war ja die Frage, welche auch Plato13 mit Recht aufwarf und untersuchte, ob der Weg von den Prinzipien aus-oder zu ihnen hingehe, ähnlich wie man in der Rennbahn von den Preisrichtern nach dem Ziel läuft oder umgekehrt. Man muß also ohne Zweifel mit dem Bekannten anfangen; dieses ist aber zweifach: es gibt ein Bekanntes für uns und ein Bekanntes schlechthin. Wir nun werden wohl mit dem für uns Bekannten anfangen müssen. Deshalb muß man eine gute Charakterbildung bereits mitbringen, um die Vorträge über das sittlich Gute und das Gerechte, überhaupt über die das staatliche Leben betreffenden Dinge, in ersprießlicher Weise zu hören. Denn wir gehen hier von dem »Daß« aus, und ist dieses hinreichend erklärt, so bedarf es keines »Darum« mehr. Wer nun so geartet ist, der kennt entweder die Prinzipien schon oder kann sie doch leicht erlernen14. Bei wem aber weder das eine noch das andere gilt, der höre, was Hesiod15 sagt:

Der ist von allen der Beste, der selber jegliches findet.

Aber auch jener ist tüchtig, der guter Lehre Gehör gibt.

Wer aber selbst nichts erkennt, noch fremden Zuspruch bedächtig

Bei sich erwägt, der ist wohl unnütz unter den Menschen.

DRITTES KAPITEL


Wir aber wollen den Punkt erörtern, von dem wir abgeschweift sind.

Nimmt man die verschiedenen Lebensweisen in Betracht, so scheint es einmal nicht grundlos, wenn die Menge, die rohen Naturen, das höchste Gut und das wahre Glück in die Lust setzen und darum auch dem Genußleben fröhnen. Drei Lebensweisen sind es nämlich besonders, die vor den anderen hervortreten: das Leben, das wir eben genannt haben, dann das politische Leben und endlich das Leben der philosophischen Betrachtung. Die Menge nun zeigt sich ganz knechtisch gesinnt, indem sie dem Leben des Viehs den Vorzug gibt, und doch kann sie zu einiger Rechtfertigung anführen, daß viele von den Hochmögenden die...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2021
Reihe/Serie Cabra-Leder-Reihe
Cabra-Leder-Reihe
Übersetzer Eugen Rolfes
Sprache deutsch
Original-Titel Nikomachische Ethik
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie Altertum / Antike
Schlagworte Antike • Antike Philosophie • antiker griechischer Philosoph • classics • dark academia • eBooks • Ethik • Gerechtigkeit • glückliches Leben • Glückseligkeit • Goldene Mitte • Griechische Philosophie • Klassiker der Antike • mesotes-lehre • Moral • Moralphilosophie • Philosophie • Praktische Philosophie • Seel • Tugend
ISBN-10 3-641-27902-X / 364127902X
ISBN-13 978-3-641-27902-8 / 9783641279028
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