Im Bannkreis der Freiheit (eBook)

Religionstheorie nach Hegel und Nietzsche

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
600 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76642-2 (ISBN)

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Im Bannkreis der Freiheit -  Hans Joas
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Wie verhalten sich die Geschichte der Religion und die Geschichte der politischen Freiheit zueinander? Breit und unübersichtlich ist die Vielfalt der Auffassungen, die es dazu in der Philosophie, den Wissenschaften und der Öffentlichkeit gibt. Aber noch immer ist die grandiose Synthese, in der Hegel Christentum und politische Freiheit zusammengeführt hat, für viele von enormer Orientierungskraft - trotz oder gerade wegen der einflussreichen Provokationen Friedrich Nietzsches.

Jedoch hat sich im Religionsdenken des 20. Jahrhunderts eine andere Sichtweise entwickelt, wie Hans Joas in diesem hochgelobten Buch zeigt. Sie beruht auf einer Konzeption von Geschichte, die zukunftsoffener, und einem Begriff von Freiheit, der reicher ist als bei Hegel. Anhand von sechzehn ausgewählten Denkern arbeitet Joas dieses neue Verständnis von Religion und Freiheit heraus, das weder intellektualistisch verkürzt noch eurozentrisch verengt ist. Daraus ergibt sich ein entschiedenes Plädoyer für eine Globalgeschichte des moralischen Universalismus.



Hans Joas, geboren 1948, ist Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und lehrt als Mitglied des Committee on Social Thought an der University of Chicago. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Hans-Kilian-Preis, dem Max-Planck-Forschungspreis, dem Prix Ric?ur, dem Theologischen Preis der Salzburger Hochschulwochen und zuletzt für das wissenschaftliche Lebenswerk mit dem Preis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.

9Vorwort


Wie verhalten sich die Geschichte der Religion und die Geschichte der politischen Freiheit zueinander? Groß und unübersichtlich ist die Vielfalt der Auffassungen, die es dazu in der Philosophie, den Wissenschaften und der Öffentlichkeit gibt. Für viele ist die grandiose geschichtsphilosophische Synthese Hegels, in der eine Teleologie hin zum Christentum und in diesem zur politischen Freiheit entfaltet wird, trotz aller Revisionen bis heute von größter Orientierungskraft. Selbst für diejenigen, die Hegel im Sinne von Marx weiterdenken, gilt meist, daß sie wesentliche Bestandteile dieser Synthese beibehalten. Für andere ist Nietzsches schneidende Kritik des Christentums und seine Ablehnung der modernen politischen Freiheitsordnung, ebenfalls trotz vielfältiger Reserven, ausschlaggebend für ihr eigenes Denken.

Seit vielen Jahren bemühe ich mich um eine Alternative zu diesen Denkweisen. Neben der Beschäftigung mit dem amerikanischen Pragmatismus als der philosophischen Grundlage einer solchen Alternative und mit meinen Büchern zu einer allgemeinen Handlungstheorie, zur Entstehung der Werte, zur Geschichte der Menschenrechte und der Religion, zu Krieg und Gewalt habe ich immer auch Ausschau gehalten nach weiteren »Freunden in der Geschichte« (wie der große konfuzianische Philosoph Mencius dies nannte), das heißt Denkern der Vergangenheit und Gegenwart, deren Schriften von bleibender inspirierender Kraft sind und für die vorschwebende Alternative zu Hegel und Nietzsche wichtige Ansatzpunkte liefern.

Das vorliegende Buch hat seinen Ursprung in der Idee, die so entstandenen Porträts wichtiger religionstheoretischer Denker 10und Gelehrter des zwanzigsten Jahrhunderts und in unserer Zeit zusammenzustellen und durch weitere zu ergänzen. Sie sollten aber nicht nur aneinandergereiht werden, weil dies den Eindruck von Zufälligkeit vermitteln würde, sondern es soll deutlich werden, daß sich hier eine eigene Tradition identifizieren läßt. Zahlreich sind in der Tat nicht nur die Parallelen, die so ins Auge treten, sondern auch die Einflüsse und Querbezüge zwischen den verschiedenen denkerischen Ansätzen. In der Einleitung zum Buch und in den Einführungen zu seinen vier großen Teilen wird der zunächst vielleicht schwer erkennbare Faden, der sich durch die einzelnen Darstellungen zieht, sichtbar gemacht.

Das Resultat dieser Bemühungen ist ein Mittelding zwischen Monographie und Aufsatzsammlung. Wenn ein literarischer Vergleich nicht als unpassend erscheint, könnte man sagen, es handle sich bei diesem Buch weder um einen Roman noch um eine bloße Sammlung von Erzählungen, sondern eher um einen Zyklus von Novellen, durch den aber ein ganzheitliches Bild entstehen soll.

Dieses Vorgehen hat gewiß Vorzüge, fordert aber auch einen Preis. Zu den Vorzügen rechne ich, daß es nicht in eine fiktive Ordnung gebrachte, vorab schematisierte Argumentationen sind, mit denen ich mich auseinandersetze, sondern individuelle denkerische »Totalitäten« samt ihrer je historischen Einbettung und spezifischen Genese. Dieser »ganzheitliche« Blick scheint mir nicht zuletzt gut geeignet, die Lebendigkeit dieses Denkens in seiner jeweiligen Form und intellektuellen Konstellation zu unterstreichen. Es mag auch schlicht ein praktischer Vorteil sein, daß damit die einzelnen Kapitel auch je für sich lesbar bleiben und kein Zwang besteht, sie in genau der Reihenfolge durchzugehen, in der sie hier angeordnet sind.

Doch sind auch einige Einschränkungen, die aus diesem Vorgehen folgen, nicht zu verschweigen. Die wichtigste ist, daß sich die verstreuten Andeutungen über eine alternative Geschichtserzählung nirgends, auch nicht im Ausblick des Schlußteils, zu11sammenhängend dargestellt finden. Diese Aufgabe muß einer zukünftigen Arbeit vorbehalten werden, für die insbesondere meine Bücher zur »Macht des Heiligen« und der Entstehung des moralischen Universalismus in der sogenannten Achsenzeit sowie zur Geschichte der Menschenrechte bereits Bausteine liefern. Ein weiterer Nachteil ist, daß hier zwar Denker und Gelehrte behandelt werden, für deren Selbstverständnis es wichtig ist, weder Hegelianer noch Nietzscheaner zu sein, daß aber von einer angemessenen Darstellung Hegels und Nietzsches selbst in ihrer eigenen Komplexität nicht wirklich die Rede sein kann. Es geht mir hier nicht darum, der unübersehbaren Interpretationsliteratur zu diesen beiden Denkern einen weiteren Titel hinzuzufügen. Der Zweck, den ich hier verfolge, ist vielmehr, Alternativen zu ihnen vorzustellen.

Chance und Risiko dieses Vorgehens sind ineinander verstrickt. Manche werden es bezweifeln, daß die Beschäftigung mit vergessenen oder wenig bekannten Autoren sich lohnen könne, zumal diese hier oft aus den Disziplinen Theologie und Soziologie kommen, die in der Gegenwart eher als sinkende Schiffe wahrgenommen werden. Andere werden die Intuition teilen, daß sich in den Schriften zum Beispiel von Ernst Troeltsch und Paul Tillich, H. Richard Niebuhr und Paul Ricœur, David Martin und Robert Bellah sowie bei dem durchaus stark an Hegel anknüpfenden Charles Taylor Einsichten finden, die von einem erneuerten Hegelianismus (oder Nietzscheanismus) abweichen oder über diesen hinausgehen. Es gibt zwischen diesen Denkern auch bemerkenswerte Einflußbahnen und Zusammenhänge akademischer Karrierewege, die den Eindruck verstärken, man könne hier in der Tat von einer verdeckten Tradition sprechen. Am Beispiel Paul Tillichs läßt sich dies rasch veranschaulichen. Tillich, der sich selbst als Schüler Ernst Troeltschs bezeichnete, wurde 1928 an die Frankfurter Universität berufen und sah sich dort als geistigen Nachfolger Max Schelers. Er war stark auch von Ernst Cassirer und Rudolf Otto beeinflußt. Als er zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft aus Deutsch12land emigrierte, half ihm in den USA wesentlich H. Richard Niebuhr, der bereits vorher ein Buch Tillichs ins Englische übersetzt hatte. Tillich wurde später (in Harvard) zu einem der wichtigsten akademischen Lehrer Robert Bellahs. Auf seinem Chicagoer Lehrstuhl folgte ihm Paul Ricœur nach, der an ihn auch intellektuell anknüpfte. Ganz unzureichend wäre es, hier einfach an eine liberal-protestantische Tradition zu denken. Weder würden alle hier berücksichtigten protestantischen Denker sich mit dieser Kennzeichnung wohlfühlen, noch paßten die Ähnlichkeiten mit den nichtprotestantischen Autoren dann ins Bild. Noch viel wichtiger als der überkonfessionelle ist der disziplinübergreifende Charakter dieser intellektuellen Entwicklung. Um diesem gerecht zu werden, verwende ich den Begriff »Religionstheorie« in Analogie zum immer üblicher werdenden Begriff »Sozialtheorie«. Institutioneller Ort von Sozialtheorie und Religionstheorie ist nicht ein einzelnes Fach, auch nicht die Philosophie oder die Theologie. Gerade in den Überschneidungen der Fächer haben sich die Entwicklungen abgespielt, um die es mir in diesem Buch geht. Wenn aus dieser Intuition neue Argumentationen werden, ist sein Ziel erreicht.

Mein Dank für Anregung und Hilfe wird, sofern er sich auf einzelne Kapitel bezieht, jeweils dort geleistet. Zusätzlich möchte ich Torsten Meireis (Berlin) für die Gelegenheit danken, einige Teile des Manuskripts in seinem Oberseminar zur Diskussion stellen zu dürfen. Vor allem in der Bearbeitung der Einleitung haben mir seine Hinweise und die anderer Teilnehmer sehr genutzt. Hervorheben aber möchte ich an dieser Stelle, daß sich einige Kollegen und Freunde der Lektüre des ganzen Manuskripts unterzogen haben und deshalb besonderen Dank verdienen. Es sind dieselben drei, die mir schon 2017 bei meinem Buch Die Macht des Heiligen so großartig zur Seite standen. Wegen der schrecklichen Pandemie, die in der Schlußphase der Arbeit über uns alle hereinbrach, konnten ihre Rückmeldungen zu einer ersten Fassung mir nicht in persönlichen Treffen gegeben werden. Der Philosoph Matthias Jung (Koblenz) und der Sozio13loge Wolfgang Knöbl (Hamburg) haben mir durch ihre kritischen schriftlichen Stellungnahmen sehr weitergeholfen. Der Berliner Theologe (und frühere evangelische Bischof) Wolfgang Huber und ich wollten auf den mündlichen Austausch nicht verzichten. Unser in drei rasch aufeinander folgenden Teilen geführtes, insgesamt mehr als achtstündiges Telefonat mit seiner Mischung von inhaltlicher Auseinandersetzung und gründlicher Arbeit am Text wird mir unvergessen bleiben.

Seit 2014 wird meine Arbeit...

Erscheint lt. Verlag 14.12.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Max-Planck-Forschungspreis 2015 • Philosophie • Prix Paul Ricœur 2017 • Religionsphilosophie • Religionssoziologie • Säkularisierung • Theologischer Preis der Salzburger Hochschulwochen 2018
ISBN-10 3-518-76642-2 / 3518766422
ISBN-13 978-3-518-76642-2 / 9783518766422
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