Neoliberalismus (eBook)

Analysen und Alternativen
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2008 | 2008
VII, 417 Seiten
VS Verlag für Sozialwissenschaften
978-3-531-90899-1 (ISBN)

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Neoliberalismus -
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Mit dieser Publikation werden erstmals verschiedene Ansätze der Neoliberalismusforschung im deutschsprachigen Raum zusammengeführt und gebündelt. In 21 Beiträgen setzen sich Autor(inn)en verschiedener Fachdisziplinen mit grundlegenden Fragen des neoliberalen Projekts, den Gründen seiner Wirkungsmächtigkeit, der widersprüchlichen Rolle des Staates und den Voraussetzungen und Ansätzen für eine postneoliberale Agenda auseinander. Diese Analyse soll dazu beitragen, die Diskussion um Alternativen auf einer fundierten Grundlage fortzuentwickeln. Das Buch richtet sich gleichermaßen an ein wissenschaftliches Publikum wie auch an Leser/innen, die den Gegenstand des Neoliberalismus durchdringen wollen, um Orientierung und Handlungsfähigkeit für die gesellschaftliche Praxis zu erlangen.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Dr. Bettina Lösch und Dr. Ralf Ptak sind als Sozial-, Politik- bzw. Wirtschaftswissenschaftler an der Universität zu Köln tätig.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Dr. Bettina Lösch und Dr. Ralf Ptak sind als Sozial-, Politik- bzw. Wirtschaftswissenschaftler an der Universität zu Köln tätig.

Inhalt 6
Vorwort 10
Einleitung 14
I Theoretische Verortung des neoliberalen Projekts 17
Neoliberalismus und Hegemonie 18
Was ist Hegemonie? 18
Neoliberalismus als praktische Ideologie der Zerstörung 20
Neoliberalismus und andere Ideologien 22
Organische und neoliberale Intellektuelle 24
Staat und Gerechtigkeit im Neoliberalismus 25
Der Neoliberalismus: eine Vulgärökonomie 27
Eine neue Phase des Kapitalismus 30
Neuliberale Verhältnisse: Staatlichkeit und Geschlecht 35
Ein geschlechterkritischer und staatstheoretischer Zugang: Was ist das Neue am Neoliberalismus? 37
Transformation von Staatlichkeit: Reduktion von und Herrschaft durch Freiheit 40
Frauenpolitische Freiräume im Neoliberalismus 47
Globalisierter Neoliberalismus 51
„Wir sind alle Keynesianer“, obwohl sich der Neoliberalismus ausbreitet 52
Neoliberale Transformationen des real existierenden globalen Kapitalismus 54
Neoliberale Doxa 60
Die verrückte Idee des Handels mit Emissionszertifikaten 62
Die Natur des Neoliberalismus 66
Soziale Marktwirtschaft und Neoliberalismus: ein deutscher Sonderweg 70
Drei analytische Zugänge zum Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft 72
Die Ursprünge des deutschen Neoliberalismus 74
Die Besonderheiten des ordoliberalen Programms 76
Die Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft als flexible Konzeption des Ordoliberalismus 82
Quo vadis Soziale Marktwirtschaft? 85
Die Neoliberalisierung des „Rheinischen Kapitalismus“ 91
Zur Politischen Ökonomie einer kapitalistischen Penetration 91
Umrisse einer Theorie kapitalistischer Durchdringung 93
Neoliberalisierung als Krisenprozess des keynesianischen Staates 95
Neoliberalisierung als transnationale Herrschaftssynthese 98
Neoliberalisierung und neue politics of scale 101
Ein neuer Kampfzyklus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung 104
II Bereiche neoliberaler Wirkungsmächtigkeit 110
Das Prinzip des Nichtwissens im Jahrhundert der Wissenschaft 112
Zum Verhältnis von Neoliberalismus und liberaler Wissenschaftstheorie 112
Wissenschaft oder Markt als Fortschrittsmotor? 114
Verwissenschaftlichung und früher Neoliberalismus 115
Neue Marktkonzepte und wissenschaftstheoretischer Beistand 119
Kernschmelze des Wissenschaftsmythos 125
Entgrenzung des neoliberalen Projekts 127
„Eine Kategorie des Unsinns...“ 133
Die soziale Gerechtigkeit im Visier der neoliberalen Theorie 133
Gerechtigkeit und gesellschaftliche Legitimationskrisen 133
Dekonstruktion des Leitbildes sozialer Gerechtigkeit 136
Diskreditierung der Idee der Verteilungsgerechtigkeit 139
Ökonomisierung des Gerechtigkeitsbegriffs 141
Kritik der neoliberalen Gerechtigkeitstheorie: simplex statt komplex 143
Marktlogiken in Lifestyle-TV und Lebensführung 148
Herausforderungen einer gesellschaftskritischen Medienanalyse 148
Populärkulturelle Fernsehgenres und die Konstitution des Sozialen 150
Reality-TV: Prisma neoliberaler Subjektivierungstechnologien 152
Anschlussfähigkeit von Medien und Alltagserfahrung: Lifestyle- TV und Lebensführung 156
Lifestyle-TV und die Arbeit am (Körper-)Ich 157
Herausforderungen gesellschaftskritischer Medienanalyse unter neoliberalen Vorzeichen 161
Die neoliberale Umformung des Umweltrechts 165
Die intentionale Umstellung der Logik 165
Nicht intendierte Effekte der Diskussion über umweltrechtliche Instrumente 171
Marktgesteuerte Alterssicherung 182
Von der Entwicklung zur Implementierung eines neoliberalen Reformprojekts 182
Die ökonomische Orthodoxie als theoretische Basis neoliberaler Rentenreformen 183
Alter(n) als strukturelles Problem der modernen Industriegesellschaft 184
Das sozialpolitische Paradigma der Nachkriegszeit 186
Auftakt zur ideologischen Revision 188
Konsolidierungsphase (80er- und 90er-Jahre) 190
Reform der Alterssicherung in den Industrienationen 191
Neoliberale Paradoxie: keine Marksteuerung ohne staatliche Intervention 193
Positionsbestimmung 195
III Der Doppelcharakter des neoliberalen Staates 202
Marktradikalismus und Rechtsextremismus 204
Die neoliberale Hegemonie als Gefahr für die Demokratie 205
Rechtsextremismus bzw. -populismus im Zeichen der Globalisierung 209
Rechtspopulismus und Neoliberalismus – ein widersprüchliches Wechselverhältnis 213
Bindeglieder: Standortnationalismus, Sozialdarwinismus und Wohlstandschauvinismus 216
Der neoliberale Staat, die private Produktion von „ Sicherheit“ und die Transformation der Bürgerrechte 225
Private Military Companies – nur die „foot soldiers of privatisation“? 226
Der Staat und das Geschäftsfeld der „inneren Sicherheit“ 231
„Sicherheit“ und die Neoliberalisierung der Bürgerrechte 236
Hybrider Neoliberalismus und Entdemokratisierung 238
Die Europäische Union als Beispiel für institutionalisierte ( Sach-) Zwänge 244
Der Minimalstaat als neoliberale Wunschvorstellung 245
Die Entwicklung zum Interventionsstaat 247
Möglichkeiten einer Beschränkung des Interventionsstaates 249
Sachzwänge konkret: EU-Vorgaben für die nationale Ausgabenpolitik 251
Fazit 255
Privatisierung als Kernelement der neoliberalen Gegenreform 260
Reform und Revolution im Gefolge der Weltkriege 260
Die Weltbank als Agentur zur Privatisierung in den Entwicklungsländern 261
Der große Durchbruch und die globale Führung der USA 262
Privatisierung global 264
Vorreiter in Europa: Großbritannien 265
Die Europäische Union 266
Die ehemals sozialistischen Staaten 268
Deutschland I: Der schnelle Verkauf im Osten 269
Deutschland II: die schleichende Durchdringung des Westens 270
Kampf um das Eigentum: Ergebnisse und Alternativen 273
Bahnwesen im Niedergang 278
Die (kapital)marktorientierte Neuvermessung des Schienenverkehrs in Deutschland und Großbritannien 278
Umfassender Personalabbau und Neuregelung der Dienstverhältnisse 280
Aufgabe von Trassen, Bahnhöfen und Liegenschaften 281
Orientierung auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr und Stilllegung ländlicher Streckenabschnitte 283
Wandel zum internationalen Mobilitäts- und Logistikkonzern 284
„Zerlegt und entgleist“ – der Ausverkauf des britischen Bahnwesens 285
Verfehltes Vertrauen in den Wettbewerb 286
Fatale Fragmentierung 287
Zahlreiche Verschlechterungen für Bahnkunden trotz gestiegener Fracht- und Fahrgastzahlen 289
Vom Börsen- zum Bettelgang: Privatisierung und De-facto- Renationalisierung von Railtrack 291
Kostspieliges Realexperiment zulasten der Steuerzahler/innen 292
Unwiederbringliche Preisgabe staatlicher Schlüsselfunktionen 294
IV Alternativen für eine postneoliberale Agenda 300
Von der Dialektik des Neoliberalismus zu den Widersprüchen der Bewegungen 302
Dialektik des Neoliberalismus 303
Risse in der hegemonialen Apparatur 307
Widersprüche linker Bewegungen 310
Gegenhegemonie unter „postneoliberalen“ Bedingungen 319
Anmerkungen zum Verhältnis von Theorie, Strategie und Praxis 319
Methodische Bemerkungen zur Analyse von Strategien 321
Gegenhegemonie als dekonstruktive Strategie 324
Einige Konsequenzen 327
Postneoliberale Agenden als sich verändernde Terrains 328
Ausblick: Mut zur Hypothesenbildung 332
Politische Bildung in Zeiten neoliberaler Politik: Anpassung oder Denken in Alternativen? 336
Funktionalisierung politischer Bildung: Modernisierung und Herrschaftslegitimation 337
Institutioneller Umbau: Akquirieren, Evaluieren und Sparen 344
Die Frage nach den Alternativen: Was tun? 348
Die postneoliberale Agenda und die Revitalisierung der Gewerkschaften 356
Gewerkschaften und Neoliberalismus 356
Gewerkschaften im Finanzmarktkapitalismus 358
Gewerkschaften und Sozialdemokratie in der „ postkorporatistischen Periode“ 361
Optionen und Strategien gewerkschaftlicher Revitalisierung 363
Ausblick: Perspektiven einer „Mosaik-Linken“ 370
Eine demokratische Aneignung des Kapitalismus 375
Kirchliche Kapitalismuskritik 376
Kapitalismus unter dem Anspruch der Menschenrechte 382
Die demokratische Aneignung des Kapitalismus 384
Resümee 393
Lateinamerika: Alternativen zur neoliberalen Politik? 395
Entstehung und Niedergang des Neoliberalismus in Lateinamerika 396
Die „Mitte-Links“-Regierungen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede 403
Suchprozesse alternativer Politiken 407
Autor(inn)en 416

Neuliberale Verhältnisse: Staatlichkeit und Geschlecht (S. 34)

Birgit Sauer

„Zur Freiheit gehört auch die Freiheit auszusterben, indem man sich weigert, das Leben weiterzugeben." Mit diesem Satz charakterisierte Gerd Habermann, Leiter des Unternehmensinstituts der deutschen Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer, auf einer Tagung der Hayek-Gesellschaft über Demografie und Ordnungspolitik die neuen Konditionen im Neoliberalismus (vgl. Süddeutsche Zeitung v. 26.6.2006).

Im selben Monat verabschiedete der Bundestag das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) für die Privatwirtschaft, das der Tübinger Jurist Eduard Picker in der FAZ (v. 28.6.2006) als erneute Einschränkung der „Privatautonomie (der) Bürger" durch die Legislative interpretierte. Der Ballast bürokratisch-regulierender Eingriffe in Privatverhältnisse, sprich in Markt und Produktion, so muss man Picker wohl verstehen, begrenze die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit von Bürger(inne)n, namentlich der Unternehmer.

Neben Profitmaximierung, Konkurrenz und gemäßigtem sozialem Ausgleich solle nun – zum Schaden der Unternehmerautonomie – ein neuer Wert eingeführt werden, nämlich jener der Gleichstellung von Frauen und Männern. „Freiheit" bzw. „Autonomie", „Bevölkerung" und „Generativität" sind offensichtlich ganz zentrale Begriffe im Rahmen der gegenwärtigen Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Staat, Gesellschaft, Ökonomie und Privatheit sowie der Neusituierung von Bürger(inne)n in diesem Verhältnis.

Und ganz zentral ist dabei ebenso deutlich, wenn auch nicht explizit angesprochen, die Geschlechterfrage – entweder auf das Demografieproblem reduziert oder als Gespenst der Gleichbehandlung heraufbeschworen. Dass die Idee der Freiheit allenthalben angerufen wird, ist einerseits nicht verwunderlich, baut doch der Liberalismus schon immer darauf.

Auch der neuliberale Generalbass Freiheit, der die Debatten unterlegt, verspricht neue Freiräume – u.a. für die persönliche Entwicklung und Lebensgestaltung, die Optimierung des Daseins, zivilgesellschaftliches Handeln, Demokratie und gesellschaftliche Selbstorganisation, realisiert durch Entbürokratisierung und einen schlanken, wendigen Staat. Diese wohlklingenden Ideen der Selbstbestimmung von politischen Bürger(inne)n sind die Hoffnung beispielsweise von NGOs, werden freilich dominiert vom Freiheitsbestreben vor allem in der neu formatierten Sphäre des Marktes.

Auch dies ist für (Wirtschafts-)Liberale nichts Neues: Freiheit ist vor allem die Freiheit der „marktförmig organisierte(n) Vertraglichkeit" (Legnaro 2000, S. 202), die nun jedoch als ökonomische Vertragsfreiheit in allen Bereichen des Lebens Gültigkeit erlangen soll. Die Metapher der Freiheit enthält dafür Versprechungen „auf multiple Optionen, vielfältige Chancen, den thrill des Sich- Selbst-Unternehmens" (ebd., S. 203, Hervorh. im Original).

Entrepreneurship, die Befreiung der Individuen aus den Klauen des fürsorglichen und bevormundenden Staates sowie gleichsam die „zweite Befreiung" aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit sind Assoziationen, die der neoliberale Freiheitsdiskurs anstößt. Ein zweites – anderes – Projekt der Moderne und der Aufklärung soll auf den Weg gebracht werden.

Solche Debatten und Veränderungen haben nicht nur Auswirkungen auf die Bedeutung, Form und Funktion von Staaten. Vielmehr ist die Transformation von Staatlichkeit eine ganz zentrale Dimension dieser ökonomischen und sozialen Veränderungen. Anders gesprochen: Die Ökonomie stellt nicht die Dominante im Prozess der Veränderung von Staatlichkeit dar, vielmehr kommt Staaten als Organisatoren von sozialer Ordnung, gesellschaftlichem Konsens und Hegemonie darin eine aktive Rolle zu.

Erscheint lt. Verlag 7.5.2008
Zusatzinfo VII, 417 S.
Verlagsort Wiesbaden
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Arbeits- und Organisationspsychologie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte Gesellschaft • Globalisierung • Kapitalismus • Liberalismus • Media research • Neoliberalismus • Privatisierung • Sozialstaat • Staat
ISBN-10 3-531-90899-5 / 3531908995
ISBN-13 978-3-531-90899-1 / 9783531908991
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