Chopins Klaviermusik (eBook)

Ein musikalischer Werkführer

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76524-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Chopins Klaviermusik - Thomas Kabisch
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Die Klavierwerke bildeten das Zentrum der Kompositionstätigkeit Frédéric Chopins (1810 - 1849). Walzer, Nocturnes, Mazurken, Polonaisen, Etüden und noch vieles mehr aus seiner Hand gehören zum überzeitlichen Erbe aller Klaviermusik. Dieser Band bietet eine konzise Einführung in die Klavierkompositionen Chopins, mit denen er sein Publikum in den Salons in Paris ebenso begeisterte wie in den Konzertsälen Europas. Er bietet einen Überblick über Chopins schöpferische Entwicklung und ordnet sein Schaffen gattungsspezifisch, kompositionstechnisch und auch geistesgeschichtlich ein. So wird die Brillanz seiner Schöpfungen transparent.

Thomas Kabisch lehrt an der Musikhochschule Trossingen. Die französische Musik des 19. und 20. Jahrhunderts sowie der Zusammenhang von Musik und Philosophie gehören zu den Schwerpunkten seiner Forschungstätigkeit.

I Grundlagen


1 Ein Pole in Paris


Die ersten zwanzig Jahre seines Lebens war Fryderyk Chopin (1810–1849) ein polnischer Komponist. Er wuchs in Warschau auf, wurde am wenige Jahre zuvor gegründeten Konservatorium ausgebildet, frequentierte bereits als junger Mann die Salons der Aristokratie, kannte durch Aufenthalte auf dem Landsitz der Eltern aber auch das polnische Landleben, einschließlich der autochthonen Tanz- und Musikpraxis. Seine Kompositionen wurzeln im tonangebenden Brillanten Stil, der in ganz Europa verbreitet war. Die beiden Klavierkonzerte, vollgültige Werke, mit denen er sich Zuhörern in Warschau, Wien und später in Paris vorstellte, zeigen, wie Chopin aus den satztechnischen Konventionen des Brillanten Stils die technischen Grundlagen eines Komponierens gewinnt, das auf figurativer Verwandlung beruht. Figuratives Komponieren wird sich in den folgenden Jahren als überaus entwicklungsfähig erweisen und als anschlussfähig für die Integration anderer Techniken, etwa kontrapunktischer Verfahren.

Mit der Ankunft in Paris im Oktober 1831 wurde Frédéric Chopin ein Pariser Komponist, der polnische Musik schreibt. Die Musik selbst, nicht nur die empirische Person des Komponisten, gilt als polnisch, wird als wesentlich polnisch wahrgenommen und verstanden. In den Salons der «Hauptstadt des 19. Jahrhunderts» treffen seine Kompositionen auf einen ideengeschichtlichen Rahmen, in dem nationale Zuordnung Grundlage ist für universale Geltung. Gerade weil seine Musik den nationalen Geist realisiert, kann sie Anspruch erheben, die Menschheit und das Menschheitsprojekt der Musik voranzubringen. Gerade weil sie als durch und durch polnisch gilt, wird seine Musik, scheinbar paradox, von Nichtpolen verstanden und begeistert begrüßt.

Das Gemeinsame, Verbindende, Allgemeine der Menschheit realisiert sich nach zeitgenössischer Überzeugung, deren Ursprünge auf Herder und andere zurückverweisen, durch charakteristische Einzelbeiträge der Nationen. Zwar entspricht die soziale Wirklichkeit dem Anspruch auf Allgemeinheit, den nationale Bewegungen nach dem Vorbild der Französischen Revolution und ihrer gesamteuropäischen Resonanz erheben, nur selten. Auch und gerade die nationale Bewegung in Polen war eine Angelegenheit gebildeter Mittelschichten und des Landadels. Doch an der Wirksamkeit des ideengeschichtlichen Mechanismus, in den Chopins Musik eintritt, ändert das nichts. Insofern nach der herrschenden Vorstellung die «Diversität» der nationalen Bewegungen die Menschheit «eint», wird Musik durch die Charakteristik des Polnischen – wie immer es sich materialisiert – erweitert und befruchtet.

Das musikalische Hören und Komponieren profitiert von der Idee des National-Universalen direkt und an einem neuralgischen Punkt seiner nach-klassischen Entwicklung. Die Komponisten der Generation 1810 – Mendelssohn, Schumann, Liszt, Chopin – strapazieren das «Charakteristische» in einer Weise, die nach dem klassischen Maßstab der diversity in unity die Dominanz des Schönen und damit die Einheit der Form und den Kunstcharakter des Werks gefährden. Die aus dem politischen Denken in die musikalische Wahrnehmung hinein wirkende Prämisse, dass nationale Besonderheit und Universalität der Menschheit konvergieren, stützt ein musikalisches Hören, das die gesteigerte Charakteristik kompositorischer Elemente nicht als Widerspruch nimmt zu den klassischen Grundlagen des Verstehens und der musikalischen Rationalität. «Romantische» Charakteristik und «klassisch» integriertes Komponieren werden über den Bezug auf ihre politische Funktion versöhnt. Nicht die Ästhetik dient der Politik oder wird für politische Zwecke in Dienst genommen, sondern eine ästhetische Problematik wird durch Rekurs auf ein Allgemeines der Politik geheilt.

Die Verbindung musikalischer Wahrnehmung mit national-universalen Ideen aus dem politischen Raum kann auf die Idee von Partikularität und Universalität, von Charakteristik und Schönem, kann auf die philosophische Theorie epischer Dichtung zurückgreifen, deren Anfänge bei Herder und Hegel entwickelt wurden. In der ideengeschichtlichen Situation im Gefolge der Pariser Julirevolution von 1830 wurde sie zugespitzt. Sainte-Beuve schreibt:

Die Mission, das Kunstwerk von heute, ist wirklich das menschliche Epos; es besteht darin, das Bewusstsein der fortschreitenden Menschheit im Drama und in der Ode, im Roman, in der Elegie, in tausend Formen zum Ausdruck zu bringen (…), es unablässig in tausend Farben zu spiegeln und auszustrahlen. (Varga-Behrer 2010, 30)

Hegel nennt als ein wesentliches Kriterium für Möglichkeit und Gelingen eines nationalen Epos, «dass sich in dem speziellen Volke und seiner Heldenschaft und Tat zugleich das Allgemeinmenschliche eindringlich ausprägt» (Hegel, Ästhetik III, 347). Herder fordert, «Anschauung und gleichsam handelnde Substanzialität» seien gleichermaßen zu realisieren. Dann könnten pittoreske Folklore und Wahrheitsgehalt in einem Kunstwerk koexistieren (Varga-Behrer 2010, 35).

Vor allem Chopins Werkreihe der Mazurken wird, wie Angelika Varga-Behrer gezeigt hat, von den Zeitgenossen in diesem Koordinatensystem aufgenommen. So fand die Idee einer Epopöe Eingang in die Musikauffassung des 19. Jahrhunderts. Franz Liszt hat sie bei Chopin beschrieben und in eigenen Arbeiten in den 1850er Jahren, den Magyar Dalok resp. in der Reihe der Ungarischen Rhapsodien auf seine Weise entwickelt.

2 Musik im Salon


Chopins Musik hat einen primären sozialen Ort. In den Salons der Aristokratie und Großbourgeoisie in Warschau und in Paris findet er Menschen, die seine Musik hören wollen. Die Strukturen der Pariser Salons bilden seit 1831 das Rückgrat seiner Publikationspolitik wie für seinen Aufstieg zum höchstbezahlten Klavierlehrer Europas. Verlagszeitschriften sorgen dafür, dass Ereignisse im Salon auch unter denen bekannt werden, die keinen Zugang haben. Exklusivität steht öffentlicher Wirkung nicht im Wege. Sie befördert sogar das Renommée des Komponisten, der selten nur im Großen Konzert zu hören ist.

Ein Salon ist als soziale Institution bestimmt durch den «Zusammenhang von konversationeller Geselligkeit, Gastfreundschaft, Liberalität, Meinungsbildung und sozialer Affektentfaltung» (Schmölders 1979, 66). Das Gespräch ist das Medium, in dem sich die sozialen Beziehungen und die Gegenstände konstituieren. Weder Sache noch Person dürfen sich vordrängen, wenn im Gespräch Sozialität emergieren soll. Es gilt, wie es bei Adalbert Stifter im Nachsommer heißt, zu sprechen, «ohne von den Gegenständen beherrscht zu werden, und ohne die Gegenstände ausschließlich beherrschen zu wollen».

In der Gesprächskultur des Salons kommt es mehr auf das Wie als auf das Was an. Es gilt, «de détourner les choses: die Dinge zu wenden; das heißt, von schwierigen Sachen einfach, (…) und von einfachen gekonnt zu reden» (Schmölders 1979, 34). Unter dem «Zwang zur Zwanglosigkeit» setzen sich sämtliche Gesprächsteilnehmer den Unvorhersehbarkeiten des Gesprächsverlaufs, der Zeit aus. Alle haben teil am gemeinsamen Projekt des Sich-Verständigens, des Sich-Austauschens. Darin erweist Salonkonversation sich als «Phänomen einer geselligen Affektivität sui generis» (Schmölders 1979, 32 und 65).

Die Mechanismen des Gesprächs im Salon unterliegen dem Wechselspiel von Konvention und Nuance. Die Affirmation der Konvention bildet die Voraussetzung, damit das «détourner les choses» funktioniert und das Gespräch nuancierend über seinen Gegenstand hinausgelangen und also eine spezifische Form von Geselligkeit entstehen kann, die sich dem Zugriff der «Individual- und Massenpsychologie» gleichermaßen entzieht (Schmölders 1979, 65). Auch musikalische Beiträge im Salon sind Teil der geselligen Gesamtsituation und deshalb der Erwartung konfrontiert, das geselligkeitsfundierende Verhältnis von Konvention und Nuance aufzunehmen. Dieses Verhältnis bestimmt den äußeren Rahmen, in dem Musik im Salon praktiziert und aufgenommen wird, und es reicht in Darbietungsweise und die Struktur des Dargebotenen selbst hinein.

Zuhörer durch abstrakt Neues schockieren und auf diese Weise Genialität demonstrieren zu wollen, verbietet sich für den Musiker im Salon. Doch der Abneigung gegen grelle Provokation und Originalitätssucht korrespondiert Aufgeschlossenheit gegenüber Ungewohntem. (Die europäische Erstaufführung der Sonatas and Interludes von John Cage fand im Pariser Salon der Mme Tézenas statt.) Unter den Bedingungen einer «konversationellen Geselligkeit» wird Musik anders...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2021
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik Klassik / Oper / Musical
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte 19. Jahrhundert • Chopin • Einführung • Etüden • Frédéric Chopin • Klavier • Klaviermusik • Klavierwerke • Komponist • Lehrbuch • Mazurken • Musik • Musikgeschichte • Nocturnes • Polonaisen • Walzer • Werkführer
ISBN-10 3-406-76524-6 / 3406765246
ISBN-13 978-3-406-76524-7 / 9783406765247
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