Vorwort Inhaltsverzeichnis
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Vorwort des Reihenherausgebers


Das Buch von Ingrid Zundel zur Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements von älterwerdenden Menschen kommt zur rechten Zeit, um nicht nur verbreitete Vorurteile bzw. verkürzte Blickweisen in Frage zu stellen, sondern auch hoffnungsvolle Perspektiven aufzuzeigen. Das freiwillige Engagement von älteren Bürgerinnen und Bürgern ist gleich in doppelter Weise von Verkürzungen betroffen.

Zum einen konstruieren die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse zu unserer "alternden Gesellschaft" vor allem ein demographisches Horrorszenario, das dann mit düsteren Prognosen zu einem Generationenkrieg oder zu einem Zusammenbruch sozialstaatlicher Systeme verkoppelt wird. Gegenwärtig jagen uns Thesen vom "Clash of Generations" oder vom "biologischen und sozialen Terror der Altersangst" (so im Klappentext von Frank Schirrmachers "Das Methusalem-Komplott") Zukunftsängste ein. Da ist vom "demografischen Salto" die Rede, der die klassische "Bevölkerungspyramide" von einer "zerzausten Wettertanne" zum "kopflastigen Pilz" hat werden lassen. Diese Szenarien, deren demographische Basis gar nicht bestritten werden soll, verbreiten eher Panik und Hilflosigkeit, als dass sie auf zentrale gesellschaftliche Veränderungsprozesse und deren Konsequenzen für die Lebensführung im Alter hinweisen und darauf vorbereiten. Hier vermittelt Ingrid Zundel einen ganz anderen Blick. Er will aufzeigen, dass der aktuelle gesellschaftliche Umbruch zu einer historisch neuen Mischung von Chancen und Risiken der Lebensgestaltung fuhrt, die alle Lebensphasen betrifft. Ins Zentrum rückt die Notwendigkeit der "Selbstsorge".

Die zweite Verkürzung der Perspektive entsteht dann, wenn das Freiwilligenengagement generell und vor allem des älteren Bevölkerungssegments als ausbeutbare gesellschaftliche Ressource in Zeiten magersüchtiger Staatsfinanzen betrachtet wird. Wer wollte bestreiten, dass Gesellschaft und Sozialpolitik von aktiven Seniorinnen und Senioren in vielfacher Hinsicht "profitieren" können, aber diese Ressourcen sind nicht instrumentalisierbar und können sich auch nur dann wirklich entfalten, wenn sie sich aus der Perspektive der "Selbstsorge" heraus entfalten können.

Die Realisierung von Ideen der Selbstsorge auch und gerade im Hinblick auf das Alter erfordert zivilgesellschaftliche Kompetenzen. Zivilgesellschaft ist die Idee einer zukunftsfähigen demokratischen Alltagskultur, die von der identifizierten Beteiligung der Menschen an ihrem Gemeinwesen lebt und in der Subjekte durch ihr Engagement zugleich die notwendigen Bedingungen für gelingende Lebensbewältigung und Identitätsarbeit in einer offenen pluralistischen Gesellschaft schaffen und nutzen. Die neuesten Daten aus dem Freiwilligensurvey, der gerade von Infratest ausgewertet wird, zeigen eindrucksvoll, dass immer mehr älter werdende Menschen, die Bedeutsamkeit zivilgesellschaftlicher Ressourcen entdecken und sich beginnen, in die Gestaltung unserer Gesellschaft einzumischen.

"Bürgerschaftliches Engagement" wird aus dieser Quelle der vernünftigen Selbstsorge gespeist. Menschen suchen in diesem Engagement Lebenssinn, Lebensqualität und Lebensfreude und sie handeln aus einem Bewusstsein heraus, dass keine, aber auch wirklich keine externe Autorität das Recht für sich beanspruchen kann, die für das Subjekt stimmigen und befriedigenden Konzepte des richtigen und guten Lebens vorzugeben. Zugleich ist gelingende Selbstsorge von dem Bewusstsein durchdrungen, dass für die Schaffung autonomer Lebensprojekte soziale Anerkennung und Ermutigung gebraucht wird, sie steht also nicht im Widerspruch zu sozialer Empfindsamkeit, sondern sie setzen sich wechselseitig voraus. Und schließlich heißt eine "Politik der Lebensführung" auch: Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass meine Vorstellungen vom guten Leben im Delegationsverfahren zu verwirklichen sind. Ich muss mich einmischen. Eine solche Perspektive der Selbstsorge ist deshalb mit keiner Version "vormundschaftlicher" Politik und Verwaltung vereinbar. Ins Zentrum rückt mit Notwendigkeit die Idee der "Zivilgesellschaft". Eine Zivilgesellschaft lebt von dem Vertrauen der Menschen in ihre Fähigkeiten, im wohlverstandenen Eigeninteresse gemeinsam mit anderen die Lebensbedingungen für alle zu verbessern. Zivilgesellschaftliche Kompetenz entsteht dadurch, "dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgerinnen und Bürgern dies ermöglichen". So heißt es eingängig in der Ottawa Charta der Weltgesundheitsorganisation.

Der gesellschaftliche Modernisierungsschub, der vor allem seit den 70er Jahren den gesellschaftlichen Grundriss der Bundesrepublik nachhaltig verändert hat, hat in Form neuer sozialer Bewegungen und Initiativen auch eine selbstaktive Gestaltungskraft hervorgebracht. Für viele neue Probleme des Alltags gab es in den traditionellen Strukturen alltäglicher Lebenswelten keinen Lösungsvorrat, auf den man einfach hätte zurückgreifen können. Für eine Reihe von neuen biographischen Konstellationen (wie z.B. die weibliche Doppeloption Familie und Beruf oder Erfahrungen von Vorruhestand, Altwerden familiäres Auffangnetz) gab es keine institutionell abgesicherten Lösungsmöglichkeiten, und in vielen Bereichen war das Vertrauen auf "das Bewährte" erschüttert, und gerade die neuen sozialen Bewegungen verstanden sich als kollektive Zukunftswerkstätten, in denen - im Sinne des "demokratischen Experimentalismus" - neue Lösungsentwürfe erprobt wurden. In einer Vielzahl konkreter Projekte wurden neue Wege erprobt. Diese Projekte lassen sich verstehen als "soziale Experimentierbaustellen" und als emanzipatorische Antworten auf Risiken der aktuellen Modernisierungsprozesse deuten.

Ingrid Zundel bleibt nicht bei einer Analyse der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse stehen, sondern zeigt ihren Leserinnen und Lesern etwas von diesen "sozialen Experimentierbaustellen". Sie hat Menschen befragt, die sich auf den Weg gemacht haben, neue Lebensentwürfe im höheren Lebensalter zu erproben und damit zukunftsfähige Lösungen jenseits von staatlicher Bevormundung und individualistischen Ich-AGs zu entwickeln. Gerade in einem Land, das sich vor einer ungewissen Zukunft eher ängstigt, werden ermutigende Erfahrungen weitergegeben. Aber hier werden nicht in naiver Haltung, Beispiele hochgejubelt, sondern sie werden kritisch evaluiert. Es werden Fehler beleuchtet und ausgewertet, denn nur so kann sich das Potential des "demokratischen Experimentalismus" wirklich entfalten.

Wer sich der Frage öffnet, wie das eigene Älterwerden selbst gestaltet werden könnte und wie man zu lebbaren Alternativen zu den katastrophischen Szenarien, die den Büchermarkt überfluten, gelangen kann, der kann sich in dem vorliegenden Buch durch Realutopien in reichem Maße Anregungen holen.


München, Juli 2005Heiner Keupp



Vorwort


Als Psychologin lege ich eine in dieser Disziplin etwas ungewöhnliche Arbeit, nämlich eine interdisziplinäre zu einem brandaktuellen Thema vor. Man könnte sie in der Gemeindepsychologie und Praxisforschung einordnen. Wir haben es hier mit einer anwendungsbezogenen Forschungsarbeit zu tun, deren Resultate weit in die Zukunft weisen.


Die gegenwärtige Kritik an den Geistes- und Sozialwissenschaften entzündet sich insbesondere zu Zeiten knapper finanzieller Ausstattung der Universitäten daran, daß aus diesen Disziplinen kaum für die Gesellschaft brauchbare Resultate wie etwa aus den Naturwissenschaften zu konstatieren sind. Hier wäre einmal ein Ansatz dazu.


Die untersuchten Tauschsysteme, Seniorengenossenschaften, Zeittauschbörsen und selbstorganisierte, gemeinschaftliche Wohnprojekte, die heute immer noch ein Schattendasein fuhren (weil solche Projekte keinen Werbeetats haben und die Bekanntmachung vor allem durch Mund zu Mund-Propaganda geschieht), reichen in alle gesellschaftlichen Schichten und alle Altersgruppen. Die Focussierung auf die ältere Generation ist der Tatsache geschuldet, daß die Verfasserin als Gerontologin tätig ist und ihr Interesse vor allem dem Alter künftiger Generationen, d.h. ihrer Enkel, Ur-Enkel und Ur-Ur-Enkel gilt.

Diese Arbeit soll ein Wegweiser für künftiges Altern darstellen, das keinesfalls - und da sind sich alle Zukunftsforscher und der Club of Rome einig - annähernd finanziell so ausgestattet sein wird, wie die gegenwärtige Altengeneration, die ihren Kindern sowohl Vermögen als auch Grundbesitz vererben kann. Natürlich ist dies eine Tendenzaussage, denn es gibt auch heutzutage Altersarmut. Und die wird sich bereits in der heutigen Erwerbstätigen-Generation dadurch verstärken, daß es keine durchgehenden Berufsbiografien mehr gibt.


Gegenwärtig sind die von mir untersuchten Modelle von der Mittelschicht getragen. Das wird sich künftig ändern, wenn die Not alle Menschen zur Beteiligung an derartigen Unterstützungsangeboten zwingt.

Was der Gerontologin wichtig ist, kann psychologisch mit der Frage nach dem Lebenssinn des alternden Menschen umschrieben werden. 30 Jahre liegen durchschnittlich vor den sog. Ruheständlern! Eine so lange Zeitspanne, mehr als Kindheit, Jugend und Ausbildungszeit zusammen, sollte nicht allein konsumierend verbracht werden. Es gilt, neue Rollen für das Alter zu finden! Wenn die Jugend dann die Alten als aktive Helfer im Sozialsystem wahrnimmt, könnten die heutigen Diffamierungen (in den angelsächsischen Ländern: ageism) abnehmen.


Die minutiös aufgezeichneten, halbstrukturierten Interviews können deshalb nicht in den Anhang verbannt werden, weil unmittelbar aus ihnen B e f u n d e generiert werden. Damit aber eine raschere Information gewährleistet ist, verweise ich auf die zusammenfassenden Kapitel 15 und 16 sowie 19 mit den Ergebnissen der Forschungsfragen. Im Kapitel 20 werden die Lebensentwürfe dann in den Kommunitarismus eingebettet.


Ingrid Zundel