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Vorwort

Werner Durth • Günter Behnisch



Der Architekt Günter Behnisch ist seit 1982 Mitglied der Abteilung Baukunst der Akademie der Künste


Der Architekt und Soziologe Werner Durth ist seit 1989 Mitglied der Abteilung Baukunst der Akademie der Künste


Ein Traum wurde wahr. Für die einen ein Wunschtraum, für andere ein Alptraum: das scheinbar plötzliche Verschwinden eines Staates mitten in Europa, der für die einen ein repressiver Herrschaftsapparat, für andere Schutzmacht gewesen war. Unversehens erfüllte sich eine von vielen Menschen längst aufgegebene Hoffnung, als im November 1989 die Mauer fiel, die über vier Jahrzehnte auch das Leben in Berlin durchschnitten hatte - Symbol der Teilung der Welt im Kalten Krieg. Rasch wirkten sich die Ereignisse in der Stadt auf das ganze Land aus und ließen über Nacht weitere Wünsche wachsen. Die Vereinigung von Ost und West weckte das Bedürfnis nach Begegnungen, den Wunsch nach Erfahrungsaustausch mit Menschen, die sich ihre Geschichten erzählen und Verständnis füreinander finden wollten, um eine gemeinsame Zukunft gestalten zu können.

Dazu sollte auch die Vereinigung der beiden Akademien in Berlin beitragen, die - nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - mit dem Auftrag zur Förderung der Künste in beiden Teilen Berlins als Wiederbelebung der einst berühmten Preußischen Akademie der Künste eingerichtet worden waren.

Es brauchte drei Jahre Zeit - bis 1993 - und viel Standhaftigkeit, um die Vereinigung der Akademien gegen mancherlei Widerstände durchzusetzen. Und es dauerte weitere zwölf Jahre bis zur Rückkehr der Mitglieder an den früheren Stammsitz der Akademie, Pariser Platz 4 - ein Zeichen neuer Gemeinsamkeit und Zuversicht.

Nach der Vereinigung waren die Architekten in der Akademie gefragt, in dieser Zeit des Aufbruchs in ein neues Europa, in einer Zeit des friedlichen Wandels der Welt, für eine Versammlung von Künstlern aus vielen Ländern einen zum Gespräch und Verweilen angemessenen Ölt zu schaffen - inmitten der so lange geschundenen, neuen Hauptstadt Berlin, im Niemandsland neben dem einstigen Todesstreifen. Mit diesem Standort war uns Architekten bereits ein Konzept vorgegeben, nach dem ein künftiger Neubau gleichermaßen die Geschichte und die Zukunft dieses Ortes widerspiegeln sollte.

Der Bauplatz enthielt Zeugnisse einer wahrlich wechselvollen Geschichte, Fundstücke, die unserem Entwurf den Maßstab vorgaben. Da war vor allem die Ruine der einst prächtigen Säle aus der Kaiserzeit, in denen nach der Revolution von 1918 der Maler Max Liebermann - damals Präsident der Akademie - glanzvolle Ausstellungen eröffnet hatte, bevor sich hier, nach der Vertreibung der Akademie, ab 1938 Albert Speer mit Adolf Hitler traf, um die Neugestaltung Europas zu planen.

Entlang einer gläsernen Fuge, die als öffentliche Passage den Pariser Platz mit dem "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" verbinden würde, sollte der historische Bestand mit all seinen Spuren deutscher Geschichte in einen freundlichen Neubau integriert werden. Mit einladender Geste sollte sich das neue Haus zum Platz hin öffnen und dazu anregen, in Ausstellungen, Lesungen, Konzerten, Filmen - kurz: in allen nur denkbaren Veranstaltungen der Akademie - zukunftweisenden Werken der Kunst zu begegnen. Von der konzentrierten Wahrnehmung im unterirdischen Studio über die hohen Ausstellungshallen des Altbaus und den stillen Lesesaal im ersten Obergeschoß sollte ein breites Spektrum an unterschiedlichsten Räumen bis hin zur Ebene des Plenarsaals führen, der - mit weitem Blick auf den Platz - öffentlichen Diskursen über Kunst und Politik, Musik und Theater zur Verfügung stehen würde. Raum für intimere Gespräche ließ sich im Clubraum und auf der Dachterrasse unter dem Himmel Berlins finden; als Werkstatt und Gästehaus würde zudem das Haus am Hanseatenweg weiterhin ein Treffpunkt der Künstlersozietät bleiben.

In einem internen Gutachterverfahren hatten ab 1993 Architekten aus der Akademie die Aufgabe übernommen, Vorschläge für den Neubau zu erarbeiten. Im Mai 1994 entschied sich die Versammlung der Mitglieder aus allen Abteilungen für unseren Entwurf, der Zukunft und Vergangenheit, Zuversicht und Trauer um Verlorenes in lebendigem Wechselverhältnis räumlich erlebbar machen sollte.

Eine Vision entstand, und die Widersprüche spornten uns an. Das Neue nicht modisch, das Bewahren des Alten nicht nostalgisch erscheinen zu lassen, war ein Ziel, das sich nur auf Umwegen erreichen ließ, in ständigem Wechsel zwischen Entwerfen und Verwerfen, Experiment und Diskurs. Die Suche wurde zur Metapher für unsere Architektur und ihre Elemente: Nicht die geraden Wege führen zur Kunst, eher die oft aussichtslosen Umwege, scheinbar endlosen Himmelsleitern, Stationen in der Leere. In Modellen und auf Papier entstand ein labyrinthisches Panorama, das allmählich Gestalt gewann und von einer gläsernen Hülle umschlossen sein sollte, zugleich den Blicken vom Platz her geöffnet, von Licht und Farbe durchströmt. Mit solchem Vorschlag aber hatten wir ein Berliner Tabu berührt.

Genau ein Jahr vor der Entscheidung für unser Konzept war auf dem Schloßplatz in der historischen Mitte Berlins eine Attrappe der Fassade des ehemaligen Schlosses der Hohenzollern errichtet worden. Die Suche nach der kulturellen Identität der so lange gespaltenen Hauptstadt führte weit in die Epochen vor der Teilung zurück. Weder das "Tausendjährige Reich" Hitlers noch die durch wirtschaftliche Not, Klassenkämpfe und Straßenschlachten zerrissene Weimarer Republik boten offenbar als baukulturelle Bezugspunkte befriedigende Möglichkeiten einer Begründung von Kontinuitätsgefühl und Dauerhaftigkeit des neuen Glücks in der Hauptstadt. Die Schloßfassade wurde zum Zeichen der Hoffnung auf Wiedergewinnung einer respektablen Stadtgestalt und stabiler Lebensverhältnisse in einer unüberschaubaren Welt. Den ersten Jahren hektischer Wachstumserwartungen und kosmopolitisch gestimmter Einigungseuphorie im Berlin nach der Wende folgte bald eine eher nostalgische Stimmung, die in der Lokalpolitik durch eine konservative Stadtplanung unter dem Programm einer "Revolution rückwärts" Ausdruck fand.

Hinzu kam, daß nach den Jahren, in denen es bei der Finanzierung von Prestigeprojekten auf eine Million mehr oder weniger nicht ankam, ein abrupter Mentalitätswechsel in Richtung einer neuen politischen Ökonomie erfolgte, die in der Entlastung der öffentlichen Hand durch Privatisierung von Risiken - und Gewinnen - das Heil der kommunalen Haushalte sah. Weiter war zu beobachten, daß nach den ersten Jahren des staatlich geförderten "Aufbau Ost" die Bauwirtschaft in eine Krise geriet, die manche Firmen im Wettbewerb um Aufträge nur durch riskante "Kampfangebote" mit erkennbar unrealistischen Kostenansätzen überleben zu können meinten - in der Erwartung, daß die kalkulierten Defizite später durch Nachforderungen kompensiert würden, wie dies auch früher üblich war.

Durch solche unerwarteten Folgen der Einheit geriet unser Projekt in einen Kreislauf verhängnisvoller Entwicklungen, die im Zusammenwirken ideologischer, politischer und wirtschaftlicher Umbrüche den Neubau immer wieder verzögerten, ja zeitweise insgesamt in Gefahr brachten. Somit wurde die Baustelle der Akademie bald zur Bühne für ein Lehrstück, an dem sich der Wandel der Baukultur im Übergang von der Bonner zur Berliner Republik auf verschiedenen Betrachtungsebenen anschaulich studieren ließ: Vom Wandel der ästhetischen Orientierungen im Städtebau über das Delegieren politischer Verantwortung durch Privatisierung riskanter Projekte - mit oft verheerenden Folgen nach kurzfristiger Opportunität - bis hin zur Verschärfung eines gnadenlosen Wettbewerbs zwischen den Baufirmen bei rasant verfallender Zahlungsmoral der Bauherren zeigt die Chronik des letzten Jahrzehnts exemplarische Züge einer Baugeschichte, die sich vielerorts nach gleichem Muster abgespielt hat.

Zum Verständnis unseres Entwurfs als Interpretation eines Ortes mit einer einzigartigen Geschichte muß die Schilderung des Projekts indes weit vor unserer Zeit ansetzen. Sie führt bis in die Gründungsjahre der Akademie zurück, um das wechselvolle Schicksal der Künstlersozietät mit ihren permanenten Raumnöten und Abhängigkeiten durch alle Epochen verfolgen - und schließlich auch jüngste Katastrophen relativieren zu können.

Daß unser Projekt trotz aller Widrigkeiten gebaute Wirklichkeit werden konnte, ist dem persönlichen Engagement von Menschen zu danken, für die hier nur einige wenige stellvertretend genannt werden können. Ohne die Raumphantasien der Architektin Ruth Berktold, die in einem Team junger Kollegen 1994 unseren Beitrag zum Gutachterverfahren bearbeitet hat, hätte dieser Entwurf nicht seine sinnliche Überzeugungskraft erhalten. Mit feinem Gespür für die Qualitäten der Architektur ist es dem Projektpartner Franz Harder gelungen, das erste Konzept umsichtig und hartnäckig über Jahre weiterzuentwickeln, gestalterisch zu bereichern und schließlich zu realisieren; mit Mattias Stumpfl und seiner Arbeitsgruppe hat er- angesichts aller Widerstände - ein kleines Wunder vollbracht. Neben den drei Präsidenten der Akademie und dem Präsidialsekretär, die das Projekt kontinuierlich vertreten und mit hohem Einsatz durchsetzen halfen, ist namentlich Michael Kraus zu nennen, der als Sekretär der Abteilung Baukunst zugleich Baubeauftragter der Akademie war, unermüdlich um die Abstimmung gegensätzlicher Interessen bemüht.

Bei allem Engagement der unmittelbar Beteiligten wäre das Projekt dennoch gescheitert, hätte es nicht nter den Kollegen in der Akademie, in der Berliner Architektenschaft, in den Senatsverwaltungen und in der Öffentlichkeit eine breite Unterstützung gegeben, für die wir hier - wieder stellvertretend - besonders denen erinnernd danken wollen, die inzwischen verstorben sind: unserem Freund und Kollegen Hans Kammerer, der im Arbeitskreis der Akademie Spiritus rector war, Ulrich Stange in der Senatsverwaltung, der unser Vorhaben von den ersten Gesprächen an mit Sympathie und Tatkraft begleitet hat, dem Präsidenten der Architektenkammer Berlin, Cornelius Hertling, der in öffentlichen Kontroversen leidenschaftlich für den Neubau eintrat, der Fotografin Riki Kalbe, die schon 1995 an einer ersten Ausstellung im Altbau maßgeblich beteiligt war, anschließend die Bauarbeiten dokumentierte und durch ihre Bilder für unser Projekt warb. Sie ist in diesem Buch durch zahlreiche Abbildungen vertreten.


Das Haus ist gebaut. Es zu beleben und zu dem Ort zu machen, von dem wir träumten, ist nun Aufgabe der Akademie, insbesondere ihrer Mitglieder aus aller Welt, die mit Kompetenz und Phantasie die dreihundertjährige Geschichte dieser Künstlersozietät in ihrem Werk und ihrer Präsenz am Pariser Platz fortschreiben werden.