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EINLEITUNG


Fast zwei Jahrzehnte nach Schillers Tod machte sich Goethe daran, seinen Briefwechsel mit Schiller zu ordnen und ihn, behutsam redigierend, für den Druck vorzubereiten. An Wilhelm von Humboldt schrieb er am 22. Juni 1823, er habe Schillers Briefe "gesammelt" und bei der Lektüre "die schönsten Spuren unseres glücklichen und fruchtbaren Zusammenseyns" gefunden; und es habe sich "mit jedem Briefe [Schillers] die Verehrung des außerordentlichen Geistes, die Freude über dessen Einwirkung auf unsere Gesammtbildung" gesteigert. "Seine Briefe sind ein unendlicher Schatz [...]; und wie man durch sie bedeutend vorwärts gekommen, so muß man sie wieder lesen, um vor Rückschritten bewahrt zu seyn [...]."1 In einem Brief an den preußischen Staatsrat Christoph Ludwig Friedrich Schultz, mit dem er seit 1814 in lebhafter Verbindung stand, schrieb Goethe am 3. Juli 1824, er habe nun von der Familie des Freundes auch seine eigenen Briefe erhalten, "die ich nun mit seinen, gleichfalls heilig aufgehobenen Briefen und Blättern in einander arbeite [...], aber im innern und selbstständigen Werth kommen sie den Schillerischen nicht bey; er war geneigter zum reflectiren über Personen und Schriften als ich, und seine höchst freyen brieflichen Äußerungen sind als unbedingter augenblicklicher Erguß ganz unschätzbar."2

Auch gegenüber anderen Korrespondenzpartnern hat Goethe in jenen Jahren davon gesprochen, daß er Schillers Briefe mit Bewunderung wiederlese; er bezeichnete sie etwa in einem Brief an Cotta "als den größten Schatz, den ich vielleicht besitze [...]." Und er fügte hinzu: "Die Klarheit und Freyheit der Handschrift besticht schon [...]."3 Goethe war überzeugt: der Briefwechsel werde "eine große Gabe seyn, die den Deutschen, ja ich darf wohl sagen den Menschen geboten wird."4

Der in den Jahren 1828 und 1829 schließlich erschienene Briefwechsel mit insgesamt 971 "Stücken" (die im Laufe der Zeit um 45 vermehrt wurden) ist in der Tat ein Dokument nicht nur der Freundschaft zwischen den Weimarer Klassikern, sondern auch ein literarisches Werk ganz besonderer Art, in das sich die poetischen Arbeiten der beiden Partner ebenso "abgedrückt" haben wie ihre literaturtheoretischen Bemühungen und ihre bemerkenswerten Ansichten über den Lauf der Welt, über Natur und Kultur, über eigene Zustände und gesellschaftliche Verhältnisse. In der Geschichte der deutschen Literatur ist die Korrespondenz nicht nur beispiellos, sondern auch als wichtigster Kommentar zur Literatur jener Zeit unvergleichbar; an ihrem Rang wird sich nichts ändern, obwohl es auch in Zukunft (wie seit 1829) nicht an Kritikern fehlen wird, die dem verbreiteten Lob ihr einschränkendes "Ja, aber" oder, wie es weiland August Wilhelm Schlegel getan hat, ihr schroffes "Nein" entgegenhalten.5

Schon vor 1829 waren etliche Briefe Schillers an die Öffentlichkeit gelangt, vereinzelt in Zeitungen und Zeitschriften, zusammenhängend in größerer Zahl solche an den Dresdner Freund Christian Gottfried Körner, die dieser - meist in gekürzter Form - seinen "Nachrichten von Schillers Leben" (1812) einverleibt hatte6, danach (1819) die Briefe an Heribert von Dalberg, den Intendanten des Mannheimer Theaters, aus den Jahren 1781 bis 17857 1830 publizierte Wilhelm von Humboldt seinen Briefwechsel mit Schiller8, im selben Jahr erschien (anonym) Caroline von Wolzogens Biographie ihres Schwagers9, in der die Verfasserin vor allem von Briefen, die Schiller ihr und ihrer Schwester Charlotte von Lengefeld geschrieben hatte, eifrigen Gebrauch machte - nicht immer Geist und Buchstaben der Vorlagen respektierend.

Schillers Popularität, die bis etwa 1870 in Deutschland größer war als die jedes anderen Dichters, führte dazu, daß die überlieferten biographischen Zeugnisse, vor allem seine Briefe, vom Publikum begierig aufgenommen wurden; sie erschienen in rascher Folge: die Briefe an August Wilhelm Schlegel (1846)10, ein Jahr später der Briefwechsel mit Fichte11 und der fast vollständige Briefwechsel mit Körner. 12 Die Familienbriefe schlössen sich an (1856, 1859, 1875)13 sowie Schillers Geschäftsbriefe (1875)14; und schließlich, 1876, kam auch der letzte der großen Briefwechsel heraus, der, den Schiller mit seinem Verleger Johann Friedrich Cotta geführt hat.15 Eine kritische Ausgabe aller erreichbaren (gedruckten und, zum geringen Teil, ungedruckten) Briefe Schillers brachte gegen Ende des Jahrhunderts Fritz Jonas heraus - 2079 Briefe in sieben Bänden.16 Im 20. Jahrhundert wurden noch etwa 140 weitere Briefe aufgefunden und publiziert.17 Ob 300 oder 500 oder 800 oder noch mehr von Schiller geschriebene Briefe für immer verloren gegangen sind, läßt sich nicht einmal schätzen.


Wären von Schiller nur seine Briefe überliefert - sie wären es wohl wert, als Dokumente eines ungewöhnlichen Lebens bewahrt zu werden. Sie lassen einen Menschen erkennen, der ohne Verstellung zeigte, wer und was er war, als Sohn und Freund, als Liebender und Familienvater, als kalkulierender Geschäftsmann und diplomatischer Bittsteller, als energischer Kritiker und scharfsinniger Beobachter von Welt und Menschen, nicht zuletzt als reflektierender Schönheitslehrer und natürlich als - Dichter.18

Schiller war in hohem Maße kommunikativ, interessiert an seinen Partnern und an der Darstellung seiner selbst. Dabei benutzte er besondere Situationen und Ereignisse in der Regel, um sie mit Überindividuellem, mit allgemeinen Problemen und Zukunftsaussichten zu verknüpfen. Herzensangelegenheiten, Empfindungen, Stimmungen und häusliche Verhältnisse hat Schiller zwar nicht (anders als das weite Feld der ihm fremden Natur) ausgespart, aber kaum je zum wichtigsten "Gegenstand" einer brieflichen Mitteilung gemacht. Sogar die häufigen Berichte über seinen fatalen Gesundheitszustand hat er weitergeführt, da sie Anlaß gaben zu Fragen nach den Folgen: Wie kann das begonnene Werk fortgesetzt werden? Wie ist dem Ausgang aus dem Leben zu begegnen? Und seine Kondolenzbriefe nach dem Tod von Vater und Mutter bestätigen dies: Der Sohn beklagt nicht nur den Verlust, sondern stellt sogleich Überlegungen an, wie was zu regeln sei. Er wollte mit sich im reinen sein. Und er säumte nicht, Gelegenheiten zur Selbstvergewisserung und -behauptung zu nutzen, wann immer sie sich ihm boten.

Wilhelm von Humboldt hat in der Einleitung zu seinem Briefwechsel mit Schiller bewundernd von dessen "Dichtergenie" gesprochen, das "auf das engste an das Denken in allen seinen Tiefen und Höhen geknüpft" gewesen und "ganz eigentlich auf dem Grunde einer Intellectualität" hervorgetreten sei, "indem er jede Dichtung so behandelte, daß ihr Stoff unwillkürlich und von selbst seine Individualität zum Ganzen einer Idee erweiterte." So sei es auch im Gespräch, "für das Schiller ganz eigentlich geboren schien", gewesen. Und weiter: "Auch seine Briefe zeigen dieß deutlich."19

Schiller war ein sehr ungeduldiger Mensch, der Konflikte nicht scheute, diese aber stets für sich aufs schnellste lösen wollte, um in seiner Produktivität nicht gehindert zu werden. Von dieser Produktivität, die auch in Zeiten körperlicher Hinfälligkeit kaum je ganz erlahmte und von der Goethe mit beinahe fassungslosem Staunen berichtet hat20, legen auch seine Briefe ein beredtes Zeugnis ab. Nicht selten schrieb er, wie sein zuweilen sorgfältig geführter Kalender zeigt, an einem Tag eigenhändig fünf oder mehr Briefe, und fast alle, die bekannt wurden, sind "substantiell", also keine rasch hingeworfenen Allerweltsmitteilungen. Und daneben wurde an denselben Tagen anderes geschrieben: ein Gedicht oder einige Dramen-Verse oder ein paar Abschnitte einer ästhetischen Abhandlung. Schiller war, wie vielleicht kein anderer deutscher Schriftsteller, ein "Workaholic", dessen Rastlosigkeit, wie Goethe für gewiß annahm21, den frühen Tod des Freundes herbeigeführt habe.


"Schöne Briefe", 22 an der Zahl, also ziemlich genau ein Prozent des Überlieferten, präsentiert das vorliegende Buch in Nachbildungen der nicht immer in gutem Zustand erhaltenen Handschriften. Es sind Briefe, die Schiller in ganz verschiedenen Lebenssituationen zeigen: als noch Eingesperrten in der "Miltärakademie" des württembergischen Herzogs Carl Eugen, in der Attitüde eines lebensmüden Jünglings um den Tod eines Mitschülers trauernd (Nr 1); als auftrumpfenden Jungdichter, der seinen Landesherrn um Recht bittet (Nr 2); als Liebenden im Asyl (Nr 3); als diplomatisch taktierenden Günstling ferner Bewunderer (Nr 4); als Freund zweier Schwestern (Nr 5 und 6); als lebensbedrohlich Kranken (Nr 7); als geschäftigen Dichter (Nr 8); als Begründer des Freundschaftsbundes mit Goethe (Nr 9); als Geld mit Geist dankbar zurückzahlenden "Stipendiaten" (Nr 10); als Erfolg suchenden Herausgeber, der von der Französischen Revolution nichts zu wissen vorgibt (Nr 11) - und so weiter.

"Die Klarheit und Freyheit der Handschrift besticht schon [...]".22 Dies macht fast alle Briefe Schillers schön. Zur Schönheit, wie sie hier gemeint ist, gehört auch ihr Inhalt, der fast immer der Handschrift entspricht; er ist klar und zeugt von einem freiheitsbeseelten, realitätszugewandten außergewöhnlichen Menschen, Dichter und Denker. Es mag diese Außergewöhnlichkeit sein, die Walter Benjamin davon abgehalten hat, in seinen 1936 veröffentlichten Band "Deutsche Menschen", der 26 Briefe aus dem "bürgerlichen Zeitalter" (von 1783 bis 1883) enthält, einen Brief Schillers aufzunehmen.

Die 99 Prozent der hier nicht versammelten Briefe23 werden auch im dritten Jahrhundert nach Schillers Tod seinen Freunden Freude machen und könnten einige seiner Gegner zu seinen Freunden machen.