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Vorwort "überzeugt sein: sich selbst nicht wahrnehmen."1 1987 stellte Jean Baudrillard in seinem Aufsatz "Requiem for the Media" kategorisch fest: "There is no theory of the media." Dem ist 1993 eigentlich nur hinzuzufügen, daß diese skeptische Einschätzung nicht nur für die Medien gilt, sondern gleichermaßen auch für die Phänomen- und Problembereiche, die stets mitangesprochen sind, wenn von Medien die Rede ist: nämlich Kognition, Kommunikation, Verstehen und Kultur. Auch für diese Bereiche gilt wohl, daß es bis heute keine ausreichend komplexen und empirisch plausibilisierten Theorien gibt, geschweige denn eine Super-Theorie, die alle diese Bereiche erschöpfend explizieren und miteinander verbinden könnte. Bei den folgenden Überlegungen kann und soll es sich daher auch nicht um den Versuch handeln, eine solche Super-Theorie zu entwickeln. Vielmehr ist beabsichtigt, die fünf Themenbereiche auf Probleme und Problemlösungsansätze hin zu durchmustern, wobei probeweise eine konstruktivistische Beobachtungs- und Beschreibungsperspektive eingenommen wird. Damit sollen andere Perspektiven nicht ausgeschlossen oder abgewertet werden. Vielmehr wird an verschiedenen Stellen versucht, interessant erscheinende Beobachtungen und Konzepte aufzugreifen, auch wenn sie aus Diskussionen stammen, die mit konstruktivistischen Annahmen nicht oder nur teilweise vereinbar sind. Puristen mag dieses Verfahren entsetzen. Ich halte es für legitim (da unausweichlich) angesichts der offenen Problemsituation, die erst noch ein hohes Maß an Differenzierung erfordert, ehe eine konsistente theoretische Konzeptualisierung möglich ist - falls sie denn überhaupt je möglich sein sollte angesichts der autologischen Struktur unserer Beschreibungsversuche, die sich stets auf sich selbst beziehen: Wir kommunizieren über das Kommunizieren, wir denken über das Denken nach, wir versuchen Verstehen zu verstehen usw. P. M. Spangenberg hat dieses Verfahren gesprächsweise ein "Tuning von Beobachterperspektiven anstelle einer Metatheorie" genannt. Ich akzeptiere diese Einschätzung, weil sie die Konsequenzen einer Philosophie auf den Punkt bringt, die das Beobachterproblem ernst nimmt, und weil sie ebenso berücksichtigt, was von den Theoretikern einer "achtenswerten Postmoderne" zu lernen ist: nämlich das Auslaufen des Reputationsbonus von "Meistererzählungen" jeder Art. Bei der skeptischen Einschätzung der Gültigkeit der folgenden Überlegungen handelt es sich also weder um einen rhetorischen Bescheidenheitstopos noch um eine resignative postmoderne Geste. Diese Einschätzung verweist eher auf den wohl nur paradoxal zu formulierenden Status kommunikations- und medientheoretischer Entwürfe als vorläufig endgültig vorläufig - was nicht von der begründeten Forderung nach größtmöglicher argumentativer Stringenz enthebt, die wiederum auf ein grundlegendes wissenschaftstheoretisches Kriterium verweist, was der kritische Rationalist Imre Lakatos in den 6oer Jahren als "intellecutal honesty" charakterisiert hat. Weniger grundsätzlich formuliert kann die Absicht der folgenden Überlegungen auf die Formel gebracht werden: Was läßt sich mit Hilfe konstruktivistischer Konzepte und Unterscheidungen im Hinblick auf Kognition, Kommunikation, Medien, Verstehen und Kultur beobachten, und wo gibt es Anschlußstellen an benachbarte Beobachtungsversuche? Im Lichte der Überlegungen zu einer soziologischen Methode von H. Esser handelt es sich bei den folgenden Argumentationen sicher nicht um Erklärungen im strengen Sinne, sondern um Beschreibungen, Taxonomien, Analogien, Metaphern und Orientierungshypothesen (Esser 1989: 66 f.) - um Vorarbeiten also, die eine künftig zu erarbeitende Erklärung brauchen wird. Ein Wort noch zur notorisch gewordenen Frage nach geschlechtersensibler Stilistik. Mir ist bewußt, daß Menschen Frauen oder Männer sind, und daß unsere historisch gewachsene Sprache und Stilistik Frauen diskreditiert. Ich weiß auch, daß viele Frauen das Argument nicht akzeptieren, diese Diskreditierung könne nicht durch konsequente Verwendung von "-Innen"-Formen gelöst werden, sondern nur durch konkrete soziale und politische Veränderungen unserer Gesellschaft. Auch das ästhetische Argument, diese geschlechterspezifische Verdopplung von Ausdrücken sei plump und holprig, wird diese Frauen nicht überzeugen. Vielleicht illustriert ein Beispiel, warum ich die "-Innen"-Form im Folgenden nicht verwenden werde. Bei P. Fuchs kann man lesen: "Folgt man Luhmann, so ist [Wahrnehmung, S. J. S.] ein Ereignis mit besonderer Struktur, das nicht sofort Subjekt(innen) als Gouverneure/anten des Ereignisses impliziert." (1992: 54) - So möchte ich - zugunsten der Frauen - nicht schreiben!
Vorwort zur dritten Auflage Die Wiederauflage eines vor zehn Jahren geschriebenen Buches erscheint angesichts der Schnell-Lebigkeit wissenschaftlicher Produktion begründungsbedürftig. Die Begründung ist zum Glück einfach. Die in diesem Buch behandelten Themen stehen bis heute auf der Agenda, und die hier vorgelegte Art der Behandlung dieser Themen ist ebenfalls nach wie vor in der Diskussion präsent. Das zeigen die Nachfragen nach diesem Buch seit dem Auslaufen der zweiten Auflage ebenso wie die Zitierhäufigkeit in Kommunikations- und Medienwissenschaftlichen Publikationen. Darum begrüße ich sehr die Entscheidung des LIT Verlags, eine neue Auflage vorzulegen. Im ersten Kapitel dieses Buches habe ich 1993 versucht, den damals noch primär naturwissenschaftlich geprägten Diskurs des Radikalen Konstruktivismus auf eine kulturwissenschaftliche Grundlage zu stellen. Diesen Versuch habe ich in der Zwischenzeit systematisiert und damit eine begründungstheoretisch neue Version von Konstruktivismus vorgelegt2. Die im sechsten Kapitel vorgelegten Überlegungen zum Thema Medien und Kultur sind in der Zwischenzeit weiter geführt und ausdifferenziert worden3; und die Positionierung der Thematik von kognitiver Autonomie und sozialer Orientierung im Rahmen der Kommunikationswissenschaft liegt inzwischen ebenfalls vor4 und dokumentiert die Aktualität der 1993 begonnenen Debatte.
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