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Einleitung In diesem Buch geht es um die Bindungsbeziehungen von Jugendlichen, die im Rahmen einer Maßnahme der Erziehungshilfe in einem Heim leben. Es geht von der Annahme aus, dass die Erkenntnisse der modernen Bindungsforschung, die sich mit den frühen Beziehungserfahrungen von Kindern und den Auswirkungen auf deren Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt, für die Theorie und Praxis der Heimerziehung von großem Nutzen sind. Wie die Bindungsforschung gezeigt hat, beeinflusst die Qualität dieser frühen Bindungsbeziehungen die spätere Beziehungsfähigkeit bis in das Erwachsenenalter hinein. Von einem bindungstheoretischem Wissen ist daher auch ein vertieftes Verständnis für die Probleme und Konflikte zu erwarten, die den Heimalltag immer wieder nachhaltig prägen und die Erziehungsarbeit mit diesen erziehungsschwierigen Kindern und Jugendlichen im Heim erschweren. Schließlich hängt der Erfolg einer solchen Erziehungshilfemaßnahme entscheidend von der Qualität der pädagogischen Beziehung ab, die, so die These der folgenden Ausführungen, auch eine Bindungsbeziehung ist bzw. doch sein sollte. Ein kurzes Beispiel soll einen ersten Eindruck von diesen Erziehungsproblemen vermitteln:
Im Folgenden geht es also um das Thema Bindung und Heim. Von diesem Begriffspaar geht eine besondere Spannung aus. Hält man sich an den ursprünglichen Wortsinn, sollten diese beiden Begriffe Bindung und Heim doch keineswegs widersprüchliche Assoziationen auslösen. Heim meint schließlich den Ort, der uns vertraut ist, wo wir wohnen, wo wir uns auskennen, wo wir orientiert sind, an dem wir uns sicher, vielleicht sogar geborgen und wohl fühlen. Wir verbinden mit Heim etwa den verwandten Begriff der Heimat, wo wir also herkommen und mit der eine Vielzahl an Erinnerungen verbunden sind. Eigentlich sollte dem Begriff Heim eine positive Bedeutung zukommen, zumindest wenn er nicht in seiner Verbindung mit dem Begriff "Herd" auch negative Assoziationen provoziert, bekanntlich bei Frauen, die sich durch eine Verweisung an Heim und Herd beengt und in ihren Entwicklungsaussichten eingeschränkt fühlen. Einem solchen Heim fühlen wir uns verbunden. Fern der Heimat denken wir gerne an unser Heim und freuen uns auf eine glückliche Wiederkehr. Zu diesem Ort besteht eine Bindung, die uns Halt gibt und Orientierung vermittelt. Wir fühlen uns manchen Menschen sogar tiefverbunden, bisweilen auch verpflichtet. Bindung hat überhaupt viel mit Liebe zu tun. Bindung meint Solidarität, vermittelt uns ein Gefühl der Sicherheit. Auch fühlen wir uns an Versprechungen gebunden. Beim Begriff Bindung handelt es sich zweifeilos um eine Metapher, die doch erst einmal positive Gefühle auslösen sollte. Ganz anders ist es mit dem Begriff Heim bestellt, denken wir an die Institution Heim. Dieser Begriff ist eindeutig negativ besetzt. Offensichtlich handelt es sich um einen euphemistischen Begriff, der ein Programm ausdrückt, wie es etwa bei Hans Wollasch (zit. bei Post 1997, 26) deutlich wird: "Die Zulänglichkeit des Heimes ergibt sich nicht aus dem, was es an einzelnen fordernden Leistungen anbietet und gewährt, sondern daraus, dass es sich als Heim erweist." Kaum jemand dürfte gegenwärtig allerdings an die Einlösung eines solchen Programms so recht glauben. Im Gegenteil: mit "Heim" verbindet man doch eher die Erziehungsanstalt, in der Kinder und Jugendliche untergebracht werden, die nicht nur nicht erzogen sind, sondern die sich auch nicht oder nur schwer erziehen lassen. Ein solches Heim ist nachgerade das Gegenteil von einem Zuhause, von einem Heim, in dem es sich gut leben lässt. Diesen Ort sucht auch niemand aus freien Stücken auf, oft genug auch nicht die dort tätigen professionellen Erzieher. Vielmehr "landet" man dort. Man wird gezwungen, sich dort aufzuhalten. An eine solche Institution fühlt man sich nicht gebunden. Einem solchen Ort dürften schwerlich Heimatgefühle entgegengebracht werden. Das Heim als Einrichtung der öffentlichen Erziehungshilfe genießt denn auch seit jeher und immer noch einen schlechten Ruf, nicht nur in der Öffentlichkeit. Sogar der Gesetzgeber ließ sich von diesem Ruf offenbar beeindrucken. So erscheint der Begriff "Heimerziehung" in der Auflistung der gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe des im Jahre 1991 novellierten Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) nur noch eingeklammert als Erklärung für den nur wenig aussagekräftigen Begriff "Erziehungshilfe in einer Einrichtung über Tag und Nacht" (§ 34 KJHG). Heime sind demnach also Orte, die es nach Möglichkeit zu vermeiden gilt. Heimerziehung wird denn auch weithin als eine Jugendhilfemaßnahme angesehen, die es eigentlich abzuschaffen gelte. Sie gilt als ein "besonders schicksalhafter Eingriff" (Post 1997, 10). Allerdings wäre als Reaktion auf ein solches "Schicksal" eigentlich weniger Ablehnung denn Anteilnahme oder gar Mitleid zu erwarten, wie vielleicht noch in früheren Zeiten bei Kindern, die etwa ihrer Eltern durch einen tragischen Unglücksfall verlustig gingen und in einem Waisenhaus Aufnahme fanden. Diese "armen Waisenkinder" scheint es allerdings nicht mehr zu geben. Ein Leben im Heim kommt heute fast ausschließlich nur für solche Kinder und Jugendlichen in Frage, deren Eltern ihrer Erziehungspflicht nicht nachkommen. Trotzdem ist eine ablehnende Einstellung gegenüber diesen "Heimkindern" weit verbreitet. Diese Ablehnung verweist offenbar auf ein moralisches Urteil, lässt sich Moral als eine "besondere Form von Kommunikation, die Hinweise auf Achtung oder Missachtung mitführt" (Luhmann 1990 a, 18) auffassen. So wird eine Kommunikation mit Personen, die für unmoralisch gehalten werden, nach Möglichkeit gemieden. Es stellt sich die Frage, warum sich diese ablehnende Haltung nicht nur auf die Eltern beschränkt, die ihrer Elternpflicht nicht nachkommen, sondern auch noch den Opfern eines solchen Versäumnisses entgegengebracht wird. Der Grund hierfür dürfte in der Tatsache liegen, dass diesen Kinder nur allzu häufig durch ein solches Schicksal in ihrer Entwicklung Schaden entsteht. Dies betrifft denn auch ihre moralische Entwicklung. Sie sind dann auch immer wieder keineswegs dankbar ob der ihnen gebotenen Erziehungshilfe, sondern zeigen Verhaltensweisen, die von den sozialen Erwartungen in negativer Weise abweichen. Sie sind häufig dissozial, verhalten sich also unmoralisch. In der Öffentlichkeit wird der Status eines ehemaligen Heimzöglings geradezu als ein Persönlichkeitsmerkmal verwendet, das ein solch abweichendes Verhalten offenbar hinreichend erklären soll. Von der Heimerziehung wird so erst gar nicht erwartet, dass sie eine fehlende oder fehlerhafte Familienerziehung ersetzen, geschweige denn die daraus resultierenden psychischen Schäden auch nur annähernd kompensieren könnte. Bei Jugendlichen in Heimerziehung dürfte es sich um eine eher ungewollte Personengruppe handeln, von der man im Zweifelsfall nur negative Schlagzeilen erwartet. Mit ihnen scheint auch die Politik nicht viel zu tun zu haben wollen. Es dürfte kaum Zufall sein, dass sich der jüngste Jugendhilfebericht der Bundesregierung aus dem Jahre 1998 fast zur Gänze der Situation von Kindern annimmt. Das Buch verfolgt das Ziel, die Ergebnisse der Bindungsforschung gerade für diese Gruppe nutzbar zu machen. Es soll nicht verschwiegen werden, dass das vorliegende Buch, das sich also mit Heimerziehung beschäftigt, nichtsdestotrotz nicht von einem Heimerzieher geschrieben wurde, sondern von einem psychoanalytisch ausgebildeten Kinder- und Jugendpsychiater, der die Arbeit der Heimerziehung nicht aus der Innen-, sondern lediglich aus der Außenperspektive anlässlich jahrelanger Supervisionstätigkeit kennen lernen konnte und der nach langjähriger klinischer Tätigkeit seine Erfahrungen nun an der Universität Studentinnen und Studenten der Sonderund Sozialpädagogik zu vermitteln versucht. Eine solche Außenperspektive kann eigene Erfahrungen mit Heimerziehung sicherlich kaum ersetzen. Auch gerät man als Supervisor schnell in die Gefahr, es besser zu wissen, ohne eigentlich Bescheid zu wissen, um was es geht. Allerdings hat die Beobachterposition von außen durchaus auch gewisse Vorteile. Als Beobachter 2. Ordnung kann man nämlich beobachten, wie die primären Beobachter, also die Heimerzieherinnen, ihre Klientel beobachten. Gerade dieses Wissen muss den Beobachtern 1. Ordnung bekanntlich verschlossen bleiben. Hier haben sie ihren blinden Fleck (Luhmann 1990 b). Insofern fühlt sich der Autor besonders angewiesen auf eine wohlwollende Aufnahme der folgenden Ausführungen. Gerade ein Jugendpsychiater weiß um den "Narzissmus der kleinen Differenz" (Freud 1921, 111), der die Zusammenarbeit bzw. besser die Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern der Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie traditionell prägt. Diese Berufsgruppen haben es schließlich weithin mit der selben Klientel zu tun. Auch "die Psychiatrie" gehört zu den wenigen markanten Institutionen, in die man "landet", die man also nicht von sich aus aufsucht. Immer noch werden all zu oft gerade dissoziale Jugendliche als "Grenzfälle" (Köttgen u. Kretzer 1990) zwischen den Heimen der öffentlichen Erziehungshilfe und den stationären Institutionen der Kinder- und Jugendpsychiatrie hin- und verschoben. Diese bekannte und oft kritisierte Tatsache kann denn nur als Ausdruck einer Hilflosigkeit gegenüber dieser Klientel in beiden Wissenschaftsdisziplinen, der Sonder- bzw. Sozialpädagogik sowie der Kinderpsychiatrie, gewertet werden (vgl. Gintzel und Schone 1990). Die Bindungstheorie kann zu einem besseren Verständnis der Probleme im Umgang gerade mit diesen Kindern und Jugendlichen beitragen. Dank Die folgenden Ausführungen stützen sich auch auf Erkenntnisse und Erfahrungen anlässlich eines zweijährigen Forschungsprojektes, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Bindungsorganisation von Jugendlichen, die in einem Heim leben, zu untersuchen. Es wurde finanziell großzügig unterstützt durch die Carl-Richard-Montag-Stiftung, Bonn. Diesbezüglich geht der Dank an Herrn Carl Richard Montag sowie an Herrn Dr. Theo Eckmann. Die Untersuchung selbst fand statt im Hermann-Josef-Haus, Bonn-Bad Godesberg, einem Kinder- und Jugendheim in Trägerschaft der Caritas-Jugendhilfe Gesellschaft mbH. Das Forschungsprojekt wäre nicht zustande gekommen ohne die insgesamt hervorragende Kooperation mit diesem Heim. Stellvertretend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei der Leiterin des Hermann-Josef-Hauses, Schwester Hugonis Schäfer, herzlich gedankt für das Vertrauen, das sie den Wissenschaftlern entgegenbrachte. Eine solche Bereitschaft zur Kooperation ist keinesfalls selbstverständlich, besteht doch in der "Heimlandschaft" gerade in Zeiten leerer öffentlicher Kassen ein nicht unbeträchtlicher Konkurrenzdruck. Insofern könnte man einem Wunsch, sich "nicht in die Karten blicken" zu lassen, durchaus Verständnis entgegenbringen. Zu dieser guten Zusammenarbeit kam es auch, weil von Seiten der Heimleitung ein großes Interesse an den Grundaussagen der Bindungstheorie bestand. Es wurde die Chance gesehen, die Arbeit, die man machte und die man zu verbessern wünschte, mit Hilfe dieser Theorie konzeptionell besser erfassen und begründen zu können. Danken möchte ich Frau Dr. Susanne Müller, die die bindungstheoretischen Untersuchungen durchführte. Gerade angesichts einer solchen nicht nur erziehungsschwierigen, sondern auch untersuchungsschwierigen Population wäre es ohne ihre Geduld, ihre Einsatzbereitschaft und ihr Einfühlungsvermögen nicht möglich gewesen, so viele Jugendliche zu einer Teilnahme an diesem Forschungsunternehmen zu bewegen. Viele theoretische, aber auch praktische Hilfen wurden mir zuteil von Mitgliedern des Regensburger Forscherteams um Klaus und Karin Grossmann. Eine solche feinfühlige Unterstützung durch ausgewiesene Experten, die also mit den Worten des Gründervaters der Bindungsforschung John Bowlby "stronger and wiser" sind, findet sich im Wissenschaftsbetrieb doch höchst selten! Frau Andrea Houy danke ich für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Fertigstellung des Manuskripts. Am meisten habe ich meiner Frau zu verdanken, die mir immer eine sichere Basis war. |
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