Deutsche Kontraste 1990-2010 (eBook)

Politik - Wirtschaft - Gesellschaft - Kultur
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2010 | 1. Auflage
701 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-40985-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Deutsche Kontraste 1990-2010 -  Martin Baethge,  Stephan Bierling,  Blätte Andreas et al.
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1990 wurden zwei Staaten mit unterschiedlichen Traditionslinien vereint - die DDR und die Bundesrepublik. Massive Auswirkungen auf die politische, ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Verfasstheit Deutschlands waren die Folge. In diesem Band stellen sich 25 renommierte Expertinnen und Experten der Frage, wo Deutschland heute tatsächlich steht. Anhand von kontrastierenden Begriffspaaren, die öffentlich diskutierte Spannungslinien abbilden (etwa Zentralismus/föderale Vielfalt, Normalisierung/Sonderweg, Innovation/ Stagnation, Religiosität/Konfessionslosigkeit, Wirtschaftswachstum/ Nachhaltigkeit), wird die politische Wirklichkeit im vereinten Deutschland auf den Prüfstand gestellt. Welche Gegensätze sind heute vorhanden, welche schwächen sich ab oder lösen sich gar auf? Und wie vereint sind die Deutschen wirklich?

Manuela Glaab, Dr. phil., ist Leiterin, Michael Weigl, Dr. phil., ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Deutschland am Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) in München. Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Weidenfeld ist Inhaber des Lehrstuhls 'Politische Systeme und Europäische Einigung' des Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaft der LMU München und Direktor des C·A·P.

Manuela Glaab, Dr. phil., ist Leiterin, Michael Weigl, Dr. phil., ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Deutschland am Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) in München. Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Weidenfeld ist Inhaber des Lehrstuhls "Politische Systeme und Europäische Einigung" des Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaft der LMU München und Direktor des C·A·P.

Inhalt 6
Abkürzungen 8
Vorwort 12
Deutsche Kontraste – Konzept, Befunde, Perspektiven – Manuela Glaab/Werner Weidenfeld/Michael Weigl 14
1. Politik 42
Zentralismus versus föderale Vielfalt – Roland Sturm 44
Politische Lagerbildung versus fluider Wettbewerb – Ulrich Eith/Bernd Schlipphak 76
Politische Partizipation versus Enthaltung – Manuela Glaab 102
Normalisierung versus Sonderweg – Stephan Bierling/Christian Strobel 138
Nationalstaat versus Europäische Integration – Werner Weidenfeld 172
2. Wirtschaft 208
Gemeineigentum versus Privatisierung – Uwe Wagschal/Carina Schmitt/Herbert Obinger 210
Sozialstaat versus Marktwirtschaft – Werner Sesselmeier/Aysel Yollu-Tok 236
Umweltschutz versus Wirtschaftswachstum – Franz Kohout 264
Innovation versus Stagnation – Jürgen Turek 292
3. Gesellschaft 318
Frauen versus Männer – Susanne Pickel 320
Alte versus Junge – Harald Wilkoszewski 356
Arm versus Reich – Steffen Kröhnert 388
Moderne bürgerliche Familie versus nichtkonventionelle Lebensformen – Rüdiger Peuckert 422
Religiosität versus Konfessionslosigkeit – Gert Pickel 448
Deutsche versus Zuwanderer – Andreas Blätte 486
Bildungs-Ostalgie versus OECDisierung – Frieder Wolf 518
4. Kultur 550
Eliten- versus Massenkultur – Frank Sommer 552
Information versus Unterhaltung – Sophie Burkhardt 586
Identifikation versus Distanz – Kurt Mühler 620
Erinnerung versus Neuanfang – Michael Weigl 654
Autorinnen und Autoren 694

Religiosität versus Konfessionslosigkeit (S. 447-448)

Gert Pickel

1. Atheistische Ostdeutsche und religiöse Westdeutsche?


»Atheistische Ostdeutsche« oder Ostdeutschland, das »Land der getauften und ungetauften Heiden« – so oder ähnlich lauten die Aussagen über die religiöse Situation in den neuen Bundesländern Deutschlands in den letzten Jahren (vgl. u.a. Der Spiegel 1991/1). Den »atheistischen« Ostdeutschen werden dann in den Medien regelmäßig die »religiösen« Westdeutschen gegenübergestellt, welche in ihrer christlichen Tradition verwurzelt sind und daraus auch vielfältige Handlungskompetenzen für ihr Alltagsleben ableiten.

Das Fehlen genau dieser Traditionen in den neuen Bundesländern wird dabei als defizitär angesehen, wobei sich die Westdeutschen lange damit trösteten, dass dieser (unnatürliche) Zustand nach dem Wegfall der politischen Repressionen gegen die Kirchen ja nun bald ein Ende haben würde. So hatten schließlich auch die Kirchen eine wesentliche Rolle im Prozess der friedlichen Revolution in der DDR gespielt. Doch zur Verwunderung und manchmal auch zum völligen Unverständnis der Betrachter aus den alten Bundesländern scheint sich in den Jahren seit der Wiedervereinigung gerade in diesem Punkt recht wenig getan zu haben.

Hinweise auf eine Wiederkehr des Religiösen sind in den neuen Bundesländern genauso spärlich zu finden wie massive Eintrittswellen in die großen christlichen Kirchen. Und auch ein verstärktes Aufkommen neuerer religiöser Bewegungen und Sekten blieb allem Anschein nach aus. Findet aber in den neuen Bundesländern der gelegentlich erwartete Aufschwung des Religiösen nicht statt, dann bleibt es bei einem auffälligen Unterschied zwischen den Regionen der ehemaligen DDR und der alten Bundesrepublik – oder auch zwischen West- und Ostdeutschen. Und bei genauer Betrachtung hat es den Anschein, als würden sich West- und Ostdeutschland gerade auf dem Gebiet des Glaubens so maßgeblich unterscheiden wie auf keinem anderen gesellschaftlichen Sektor.

Auf der einen Seite findet sich in Westdeutschland fast eine Allgegenwärtigkeit christlicher Religiosität (auch wenn diese im Laufe der Jahre und der Zuwanderung nichtchristlicher Gruppen gelitten zu haben scheint), auf der anderen Seite steht ein entkirchlichtes, enttraditionalisiertes, areligiöses oder gar atheistisches Gebiet, welches sich vor allem durch leere und verfallende Gotteshäuser und oftmals aggressive Antireligiosität auszeichnet.

Doch ist der religiöse Kontrast zwischen Ost und West wirklich so ausgeprägt? Unterscheiden sich die Ostdeutschen hinsichtlich ihrer Religiosität und Kirchenbindung auch 20 Jahre nach dem Mauerfall noch in gleicher Weise von den Westdeutschen, wie dies kurz nach dem Umbruch ohne Zweifel der Fall war? Oder kam und kommt es zu Angleichungsprozessen auch auf diesem Gebiet? Ergänzen oder ersetzen vielleicht andere Unterscheidungslinien den West-Ost-Gegensatz?

Kommt es möglicherweise zu Überlagerungen verschiedener Kontraste und Unterschiede, die nur den Anschein einer Differenz im Religiösen erwecken? Warum wurde die herausragende Bedeutung, welche den ostdeutschen Kirchen im Umbruchprozess zukam, nicht durch eine Rückkehr der Gläubigen belohnt? Manifestiert sich ein entsprechender Kontrast im Sinne eines sich verfestigenden neuen Cleavages Religiös-Nichtreligiös, welches das politische Handeln der Bürger beeinflusst und unterschiedliche Regierungsmaßnahmen einfordert? Welche Prognosen lassen sich für die zukünftige Entwicklung der Religion im vereinigten Deutschland erstellen?

Erscheint lt. Verlag 13.9.2010
Co-Autor Stephan Bierling, Andreas Blätte, Sophie Burkhardt, Ulrich Eith, Manuela Glaab, Franz Kohout, Steffen Kröhnert, Kurt Mühler, Herbert Obinger, Rüdiger Peuckert, Gert Pickel, Susanne Pickel, Bernd Schlipphak, Carina Schmitt, Werner Sesselmeier, Frank Sommer, Christian Strobel, Roland Sturm, Jürgen Turek, Uwe Wagschal, Werner Weidenfeld, Michael Weigl, Harald Wilkoszewski, Frieder Wolf, Aysel Yollu-Tok
Zusatzinfo zahlreiche Abbildungen und Tabellen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Allgemeines / Lexika
Schlagworte Deutschland • Gesellschaft • Ost-West-Verhältnis • Politik • Wiedervereinigung • Wirtschaft
ISBN-10 3-593-40985-2 / 3593409852
ISBN-13 978-3-593-40985-6 / 9783593409856
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